Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.10.2000, Az.: 2 L 1138/98
Anwartschaftsversicherung; Beihilfe; Bemessungssatz; Betreuer
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.10.2000
- Aktenzeichen
- 2 L 1138/98
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41876
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - AZ: 2 A 3765/95
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs 3 S 1 BhV
- § 14 Abs 6 S 1 Nr 3 BhV
- § 87 Abs 1 BG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Hat ein Beamter seinen (die Beihilfe) ergänzenden Krankenversicherungsschutz wegen fehlender Beitragszahlung verloren, so steht ihm kein Anspruch darauf zu, dass der Beihilfebemessungssatz erhöht wird.
2. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte geschäftsunfähig gewesen ist und deshalb die Beiträge nicht mehr gezahlt hat. In diesem Fall ist es Aufgabe seiner Betreuer, gegenüber der Krankenkasse auf die Geschäftsunfähigkeit des Betreuten hinzuweisen und so den Fortbestand des Krankenversicherungsschutzes sicher zu stellen.
Gründe
Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass er eine Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begehrt und dass er diesen Zulassungsgrund in seinem Antrag vom 23. Februar 1998 noch in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt hat, so hat der Zulassungsantrag doch jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil solche Zweifel nicht bestehen.
Ernstliche Zweifel sind nämlich erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Beihilfebemessungssatz für den Kläger nicht gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 BhV erhöht werden kann.
a) Voraussetzung hierfür ist nämlich, dass "trotz ausreichender und rechtzeitiger Versicherung wegen angeborener Leiden oder bestimmter Krankheiten aufgrund eines individuellen Ausschlusses keine Versicherungsleistungen gewährt werden oder ... Leistungen auf Dauer eingestellt worden sind."
Für den Kläger besteht jedoch keine "ausreichende und rechtzeitige Versicherung", da er über keinen Krankenversicherungsschutz verfügt.
b) Die Bestimmung kann auch nicht entsprechend auf Fälle angewandt werden, in denen - wie hier - kein Krankenversicherungsschutz besteht (vgl. Urt. d. BVerwG v. 17.12.1981 - 2 C 24.81 -, DÖD 1982, 233 ff. [BVerwG 17.12.1981 - BVerwG 2 C 15.81]).
2. Der geltend gemachte Erhöhungsanspruch kann ebenso wenig auf § 14 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BhV gestützt werden. Danach kann die oberste Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern in besonderen Ausnahmefällen, die nur bei Anlegung des strengsten Maßstabes anzunehmen sind, den Bemessungssatz erhöhen.
Als oberste Dienstbehörde gilt bei Ruhestandsbeamten diejenige Behörde, die zuletzt oberste Dienstbehörde des Beamten war (vgl. Topka/Möhle, BhV-Komm., § 14, Ziff. 18). Oberste Dienstbehörde für den Kläger als früheren niedersächsischen Polizeibeamten ist demnach das Niedersächsische Innenministerium. Die Klage richtet sich vorliegend jedoch nicht gegen das Innenministerium, sondern gegen das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung. Ob diese Behörde als Festsetzungsstelle im Sinne des § 17 Abs. 5 BhV die richtige Beklagte ist, weil die Entscheidung der obersten Dienstbehörde über die Erhöhung des Bemessungssatzes nach § 14 Abs. 6 BhV nur als Teil eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens anzusehen ist (so Mildenberger, Komm. zu den Beihilfevorschriften, § 14, Ziff. 27 (3); vgl. auch Urt. d. Nds.OVG v. 24.8.1993 - 5 L 2603/91 -), oder ob sich nicht zumindest eine Klage, mit der - wie hier - losgelöst von einem einzelnen Beihilfefestsetzungsfall allgemein die Erhöhung des Bemessungssatzes erstrebt wird, insoweit gegen das Niedersächsische Innenministerium als oberste Dienstbehörde zu richten hätte, kann dahin stehen.
Es fehlt nämlich jedenfalls auch an den o.a. materiellen Voraussetzungen für eine Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes nach § 14 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BhV.
a) In der Rechtsprechung (vgl. Beschl. d. OVG Münster v. 1.6.1999 - 6 A 5362/98 -, DÖD 2000, 42 f.) ist anerkannt, dass sich diese Vorschrift nur auf solche "Ausnahmefälle" bezieht, "die der Beamte nicht zu vertreten hat, in denen also die Ursache für die lückenhafte Absicherung in Krankheitsfällen nicht in den Verantwortungsbereich des Beamten fällt". Letzteres ist jedoch der Fall. Denn der Kläger hat seinen ergänzenden Krankenversicherungsschutz nicht durch ein Verhalten seines Dienstherrn, sondern durch sein eigenes Verhalten, nämlich die unterlassene Zahlung von Mitgliedsbeiträgen, verloren.
b) Selbst wenn man jedoch an das Vorliegen eines "Ausnahmefalles" geringere Anforderungen stellen und es ausreichen lassen würde, dass die fehlende (ergänzende) Eigenvorsorge für den Krankheitsfall zwar in den Verantwortungsbereich des betroffenen Beamten fällt, aber nicht auf sein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen ist, ergäbe sich im vorliegenden Fall nichts anderes. Dabei braucht nicht geklärt zu werden, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung des Krankenversicherungsverhältnisses im Februar 1988 noch geschäftsfähig gewesen ist:
aa) War er zu diesem Zeitpunkt noch geschäftsfähig, so hat er es selbstverständlich zu vertreten, dass die laufenden Krankenversicherungsbeiträge nicht gezahlt worden sind.
bb) War er zu diesem Zeitpunkt hingegen bereits geschäftsunfähig, so muss er es sich gegenüber seinem Dienstherrn als Verschulden zurechnen lassen, dass seine gesetzlichen Vertreter den Krankenversicherungsschutz bei der gesetzlichen Krankenversicherung haben erlöschen lassen. Sie hätten richtigerweise unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Fortdauer des Krankenversicherungsschutzes sicherstellen können und müssen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt nämlich Folgendes (Urt. v. 18.8.1992 - 12 RK 32/92 - SozR 3-2200 § 314 Nr. 1; zitiert nach juris): "Die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung konnte nach § 314 Satz 1 RVO nicht erlöschen, so lange der Versicherte infolge Geschäftsunfähigkeit an der rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge gehindert und ohne gesetzlichen Vertreter war." Freiwillig versicherte Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung waren somit vor dem Verlust ihrer Mitgliedschaft durch einen geschäftsunfähigkeitsbedingten Beitragsrückstand geschützt.
Dies galt auch für die von dem Kläger abgeschlossene sog. Anwartschaftsversicherung. Darunter ist eine (freiwillige) Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verstehen, bei der die Leistungsansprüche - hier nach § 313 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 RVO wegen des vorrangigen Anspruches des Klägers auf freie Heilfürsorge während seiner Dienstzeit (vgl. dazu Urteil des BSG vom 22.4.1986 - 1/8 RR 25/83 - SozR 3-2200 § 313 RVO Nr.9) - ruhten (vgl. Peters, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 243, Rdnr. 7; Urteil des BSG vom 15.7.1993 - 1 RK 29/92 - SozR 3-5428 § 4 Nr. 5, hier zit. nach juris).
Diese sog. Anwartschaftsversicherung des Klägers wäre bei Fortzahlung der Beiträge auch nicht durch das Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl. I 2477) beendet worden. Zwar ist seit Inkrafttreten des GRG am 1.1.1989 der Kreis der versicherungsberechtigten Personen nach § 9 SGB V erheblich verkleinert worden. Daher können u.a. Beamte, die während ihres aktiven Dienstes Anspruch auf freie Heilfürsorge haben, keine neuen sog. Anwartschaftsversicherungen mehr schließen. Dies berührte aber nicht die Wirksamkeit bereits zuvor begründeter Mitgliedschaften in Form der sog. Anwartschaftsversicherungen. Da nach § 191 SGB V auch eine solche freiwillige Mitgliedschaft - anders als bei der Pflichtmitgliedschaft nach § 190 SGB V - nicht durch Wegfall des für den Beitritt maßgebenden Sachverhaltes endet (vgl. Baier, in: Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, § 191 SGB V, Rdnr. 3) und das GRG auch keine Sonderregelungen zur Beendigung entsprechender Mitgliedschaftsverhältnisse enthielt, wurden entsprechende zum 31.12.1988 bestehende Versicherungsverhältnisse fortgeführt (vgl. Urteil des BSG vom 15.7.1993, a.a.O.; Topka/Möhle, BhV-Kommentar, § 5 BhV, Ziffer 14.5.4).
Die den vorherigen Ausführungen entgegenstehende, nicht näher belegte Auskunft in dem anwaltlichen Schreiben vom 7.6.1994 ist daher unzutreffend.
Schließlich hat der Kläger sich selbst nicht darauf berufen, dass er die Anwartschaftsversicherung deshalb hätte kündigen müssen, weil mit Inkrafttreten des GRG nach der Gesetzeslage durch den Wegfall einer § 313 Abs. 5 Satz 4 RVO entsprechenden Bestimmung im SGB V (Beitragsermäßigung bei Anwartschaftsversicherungen) ein erheblicher höherer Beitrag zu zahlen gewesen wäre (vgl. dazu Urteil des BSG vom 23.3.1993 - 12 RK 6/92 - NZS 1993, 544 ff, hier zit. nach juris). Daher kann die Frage dahin stehen, ob die Krankenkasse des Klägers - die DAK - nicht weiterhin trotz des entgegenstehenden Gesetzeswortlautes tatsächlich nur einen (erheblich) ermäßigten Beitrag erhoben hätte (vgl. dazu Krauskopf, in: ders., a.a.O., § 240 SGB V, Rdnr. 29).
Hätten die gesetzlichen Vertreter des Klägers sich rechtzeitig auf die angeführte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen eines geschäftsunfähigkeitsbedingten Beitragsrückstandes berufen, so hätte der Kläger daher gegen Zahlung der rückständigen Beiträge seine freiwillige Mitgliedschaft auch über den Februar 1988 hinaus fortführen können. Dieses Unterlassen seiner gesetzlichen Vertreter muss der Kläger sich im Verhältnis zu seinem Dienstherrn gemäß § 1902 BGB i.V.m. §§ 166 Abs. 1, 278 Satz 1 BGB in entsprechender Anwendung zurechnen lassen.
3. Aus den vorherigen Ausführungen folgt zugleich, dass - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - der Kläger seinen Anspruch auch nicht unmittelbar auf die Fürsorgepflicht (§ 87 Abs. 1 NBG) des Dienstherrn stützen kann.
Die Beihilferegelungen sind nämlich bereits Ausfluss der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und können, auch soweit sich aus der pauschalierenden und typisierenden Konkretisierung im Einzelfall Härten und Nachteile ergeben, grundsätzlich nicht durch einen unmittelbaren Rückgriff auf die Fürsorgepflicht ergänzt werden (vgl. Beschluss des BVerwG vom 10.6.1999 - 2 C 29/98 - NVwZ-RR 2000, 99 m.w.N). Im vorliegenden Fall ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil - wie dargelegt - bereits § 14 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BhV eine einzelfallbezogene Regelung enthält, mangels Vorliegens der erforderlichen Voraussetzungen aber die begehrte Erhöhung des Bemessungssatzes danach nicht in Betracht kommt.
Im Übrigen hat der Kläger auch nicht substantiiert dargelegt, dass sich für ihn durch die geltende Beihilferegelung eine unzumutbare Belastung ergibt (vgl. dazu neben dem o.a. Beschluss des BVerwG vom 10.6.1999 den Beschluss d. Sen. v. 11.9.1998 - 2 L 2640/98 -, NdsVBl. 1999, 90 f.). Zwar stehen dem Kläger nach seiner Einkommensaufstellung in dem Berufungszulassungsantrag nur unzureichende Mittel zur Verfügung, um für Aufwendungen im Krankheitsfall eine Rücklage zu bilden. In dieser Einkommensübersicht sind jedoch weder eventuelle Ansprüche gegen die gesetzlichen Vertreter des Klägers gemäß §§ 1833, 1908 i Abs. 1 BGB noch ergänzend in Betracht kommende Unterhaltsansprüche des Klägers gegenüber seinem Sohn enthalten.