Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.02.2005, Az.: 2 LA 827/04
Schadensersatzforderung für ein im Dienst entwendetes Handy einer Lehrerin; Handy als üblicherweise im Dienst mitgeführter Gegenstand; Verpflichtung zur Wahl einer Wohnung in der Nähe des Dienstortes; Versagung des Schadensersatzes wegen grob fahrlässigem Verhalten eines Beamten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.02.2005
- Aktenzeichen
- 2 LA 827/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 32053
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2005:0214.2LA827.04.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DVBl 2005, 1464 (amtl. Leitsatz)
- FStNds 2005, 695-696
- NVwZ-RR 2005, 479-480 (Volltext mit amtl. LS)
- NdsVBl 2005, 188-189
- SchuR 2005, 180-181 (Volltext)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine Lehrerin kann einen Ersatz ihres während des Schulbetriebs abhanden gekommenen Mobiltelefons nach § 96 Abs. 1 S. 1 NBG nur dann verlangen, wenn es zu den im Dienst üblicherweise mitgeführten Gegenständen zählt.
- 2.
Die grundsätzliche Möglichkeit, bei straßenverkehrsbedingten Verspätungen kurzfristig einen Ersatzunterricht via Mobiltelefon zu organisieren, rechtfertigt keinen Ersatzanspruch aus § 96 Abs. 1 S. 1 NBG, wenn die Notwendigkeit zur Organisation des Ersatzunterrichts ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass die Lehrerin entgegen ihrer Pflicht aus § 82 Abs. 1 NBG keine dienstortnahe Wohnung bezogen hat.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 2. Senat -
am 14. Februar 2005
beschlossen:
Tenor:
Auf den Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 1. Kammer - vom 7. Januar 2004 zugelassen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die Klägerin, die in B. wohnt und an der Grund- und Hauptschule C. als Lehrerin tätig ist, erstrebt mit ihrer Klage Schadensersatz in Höhe von 127,31 EUR für ein Handy, das ihr während einer Unterrichtsstunde entwendet wurde. Das Verwaltungsgericht hat die frühere Bezirksregierung D. mit Gerichtsbescheid vom 7. Januar 2004 verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grunde nach gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG bestehe. Eine volle Erstattung des Kaufpreises komme jedoch nicht in Betracht, weil die Minderung des Gebrauchswertes in angemessenem Umfang zu berücksichtigen sei. Die frühere Bezirksregierung D. hat am 11. Februar 2004 beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts zuzulassen.
Nachdem die Bezirksregierung D. mit Wirkung vom 1. Januar 2005 aufgelöst worden ist, ist die Landesschulbehörde als Rechtsnachfolgerin kraft Gesetzes in diesen Prozess eingetreten.
Der unter anderem auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts bestehen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheides sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163; Nds.OVG, Beschl. v. 09.12.2004 - 2 LA 344/03 -). Es kommt nicht darauf an, ob einzelne Begründungselemente der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung unrichtig sind, sondern darauf, ob diese im Ergebnis unrichtig ist (vgl. Nds.OVG, Beschl. v. 09.12.2004, a.a.O.).
Die Beklagte hat ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dargelegt, die auch bestehen.
Das Verwaltungsgericht ist nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grunde nach gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG besteht.
Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG kann der Beamtin oder dem Beamten Ersatz für Kleidungsstücke oder sonstige Gegenstände geleistet werden, die bei Ausübung des Dienstes abhanden gekommen sind und die üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht erfüllt. Denn bei einem Handy handelt es sich nicht um einen Gegenstand, der von einer Lehrerin oder einem Lehrer üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt wird.
Zu den Gegenständen, die üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt werden, gehören insbesondere solche, die im Dienst benötigt werden (vgl. Nr. 3.1 der Verwaltungsvorschriften zu § 96 NBG - VV zu § 96 NBG - vom 25.11.1992, Nds.MBl. 1993 S. 93). Insoweit muss ein objektiver Bedarf der Beamtin oder des Beamten bestehen. Individuelle Besonderheiten sind dagegen nicht zu berücksichtigen, da sie nicht allgemein üblich sein können (vgl. Kümmel, Beamtenrecht, Stand: Januar 2005, § 96 RdNr. 6.1). Ein Ersatz ist ausgeschlossen, wenn die Beamtin oder der Beamte an Stelle dienstlich zur Verfügung stehender Gegenstände private Gegenstände benutzt, es sei denn, dass der Dienstherr die Benutzung ausdrücklich gestattet (vgl. Nr. 3.2 der VV zu § 96 NBG und Kümmel, a.a.O., § 92 RdNr. 6.2).
Ausgehend von den vorstehend wieder gegebenen Grundsätzen kommt es entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Klägerin nicht darauf an, ob es angesichts des von ihr teilweise im Hauswirtschaftstrakt der Grund- und Hauptschule C. zu leistenden Unterrichts aus dienstlichen Gründen nützlich und angemessen ist, ein Handy bei sich zu führen, um in Not- oder Bedrohungsfällen schnell reagieren und Hilfe herbeirufen zu können. Entscheidend ist vielmehr - wie ausgeführt wurde -, ob die Klägerin als Lehrerin an einer Grund- und Hauptschule dienstlich ein Handy benötigt. Das ist nicht der Fall, weil der Klägerin für den dienstlichen Gebrauch in der Schule ein Schultelefon zur Verfügung steht. Die Beurteilung der Frage, ob die Grund- und Hauptschule C. mit dem dort vorhandenen Schultelefon ausreichend ausgestattet ist oder ob es angebracht wäre, etwa in den Fachräumen weitere Schultelefone vorzuhalten, obliegt nicht der Klägerin, sondern ihrem Dienstherrn. Der Dienstherr der Klägerin trägt deshalb auch allein die Verantwortung für die mit einer etwaigen unzulänglichen Ausstattung der Schule mit Telefonen verbundenen Nachteile. Die an der Schule tätigen Beamtinnen und Beamten sind nicht verpflichtet, insoweit möglicherweise bestehende Defizite mit eigenen Mitteln aufzufangen (vgl. ebenso im Falle eines Polizeibeamten VG Oldenburg, Urt. vom 27.08.2003 - 6 A 977/01 -, NVwZ-RR 2004, 130).
Es ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Klägerin auch rechtlich unerheblich, ob der Klägerin ein Handy im Hinblick auf die in Folge von Verkehrsbehinderungen in zeitlicher Hinsicht häufig längeren Fahrten von ihrem Wohnort in B. zum Schulstandort in C. durchaus von Nutzen sein kann, um schnell und reibungslos den notwendigen Vertretungsunterricht organisieren zu können. Der Umstand, dass die Klägerin möglicherweise des Öfteren auf Grund der von ihr geschilderten Verkehrsverhältnisse im Elbtunnel bzw. auf den Elbbrücken nicht pünktlich zum Dienst erscheint, ist allein auf die individuelle Besonderheit zurückzuführen, dass die Klägerin ihre Wohnung in erheblicher Entfernung von ihrem Dienstort genommen hat. Diese individuelle und ausschließlich der Sphäre der Klägerin zuzurechnende Besonderheit kann nicht dazu führen, in ihrem Fall das Mitführen eines Handys als im Sinne des § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG üblich anzusehen. Die Klägerin muss sich entgegenhalten lassen, dass sie gemäß § 82 Abs. 1 NBG verpflichtet ist, ihre Wohnung so zu nehmen, dass sie in der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird. Da die Klägerin ihre Wohnung nicht in der Nähe, sondern in erheblicher Entfernung von ihrem Dienstort genommen hat, muss sie die Fahrten zu ihrem Dienstort so frühzeitig antreten, dass sie diesen rechtzeitig zum Dienstbeginn erreicht. Dabei muss sie etwaige zeitliche Verzögerungen, die sich durch Verkehrsbehinderungen ergeben können, durch einen frühzeitigen Antritt der Fahrten Rechnung tragen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheides bestehen auch insoweit, als das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 96 Abs. 2 NBG ein grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin verneint hat. Nach § 96 Abs. 2 NBG kann der Schadensersatz ganz oder teilweise versagt werden, wenn ein grob fahrlässiges Verhalten der Beamtin oder des Beamten zur Entstehung des Schadens beigetragen hat. Wie sich aus der Schadensanzeige der Klägerin vom 10. Dezember 2002 ergibt, befand sich die Tasche, in die sie ihr Handy gelegt hatte, während der etwa 30 Minuten dauernden praktischen Übungen, die in den Küchenkojen stattfanden, im angrenzenden Essraum auf dem Fußboden. Nach den Angaben der Klägerin muss das Handy in diesem Zeitraum entwendet worden sein. Da die Klägerin die Schülerinnen und Schüler in den Küchenkojen anleiten und beaufsichtigen musste, war es möglich, in dem genannten Zeitraum auf die Tasche und deren Inhalt zuzugreifen, ohne dass dies von der Klägerin bemerkt wurde. Die Klägerin hätte das Entwenden des Handys bei Beachtung der erforderlichen und ihr auch zumutbaren Sorgfalt vermeiden können. Sie hätte das Handy, bei dem es sich um einen relativ wertvollen Gegenstand handelt, entweder bei sich am Körper führen oder aber, falls dies nicht möglich gewesen sein sollte, in einem der nach der Schadensanzeige vom 10. Dezember 2002 im Lehrerzimmer vorhandenen Spinte verschließen müssen.
Es erweist sich schließlich auch nicht als ermessenfehlerhaft und unverhältnismäßig, den von der Klägerin begehrten Schadensersatz auch unter Berufung auf § 96 Abs. 2 NBG zu versagen. Angesichts des grob fahrlässigen Verhaltens der Klägerin und des überschaubaren Schadens von 127,31 EUR kann es ihr nach Lage der Verhältnisse zugemutet werden, den Schaden in voller Höhe selbst zu tragen (vgl. dazu Nr. 9 der VV zu § 96 NBG).
Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen 2 LB 154/05 fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124 a Abs. 5 Satz 5 2. Halbsatz VwGO).
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, einzureichen (§ 124 a Abs. 6 Satz 2 VwGO). Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 124 a Abs. 3 Satz 3 bis 5 VwGO).
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Prof. Dr. Petersen
Schmidt