Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.02.2005, Az.: 7 LA 200/04
Antragstellung; Auslegung; Darlegungsgebot; Familienasyl; Folgeantrag; grundsätzliche Bedeutung; Minderjährigkeit; Zeitpunkt
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.02.2005
- Aktenzeichen
- 7 LA 200/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50598
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 28.06.2004 - AZ: 5 A 4556/01
Rechtsgrundlagen
- § 26 Abs 2 S 1 AsylVfG
- § 71 Abs 1 AsylVfG
- § 78 Abs 3 Nr 1 AsylVfG
- § 78 Abs 4 S 4 AsylVfG
Gründe
Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO iVm § 166 VwGO).
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) ist nicht gegeben. Wird dieser Zulassungsgrund geltend gemacht, ist dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nur dann genügt, wenn in Bezug auf die Rechtslage oder die Tatsachenfeststellungen eine unmittelbar aus dem Gesetz nicht beantwortbare, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete, konkrete Frage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer bedeutsamen Fortentwicklung des Gerichts obergerichtlicher Klärung bedarf und warum sie sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen wird. Die von dem Beigeladenen sinngemäß aufgeworfene Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG für die Feststellung der Minderjährigkeit auch in einem Folgeantragsverfahren ausnahmsweise auf den Zeitpunkt des Erstantrages abzustellen ist, verleiht der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung nicht.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG mit dem Begriff des Zeitpunkts der Asylantragstellung, zu dem ein Familienasyl begehrendes Kind minderjährig sein muss, in einem Folgeantragsverfahren grundsätzlich den Zeitpunkt des Folgeantrags meint (BVerwG, Urt. v. 13. 8. 1996 - 9 C 92.95 -, BVerwGE 101, 341; Urt. v. 17. 12. 2002 - 1 C 10.02 -, BVerwGE 117, 283). Höchstrichterlich geklärt ist ferner, dass Kindern eines Asylberechtigten, die als Minderjährige im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Einreise oder mit der Antragstellung des Stammberechtigten Asylanträge gestellt haben, Familienasyl nach § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG auch dann zu gewähren ist, wenn sie ihre Folgeanträge wegen der Dauer des Verfahrens zur Anerkennung des Stammberechtigten erst nach Eintritt der Volljährigkeit stellen konnten (Urt. v. 17. 12. 2002, aaO). Mit der durch das Asylverfahrensgesetz vom 26. Juni 1992 erfolgten Neufassung des Familienasyls für Minderjährige sollte dessen Schutzumfang erweitert werden. Anknüpfungspunkt für die Minderjährigkeit der Kinder sollte nicht mehr die Entscheidung über ihren Asylantrag, sondern der Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung sein. Dieser Änderung lag die Überlegung zugrunde, dass sich eine längere Verfahrensdauer bis zu einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung nicht nachteilig auf die Kinder auswirken sollte. Dieser Regelungszweck ist durch die Asylrechtsnovelle vom 29. Oktober 1997, durch die das Erfordernis der Bestandskraft der Asylanerkennung des Stammberechtigten eingeführt worden ist, nicht berührt worden. Probleme, die sich daraus ergeben, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Gerichte über die Asylanträge von Kindern in der Praxis schon dann ablehnend entscheiden, wenn noch nicht unanfechtbar feststeht, dass sie auch kein Familienasyl erhalten können, dürfen deshalb nicht zu Lasten der Kinder gelöst werden. Das aber wäre der Fall, wenn ein Folgeantrag der Kinder nach unanfechtbarer Ablehnung ihres Erstantrags und nachträglicher Anerkennung eines Elternteils - aufgrund des gleichzeitig (oder in unmittelbarem Zusammenhang) gestellten Asylantrags - allein deshalb erfolglos bliebe, weil sie inzwischen (und letztlich wegen der Verfahrensgestaltung des Bundesamts oder der Gerichte) volljährig geworden sind (BVerwG, Urt. v. 17. 12. 2002, aaO).
Um eine solche Situation geht es vorliegend nicht. Der Beigeladene konnte seinen Folgeantrag nicht wegen der Dauer des Verfahrens zur Anerkennung des Stammberechtigten, seines Vaters, erst nach Eintritt der Volljährigkeit stellen. Vielmehr war sowohl das Verfahren des Stammberechtigten als auch das des Beigeladenen im zeitlichen Zusammenhang entschieden und bestandskräftig abgeschlossen worden. Den Folgeantrag hat der Beigeladene erst nach Eintritt seiner Volljährigkeit gestellt, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an die Asylgewährung bei Vorliegen einer quasi-staatlichen Verfolgung anders als die bis dahin herrschende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung gefasst hatte.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2002 offengelassen hat, ob abweichend von dem dargelegten Grundsatz in anderen Fallkonstellationen als der entschiedenen ausnahmsweise auf den Erstantrag abzustellen ist, „insbesondere, wenn der Stammberechtigte erfolgreich ein Wiederaufgreifen seines Erstantrags aus den ursprünglich vorgetragenen Gründen betreibt“, folgt daraus eine Klärungsbedürftigkeit der in diesem Verfahren aufgeworfenen Fragen nicht. Der Umstand allein, dass es zu einer Rechtsfrage noch keine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt, verleiht einer Rechtssache nicht grundsätzliche Bedeutung. Sie hat sie nur dann, wenn durch eine höchstrichterliche Entscheidung die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewahrt oder das Recht in bedeutsamer Weise fortentwickelt werden kann. An dieser Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die Rechtsfrage durch Auslegung des Gesetzes ergibt oder durch die bisherige Rechtsprechung als geklärt angesehen werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 31. 7. 1987 - 5 B 49.87 -, Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14).
Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist hier eine weitere Klärung nicht geboten. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass zu den in Rede stehenden Fragen unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung vertreten werden. Auch im Interesse der Fortentwicklung des Rechts bedarf es einer weiteren Klärung nicht. Der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Grundsatz, wonach es für das Vorliegen der Minderjährigkeit nicht auf einen früher gestellten Antrag ankommt, nur in begrenztem Umfang Ausnahmen verträgt und insoweit eine enge Auslegung zu erfolgen hat. Das folgt aus dem Zweck der Vorschrift. Wie dargelegt soll die Regelung, nach der auch volljährige Kinder eines Asylberechtigten noch in den Genuss des Familienasyls kommen können, sofern sie bei Antragstellung minderjährig waren, verhindern, dass sich eine etwaige längere Verfahrensdauer für die Kinder nachteilig auswirkt. Hingegen hat der Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt, dass - gegebenenfalls seit längerem - volljährige Kinder eines Asylberechtigten, die irgendwann einmal einen längst erledigten Asylantrag gestellt haben, bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG das Wiederaufgreifen ihres Verfahrens sollen verlangen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 13. 8. 1996, aaO). Die gegenteilige Annahme würde zur Wiederaufnahme zahlreicher, unter Umständen schon vor Jahren abgeschlossener Asylverfahren von Familienangehörigen eines Asylberechtigten, die inzwischen längst volljährig und verheiratet sind, führen können. Derartige weitreichende Wirkungen hätten jedoch einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft (vgl. auch OVG Berlin, Urt. v. 27. 1. 1995 - 3 B 5.94 -, Juris). Dabei kann unterstellt werden, dass eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - was keineswegs zweifelsfrei ist - überhaupt eine Änderung der Rechtslage im Sinn des § 51 Abs. Nr. 1 VwVfG iVm § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu begründen vermag (vgl. Hailbronner, AuslR, § 71 AsylVfG Rn. 50 f.; Renner, AuslR, 7. Aufl., § 71 AsylVfG Rn. 25).
Dieses restriktive Verständnis des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG entspricht auch dem Sinn und Zweck des Familienasyls. Es dient dem Schutz der aus Eltern und minderjährigen ledigen Kindern bestehenden Kernfamilie im Hinblick auf das besonders ausgeprägte Näheverhältnis dieses Personenkreises. Zwar endet die familiäre Verbundenheit nicht mit der Volljährigkeit des Kindes, doch trägt die Beschränkung in § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG auf bei Antragstellung minderjährige Kinder deren besonderer Schutzbedürftigkeit Rechnung, die mit dem Eintritt der Volljährigkeit und der damit einhergehenden Selbständigkeit abnimmt oder ganz entfällt. Der Gesichtspunkt, dass sich eine etwaige längere Verfahrensdauer für die Kinder nicht nachteilig auswirken soll, greift - wie zudem bereits obergerichtlich entschieden ist (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 27. 1. 1995, aaO) - mithin in den Fällen nicht ein, in denen das erste Asylverfahren durch Rücknahme oder durch bestandskräftige Ablehnung des Asylantrags abgeschlossen war und ein Folgeantrag erst nach Volljährigkeit gestellt wurde. Unter diesen Umständen fehlt jedenfalls gegenwärtig der Bedarf für eine weitere obergerichtliche oder höchstrichterliche Klärung.