Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.02.2005, Az.: 9 LA 360/04

Bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine Mobilfunksendeanlage; Gesundheitliche Gefährdungen durch elektromagnetische Felder; Entscheidungserhebliche Bedeutung eines Untersuchungsberichtes des Instituts für Geopathologie und Elektrosmog; Verteilung der Verantwortung zwischen Exekutive und Judikative hinsichtlich der Beurteilung komplexer Gefährdungslagen; Antrag auf Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.02.2005
Aktenzeichen
9 LA 360/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 29060
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0204.9LA360.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 2. November 2004

Fundstellen

  • NdsVBl 2005, 271-272
  • ZMR 2005, 83-84 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZfBR 2005, 392 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Anspruch auf Einschreiten gegen eine Mobilfunksendeanlage - Antrag auf Zulassung der Berufung

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 9. Senat -
am 4. Februar 2005
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer - vom 2. November 2004 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe

1

Im Verfahren 9 LA 360/04 begehrt der Kläger als Eigentümer des Grundstücks E. 22 in F., im Parallelverfahren 9 LA 361/04 der weitere Grundstückseigentümer des in der Nachbar-schaft liegenden Grundstücks G. 1 ein bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten gegen eine Mobilfunksendeanlage, die an einem Hochregallager auf dem gewerblich genutzten, ca. 61.000 qm großen Grundstück der Beigeladenen zu 3) angebracht worden ist. Die Mobilfunksendeanlage wird von den Beigeladenen zu 1) und 2) betrieben. Das Grundstück E. 22 ist etwa 75 m, das Grundstück G. 1 etwa 150 m vom Hochregallager entfernt. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegen die beiden Grundstücke der Kläger in einem Wohngebiet, das großflächige Betriebsgrundstück der Beigeladenen zu 3) dagegen in einem davon klar abgegrenzten Gewerbegebiet. Grundlage des Betriebes der Sendeanlage ist u.a. die Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 20. August 2003, wonach in der Hauptstrahlrichtung ein Sicherheitsabstand zwischen 3,89 m (Südost) bis 7,31 m (Südwest) einzuhalten ist. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. Februar 2004 ein Einschreiten gegen die Sendeanlage ab. Die dagegen gerichteten Klagen hat das Verwaltungsgericht mit zwei im Wesentlichen gleichlautenden Urteilen vom 2. November 2004 abgewiesen. Wegen der Begründung der Urteile wird darauf Bezug genommen.

2

Mit ihren dagegen eingelegten Anträgen begehren die beiden Antragsteller die Zulassung der Berufung. Sie stützen ihre Anträge - soweit ersichtlich - allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ihrer Rechtssachen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Zur Begründung der Zulassungsanträge führen sie - erneut - den Untersuchungsbericht des Instituts für Geopathologie und Elektrosmog aus F. vom 27. Juli 2004 an. Grundlage dieses Untersuchungsberichtes ist eine am gleichen Tage im sog. "peak-hold-Verfahren" durchgeführte Hochfrequenzmessung auf dem Grundstück G. 1. Die Messung ergab Werte zwischen 12 bis 192 Mikrowatt pro Quadratmeter (MikroWatt/m²). Der Untersuchungsbericht schließt mit der folgenden Gesamtbewertung der Messergebnisse ab:

"Die gesetzlichen Grenzwerte werden im gesamten Grundstücksbereich innerhalb und außerhalb des Gebäudes eingehalten. Dennoch liegen die Expositionswerte deutlich über den vorangehend erläuterten Richtwerten.

Trotz Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte der 26. Bundesimmissionsschutz-Verordnung können aufgrund der festgestellten Richtwertüberschreitungen in Verbindung mit jahrelangen Beobachtungen in Praxisfällen, Befindlichkeitsstörungen oder Krankheitssymptome nicht ausgeschlossen werden."

3

Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Den Verfahren kommt eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht zu. Die vom Verwaltungsgericht zur Klageabweisung angeführten Entscheidungsgründe decken sich weitgehend nicht nur mit der einschlägigen Rechtsprechung des 1. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, sondern insbesondere mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht zunächst den Beschluss des OVG Lüneburg vom 19.01.2001 (1 O 2761/00 - NdsRpfl 2001, 200 = NSt-N 2001, 157 = NuR 2001, 341 = NdsVBl 2001, 169 = NVwZ 2001, 456 = BRS 64 Nr. 136 = DWW 2002, 128 = BauR 2001, 1250) sowie den Beschluss des BVerfG vom 28.02.2002 (1 BvR 1676/01 - DVBl 2002, 614 = BayVBl 2002, 368 = UPR 2002, 225 = DÖV 2002, 521 = BauR 2002, 1222 = NuR 2002, 674 = NVwZ 2002, 1103 = NJW 2002, 1638 = BRS 65 Nr. 178) angeführt. Ergänzend ist aus jüngerer Zeit auf die Urteile des BGH vom 13.02.2004 (V ZR 217/03 und V ZR 218/03 - NVwZ 2004, 1019 = ZMR 2004, 415 = BauR 2005, 74 = NJW 2004, 1317) sowie auf das Urteil des BVerwG vom 10.12.2003 (9 A 73.02 - DVBl 2004, 633 = UPR 2004, 265) hinzuweisen. Zusammenfassend ist danach festzustellen, dass bei Einhaltung der in der 26. BImSchV angeführten Grenz- bzw. Richtwerte regelmäßig die Annahme gerechtfertigt ist, dass von gesundheitlichen Gefährdungen durch elektromagnetische Felder nicht ausgegangen werden kann. Das BVerfG hat zu dieser tatsächlichen und rechtlichen Einschätzung das Folgende angeführt:

"Bei komplexen Gefährdungslagen, über die noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, kommt dem Verordnungsgeber ein angemessener Erfahrungs- und Anpassungsspielraum zu. In einer solchen Situation der Ungewissheit verlangt die staatliche Schutzpflicht von den Gerichten weder, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts zur Durchsetzung zu verhelfen, noch, die Vorsorgeentscheidung des Verordnungsgebers unter Kontrolle zu halten und die Schutzeignung der Grenzwerte jeweils nach dem aktuellen Stand der Forschung zu beurteilen. Es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um ggf. weiter gehende Schutzmaßnahmen treffen zu können. Eine Verletzung der Nachbesserungspflicht durch den Verordnungsgeber kann gerichtlich erst festgestellt werden, wenn evident ist, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich untragbar geworden ist ...

Eine solche Verteilung der Verantwortung zur Beurteilung komplexer, wissenschaftlich umstrittener Gefährdungslagen zwischen Exekutive und Gerichten trägt auch den nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung (vgl. BVerfGE 61, 114 f. [BVerfG 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80] [= DVBl. 1982, 940]; 84, 34, 50 [= DVBl. 1991, 801]; 91, 1, 15 [ = DVBl. 1997, 42] m.w.N.). Dies zeigt der vorliegend in Rede stehende Forschungsbereich deutlich. Untersuchungen zu den Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf den Menschen finden bereits seit längerem auf internationaler Ebene und fachübergreifend statt, insbesondere auch zu den hier in Rede stehenden Einwirkungen unterhalb der geltenden Grenzwerte. Die Forschungen sind nach wie vor keineswegs abgeschlossen. Vielmehr ist die Zahl neuer Forschungsarbeiten äußerst groß (vgl. BT-Drucks. 14/3911, S. 48 f, zu einer parlamentarischen Anfrage). In dieser Situation kann durch die Betrachtung einzelner wissenschaftlicher Studien kein konsistentes Bild über die Gefährdungslage erlangt werden; eine kompetente Risikobewertung setzt stattdessen die laufende fachübergreifende Sichtung und Bewertung der umfangreichen Forschung voraus (vgl. BT-Drucks. 14/3911, a.a.O.; Weese BWGZ 2001, 781, 782). Diese Aufgabe wird von verschiedenen internationalen und nationalen Fachkommissionen wahrgenommen, u.a. von einer beim Bundesamt für Strahlenschutz gebildeten Arbeitsgruppe von Experten aus den mit dem Forschungsgegenstand befassten Fachrichtungen (vgl. BT-Drucks. 14/3911, a.a.O., und 14/6999, S. 44 f. jeweils auf parlamentarische Anfragen). Es liegt auf der Hand, dass die gerichtliche Beweiserhebung anlässlich eines konkreten Streitfalles die gebotene Gesamteinschätzung des komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht leisten kann. Eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte kann erst erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen lässt, welche anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden können. ..."

4

Angesichts dieser Ausführungen des BVerfG kommt dem Untersuchungsbericht des Instituts für Geopathologie und Elektrosmog vom 27. Juli 2004 nicht die von den Klägern gewünschte entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Dieser Untersuchungsbericht kann lediglich als eine - wenn überhaupt - weitere wissenschaftliche Einzelbeurteilung bewertet werden, die aber nicht die vom BVerfG als geboten angesehene Gesamteinschätzung des komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes leisten kann.

5

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu er-klären, zumal sie sich am Zulassungsverfahren nicht beteiligt haben. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG n.F. Der Senat schließt sich dabei der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht an.

6

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG n.F.).

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.