Landgericht Göttingen
Beschl. v. 30.04.2004, Az.: 10 T 58/04

Anforderungen an die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit; Unterziehen des Verhaltens der Prozessbevollmächtigten der Kritik durch den Richter

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
30.04.2004
Aktenzeichen
10 T 58/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 34266
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2004:0430.10T58.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Herzberg - 25.03.2004 - AZ: 4 C 461/03

Fundstellen

  • ZAP 2005, 600 (Kurzinformation)
  • ZAP EN-Nr. 396/2005

In dem Rechtsstreit
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
E. als Einzelrichterin
auf die sofortige Beschwerde der Beklagten
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Herzberg am Harz vom 25.03.2004 - 4 C 461/03 -
am 30.04.2004
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 4.769,36 Euro.

Gründe

1

Der Kläger ist als Steuerberater tätig. Mit der Klage fordert er von der Beklagten Honorar für Beratungstätigkeit. Nachdem die Beklagte persönlich in der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003 erklärt hat, es hätten Gespräche mit dem Kläger stattgefunden, die zum Teil telefonisch zum Teil auch persönlich geführt worden seien und dass sie, die Beklagte den Rat des Klägers gewollt habe, ihr jedoch das vom Kläger geforderte Honorar zu hoch erscheine, hat das Amtsgericht in einem Beschluss vom 07.01.2004 darauf hingewiesen, dass die Beklagte detailliert vortragen müsse, welche Leistungsteile des Klägers sie bestreiten wolle. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben hierzu mit Schriftsatz vom 06.02.2004 Stellung genommen. In diesem Schriftsatz heißt es unter anderem, "der Kläger habe ein Mandat nicht erfüllt. Er fordere Bezahlung allein dafür, dass er Zeit verplempert habe. ...Die Ausarbeitung des Pamphlets F. solle nach der Darstellung des Klägers einen Zeitaufwand von viereinhalb Stunden erfordert haben, betriebswirtschaftliche Vorkenntnisse habe jedoch die Feststellung nicht erfordert...Die Zusammenstellung in den ersten beiden Positionen seines Schreibens erfordere nicht die Spur von Gedankenarbeit sondern allenfalls die Befähigung zum Lesen und Schreiben. Mit dem Anspruch auf Bewertung seiner "Lösungsansätze" im 3. Absatz des Schreibens erniedrige der Kläger jede ernsthafte Wirtschaftsberatungsleistung, die seine Berufskollegen tagtäglich lieferten, zum Gespött der Leute... Dies könne jeder Steuerfachangestellte nicht erst nach Ausbildungsabschluss, sondern schon im ersten Lehrjahr".

2

Die für den Rechtsstreit nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Herzberg zuständige G. hat in einer Verfügung vom 09.02.2004 ausgeführt, es werde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten anheim gestellt, sich eines sachlicheren Vortragsstils zu bedienen. Das Vortragsniveau diene nicht der sachlichen Aufarbeitung des Streitstoffs und sei dem Gericht bisher nur aus Schriftsätzen ohne anwaltliche Begleitung bekannt.

3

Die Beklagte hat daraufhin G. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Richterin habe durch die Verfügung massiv gegen einen Grundsatz des Zivilprozessrechts, nämlich gegen § 157 Abs. 2 ZPO verstoßen. Diese Vorschrift entziehe den Vortragsstil eines Rechtsanwalts jeder richterlichen Kritik. Die Äußerung der Richterin, dass ihr das Vortragsniveau bisher nur aus Schriftsätzen ohne anwaltliche Begleitung bekannt sei, sei eine in jeder Hinsicht maßlose Übererhebung eines Organs der Rechtspflege über das gleichrangige andere und damit zugleich eine persönliche Beleidigung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Diese Abqualifikation rechtfertige die Befürchtung, dass die Richterin nicht mehr bereit sei, das Vorbringen der Beklagten ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen. Der Schriftsatz vom 06.02.2004 sei in jeder Silbe Interessenvertretung von größter Sachlichkeit, wenngleich darin eine kompromisslose einseitige Härte zum Ausdruck komme. Die Richterin sei nicht befugt, den Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten einer Zensur zu unterwerfen.

4

Mit Beschluss vom 25.03.2004 hat das Amtsgericht das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen H. zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, das Schreiben der Richterin vom 09.02.2004 habe sich ausschließlich auf Form und Stil des Schriftsatzes des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bezogen und nicht auf den Inhalt. Dies rechtfertige für sich allein kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin. Es sei zu dem zu berücksichtigen, dass bereits der Prozessbevollmächtigte des Klägers den nach seiner Meinung beleidigenden Tonfall in den Schriftsätzen der Beklagten gerügt und deshalb eine so genannte Ordnungsstrafe beantragt habe. Bei einem derartigen Prozessverlauf entspreche es durchaus dem Gebot richterlicher Fürsorge mäßigend auf die Verfahrensbeteiligten einzuwirken. Nichts anderes habe die Richterin hier getan.

5

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde. Sie trägt vor, es sei die Aufgabe ihrer Prozessbevollmächtigten, den vom Kläger geltend gemachten Anspruch abzuwehren. Es sei deshalb die Pflicht, die Anspruchsbehauptungen des Klägers zu bewerten und zwar in klarer, deutlicher Diktion. Die Richterin habe verkannt, dass es sich bei den von ihr herausgegriffenen Äußerungen um Tatsachenbehauptungen handele. Wenn die Richterin diese kritisiere, bedeute das, dass sie die Behauptungen nicht hinnehmen wolle. Dies habe nichts mit Stilkritik zu tun, vielmehr wende sich die Richterin damit gegen die inhaltliche Vortragsfreiheit des Anwalts. Außerdem spreche sie den Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Fähigkeit zu professionellem Sachvortrag ab.

6

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde der Beklagten nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt.

7

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 46 Abs. 2 ZPO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen H. zutreffend zurückgewiesen.

8

Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen objektiven Tatbestand handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger und besonnener Überlegung die Besorgnis aufkommen lassen kann, der Richter stehe den Verfahrensbeteiligten oder dem Gegenstand des Verfahrens nicht sachlich und unvoreingenommen und damit nicht unparteilich gegenüber. Als derartiger objektiver Tatbestand kommen die Äußerungen der Richterin aus der Verfügung vom 09.02.2004 nicht in Betracht.

9

Soweit die Beklagte meint, die Richterin habe durch die Aufforderung an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sich eines sachlicheren Vortragsstils zu bedienen, die Vorschrift des § 157 Abs. 2 ZPO verletzt, geht die Auffassung fehl. Gemäß § 157 Abs. 2 ZPO kann das Gericht Parteien, Bevollmächtigten und Beiständen, die nicht Rechtsanwälte sind, wenn ihnen die Fähigkeit zum geeigneten Vortrag mangelt, den weiteren Vortrag untersagen. Hier hat die Richterin den Prozessbevollmächtigten der Beklagten jedoch nicht den weiteren Vortrag untersagt. Vielmehr hat sie die Prozessbevollmächtigten der Beklagten darauf hingewiesen, dass der Stil in dem Schriftsatz vom 06.02.2004 den sachlichen Bereich überschritten hat. Mithin hat die Richterin zwar die Ausdrucksart moniert, jedoch nicht weiteren Vortrag untersagt. Auch hat sie aus der Sicht eines vernünftig und besonnen Denkenden durch die Verfügung nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie weiteren Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht hinreichend würdigen werde. Die Verfügung der Richterin besagt nicht mehr und nicht weniger als dass die von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten gewählte Diktion teilweise nicht mehr sachlich ist und die Richterin eine solche Ausdrucksweise aus Schriftsätzen anderer Rechtsanwälte nicht gewohnt ist.

10

Die Besorgnis der Befangenheit ist aber auch nicht dadurch begründet, dass die Richterin die Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf den unsachlichen Stil hingewiesen und dies mit der Bitte verbunden hat, zukünftig den Stil zu wahren, der im gerichtlichen Vortrag üblich ist. Diese Form, mit der die Richterin die Prozessbevollmächtigten der Beklagten angesprochen hat hielt sich innerhalb ihres Verhaltensspielraums. Die Richterin hat die Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Auseinandersetzung zwischen den Parteien in der gebotenen sachlichen Form stattfindet. Es ist die Pflicht aller Prozessbeteiligten, die Richterin bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Im Zweifel müssen sie sich ihr beugen und ihre Kritik an ihrem Verhalten und ihrem Ausdruck hinnehmen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Auflage § 42 Rn 17). Wenn es zur Eindämmung von Unkorrektheiten oder sonstiger sich zeigender Auswüchse dient, darf der Richter das Verhalten der Prozessbevollmächtigten oder ihre Ausdrucksweise der Kritik unterziehen. Der Richter hat in diesen Fällen einen weiten Verhaltensspielraum, der ihm nicht entzogen werden darf ( Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O. Rn 48). Hier war der Rechtsstreit von Anfang an sehr stimmungsgeladen. In den Schriftsätzen der Parteien kam deutlich zum Ausdruck, dass sich der Vortrag nicht auf den eigentlichen Streit beschränkte, vielmehr haben die Parteien auch sonstige Vorwürfe erhoben, die in den persönlichen Bereich gehen und die mit der eingeklagten Forderung nichts zu tun haben. Wenn die Richterin unter Berücksichtigung dieser Umstände der deutlich sich abzeichnenden Eskalation entgegenwirken wollte und die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Sachlichkeit aufforderte, entsprach dies einem der Situation entsprechenden Verhalten, das keinesfalls die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 4.769,36 Euro.

Den Beschwerdewert hat die Kammer nach dem Interesse der Beklagten beurteilt und ist dabei von der Höhe der noch anhängigen Klagforderung ausgegangen.