Landgericht Göttingen
Beschl. v. 24.08.2004, Az.: 10 T 94/04
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an die Gewährung einer Restschuldbefreiung
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 24.08.2004
- Aktenzeichen
- 10 T 94/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 34405
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2004:0824.10T94.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 05.07.2004 - AZ: 74 IK 36/03
- nachfolgend
- BGH - 09.02.2006 - AZ: IX ZB 218/04
Rechtsgrundlagen
- § 4c Nr. 5 InsO
- § 97 InsO
- § 98 InsO
- § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
Fundstellen
- DStR 2004, XIV Heft 48 (Kurzinformation)
- NJW 2004, XII Heft 47 (Kurzinformation)
- NZI 2006, 312 (amtl. Leitsatz)
- NZI 2004, 678-679 (Volltext mit amtl. LS)
- ZInsO 2004, 1212-1214 (Volltext mit red. LS)
- ZVI 2005, 48-49 (Volltext mit red. LS)
- ZVI 2006, 12-13
- ZVI (Beilage) 2006, 12-13 (red. Leitsatz)
Entscheidungsgründe
Der Schuldner hat am 26.2.2003 beantragt, das Verbraucherinsolvenzverfahren über sein Vermögen zu eröffnen. Zugleich hat er den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt. Mit Beschl. v. 3.3.2003 hat das AG das Insolvenzverfahren eröffnet, dem Schuldner Stundung bewilligt und den Dipl.-Rechtspfleger R. zum Treuhänder bestellt. Am 17.7.2003 ist der Vater des Schuldners verstorben.
Nachdem der Schuldner hiervon Kenntnis erlangt hatte, hat er am 28.7.2003 beim Nachlassgericht den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins gestellt, der ihm am 29.7.2003 erteilt wurde. Die Gesamterbschaft betrug 45.333,31 EUR. Am 26.8.2003 hat der Schuldner vom Konto seines verstorbenen Vaters 8.000 EUR entnommen und dieses Geld für eigene Zwecke verbraucht. Am 4.9.2003 hat die oben genannte Gläubigerin den Treuhänder von der Erbschaft des Schuldners benachrichtigt.
Mit Beschl. v. 30.4.2004 hat das AG für die Beendigung des Verfahrens das schriftliche Verfahren angeordnet und bestimmt, dass Einwendungen gegen den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung bis zum 5.6.2004 schriftlich erhoben werden könnten. Mit Schriftsatz v. 11.5.2004 hat die Gläubigerin beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Hierzu hat die Gläubigerin ausgeführt, der Schuldner habe durch Erbschaft Vermögen erworben und dieses dem Treuhänder nicht mitgeteilt. Zudem habe der Schuldner über einen Betrag von 8.000 EUR aus der Erbmasse verfügt und diesen Betrag für eigene Zwecke verbraucht.
Der Schuldner hat vorgetragen, er habe den Treuhänder mit Schreiben v. 28.8.2003 über die Erbschaft informiert. Entsprechend der Belehrung in dem Merkblatt, das sich als Anlage zum Schuldenbereinigungsplan befinde, sei er davon ausgegangen, dass er die Hälfte der Erbschaft behalten dürfe und diese nicht in die Insolvenzmasse falle. Er sei deshalb zur Entnahme der 8.000 EUR berechtigt gewesen, weil hierdurch der auf ihn entfallende Anteil noch nicht ausgeschöpft sei.
Mit Beschl. v. 5.7.2004 hat das AG dem Schuldner die beantragte Restschuldbefreiung versagt sowie die bewilligte Stundung aufgehoben. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, der Schuldner habe gegen die im Verbraucherinsolvenzverfahren bestehende Verpflichtung verstoßen, erheblichen Vermögenszuwachs unverzüglich dem Treuhänder mitzuteilen, sodass die Voraussetzungen des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfüllt seien. Der Schuldner eines Verbraucherinsolvenzverfahrens unterliege den allgemeinen Auskunftspflichten der §§ 97, 98 InsO und habe deshalb die Pflicht, eine Erbschaft anzuzeigen. Dieser Offenbarungspflicht müsse der Schuldner unverzüglich nach dem Vermögenserwerb nachkommen und zwar innerhalb einer kurzen Frist, die deutlich unter einem Monat liege. Hier habe der Schuldner nach eigenem Vorbringen erst am 28.8.2003 den Treuhänder informiert, obwohl er bereits am 28.7.2003 den Antrag auf Erteilung eines Erbscheines gestellt habe. Darüber hinaus habe der Schuldner auch aktiv auf den Nachlass zugegriffen, indem er am 26.8.2003 8.000 EUR abgehoben habe. Das Verhalten des Schuldners sei auch zumindest grob fahrlässig. Dies folge schon daraus, dass der Schuldner Aufforderungen des Treuhänders zur Information über den Nachlass bzw. die Verwendung des Teilbetrags von 8.000 EUR erst auf mehrmalige Nachfrage des Treuhänders beantwortet habe und zudem auch zunächst falsche Angaben über die Verwendung des abgehobenen Teilbetrags gemacht habe. Damit habe sich der Schuldner zumindest leichtfertig der Einsicht verschlossen, dass er die Erbschaft dem Treuhänder habe mitteilen müssen.
Die Stundung der Verfahrenskosten hat das AG gem. § 4c Nr. 5 InsO aufgehoben.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde. Er meint, er habe nicht grob fahrlässig gegen Mitwirkungs- und Informationspflichten verstoßen. In dem Merkblatt zur Wohlverhaltensperiode sei er dahingehend belehrt worden, dass nach Laufzeit der Abtretungserklärung der Schuldner über einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestimmte Pflichten (Obliegenheiten) erfüllen müsse, wie z.B. Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben habe.
Die Abtretungserklärung sei wirksam geworden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 3.3.2003. Zu diesem Zeitpunkt habe der Schuldner keinerlei Erkenntnisse über den anstehenden Anfall einer Erbschaft gehabt. I.Ü. habe der Schuldner auch im Zeitpunkt der Erbscheinsbeantragung noch nicht bewusst, wie hoch das Barvermögen des Erblassers gewesen sei. Soweit er in dem Antrag auf Erteilung des Erbscheins angegeben habe, dass der Nachlass auf ca. 40.000 EUR geschätzt werde, habe dies auf einer Schätzung der Einrichtungsgegenstände in der Wohnung des Erblassers beruht. Diese Einrichtungsgegenstände habe der Schuldner jedoch später an den Sohn der letzten Lebensgefährtin seines verstorbenen Vaters herausgeben müssen. Erst am 26.8.2003 bei einem ersten Gespräch mit der Sparkasse Göttingen habe der Schuldner erfahren, dass ein beträchtliches Barvermögen vorhanden sei. In dem Bewusstsein, dass er die Hälfte der Erbschaft an den Treuhänder auszukehren habe, habe er einen Teilbetrag von 8.000 EUR abgehoben, der jedoch weit weniger als die Hälfte der Erbschaft ausgemacht habe.
Mit Schreiben v. 28.8.2003 habe dann der Schuldner sogleich dem Treuhänder Mitteilung von der Erbschaft gemacht. Damit habe er seinen Informations- und Mitwirkungspflichten in vollem Umfang genügt. Keinesfalls könne ihm vorgehalten werden, dass er nicht unmittelbar nach dem Tod seines Vaters dem Treuhänder von einer möglichen Erbschaft unterrichtet habe. Insoweit habe dem Schuldner noch die Überlegungsphase für die Entscheidung zugestanden, ob er die Erbschaft annehme oder ausschlage. Unmittelbar nach der Annahme habe er dann dem Treuhänder Mitteilung gemacht.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gem. §§ 6 Abs. 1, 4d Abs. 1, 289 Abs. 2 InsO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Das AG hat zu Recht dem Schuldner die beantragte Restschuldbefreiung versagt. Im Hinblick darauf ist auch die Entscheidung des AG, die Stundung aufzuheben, nicht zu beanstanden, denn dies entspricht § 4c Nr. 5 InsO.
Dem Schuldner war hier entsprechend dem Antrag der Gläubigerin die Restschuldbefreiung zu versagen, denn der Schuldner hat während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- bzw. Mitwirkungspflichten zumindest grob fahrlässig verletzt, § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Zutreffend ist das AG davon ausgegangen, dass der Schuldner die Pflicht hatte, den Treuhänder darüber zu informieren, dass ihm durch eine Erbschaft Vermögen zugefallen war. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner unmittelbar nach dem Tod seines Vaters einen genauen Überblick über die Höhe der Erbmasse hatte. Wie der Schuldner in der Beschwerde selbst vorträgt, ist er bei der Beantragung des Erbscheins davon ausgegangen, dass die Höhe der Erbschaft ca. 40.000 EUR ausmacht. Ob der Schuldner diesen Wert anhand der Wohnungseinrichtung des verstorbenen Vaters geschätzt hat oder ob sich dieser Wert aufgrund des vom Vater hinterlassenen Barvermögens ergibt, ist für die Entscheidung unbedeutend. Vielmehr kommt es allein darauf an, dass der Schuldner erkennen konnte, dass die Erbschaft jedenfalls eine Höhe von mehreren Tausend EUR hatte und damit auf jeden Fall dem Treuhänder mitgeteilt werden musste. Ob die Benachrichtigung des Treuhänders, die nach der Behauptung des Schuldners am 28.8.2003 erfolgt ist, rechtzeitig war, kann für die Entscheidung dahinstehen. Maßgeblich ist hier, dass der Schuldner gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen hat, indem er aus dem Nachlass 8.000 EUR entnommen und für eigene Zwecke verbraucht hat. Entgegen der Auffassung des Schuldners durfte er über diesen Betrag nicht verfügen.
Der Schuldner wusste, dass er infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr über sein Vermögen verfügen durfte, denn er hatte die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen verloren, § 80 Abs. 1 InsO.
Zur Insolvenzmasse zählt nicht nur das Vermögen, das dem Schuldner z.Zt. der Eröffnung des Verfahrens gehörte, sondern auch dasjenige, das er während des Verfahrens erlangt, § 35 InsO. Damit gehört die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefallene Erbschaft in voller Höhe in die Insolvenzmasse, denn der Schuldner hat die Erbschaft hier angenommen (vgl. FK-InsO/Schumacher, 3. Aufl., § 35 Rn. 7; MünchKomm-InsO/Lwowski, § 35 Rn. 48; Kübler/Prütting/Lüke, Insolvenzordnung, § 83 Rn. 6; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 83 Rn. 3). Die Auffassung des Schuldners, dass ihm die Hälfte der Erbschaft gehöre und er deshalb über die entnommenen 8.000 EUR habe verfügen dürfen, ist unzutreffend. Der Schuldner kann sich nicht auf § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO berufen. Zwar obliegt es dem Schuldner nach dieser Vorschrift, das während der Laufzeit der Abtretung durch Erbschaft erworbene Vermögen zur Hälfte an den Treuhänder herauszugeben. Diese Vorschrift ist hier jedoch nicht einschlägig. Vielmehr gilt diese Regelung erst für den Zeitraum der Treuhandphase (Wohlverhaltensperiode). Diese wiederum beginnt erst mit der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Restschuldbefreiung angekündigt wird (FK-InsO/Ahrens, 3. Aufl., § 295 Rn. 7a, 9; Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 295 Rn. 1). Daran hat auch die Neufassung des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nichts geändert. Nach dieser Vorschrift beginnt die Laufzeit der Abtretung mit der rechtskräftigen Eröffnung des Verfahrens. § 295 Abs. 1 InsO betrifft jedoch die Obliegenheiten des Schuldners in dem Zeitraum nach Ankündigung der Restschuldbefreiung und nicht die davor liegende Zeit ab Eröffnung des Verfahrens. In dem bis zur Ankündigung der Restschuldbefreiung laufende Zulassungsverfahren kann § 295 InsO nicht angewendet werden (FK-InsO/Ahrens, 3. Aufl., § 295 Rn. 7a, 9; Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 287 Rn. 44; LG Göttingen, Beschl. v. 20.7.2004 - 10 T 83/04). Der Schuldner, der unter Verstoß gegen diese Regelungen nach Eröffnung des Verfahrens aber vor Beginn der Treuhandphase der Masse Geld entnimmt, handelt zumindest grob fahrlässig.
Wie bereits oben ausgeführt wusste der Schuldner, dass er nicht mehr verfügungsbefugt war. Im Hinblick darauf hätte er sich nicht auf seine irrige Rechtsauffassung verlassen dürfen, sondern hätte insoweit beim Treuhänder nachfragen müssen. Dieses Unterlassen rechtfertigt die Annahme der groben Fahrlässigkeit. Von einem Schuldner, der die Restschuldbefreiung begehrt, kann erwartet werden, dass er die ihn betreffenden Vorschriften genau beachtet und ihm Zweifel beim Treuhänder oder dem Insolvenzgericht nachfragt. Das Hinwegsetzen über diese Vorschriften bedeutet indes grobe Fahrlässigkeit.