Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 27.02.2001, Az.: 4 A 165/99
einmalige Beihilfe; Fahrrad
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 27.02.2001
- Aktenzeichen
- 4 A 165/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40197
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 21 BSHG
Tatbestand:
Der Kläger begehrt, den Beklagten zu verpflichten, die Kosten einer Fahrradreparatur zu übernehmen.
Der 1953 geborene Kläger bezieht seit vielen Jahren laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Da er aufgrund einer psychischen Erkrankung erwerbsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist, wird monatlich ein Mehrbedarf von 20 v. H. des maßgebenden Regelsatzes berücksichtigt.
Am 2. Juni 1999 stellte der Kläger bei der Samtgemeinde S. zur Weiterleitung an den Beklagten mündlich den Antrag, die Kosten für die Reparatur seines Fahrrades zu übernehmen und gab an, dass er anlässlich des Besuches einer Bekannten zu viel Gepäck geladen gehabt habe.
Mit Schreiben vom 16. Juni 1999 legte er einen Kostenvoranschlag der Firma "Laden 25" aus L. vor vom 15. Juni 1999, wonach für die Reparatur seines "Trecking-Rades RTC grau" 148,50 DM entstehen würden. Der Kläger erläuterte, dass er das Fahrrad dringend benötigen würde, um regelmäßig in das drei Kilometer von seinem Wohnort entfernte S. zum Einkaufen fahren zu können.
Am 17. Juni 1999 ließ der Kläger sein Fahrrad bei dem genannten Betrieb reparieren und zahlte die Reparaturkosten von 149,00 DM. Dem Beklagten gab er dies nicht zur Kenntnis.
Mit Bescheid vom 25. Juni 1999 lehnte der Beklagte die Übernahme der Reparaturkosten ab, weil diese nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gehörten, der allein nach §§ 11, 12 BSHG sicherzustellen sei.
Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und wies erneut darauf hin, dass er von seinem Wohnort, einem abgelegenen Dorf, zum Einkaufen fahren müsse. Er sei weiter ohne sein Fahrrad gehindert, "seine sozialen Kontakte in ausreichendem Maße aufsuchen zu können, z. B. psychosoziale Kontaktstellen in L. ". Zur weiteren Begründung verwies er auf eine Bescheinigung des ihn behandelnden Arztes.
Gemeint war offenbar eine unter dem 24. Juni 1999 ausgestellte und beim Beklagten am 25. Juni 1999 eingegangene Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. aus W. , in der es hieß, dass dem Kläger dringend die Reparaturkosten seines Fahrrades erstattet werden sollten, da er auf dieses u. a. aus psychischen Gründen sehr angewiesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 1999 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Beklagte hielt an seiner Auffassung fest, dass der Besitz eines Fahrrades nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehöre, sondern dass dies nur eine Annehmlichkeit darstellte, die nicht mit Mitteln der Sozialhilfe zu finanzieren sei. Die beantragten Reparaturkosten seien bereits mit der Gewährung der laufenden Regelsätze abgegolten.
Am 24. September 1999 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor: Er habe sich zu dem Zeitpunkt, als die Speichen an seinem Fahrrad gebrochen seien, auf der Bundesstraße 4 von Uelzen nach L. befunden und habe sofort für "Abhilfe" sorgen müssen, da er seinen Wohnort Eyendorf sonst nicht hätte erreichen können. Das Geld für die Reparatur des Fahrrades habe er sich von Bekannten "geliehen". Für ihn sei ein funktionstüchtiges Fahrrad lebensnotwendig. Die Psychosoziale Kontaktstelle Stövchen in L. habe ihm durch die Sozialpädagogin Sch. und den Diplompädagogen F. unter dem 29. Oktober 1999 bestätigt, dass er seit etlichen Jahren Besucher der Psychosozialen Kontaktstelle sei und darüber hinaus weitere Gruppenangebote in L. wahrnehme. Diese Anbindung sei aufgrund seines Krankheitsbildes hilfreich und notwendig. Bestätigt worden sei auch, dass er den langen Anfahrtsweg von ca. 20 km pro Strecke von seiner Wohnung bis zur L. er Innenstadt mit dem Fahrrad zurücklege und ihm die Situation als aktiver Verkehrsteilnehmer unbedingt zu erhalten sei, weil dadurch seinem sonst häufig depressiven und antriebsarmen Erleben etwas entgegengesetzt werde. Auch der ihn behandelnde Arzt Dr. C. habe unter dem 14. Dezember 1999 aus nervenfachärztlicher Sicht bescheinigt, dass er dringend auf sein Fahrrad angewiesen sei, um seine ohnehin sehr eingeschränkten sozialen Fähigkeiten zu fördern. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung lägen bei ihm chronische depressive Verstimmungszustände vor, die mit schweren regressiven Tendenzen, emotionalen Problemen, schweren Belastungsstörungen etc. einhergingen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 1999 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm 149,00 DM als einmalige Beihilfe für die Reparatur seines Fahrrades zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert: Die Reparaturkosten seien bereits durch die Regelsatzleistungen abgegolten. Für die in § 1 Abs. 1 RegelsatzVO genannten Bedarfsgruppen seien einmalige Leistungen nicht zu erbringen, weil auch ein nur einmaliger Bedarf durch die Regelsatzleistungen gedeckt sei. Die Reparaturkosten für das Fahrrad gehörten wie das Fahrrad selbst zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens und deshalb uneingeschränkt zum Regelbedarf. Der Kläger sei gehalten, eigenverantwortlich die erhaltenen Leistungen auf die einzelnen Bedarfsgruppen und -gegenstände zu verteilen, ggf. auch dafür anzusparen. Bei einem frei verfügbaren Anteil für persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 35 % des maßgeblichen Regelsatzes stünden dem Kläger rund 190,00 DM dafür zur Verfügung. Selbst wenn noch weitere persönliche Bedürfnisse berücksichtigt werden müssten, wäre dem Kläger wenigstens die ratenweise Zahlung der Reparaturkosten möglich gewesen. Die Übernahme der Reparaturkosten aus Sozialhilfemitteln sei, nachdem der Kläger die bereits beglichene Rechnung vorgelegt habe, ohnehin nach § 5 BSHG abzulehnen, da der Kläger sich selbst geholfen habe und ein gegenwärtiger Bedarf nicht mehr bestehe.
Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger kann beanspruchen, dass der Beklagte die Kosten für die Reparatur seines Fahrrades gemäß § 21 BSHG als einmalige Leistung aus Sozialhilfemitteln trägt.
Die Reparaturkosten für ein Fahrrad sind in § 21 Abs. 1 a BSHG zwar nicht ausdrücklich aufgeführt. Die im Einzelnen dort aufgeführten Tatbestände, für die einmalige Leistungen zu erbringen sind, sind aber nicht abschließend, vielmehr nur beispielhaft erwähnt.
Die Reparaturkosten für das Fahrrad des Klägers sind hier deshalb von § 21 Abs. 1 a BSHG erfasst, weil ein Fahrrad für den Kläger zum notwendigen Lebensbedarf gehört, es ist ein Gebrauchsgut von längerer Gebrauchsdauer und von höherem Anschaffungswert im Sinne von § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG, für dessen Beschaffung ggf. eine einmalige Leistung zu erbringen wäre. Da für die Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit des Fahrrades, die Reparatur, ein nicht nur geringfügiger Geldbetrag erforderlich gewesen ist, haben dem Kläger Leistungen für die Reparaturkosten auch nicht bereits im Rahmen der Regelsatzleistungen oder des ihm gewährten Mehrbedarfszuschlags zur Verfügung gestanden. Weiter sind die Reparaturkosten im Verhältnis zum Anschaffungspreis eines - gebrauchten - Fahrrades auch noch nicht als unverhältnismäßig anzusehen:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 18.12.1997 - 5 C 7/95 -, NJW 1998, 1967) ist es nicht ausgeschlossen nach § 21 Abs. 1 a BSHG, auch für die Anschaffung von Bedarfsgegenständen, die zu der Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens gehören (wie z. B. ein Fahrrad) und für die auch Regelsatzleistungen gewährt werden, unter den Vorgaben des § 21 BSHG einmalige Leistungen zu erbringen. Im Hinblick auf die in § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG enthaltene Beschränkung, dass zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben "in vertretbarem Umfang" gehören, ist das Tatbestandsmerkmal "in vertretbarem Umfang" auch im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung einer einmaligen Leistung für Bedarfsgegenstände, die zur Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zählen, nach § 21 Abs. 1 a BSHG zu berücksichtigen. Es ist daher zu prüfen, ob der begehrte Gegenstand sozialhilferechtlich notwendig, also für die Beziehung zur Umwelt oder eine Teilnahme am kulturellen Leben in vertretbarem Umfang erforderlich ist. Entscheidend hängt dies von den persönlichen Vorstellungen und Wünschen des Hilfeempfängers ab, so dass die Notwendigkeitsprüfung gegenständlich für jeden Hilfeempfänger gesondert erfolgen muss; sein konkret-individueller Bedarf ist zu ermitteln. Danach ist darüber zu entscheiden, ob ein vertretbarer finanzieller Aufwand entsteht.
Angesichts der psychischen Erkrankung des Klägers, die durch mehrere Bescheinigungen belegt ist und, wie sich aus den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Beklagten ergibt, auch amtsärztlicherseits bekannt und bestätigt ist, ist ohne weitere Ermittlungen anzunehmen, dass der Kläger auf den Besitz eines funktionstüchtigen Fahrrades dringend angewiesen ist.
Der durch die Reparatur entstehende finanzielle Aufwand hält sich auch in vertretbarem Umfang. Ein anderes gebrauchtes Fahrrad mittlerer Art und Güte wäre jedenfalls nicht günstiger zu beschaffen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Kläger regelmäßig nicht nur kurze Strecken mit dem Fahrrad zurücklegt und daher auf den Besitz eines Fahrrades angewiesen ist, mit dem solche Strecken relativ mühelos überwunden werden können. So ist z. B. eine funktionierende Gangschaltung am Fahrrad erforderlich.
Der Kläger kann nicht darauf verwiesen werden, die Reparaturkosten aus seinen Regelsatzleistungen oder aus dem Mehrbedarfszuschlag, den er offenbar nach der Besitzstandsregelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 BSHG erhält, zu begleichen. Die Regelsatzleistungen insbesondere auch der Mehrbedarfszuschlag enthalten zwar einen Anteil für Mobilität und Teilnahme am Leben der Gemeinschaft, da die Reparaturkosten für das Fahrrad des Klägers aber an den Betrag heranreichen, der für die Ersatzbeschaffung eines Fahrrades aufzuwenden wäre, steht aus den laufenden Leistungen zum einen nicht in einer Summe ein ausreichender Betrag zur Verfügung, um die Reparaturkosten zu begleichen, wenn nicht die Deckung des übrigen notwendigen Bedarfs gefährdet würde, und zum anderen wäre es mit der durch die Einführung des § 21 Abs. 1 a BSHG mit Wirkung zum 27. Juni 1993 geschaffenen Rechtslage, dass zur Abdeckung des Regelbedarfs neben den laufenden Leistungen auch einmalige Leistungen zu erbringen sind, nicht vereinbar, den Kläger auf ein Ansparen der Reparaturkosten zu verweisen (vgl. auch OVG L. , Urteil vom 11.10.2000 - 4 L 1963/00 -, S. 7 f. des Urteilsabdrucks).
Schließlich steht auch § 5 Abs. 1 BSHG dem Anspruch des Klägers aus § 21 Abs. 1 a BSHG nicht entgegen. Allerdings hat der Kläger seiner Notlage durch Selbsthilfe bereits unmittelbar nach dem Einreichen des Kostenvoranschlages für die Reparatur selbst abgeholfen gehabt, indem er sein Fahrrad hat reparieren lassen und die Reparaturkosten nach seinem Vorbringen mit ihm darlehensweise zur Verfügung gestellten Geld beglichen hat. Ausreichend Zeit, eine Entscheidung zu treffen, hat dem Beklagten nach Einreichen des Kostenvoranschlages für die Reparatur, die noch am selben Tag vorgenommen worden ist, nicht zur Verfügung gestanden. Von einer besonderen Eilbedürftigkeit für die Durchführung der Reparatur kann auch nicht ausgegangen werden, denn von dem Defekt an seinem Fahrrad hat der Kläger bereits am 2. Juni 1999 Kenntnis gegeben, so dass eine Reparatur durchaus auch noch einige weitere Tage hätte hinausgeschoben werden können. Es ist hier aber deshalb eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Sozialhilfe nicht rückwirkend gezahlt wird, zu machen, weil dem Beklagten vor dem Zeitpunkt der Selbsthilfe die Notsituation bekannt gewesen ist und die Anspruchsvoraussetzungen trotz der Selbsthilfe nachträglich noch zweifelsfrei feststellbar sind (vgl. Mergler-Zink, BSHG, Kommentar, Stand: März 2000, § 5, Rdnr. 18 a unter Hinweis auf OVG L. , FEVS 21, 418).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.