Landgericht Göttingen
Beschl. v. 01.03.2004, Az.: 10 T 147/03
Antrag auf Erhöhung der Vergütung eines Insolvenzverwalters; Kostendeckende und angemessene Vergütung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters auf Grund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit; Wirtschaftlicher Ausgleich auf Grund der Mehrzahl von massearmen Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 01.03.2004
- Aktenzeichen
- 10 T 147/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 34769
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2004:0301.10T147.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 17.11.2003 - AZ: 74 IN 279/02
Rechtsgrundlagen
- § 63 Abs. 1 InsO
- § 2 Abs. 2 InsVV
- § 3 InsVV
Fundstellen
- NZI 2004, 21 (Kurzinformation)
- ZIP 2004, 867 (red. Leitsatz)
- ZInsO 2004, 497 (Volltext mit red. LS)
- ZVI 2004, 262-263 (Volltext mit red. LS)
- ZVI (Beilage) 2004, 8 (amtl. Leitsatz)
Die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen hat
durch
C. auf die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters vom 25.11.2003
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 17.11.2003 - 74 IN 279/02 -
am 01.03.2004 beschlossen :
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 4.640,00 EUR.
Gründe
Mit Beschluss vom 13.09.2002 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des oben genannten Schuldners eröffnet und den Beschwerdeführer zum Insolvenzverwalter bestellt. Es handelt sich um ein masseloses Regelinsolvenzverfahren, denn der Schuldner erzielt lediglich ein monatliches Einkommen in Höhe von 300,00 EUR, so dass pfändbare Beträge nicht zur Insolvenzmasse gezogen werden konnten. Unter dem 27.08.2003 hat der Insolvenzverwalter das Schlussverzeichnis erstellt. Mit Schriftsatz vom selben Tag hat er beantragt, seine Vergütung festzusetzen. Dabei hat er die Festsetzung einer Grundvergütung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 InsVV in Höhe von 6.000,00 EUR beantragt. Zuzüglich Auslagen in Höhe von 250,00 EUR und Mehrwertsteuer in Höhe von 1.000,00 EUR fordert der Insolvenzverwalter die Festsetzung einer Vergütung in Höhe von insgesamt 7.250,00 EUR. Zur Begründung hat der Insolvenzverwalter ausgeführt, in masselosen Regelinsolvenzverfahren, an denen wenigstens 20 Gläubiger beteiligt seien, sei eine Erhöhung der Mindestvergütung vorzunehmen. Hier habe er, der Insolvenzverwalter, 203 Gläubiger zur Insolvenztabelle aufgenommen.
Mit Beschluss vom 17.11.2003 hat das Amtsgericht die Vergütung des Insolvenzverwalters auf 2.000,00 EUR netto zuzüglich 250,00 EUR Auslagen und 360,00 EUR Umsatzsteuer, insgesamt auf 2.610,00 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die beantragte Erhöhung der Nettovergütung auf 6.000,00 EUR sei nicht angemessen, da für eine Erhöhung der Regelvergütung in erster Linie die Anzahl der anmeldenden Gläubiger maßgeblich sei. Hier hätten 35 Gläubiger ihre Forderung zur Tabelle angemeldet, so dass eine Erhöhung der Regelvergütung auf 2.000,00 EUR gerechtfertigt seien. Weitere Anhaltspunkte, die eine Erhöhung der Vergütung im Sinne des § 3 Abs. 1 InsVV rechtfertigten, seien nicht erkennbar.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Insolvenzverwalter mit der sofortigen Beschwerde. Er meint, die Begrenzung der erhöhten Regelvergütung auf 2.000,00 EUR sei nicht sachgerecht. Bereits in durchschnittlichen Insolvenzverfahren sei eine Erhöhung der Mindestvergütung auf 2.000,00 EUR angemessen. Ein durchschnittliches Verfahren sei bei einer durchschnittlichen Anzahl von 20 Gläubigern gegeben. Im vorliegenden Fall hätten 35 Gläubiger Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet, so dass nicht mehr von einem durchschnittlichen Fall auszugehen sei. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass eine Auswertung der vom Schuldner zur Verfügung gestellten Unterlagen im Eröffnungsverfahren insgesamt 85 Gläubiger ergeben habe, die zunächst ins System aufzunehmen und anzuschreiben gewesen seien. Auch dieser Aufwand müsse hier berücksichtigt werden.
Die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters ist gemäß §§ 6 Abs. 1, 64 Abs. 3 InsO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die Vergütung des Insolvenzverwalters ist nicht über den vom Amtsgericht festgesetzten Betrag hinaus zu erhöhen.
Der Anspruch des Verwalters auf Vergütung folgt aus § 63 Abs. 1 InsO, § 2 Abs. 2 InsVV. Danach soll die Vergütung des Insolvenzverwalters in der Regel mindestens 500,00 EUR betragen. Eine Erhöhung der Vergütung kommt nach § 3 InsVV in Betracht, wenn vergütungserhöhende Faktoren vorliegen und deshalb die Vergütung angemessen zu erhöhen ist.
Entgegen der Auffassung des Insolvenzverwalters kommt eine pauschale Erhöhung der Mindestvergütung von 500,00 EUR gemäß § 2 Abs. 2 InsVV nicht in Betracht. § 2 Abs. 2 InsVV ist für Insolvenzverwalter, die bis zum 31. Dezember 2003 bestellt wurden, in der vorliegenden Form anwendbar. Insoweit ist eine generelle Anhebung dieses Regelsatzes im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ausgeschlossen, weil nach dem Willen des Verordnungsgebers die neu festgesetzten Regelsätze maßgeblich sein sollten, ohne dass schon für ein Normalverfahren Multiplikatoren angewandt oder Zuschläge gewährt werden (BGH ZIP 2004, 417, 423) [BGH 15.01.2004 - IX ZB 96/03].
Zwar hat der BGH in dieser Entscheidung vom 15.01.2004 - IX ZB 96/03 - ausgeführt, dass die in § 2 Abs. 2 InsVV vorgesehene, für massearme Verfahren zum Tragen kommende Mindestgebühr von 500,00 EUR den maßgeblichen, für Verfahren dieser Art im Durchschnitt entstehenden Bearbeitungsaufwand bei weitem nicht mehr auskömmlich vergütet und deshalb einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellt. Allerdings gilt dies nicht für Insolvenzverwalter, die bis zum 31. Dezember 2003 bestellt wurden. Für diese ist - wie bereits ausgeführt - § 2 Abs. 2 InsVV nach wie vor in der vorliegenden Form anwendbar.
Der BGH hat in der oben genannten Entscheidung insoweit ausgeführt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es nicht gebiete, die Tätigkeit eines Insolvenzverwalters in jedem konkreten Einzelfall kostendeckend und angemessen zu vergüten. Vielmehr sei bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der für Insolvenzverwalter geltenden Vergütungsregel im Grundsatz auch die Möglichkeit einer Querfinanzierung zu berücksichtigen, weil die gesetzlich vorgesehene Berechnung nach der Insolvenzmasse (§ 2 Abs. 1 InsVV) keine exakt nach dem konkreten Tätigkeitsaufwand berechnete Vergütung gewährleiste, sondern systembedingt auf einen gewissen Gesamtausgleich gerichtet sei. Dieser Gesamtausgleich sei jedoch seit dem Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 (BGBl I 2.710), durch das mit Wirkung vom 1. Dezember 2001 die Vorschriften zur Stundung der Verfahrenskosten gemäß §§ 4 a ff. InsO eingeführt wurden, nicht mehr gegeben. Durch die Möglichkeit einer Kostenstundung ab 1. Dezember 2001 sei die Zahl massearmer Insolvenzverfahren stark angestiegen. Während die Insolvenzgerichte im Jahre 2001 noch 49.000 Insolvenzen bearbeitet hätten, seien im Jahr 2002 über 84.000 Insolvenzfälle bei den Insolvenzgerichten anhängig geworden. Dabei habe es sich bei knapp 38.000 Verfahren um Unternehmensinsolvenzen und bei rund 46.000 Verfahren um Insolvenzen von Verbrauchern, ehemals Selbständigen und sonstigen natürlichen Personen gehandelt. Als Folge dessen stellten die massearmen Verfahren nunmehr die überwiegende Zahl der gesamten Verfahren dar. Wegen dieser Verschiebung von besservergüteten Verfahren zu massearmen Verfahren sei für die Insolvenzverwalter die Möglichkeit, nicht gedeckte Kosten und Gewinnausfälle durch die Übernahme gewinnträchtiger Verfahren zu kompensieren, nicht mehr in ausreichendem Maße gegeben. Demzufolge müsse ein wirtschaftlicher Ausgleich im Wesentlichen bereits innerhalb der Vergütungen erfolgen, die in massearmen Verfahren zu zahlen seien. Zwar gelte dies nicht für jedes Verfahren, im Durchschnitt der massearmen Verfahren müsse jedoch eine auskömmliche Vergütung erzielt werden können. Die Mindestvergütung von 500,00 EUR sei jedoch so niedrig bemessen, dass sie die entstehenden durchschnittlichen durch die Bearbeitung verursachten Kosten nicht mehr decke. Die Befragung von Insolvenzverwaltern an mehreren Insolvenzgerichten habe ergeben, dass durchschnittlich 40 bis 44 Stunden benötigt würden, um ein derartiges Verfahren zu bearbeiten. Berücksichtige man, dass etwa 2/3 der Tätigkeit von einem Mitarbeiter und 1/3 vom Verwalter selbst bewältigt werde, würde die Mindestvergütung von 500,00 EUR gerade einen Zeitaufwand von 9 Stunden abdecken. Dabei böten die Stundensätze, die in der zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Zwangsverwalterverordnung festgesetzt seien, einen tragfähigen Anhaltspunkt. Selbst wenn man den Aufwand für die Bearbeitung eines durchschnittlichen massearmen Verfahrens mit mindestens 20 Stunden annehme, reiche die in der Verordnung vorgesehene Vergütung nicht einmal für eine annähernde Kostendeckung aus.
Der BGH hat weiterhin ausgeführt, dass § 2 Abs. 2 InsVV jedoch nicht als von Anfang an verfassungswidrig anzusehen sei, weil dem Verordnungsgeber ein Prognosespielraum bei der Bemessung eines angemessenen und geeigneten Mindestvergütungssatzes zugestanden habe und für eine von Anfang an offensichtlich untragbare Fehleinschätzung nichts ersichtlich sei. Dieser, dem Verordnungsgeber zuzubilligende Zeitraum für eine Überprüfung und Anpassung sei jedoch erst mit Ablauf des Jahres 2003 verstrichen. Die auf einer Prognoseentscheidung beruhenden Normen würden frühestens verfassungswidrig, wenn die dem Gesetzgeber zustehende Zeit um Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln einer Norm abzuhelfen, abgelaufen seien. Bis Ende des Jahres 2001 seien die Auswirkungen der Regelung zur Mindestvergütung noch gering gewesen. Der Verordnungsgeber habe deshalb zunächst davon ausgehen können, dass auch Verbraucherinsolvenzverfahren nur mit einer die Kosten deckenden Masse eröffnet würden und der Insolvenzverwalter eine auskömmliche Vergütung erhalten werde. Dies habe sich jedoch mit der Einführung der §§ 4 a ff. InsO erheblich geändert, denn die Einführung dieser Vorschriften habe zu einem deutlichen Anstieg der zu bearbeitenden massearmen Insolvenzverfahren geführt. Dem Verordnungsgeber habe deshalb ab diesem Zeitpunkt eine verstärkte Beobachtungspflicht oblegen. Die Auswirkungen der neuen Bestimmungen seien im Verlauf des Jahres 2002 in ihrer Tragweite nach und nach deutlich geworden. Dies habe sich auch an den Gerichtsentscheidungen zur Frage der Angemessenheit und Auskömmlichkeit der Vergütung gezeigt, denn die Insolvenzgerichte hätten begonnen, den Insolvenzverwaltern höhere als die gesetzlich vorgesehenen Vergütungssätze zu bewilligen. Bis Mitte des Jahres 2003 sei eine Flut derartiger Entscheidungen getroffen und veröffentlicht worden. Deshalb habe jedenfalls seit Mitte des Jahres 2003 für den Verordnungsgeber dringende Veranlassung bestanden, die Regelung zur Mindestvergütung in Bezug auf die Angemessenheit und Auskömmlichkeit zu überprüfen. Bis Ende des Jahres 2003 habe der Verordnungsgeber seine Regelungen anpassen können und müssen. Da er dies unterlassen habe, sei deshalb davon auszugehen, dass ab dem 1. Januar 2004 die Regelung über die Mindestvergütung der Insolvenzverwalter verfassungswidrig sei. Das habe jedoch zur Folge, dass für Insolvenzverwalter, die vor diesem Zeitpunkt bestellt worden seien, die Begrenzung der Mindestvergütung auf 500,00 EUR Gültigkeit behalte.
Mithin hat das Amtsgericht Göttingen rechtsfehlerhaft gehandelt, indem es die Mindestvergütung der Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf konkrete Erhöhungstatbestände in durchschnittlichen Insolvenzverfahren generell angehoben hat. Vielmehr hätte dem Insolvenzverwalter in massearmen Verfahren, bei denen keine Erhöhungstatbestände i.S.d. § 3 Abs. 1 InsVV vorliegen, lediglich die in § 2 Abs. 2 InsVV vorgesehene Vergütung von 500,00 EUR zugesprochen werden dürfen.
Soweit das Amtsgericht hier unter Hinweis auf die Anzahl der Gläubiger dem Insolvenzverwalter eine erhöhte Vergütung von 2.000,- EUR zugesprochen hat, mithin den 4 - fachen Satz, braucht die Kammer nicht zu entscheiden, ob dies im Hinblick auf die Anzahl der Gläubiger berechtigt war. Wegen des Grundsatzes der reformatio in peius kommt eine Herabsetzung der Vergütung auf einen Betrag unter 2.000,- EUR nicht in Betracht. Eine Heraufsetzung der Vergütung über den 4 - fachen Satz ist jedoch keinesfalls gerechtfertigt, denn die Tätigkeit des Insolvenzverwalters begründet allein wegen der Anzahl der Gläubiger weitergehende Zuschläge nach § 3 Abs. 1 InsVV nicht. Selbst wenn die erhöhte Anzahl der Gläubiger einen Erschwernistatbestand darstellen sollte, ist dieser jedenfalls mit der vom Amtsgericht vorgenommenen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 4.640,00 EUR.
Den Beschwerdewert hat die Kammer nach § 3 ZPO festgesetzt und ist dabei vom Interesse des Insolvenzverwalters an der Heraufsetzung der Vergütung ausgegangen.