Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.10.2000, Az.: 4 L 1963/00

einmalige Leistungen für die Anschaffung von Kinderfahrradhelmen; Abgeltung durch Regelsatz; notwendiger Lebensunterhalt von Schulkindern und Kleinkindern

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.10.2000
Aktenzeichen
4 L 1963/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 17890
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2000:1011.4L1963.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 24.02.2000 - AZ: 9 A 6180/99

Fundstellen

  • FEVS 2001, 265-269
  • FStHe 2001, 728-730
  • FStNds 2001, 370-372
  • FamRZ 2001, 730 (red. Leitsatz)
  • KomVerw 2001, 220-222
  • NDV-RD 2001, 63-65
  • NJW 2001, 1515-1516 (Volltext mit red. LS)
  • NVwZ 2001, 703 (red. Leitsatz)
  • NdsVBl 2001, 73-74
  • info also 2001, 116

Prozessführer

1. der minderjährigen,

2. der minderjährigen,

3. der minderjährigen,

durch ihre Mutter, Frau,

Proz.-Bev. zu 1-3: Rechtsanwälte Bitterling-Neumann und andere, Möllerkamp 18, 30926 Seelze,

Prozessgegner

den Landkreis Hannover - Sozialamt -, Hildesheimer Straße 20, 30169 Hannover,

Redaktioneller Leitsatz

Ein Fahrradhelm gehört für ein Schulkind, das selbst Rad fährt, und für ein Kleinkind, das im Fahrradkindersitz mitgenommen wird, zum notwendigen Lebensunterhalt; die Kosten der Anschaffung sind nicht bereits durch den Regelsatz abgegolten, sondern es ist dafür eine einmalige Leistung zu gewähren.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 4. Senat -
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Klay,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Willikonsky
und den Richter am Verwaltungsgericht Riemann
sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Voss und Wegener
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 9. Kammer - vom 24. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um einmalige Leistungen für die Anschaffung von Kinderfahrradhelmen.

2

Die Klägerinnen (die Klägerin zu 1. ist im Jahre 1989, die Klägerin zu 2. im Jahre 1991 und die Klägerin zu 3. im Jahre 1997 geboren) beziehen laufende Leistungen zum Lebensunterhalt. Ihre Anträge auf einmalige Leistungen für Fahrradhelme lehnte die für den Beklagten handelnde Stadt mit Bescheid vom 26. Juli 1999 ab, da es sich dabei nicht um einen notwendigen Lebensbedarf im Sinne des BSHG handele.

3

Die Klägerinnen erhoben hiergegen Widerspruch und brachten zur Begründung unter anderem vor: Es sei heute in allen sozialen Schichten anerkannt, Kinder beim Fahrrad Fahren durch Fahrradhelme zu schützen; schwere Kopfverletzungen bei Unfällen, die gehäuft bei Kindern vorkämen, die mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnähmen, könnten dadurch verhindert werden. Bedürftigen Kindern stehe der Schutz der Gesundheit und des Lebens nicht weniger zu als nichtbedürftigen Kindern. Da die Fahrradhelme den Schutz vor schweren Verletzungen bezweckten, seien sie nicht als Annehmlichkeiten anzusehen, sondern notwendige Schutzausrüstung gerade für Kinder im Straßenverkehr.

4

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 1999 zurück. Zur Begründung führte er aus: Die Beihilfe müsse bereits deshalb abgelehnt werden, weil die Klägerinnen nicht nachgewiesen hätten, dass für sie Fahrräder als Fortbewegungsmittel erforderlich seien. Kinderfahrräder, die als Spielzeug genutzt würden, gehörten uneingeschränkt zum Regelbedarf nach der Regelsatzverordnung. Aufwendungen hierfür seien mit den Regelsätzen abgegolten. Dies gelte auch für Aufwendungen zur Beschaffung von Kinderfahrradhelmen. Die Ausstattung mit Kinderfahrradhelmen sei zwar wünschenswert. Es sei aber nicht ersichtlich, dass aufgrund der allgemein herrschenden Lebensgewohnheiten der überwiegende Teil der Kinder mit Fahrradhelmen ausgestattet sei. In jüngster Zeit könne zwar beobachtet werden, dass die Versorgungsdichte zunehme, die Nutzung von Kinderfahrradhelmen zähle aber bei weitem noch nicht zu den herrschenden Lebensgewohnheiten. Dies gelte insbesondere für Kinder von Eltern, die ein niedriges Einkommen hätten und Hilfe zum Lebensunterhalt nicht erhielten.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover - Einzelrichterin der 9. Kammer - den Beklagten mit Urteil vom 24. Februar 2000 unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Juli 1999 und des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1999 verpflichtet, den Klägerinnen einmalige Leistungen zum Lebensunterhalt zur Anschaffung von Fahrradhelmen zu gewähren. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Fahrradhelme für die Klägerinnen gehörten zum notwendigen Lebensunterhalt. Die Klägerinnen zu 1) und 2) seien Schulkinder, bei denen nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer die Versorgung mit einem Fahrrad zum notwendigen Lebensunterhalt zähle. Zähle aber ein Fahrrad für ein Kind zum notwendigen Lebensunterhalt, so gehöre auch ein Fahrradhelm hierzu. Gerade bei Kindern sei das Tragen von Fahrradhelmen sehr weit verbreitet. Das Tragen von Fahrradhelmen werde im allgemeinen als sehr nützlich und der Sicherheit dienend empfunden, die Verkehrserziehung von Kindern sei darauf abgestellt und den Kindern werde vermittelt, wie wichtig das Tragen eines Fahrradhelmes sei. Vor diesem Hintergrund müssten auch die Klägerinnen zu 1) und 2) als Sozialhilfeempfängerinnen über Fahrradhelme verfügen. Die Klägerin zu 3), die mit drei Jahren noch nicht selbst Fahrrad fahre, sondern auf einem Kindersitz mitgeführt werde, benötige ebenfalls einen Fahrradhelm. Gerade bei Kleinkindern, die auf Kindersitzen mitgeführt würden, sei die Ausstattung mit Fahrradhelmen geradezu zwingend, weil sie bei einem Sturz besonders gefährdet seien. Es handele sich hierbei nicht um einen Bedarf, der aus den Regelsätzen zu decken sei, da der Bedarf an einem Fahrradhelm einmalig auftrete. Dem Begehren der Kläger stehe schließlich nicht entgegen, dass diese, wie von einem Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sei, von der HAZ-Weihnachtshilfe einen Scheck von 150,00 DM für die Anschaffung von Fahrradhelmen erhalten hätten. Diesen Scheck hätten sie tatsächlich noch nicht erhalten, die Fahrradhelme seien noch nicht angeschafft worden.

6

Gegen das ihm am 13. März 2000 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 23. März 2000 beantragt, die Berufung zuzulassen. Der Senat hat durch Beschluss vom 23. Mai 2000 die Berufung zugelassen.

7

Mit seiner am 14. Juni 2000 vorgelegten Begründung der Berufung macht der Beklagte geltend: Die Auffassung des Verwaltungsgerichts widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, wonach für die Annahme, Kinderfahrräder gehörten zum notwendigen Lebensunterhalt, der Nachweis geführt werden müsse, dass die Fahrräder als Fortbewegungsmittel erforderlich seien. Die Kläger hätten diesen Nachweis nicht geführt, so dass auch eine Beihilfe zur Anschaffung von Kinderfahrradhelmen nicht zu gewähren sei. Zudem könne aus den übrigen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu ihrer Nützlichkeit und Sicherheit sowie zur Verkehrserziehung und zu pädagogischen Bestrebungen, auf das Tragen von Kinderfahrradhelmen hinzuwirken, nicht abgeleitet werden, dass der Träger der Sozialhilfe hierfür Leistungen zu gewähren habe. Des Weiteren handele es sich hier um die Beschaffung von Gebrauchsgütern von geringem Anschaffungswert. Bei Durchsicht von Kleinanzeigen in der Tageszeitung habe festgestellt werden können, dass ein Fahrradhelm bereits für einen Betrag von 10,00 DM erworben werden könne. Auch deshalb komme eine Beihilfe nach § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG, die nur für Gebrauchsgüter mit längerer Gebrauchsdauer und höherem Anschaffungswert gewährt werde, nicht in Betracht.

8

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Sie entgegnen: Sie seien auf Fahrräder als Fortbewegungsmittel angewiesen. Die Fahrräder würden für Fahrten zwischen der Wohnung und der Schule genutzt und seien auch für Besorgungen, Arztbesuche und Behördengänge, bei denen sie ihre Mutter begleiteten, notwendig. Sie, die Klägerin zu 3), werde hierbei auf dem Fahrrad der Mutter mitgenommen. Außerdem unternähmen sie, die Klägerinnen zu 1) und 2), häufig auch schulische Aktivitäten mit dem Fahrrad, etwa von der Schule organisierte Fahrradtouren und schulinterne Fahrradprüfungen. Das Tragen von Kinderfahrradhelmen sei in Deutschland zwar noch nicht gesetzlich vorgeschrieben, wie beispielsweise in Spanien, die Versorgungsdichte sei aber überaus hoch. Dies gelte auch für Kinder von Eltern mit niedrigem Einkommen. Es handele sich bei Fahrradhelmen nicht um Gebrauchsgüter von geringem Anschaffungswert. Kinderfahrradhelme würden zu Preisen zwischen 60,00 DM und 120,00 DM angeboten. Bei den vom Beklagten genannten Helmen für 10,00 DM dürfte es sich um gebrauchte Helme handeln. Da es beim Fahrradhelm insbesondere auf den sicheren und guten Sitz ankomme, werde der Kauf eines gebrauchten Helmes jedoch nur in absoluten Ausnahmefällen möglich sein. Die HAZ-Weihnachtshilfe in Höhe von 150,00 DM sei nicht an die Anschaffung von Fahrradhelmen gebunden gewesen. Von dem Geld seien Weihnachtsgeschenke gekauft und die Belege hierfür dem Sozialamt der Stadt übergeben worden.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Sie sind in ihren wesentlichen Bestandteilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

12

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Es hat zutreffend entschieden, dass der Beklagte gem. §§ 11, 12 und 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG verpflichtet ist, den Klägerinnen die begehrten einmaligen Leistungen zur Anschaffung von Kinderfahrradhelmen zu gewähren.

13

Die geltend gemachten Ansprüche sind nicht etwa weggefallen, da die den Klägerinnen gewährte HAZ-Weihnachtshilfe nicht an die Anschaffung von Fahrradhelmen gebunden war, das Geld für andere Weihnachtsgeschenke ausgegeben wurde und der Bedarf an den Fahrradhelmen folglich weiter besteht.

14

Die von den Klägerinnen beanspruchten Kinderfahrradhelme gehören zum notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 12 BSHG. Dieser ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht schon dann gewährleistet, wenn das physiologisch Notwendige vorhanden ist; es ist vielmehr Aufgabe der Sozialhilfe, der sozialen Ausgrenzung des Hilfebedürftigen zu begegnen, die dann besteht, wenn es ihm nicht möglich ist, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben. Dabei sind die herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9. Febr. 1995 - 5 C 2.93 - BVerwGE 97, 376 = FEVS 45, 397).

15

Entgegen der Annahme des Beklagten kann auf dieser Grundlage dem Begehren der Klägerinnen zu 1) und 2) nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, sie hätten nicht nachweisen können, dass sie auf Fahrräder als Fortbewegungsmittel angewiesen seien, und bereits aus diesem Grunde seien auch Fahrradhelme nicht notwendig. Der Senat hat in mehreren Entscheidungen (Urt. v. 30. Jan. 1992 - 4 L 30/90 -; Beschl. v. 16. Okt. 1992 - 4 L 2105/91 -; Beschl. v. 4. Nov. 1992 - 4 L 2273/91 -) Kinderfahrräder zum notwendigen Lebensunterhalt für Schulkinder gezählt und gemeint: Dies ergebe sich daraus, dass Kinder regelmäßig mit diesem Gegenstand ausgestattet seien und seine Nutzung nicht nur eine Annehmlichkeit sei. Demzufolge gehe auch die Verkehrsplanung davon aus, fast alle Kinder ab dem Grundschulalter benutzten Fahrräder. Darüber hinaus sei das Fahrrad für Kinder in diesem Alter nicht nur Transportmittel, sondern auch Sportgerät und Spielzeug, das dazu diene, die körperlichen Fähigkeiten weiter zu entwickeln, die Umwelt zu erkunden, die Persönlichkeit zu bilden und sich mit den Regeln und Gefahren des Straßenverkehrs vertraut zu machen, so dass ein Kind ohne Fahrrad diskriminiert wäre, weil es auf all diese wichtigen Erfahrungen und Lernschritte bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit verzichten müsste. Schulkindern hat der Senat deshalb Kinderfahrräder zugebilligt, ohne von ihnen im einzelnen den Nachweis zu verlangen, dass sie etwa mangels entsprechender Möglichkeiten, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, auf das Fahrrad als Fortbewegungsmittel angewiesen seien. Eine solche Einschränkung, wie sie dem vom Beklagten erwähnten Beschluss vom 3. Mai 1988 (Az.: 4 B 146/88, FEVS 38, 112) entnommen werden könnte, hat der Senat in den Entscheidungen aus dem Jahr 1992 nicht mehr gemacht. Er hat vielmehr allgemein das Haben eines Kinderfahrrades als Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts gem. § 12 BSHG anerkannt. Daran hält er fest.

16

Die genannten Entscheidungen aus dem Jahr 1992 wurden zwar vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben (BVerwG, Urteile vom 5. November 1992 - 5 C 19/92 - BayVBl. 1993, 378, und vom 27. April 1993 - 5 C 6/93 und 5 C 54/92 - V.n.b.), was in der Folgezeit auch zu einer entsprechenden Änderung der Rechtsprechung des Senats führte (vgl. Senat, Urteil vom 10. Mai 1995 - 4 L 601/94 - V.n.b.). Grund dafür war aber nicht die Annahme, Kinderfahrräder seien nicht zum notwendigen Lebensunterhalt zu zählen, sondern die Auffassung, sie gehörten zum Spielzeug und damit zu dem durch Regelsatzleistungen gedeckten Bedarf mit der Folge, dass für sie einmalige Leistungen grundsätzlich ausschieden. Diese Rechtsprechung beruhte auf der Annahme eines Rangverhältnisses zwischen laufenden und einmaligen Leistungen (des sogenannten "geschlossenen Regelsatzsystems"), wie es vom Bundesverwaltungsgericht den Regelungen der §§ 21, 22 BSHG (in Verbindung mit § 1 RegelsatzVO) in der Fassung vor dem Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944) entnommen worden war (vgl. zur Kritik am "geschlossenen Regelsatzsystem": Armborst, info also 1994, 144, und Hofmann, info also 1994, 145). Nach Einfügung des § 21 Abs. 1 a BSHG mit Wirkung vom 27. Juni 1993, der positiv bestimmt, für welchen Bedarf einmalige Leistungen gewährt werden, modifizierte das Bundesverwaltungsgericht jedoch diese Rechtsprechung dahingehend, dass nunmehr Regelbedarf der ohne Besonderheiten des Einzelfalles bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehende, nicht nur einmalige Bedarf aus den in § 1 Abs. 1 RegelsatzVO genannten Bedarfsgruppen und -posten ist, für den nicht nach § 21 Abs. 1 a BSHG einmalige Leistungen zu gewähren sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 18. Dez. 1997 - 5 C 7.95 -, BVerwGE 106, 99 = FEVS 48, 337 -Fernseher-). In der vom Beklagten erwähnten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. Juni 1998 (Az.: 4 A 148/97, V.n.b.) wurde diese aufgrund der Einfügung von § 21 Abs. 1 a BSHG naheliegende Modifizierung noch nicht berücksichtigt. Der Senat folgt der Modifizierung des Rangverhältnisses zwischen laufenden und einmaligen Leistungen durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1997 (er hat bereits in dem dieser Entscheidung vorausgegangenen Berufungsurteil maßgeblich auf die Änderung der Rechtslage durch Einfügung des § 21 Abs. 1 a BSHG abgestellt). Dies bedeutet, dass auch im vorliegenden Fall die begehrten einmaligen Leistungen zum Lebensunterhalt für die Beschaffung von Kinderfahrradhelmen nicht mehr unter Verweisung auf die laufenden Leistungen nach Regelsätzen versagt werden dürfen.

17

Ein Fahrradhelm gehört für ein Schulkind, das selbst Rad fährt, und für ein Kleinkind, das im Fahrradkindersitz mitgenommen wird, zum notwendigen Lebensunterhalt i.S.d.. § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG, für den nach § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG eine einmalige Leistung zu gewähren ist.

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Eine Helmpflicht existiert in Deutschland zwar nicht und ihre Einführung ist angesichts der Erfahrungen mit einer derartigen Regelung in anderen Ländern, etwa in Australien, auch umstritten. So beschloss z.B. der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) auf einer Bundeshauptversammlung in Berlin im Mai 1998, gegen jegliche Bestrebungen vorzugehen, eine Helmpflicht einzuführen. Begründet wird dies damit, dass einerseits die Forderung nach einer Helmpflicht und schon eine starke Helm-Propaganda die Gefahren des Radfahrens überbetonten und tendenziell Menschen vom Radfahren abschreckten, andererseits aufgrund von jüngeren Untersuchungen in Neuseeland und Australien Ergebnisse bekannt geworden seien, die eine Schutzwirkung von Helmen allgemein in Frage stellten.

19

Dem Senat ist aber bekannt, dass derzeit in Deutschland bei der Verkehrserziehung für Kinder, insbesondere im schulischen Bereich, das Tragen von Schutzhelmen allgemein als sinnvoll und erforderlich erachtet wird, um die Gefahr von Kopfverletzungen bei Stürzen und Kollisionen zu verringern. Die seit Jahren bestehenden Anstrengungen, Schulkindern diese Vorteile des Tragens von Fahrradhelmen nahe zu bringen, hatten und haben zunehmenden Erfolg. Die pädagogischen Anstrengungen werden auch konsequent weiterverfolgt, etwa durch die regelmäßige Abgabe von Broschüren, die in ihrer Aufmachung und inhaltlichen Gestaltung speziell auf die Zielgruppe von Schulkindern ausgerichtet sind, sowie durch Vorträge von Polizeibeamten im Unterricht zu diesem Thema und andere verkehrserzieherische Maßnahmen. In dieser Situation kann es den Klägerinnen zu 1) und 2) nicht zugemutet werden, anders als viele ihrer Klassenkameraden nicht der aufgrund der schulischen Verkehrserziehung gewonnenen Einsicht zu folgen, einen Fahrradhelm zu tragen, weil ihnen die wirtschaftlichen Mittel hierzu fehlen. Einer solchen Ausgrenzung der Klägerinnen kann nur durch die Gewährung der Beihilfe begegnet werden.

20

Ebenso gehört für die Klägerin zu 3) ein Kinderfahrradhelm zum notwendigen Lebensunterhalt. Der Senat verweist insofern in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Der Beklagte tritt diesen Gründen auch nicht entgegen. Es liegt auf der Hand, dass insbesondere für Kleinkinder, die auf Kindersitzen mitgenommen werden, Fahrradhelme notwendig sind, um der auch hier stets akuten Gefahr schwerer Kopfverletzungen bei einem Sturz entgegenzuwirken.

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Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer einmaligen Leistung nach § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG vor. Danach werden einmalige Leistungen zur Beschaffung von Gebrauchsgütern von längerer Gebrauchsdauer und höherem Anschaffungswert gewährt. Beide von dieser Vorschrift geforderten Voraussetzungen sind hier erfüllt. Bei Kinderfahrradhelmen handelt es sich um Gebrauchsgüter von längerer Gebrauchsdauer. Es ist zwar infolge des Wachstums der Kinder erforderlich, die Fahrradhelme mit der Zeit auszuwechseln, da der Schutzzweck nur erfüllt wird, wenn der Fahrradhelm richtig sitzt, und die Passform eines Helmes durch verstellbare Riemen und Auspolsterungen nur begrenzt verändert werden kann. Des Weiteren gebietet auch die Gefahr, dass durch kleinere Beschädigungen beim täglichen Gebrauch die Schutzfunktion eines Helmes nachlässt, ihn nach gewisser Zeit auszuwechseln. Beide Gründe erfordern aber nicht einen regelmäßigen Austausch innerhalb einer kürzeren Zeitspanne als der von etwa zwei bis drei Jahren. Diese Zeitspanne ist jedenfalls als längere Gebrauchsdauer im Sinne § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG anzusehen. Entgegen der Ansicht des Beklagten sind Kinderfahrradhelme auch Gebrauchsgüter von höherem Anschaffungswert im Sinne von § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG. Dem Senat ist bekannt, dass neue Kinderfahrradhelme erst ab einem Preis von ungefähr 50,00 DM zu erhalten sind. Dieser Betrag liegt jedenfalls innerhalb des Bereiches eines höheren Anschaffungswertes gem. § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG. Ein hinreichendes Angebot gebrauchter Kinderfahrradhelme besteht nicht. Der Grund hierfür liegt darin, dass allgemein vom Kauf gebrauchter Fahrradhelme abgeraten wird, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass derartige Helme kleinere, kaum sichtbare Beschädigungen (z.B. Haarrisse) aufweisen, die dazu führen, dass der notwendige Schutz nicht mehr gewährleistet ist.

22

Nach allem sind den Klägerinnen die einmaligen Leistungen für die Beschaffung von Kinderfahrradhelmen zu gewähren.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

24

Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 132 VwGO), ist nicht gegeben.

Klay Willikonsky Riemann