Landgericht Göttingen
Urt. v. 21.09.2004, Az.: 8 O 16/04

Insolvenzrechtliche Ausgestaltung der Anfechtbarkeit einer Zahlung gem. § 131 Insolvenzordnung (InsO) durch den Insolvenzverwalter; Anforderungen an das Vorliegen eines Anspruchs auf Rückzahlung eines geleisteten Anwaltshonorars wegen Anfechtbarkeit nach der Insolvenzordnung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
21.09.2004
Aktenzeichen
8 O 16/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 39876
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2004:0921.8O16.04.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Braunschweig - 04.08.2005 - AZ: 8 U 177/04
BGH - 13.04.2006 - AZ: IX ZR 158/05

In dem Rechtsstreit
...
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
F.
auf die mündliche Verhandlung vom 17.08.2004
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.955,54 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

  2. 2.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des ausgeurteilten Betrages vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des ausgeurteilten Betrages abzuwenden, sofern nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Rückzahlung geleisteten Anwaltshonorars wegen Anfechtbarkeit nach der Insolvenzordnung in Anspruch.

2

Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 01.02.2002 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen G. in Göttingen bestellt worden. Der Beklagte war für die Gemeinschuldnerin als Rechtsanwalt/Rechtsbeistand tätig.

3

Unter dem 7. November 2001 fasste die H. als alleinige Gesellschafterin der Gemeinschuldnerin den Beschluss, zur Verstärkung des Betriebskapitals der Gemeinschuldnerin eine Einlage in die Kapitalrücklage in Höhe von 800.000,- DM, zahlbar bis zum 09.11.2001 zu leisten (auf Bl. 71 d.A. wird Bezug genommen). Mit Faxschreiben der I. vom 9. November 2001, gerichtet an die Gemeinschuldnerin, wurde als Zahlungseingang der 12. November 2001 angekündigt (auf Bl. 69, 70 d.A. wird Bezug genommen). Mit einem darauf erfolgten Faxschreiben am gleichen Tage (09.11.2001) teilte der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin, der Zeuge J., der I. mit, dass sich die Stellung eines Insolvenzantrages noch am gleichen Tage nur dann vermeiden lasse, wenn noch bis 12.00 Uhr des gleichen Tages eine schriftliche Bestätigung der Hausbank der Gesellschafterin bei ihm einginge, in der bereits der Eingang der Summe von 800.000,- DM auf dem Bankkonto der Gemeinschuldnerin bis Montag, den 12. November 2001 bestätigt werde. Auf das Schreiben des Zeugen J. vom 9. November 2001 Bl. 67 d.A. wird Bezug genommen. Daraufhin erfolgte zunächst weder eine Reaktion der I. noch eine Bestätigung deren Hausbank. Vielmehr erhielt der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin am 12.11.2001 um 13.42 Uhr ein Faxschreiben der I., dass die Kapitaleinlage in Höhe von 800.000,- DM nicht erbracht werde. Insoweit wird auf das Faxschreiben sowie die Übersetzung Bl. 24 und 25 d.A. Bezug genommen.

4

Am 1. November 2001 erhielt der Kläger, seinerzeit noch in Sozietät mit dem inzwischen verstorbenen ursprünglich mitverklagten K., von der Gemeinschuldnerin einen Betrag in Höhe von 5.000,- DM (2.556,46 Euro). Unter dem 08.11.2001 wurde an den Beklagten ein weiterer Betrag in Höhe von 10.000,- DM (5.112,92 Euro) gezahlt. Unter dem 09.11.2001 stellte der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin im Beisein des Beklagten bei dem Insolvenzgericht Göttingen den Insolvenzantrag. Auf das Protokoll Bl. 38 d.A. wird insoweit Bezug genommen. Unter dem 12.11.2001 erhielt der Beklagte von der Gemeinschuldnerin einen weiteren Betrag in Höhe von 35.764,62 DM (18.286,16 Euro). Über diesen Betrag existiert eine Rechnung des Beklagten gleichen Datums, also 12.11.2001.

5

Die Rechnung vom 12.11.2001 ist übertitelt mit "Gebührenforderung in Beratungsangelegenheit". Eingangs der Rechnung heißt es: "Wie vereinbart, übermittele ich nachstehend eine Aufstellung meiner bislang entstandenen Gebühren, die zum Teil auch gleichzeitig die zukünftigen Verhandlungen und Beratungen mitabdecken". Es folgen sodann Gebührenwerte für folgende Tätigkeiten: 1. Besprechung und Verhandlung mit Insolvenzverwalter L. betreffend Kaufpreisreduzierung; 2. Überprüfung und Beratung Mietverträge; 3. Beratung in arbeitsvertraglichen Angelegenheiten (nicht übernommene Mitarbeiter pp.); 4. beratende Tätigkeit im Übrigen bis zur Antragstellung, Antragstellung im Insolvenzverfahren und Besprechung mit dem Insolvenzverwalter; 5. Auslagenpauschale. Im Übrigen wird auf die Rechnung datierend vom 12.11.2001 (Bl. 8 f. d.A.) Bezug genommen.

6

Der Kläger vertritt die Ansicht, die geleisteten Zahlungen an den Beklagten seien nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO (inkongruente Deckung) anfechtbar. Die ersten beiden Zahlungen seien schon mangels Rechnungslegung gem. § 118 Abs. 1 BRAGO nicht fällig gewesen, die Rechnung vom 12.11.2001 habe jedenfalls nicht zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen. Jedenfalls seien die Zahlungen aber nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO (kongruente Deckung) anfechtbar. Dazu behauptet der Kläger, die Gemeinschuldnerin sei schon seit Ende Oktober 2001 zahlungsunfähig gewesen, was dem Beklagten auch bekannt gewesen sei. Etwaige avisierte Zahlungen könnten allenfalls das Merkmal der Überschuldung betreffen, nicht jedoch die tatsächliche Zahlungsunfähigkeit. Darüber hinaus vertritt er die Ansicht, dass auch eine Anfechtbarkeit gem. § 133 Abs. 1 InsO wegen vorsätzlicher Benachteiligung der Gläubiger gegeben sei. Schließlich wird die Rechnung vom 12.11.2001 hinsichtlich Höhe und Angemessenheit vom Kläger in Zweifel gezogen. Für die näheren Einzelheiten wird insbesondere auf das Vorbringen in der Klageschrift vom 13.01.2004 Bezug genommen.

7

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er behauptet, dass es sich bei den Zahlungen vom 1. und 8. November 2001 lediglich um Vorschüsse gehandelt habe, für die keine Rechnungslegung erforderlich sei. Die Rechnung vom 12.11.2001 sei im Zusammenhang mit der dritten Zahlung an jenem Tag vorgelegt worden, lediglich ob tatsächlich auch eine Aushändigung der Rechnung stattgefunden habe sei nicht mehr aufklärbar. Im Übrigen seien Teile der in der Rechnung enthaltenen Beträge und damit auch Teile des daraufhin gezahlten Betrages ebenfalls als Vorschuss anzusehen.

10

Zur wirtschaftlichen Situation der Gemeinschuldnerin verweist der Beklagte auf eine Stellungnahme von Wirtschaftsprüfern, nach der zum 18.10.2001 noch keine Zahlungsunfähigkeit vorgelegen habe. Im Übrigen behauptet er, der Insolvenzantrag sei am 09.11.2001 ausdrücklich mit der Maßgabe gestellt worden, dass das Insolvenzgericht davon erst am 12.11. Gebrauch mache, sofern nicht der Antrag zuvor zurückgenommen worden sei. Letztlich sei nämlich erst am 12.11.2001 durch die Übersetzung des Faxschreibens der Fa. M. endgültig und mit Gewissheit deutlich geworden, dass die von dort in Aussicht genommene Kapitalanlage im Werte von 800.000,- DM nicht geleistet werde. Im Übrigen, insbesondere auch zu der Einlassung des Beklagten hinsichtlich der Angemessenheit der geltend gemachten Gebühren und Gebührenstreitwerte wird auf die Klageerwiderung vom 10.03.2004 Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die weiteren Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage ist begründet. Die an den Beklagten geleisteten Zahlungen sind wegen Anfechtbarkeit nach Insolvenzrecht zurückzufordern.

12

1.

Die beiden Zahlungen vom 1. und 8. November 2001 sind nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar.

13

Anfechtbar ist danach u.a. insbesondere eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt, die er jedenfalls nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

14

Die Zahlungen erfolgten kurzfristig vor Stellung des Insolvenzantrages. Dabei ist nicht von Belang, ob dieser nun bereits am 9. November oder aber 12. November Wirksamkeit erlangte. Ferner geht das Gericht davon aus, dass diese Beträge als Anwaltshonorar noch nicht fällig waren, so dass der Beklagte die Beträge nicht zu der Zeit der Zahlungen i.S.v. § 131 Abs. 1 S. 1 InsO zu beanspruchen hatte.

15

Soweit der Beklagte behauptet, es habe sich bei beiden Zahlungen lediglich um Vorschüsse gehandelt, die keiner Rechnungslegung bedürften, ist dieser Vortrag nicht ausreichend. Allerdings soll die Darlegungs- und Beweislast für die Inkongruenz der Deckungshandlung grundsätzlich den Insolvenzverwalter treffen (Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, Dauernheim, § 132 Rdnr. 29 m.w.N.). Für die Frage, ob die durch das Deckungsgeschäft getilgte Forderung zu diesem Zeitpunkt bereits fällig war, führt die strikte Anwendung dieser Beweislastregel jedoch zu unbilligen Ergebnissen für den sich auf die Insolvenzanfechtung berufenden Insolvenzverwalter. Dieser hat nämlich, insbesondere, wenn - wie hier - keine Rechnung oder andere schriftlichen Unterlagen vorliegen, keinerlei Handhabe, Grund und Zweckbestimmung der Zahlungen nachzuvollziehen und darzulegen. Bestreitet er daher die Fälligkeit, insbesondere auch, dass es sich lediglich um Vorschusszahlungen gehandelt habe, so trifft den beklagten Zahlungsempfänger die Pflicht zu einem entsprechend substantiierten Bestreiten (vgl. grds. dazu: Zöller/Greger, 24. Aufl., vor § 284 Rdnr. 34 m.w.N.). Dieser sog. Behauptungslast bzw. Verpflichtung zum substantiierten Bestreiten ist der Beklagte nicht hinreichend nachgekommen. Der Beklagte hat sich insoweit mit der Behauptung begnügt, dass es sich um Vorschusszahlungen gehandelt habe. Dazu hat er sich pauschal auf das Zeugnis des Geschäftsführers Kilian berufen. Ein substantiiertes Bestreiten, das es dem Kläger ermöglicht hätte, seine Behauptung, dass nämlich alle relevanten anwaltlichen Tätigkeiten aufweiche die Zahlungen bezogen waren zu dem Zeitpunkt bereits erbracht waren, hätte jedoch vorausgesetzt, dass der Beklagte konkret aufführt, für welche zum Zeitpunkt der Zahlungen erst in Aussicht genommenen anwaltlichen Tätigkeiten ein bloßer Vorschuss gezahlt worden ist. Dies hat der Beklagte jedoch nicht getan. Unter diesen Umständen wäre die Vernehmung des Zeugen Kilian für beide Parteien einem Ausforschungsbeweis gleichgekommen, der nicht statthaft ist.

16

2.

Die dritte Zahlung vom 12. November 2001 ist gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO bei kongruenter Deckung anfechtbar.

17

Anfechtbar ist danach u.a. insbesondere eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Insolvenzgläubiger zur Zeit der Handlung entweder die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Auch diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

18

Die Zahlung vom 12. November 2001 ist nach Stellung des Insolvenzantrages erfolgt. Maßgeblich ist hier das Datum der Antragstellung gemäß Protokoll, nämlich der 09.11.2001. Nicht erheblich ist, ob zwischen dem antragstellenden Geschäftsführer und dem Insolvenzgericht abgesprochen war, die weitere Bearbeitung dieses Antrages noch bis zum 12. November zurückzustellen. Allerdings soll eine solche Verfahrensweise grundsätzlich zulässig sein (Uhlenbruck/Uhlenbruck, 12. Aufl., § 13 Rdnr. 4 m.w.N.). Allerdings ändert dies nichts daran, dass der Insolvenzantrag als Prozesshandlung bedingungs- und befristungsfeindlich ist (Uhlenbruck a.a.O. m.w.N.). Eine entsprechende Absprache auf faktische Nichtbearbeitung für kurze Zeit ändert demnach nicht die Wirksamkeit des gestellten Antrages zum Zeitpunkt der Erklärung dementsprechend ist es auch unerheblich, ob der Antrag im Zeitpunkt der Antragstellung bereits begründet war, ob der Antrag aus anderen Beweggründen und Zwecken als zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wird sowie, ob er bereits formell ordnungsgemäß und vollständig ist (Uhlenbruck/Hirte § 130 Rdnr. 39). Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte zum Zeitpunkt der dritten Zahlung Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin hatte. Jedenfalls ist die andere Tatbestandsalternative des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO gegeben, da er ausweislich des Protokolls bei der Antragstellung anwesend war, mithin Kenntnis von dem Eröffnungsantrag hatte.

19

Des Weiteren kommt es für die Anfechtbarkeit nach § 130 InsO anders als nach § 131 InsO nicht darauf an, ob die befriedigte Forderung zu diesem Zeitpunkt bereits fällig war.

20

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 711 ZPO.