Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.10.2000, Az.: 1 M 3500/00

Anschlussrechtsmittel; Drittwiderspruch; Entscheidungsmaßstab; erdrückende Wirkung; Erfolgsaussichten; Nachbarschutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.10.2000
Aktenzeichen
1 M 3500/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41822
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 4 B 3926/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. In Verfahren baurechtlichen Nachbarschutzes kommt den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs ausschlaggebende Bedeutung zu.


2. Zur erdrückenden Wirkung langgestreckter Gebäude (Zusammenfassung).

Gründe

1

Wegen des Sachverhalts wird auf die Gründe I. des angegriffenen Beschlusses sowie die Zusammenfassung im Beschluss vom 12. Oktober 2000 - 1 M 3461/00 - verwiesen, mit dem der Senat die Beschwerde zugelassen hat.

2

Diese hat Erfolg.

3

In Verfahren nach § 80 a VwGO ist "ausgewogener" Rechtsschutz zu gewähren. Denn nicht nur auf Seiten des Nachbarn drohen vollendete, weil unumkehrbare Tatsachen einzutreten, wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Auch auf der Seite des Bauherrn können solche nicht mehr gutzumachenden Folgen eintreten. Diese bestehen im Falle einer Antragsstattgabe in jedem Fall darin, dass die durch den Aufschub verlorene Zeit mit der Folge nicht nachgeholt werden kann, dass auch die in dieser Zeit erzielbare Gewinne nicht mehr realisiert werden können. Von den Folgen des § 945 ZPO bleibt der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Nachbarstreit verschont. Aus diesem Grunde kommt in Verfahren des einstweiligen Nachbarrechtsschutzes den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs ausschlaggebende Bedeutung zu.

4

Die sonach anzustellende Prüfung führt aus den Gründen, welche der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss vom 12. Oktober 2000 - 1 M 3461/00 - aufgeführt und denen der Antragsteller Substantielles nicht entgegengesetzt hat, zu einem der Beigeladenen günstigen Ergebnis. Auch nach neuerlicher Prüfung spricht ganz Überwiegendes für die Annahme, das Grundstück des Antragstellers sei in ein "reines Gewerbegebiet" eingebettet und seine gegenüber der gewerblichen deutlich untergeordnete wohnliche Nutzung dementsprechend als Fremdkörper anzusehen, der aus der Betrachtung auszuscheiden und auch nicht etwa nach Art einer "Mittelwertbildung" bei der Gebietsbestimmung zu berücksichtigen sei. Dementsprechend spricht so Überwiegendes für eine der Beigeladenen vorteilhafte Anwendung des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 NBauO, dass ihr eine Ausnutzung des Bauscheins der Antragsgegnerin vom 4. September 2000 nicht einstweilen vorenthalten werden kann.

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Es ist auch nicht substantiiert geltend gemacht worden oder ersichtlich, dass das angegriffene Vorhaben wegen seiner Ausmaße zum Nachteil des Antragstellers erdrückende Wirkung haben würde. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher der Senat folgt, zwar geklärt, dass ein Bauvorhaben in Fällen einer "erdrückenden" Wirkung nachbarliche Rechte verletzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 -, DVBl. 1981, 928; ferner Urt. v. 30.9.1983 - 4 C 18.80 -, NJW 1984, 250; Urt. v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 -, DVBl. 1986, 1271). Eine erdrückende Wirkung kann nicht nur durch die Höhe der Gebäude zueinander auftreten, sondern auch durch die Baumasse bzw. die Länge von Gebäuden. Das anzunehmen kommt in Betracht, wenn durch die genehmigte Anlage Nachbargrundstücke regelrecht "abgeriegelt" werden (siehe OVG Lüneburg, Urt. v. 29.9.1988 - 1 A 75/87 -, BRS 48 Nr. 164) oder das Gefühl des "Eingemauertseins", d.h. eine "Gefängnishof-Situation" entsteht (OVG Lüneburg, Urt. v. 11.4.1997 - 1 L 7286/95 -, ZMR 1997, 493 = DWW 1998, 151 = BRS 59 Nr. 164).

6

Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Das angegriffene Vorhaben reicht mit seiner Südwestecke knapp bis an den Ostflügel des Wohngebäudes des Antragstellers heran. Sein Blick nach Norden, Südosten und Süden bleibt uneingeschränkt erhalten. Angesichts des Zuschnitts des Grundstücks des Antragstellers und der umstehenden Bebauung kann daher keine Rede davon sein, für den Antragsteller entstehe nunmehr eine "Gefängnishofsituation". Das angegriffene Vorhaben ist auch nicht so hoch, dass es dem Grundstück/Wohngebäude des Antragstellers in erdrückender Weise, d.h. in eindeutig unverhältnismäßiger Proportion gegenüberträte.

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Der im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 18. Oktober 2000 gestellte "Antrag" stellt lediglich eine Einleitung für die Anregung dar, der zugelassenen Beschwerde der Beigeladenen stattzugeben. Ein "echtes" Anschlussrechtsmittel - dieses wäre unzulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 12. Auflage 2000, § 127 Rdnr. 1; Eyermann/Happ, VwGO 11. Aufl. 2000, § 127 Rdnr. 1 mit Hinweis auf BGH, Urt. v. 25.4.1991 - I ZR 134/90 -, NJW 1991, 3029 = MDR 1992, 189) - sollte mit dem "Antrag" nach dem Duktus des Schriftsatzes vom 18. Oktober 2000 ersichtlich nicht eingelegt werden. Das hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin im Übrigen sofort nach Erhalt der Verfügung des Berichterstatters vom 23. Oktober 2000 fernmündlich klargestellt.

8

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist gemäß § 25 Abs. 2 GKG zu korrigieren. Der Streitwertrahmen für Nachbarstreitigkeiten wegen (behaupteter) Beeinträchtigungen eines Einfamilienhauses reicht nach Nr. 8 a der regelmäßigen Streitwertannahmen des 1. und 6. Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts (NdsVBl. 1995, 80) zwar nur bis 40.000,-- DM. Dies stellt indes nur für den Regelfall den Rahmen dar. Hier kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsteller nach dem unwidersprochenen Vortrag der anderen Beteiligten erst bei einer Zahlung von 500.000,-- DM zur Rücknahme des Rechtsbehelfs bereit gewesen wäre. Das Maß der Beeinträchtigung, welches der Antragsteller mit dem angegriffenen Vorhaben verbunden sieht, kann bei der Bemessung des nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG mitentscheidenden Interesses an einem ihm positiven Ausgang des Rechtsstreits nicht vollständig unberücksichtigt bleiben. Für das Hauptsacheverfahren wird dementsprechend ein Betrag von 50.000,-- DM anzunehmen sein. Dieser ist gemäß § 20 Abs. 3 GKG für das Eilverfahren zu halbieren.