Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.02.2005, Az.: 9 LA 31/05

Angehöriger; Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; Baath-Partei; Baath-Regime; Fedayin Saddam; Irak; Mitglied; politische Verfolgung; Verfolgung; Übergangsregierung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.02.2005
Aktenzeichen
9 LA 31/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 51009
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 10.01.2005 - AZ: 5 A 632/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Jedenfalls derzeit bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine zielgerichtete Verfolgung früherer Organe bzw. Handlanger des Baath-Regimes durch die am 28. Juni 2004 an die Macht gekommene Übergangsregierung im Irak (hier für Mitglieder der Fedayin-Saddam-Eingreiftruppe).

Gründe

1

Der Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG iVm § 138 VwGO (Verfahrensmangel in der Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs) führen nicht zur Zulassung der Berufung.

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1. Der Rechtssache kommt zunächst nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu. Der Kläger sieht als grundsätzlich klärungsbedürftig die Tatsachenfrage an, „ob den ehemaligen Mitgliedern der Fedayin-Saddam, die jahrelang in den Dienst dieser Truppe standen und jahrelang Dienst in der Öffentlichkeit in der Form der Fedayin-Saddam und als Fedayin-Saddam-Kämpfer viele Menschen unterdrücken mussten, nun nach Sturz des Regimes des Saddam Hussein Gefahren durch die ehemals Benachteiligten, Gefangenen, Verratenen, Verletzten und Gefolterten droht“. Diese Frage fehlt die für eine Zulassung erforderliche Klärungsbedürftigkeit. Nicht jede obergerichtlich noch nicht ausdrücklich geklärte Frage enthält gleichzeitig eine erst in einem zugelassenen Berufungsverfahren zu klärende Frage. Nach der Zielsetzung auch des Berufungszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass die als entscheidungserheblich angeführte Fragestellung aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine obergerichtliche Entscheidung verlangt. Das ist dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation und auf dieser Grundlage ohne weiteres beantworten lässt (st. Rspr. des BVerwG zum Revisionszulassungsrecht, z.B. Beschl. v. 20.6.2001 - 4 B 41.01 - NVwZ-RR 2001, 713 = BauR 2002, 1057). Der aufgeworfenen Fragestellung ist der Senat bereits in seinem Beschluss vom 10.8.2004 - 9 LA 222/04 - unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 2. Februar 2004 an das VG Münster nachgegangen. Der Senat hat dabei die Auffassung des Verwaltungsgerichts bestätigt, dass nach den vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil aufgezeigten politischen Veränderungen nach der im Mai 2003 abgeschlossenen Militäraktion und den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen keine greifbaren Anhaltspunkte für eine zielgerichtete Verfolgung früherer Organe bzw. Handlanger des Baath-Regimes durch die seit dem 28. Juni 2004 an die Macht gekommene irakische Übergangsregierung bestehen. Diese Aussage gilt auch für Mitglieder der Eingreiftruppe Fedayin-Saddam. Das Deutsche Orient-Institut hat sich in seiner Stellungnahme vom 2. Februar 2004 wie folgt geäußert:

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„Zwar sind die Fedayin-Saddam nicht zu diesem Dienst gepresst worden. Doch weiß andererseits auch wiederum jeder, dass häufig materielle Gründe und materielle Notwendigkeiten die Leute zu diesem Dienst bestimmt haben. Das politische Geschäft Iraks ist voll von Richtungswechseln und Kursänderungen, und jeder hat, wenn er nicht eigenes, persönliches Blut an den Händen hat, normalerweise die Möglichkeit, seine frühere Rolle im Rahmen der Regimeorganisationen abzustreifen. Es lässt sich nicht darstellen, dass es zu einer zielgerichteten Verfolgung von ehemaligen Parteigängern des Regimes gekommen ist, die eigentlich erwartungsgemäßen „Nächte der langen Messer“ haben, soweit wir unterrichtet sind, nicht stattgefunden. ... Jedem im Irak ist klar, dass die Baath-Partei und die Mitgliedschaft in derselben ein notwendiges Muss war für jeden, der irgendeine höhere Position erreichen wollte. Allein diese Mitgliedschaft ist daher, ebenso wenig wie allein die Mitgliedschaft in irgendeiner der Regimeorganisationen, kein Grund für die Befürchtung einer nachwirkenden Verfolgung. ... Man muss klar sehen, dass diese Organisationen ohnedies im Wesentlichen Propagandamittel und Propagandamaterial für das gestürzte irakische Regime waren, das hat sich besonders bei dem kurzfristigen Kampfgeschehen im Frühjahr letzten Jahres gezeigt, als diese Verbände alles in allem fluchtartig ihre Posten verließen und zusahen, dass sie das Weite nicht nur suchten, sondern auch fanden, organisierte Gegenwehr in einer militärisch-verbandsmäßigen Art und Weise hat es überhaupt nicht gegeben, auch nicht von diesen Leuten, die angeblich ihr Leben für Saddam zu opfern bereit waren.“

4

Das Deutsche Orient-Institut fasst dann wie folgt zusammen:

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„Das alles interessiert im Moment in Irak keinen Menschen, es gibt dort gewichtigere und auch politisch interessante Aufgaben anzupacken, als die zahllosen, in die Millionen gehenden Mitläufer und Baath-Anhänger abzustrafen“.

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In seiner weiteren Stellungnahme vom 18. Oktober 2004 an das VG Karlsruhe ist das Deutsche Orient-Institut zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen:

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„Es trifft nicht zu, dass es im Irak zu einer allgemeinen Hatz auf ehemalige Funktionsträger des irakischen Regimes gekommen ist. Ganz im Gegenteil versucht die irakische Regierung, und auch die Amerikaner versuchen es, sich die Sachkunde von Funktionären des ehemaligen irakischen Regimes zunutze zu machen. Eine allerdings privat motivierte Rache ist allenfalls vorstellbar bei „Blutschergen“ des Regimes, die persönliches Blut an den Händen haben und bei denen sich die Familien für die Opfer rächen wollen“.

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Das Deutsche Orient-Institut folgert sodann, dass der Vortrag des Klägers „insoweit rein spekulativ und äußerst konstruiert“ sei.

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Bereits unter dem 27. Oktober 2003 hat das Deutsche Orient-Institut in seiner Äußerung an das VG Regensburg eine entsprechende Bewertung abgegeben:

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„Regelrechte Racheakte an Angehörigen der Baath-Partei sind uns bislang nicht bekannt geworden, man muss dazu wissen, dass in Irak die Mitgliedschaft in der Baath-Partei für sehr zahlreiche Menschen durchaus verbindlich war, ohne diese Mitgliedschaft war ab einer bestimmten Stufe des Emporkommens nicht weiterzukommen und bestimmte Positionen sind von vornherein nur für solche Baath-Partei-Mitglieder möglich gewesen. Das gilt vor allen Dingen für den Bereich der Hochschulen, der Wissenschaft, der Militärindustrie, der Schulen (außer Grundschule) und auch der Armee, so dass die Zugehörigkeit zur Baath-Partei nach Maßgabe der konkreten Verhältnisse Iraks für sich genommen kein Anknüpfungspunkt für Racheakte ist. Zu klar und zu allgemein bekannt ist, dass es ohne diese Möglichkeit nicht ging, diese wird also nicht der zentrale Anknüpfungspunkt für irgendwelche Vorwürfe sein. Hier kommt es schon sehr auf das persönliche Schicksal und die persönliche Verantwortung für andere Menschen an, wie gesagt, Angehörige der Repressionsapparate, die persönlich für Folter, Mord, Verschwindenlassen und dergleichen einzustehen haben, halten sich im Moment äußerst bedeckt, aber selbst insoweit sind hier keine Racheakte bekannt geworden.“

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Nach dieser Erkenntnislage spricht nichts für eine den Kläger konkret drohende Verfolgungsgefahr wegen seiner Zugehörigkeit zu der Eingreiftruppe der Fedayin-Saddam.

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2. Ein zur Zulassung führender Verfahrensfehler ist ebenfalls nicht feststellbar. Der Zulassungsantrag sieht einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs darin, dass das Verwaltungsgericht seinen umfangreichen Tatsachenvortrag und die angebotenen Urkunden sowie weitere Beweisangebote nur bruchstückhaft im Urteil abgehandelt habe. Dem ist nicht zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG und des BVerfG ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinander zu setzen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann allenfalls dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (BVerwG, Beschl. v. 29.7.2003 - 1 B 291.02 - NVwZ 2004, 353 = AuAS 2004, 18). Solche besonderen Umstände zeigt der Zulassungsantrag hier nicht auf. Vielmehr ergibt sich sowohl aus dem Tatbestand als auch aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils, dass das Verwaltungsgericht sehr wohl den Vortrag des Klägers nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch konkret in seine Erwägungen einbezogen hat. Dass der Kläger das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis dann nicht teilt, führt noch nicht zur Annahme eines verfahrensfehlerhaften Vorgehens. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich auch nicht als ein - unzulässiges - Überraschungsurteil dar. Das ist nur dann der Fall, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Ein Überraschungsurteil liegt u.a. dann vor, wenn die das angefochtene Urteil tragende Erwägung weder im gerichtlichen Verfahren noch im früheren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erkennbar thematisiert worden war. Dies ist hier ausweislich des zugrundeliegenden Urteils ersichtlich nicht der Fall. Klarzustellen bleibt lediglich noch, dass das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, nicht fordert, dass das Gericht den Beteiligten bereits in der mündlichen Verhandlung unter Vorwegnahme der anschließenden Beratung seine Würdigung des Tatsachenvorbringens der Beteiligten mitteilt.

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3. Zu einer Entscheidung über den Antrag des Klägers, das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2005 zu korrigieren, ist der Senat nicht berufen. Insoweit ist der Kläger auf das in § 164 ZPO geregelte Verfahren zu verweisen.