Verwaltungsgericht Lüneburg
v. 07.01.2004, Az.: 1 A 98/03

Diebstahl eines Mobiltelefons; Handy; Sachschaden eines Beamten; Schadensersatz; Üblichkeit des Mitführens von Sachen

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
07.01.2004
Aktenzeichen
1 A 98/03
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2004, 50468
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 14.02.2005 - AZ: 2 LA 827/04

Tatbestand:

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Die Klägerin erstrebt Sachschadensersatz für ein ihr entwendetes Handy.

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Die in Hamburg wohnende und an der Grund- und Hauptschule C. als Lehrerin tätige Klägerin erteilte am 2. Dezember 2002 ab 11.30 Uhr im Hauswirtschaftstrakt - dort in der Schulküche - Unterricht mit praktischen Übungen. Während dieser Zeit legte sie ihre Schultasche mit verschlossenem Reißverschluss, in der sich ihr abgeschaltetes Handy (Marke „Nokia“) in einem Etui befand, auf dem Boden im Essraum ab, da abschließbare Spinde nicht zur Verfügung standen. Nach dem Unterricht war das Handy entwendet.

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Ihr Antrag auf Gewährung von Sachschadensersatz wurde durch Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2003 abgelehnt, der dagegen gerichtete Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 2. April 2003 als unbegründet zurückgewiesen.

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Zur Begründung ihrer am 8. Mai 2003 erhobenen Klage führt die Klägerin aus, dass ein Handy heute zu jenen Gegenständen gehöre, die üblicherweise zur Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt würden. Es sei auszuschließen, dass sie das Handy aus rein privaten Gründen bzw. nur zufällig mitgenommen habe. Denn sie wohne in D. und habe ihren Dienstsitz an der Grund- und Hauptschule C., so dass sie unvermeidlich durch den Elbtunnel bzw. über die Elbbrücken zu fahren habe, wo es immer wieder zu Verzögerungen kommen könne. Um darüber rechtzeitig die Schule informieren und für eine Vertretung Sorge tragen zu können, habe sie sich ein Handy gekauft, das sie bei den Fahrten von und zur Schule bei sich habe. Nicht nur bei anderen Berufsgruppen, sondern auch bei der der Lehrer mit ihrer Verantwortung für eine Klassengemeinschaft werde heute eine technische Ausstattung erwartet, die organisatorische Regelungen kurzfristig ermögliche. Auch die spezifische Situation im Hauswirtschaftsunterricht der Klassen 8 bis 10 an der Grund- und Hauptschule C., in der sie in „Randstunden“ oftmals nur noch als einzige Lehrerin in der Schule sei, habe sie bewogen, ihr Handy dabei zu haben. Denn gerade in Notfällen sei es angesichts ihrer Aufsichtspflichten nur schwer möglich, Hilfe herbei zu holen, zumal Jugendliche in solchen Situationen häufig unvernünftig bis panikartig reagierten. Das in der Schule vorhandene Telefon sei in Notfällen nur schwer erreichbar und stehe viel zu abgelegen in einem separaten Trakt. Der von der Beklagten angeführte Erlass aus dem Jahre 1999 sei heute keine Grundlage mehr für eine Beurteilung des Handy-Gebrauchs. Was für eine Geldbörse, eine Brille, eine Uhr oder einen Regenschirm gelte, das gelte heute auch für ein Handy.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Sachschadenerstattung in Höhe von 127,31 EUR zu leisten,

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hilfsweise,

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den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin neu zu bescheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist unter Bezug auf die angefochtenen Bescheide der Auffassung, Sachschadensersatz sei ausgeschlossen für Gegenstände, die an Stelle dienstlich zur Verfügung stehender Gegenstände genutzt würden, so wie das hier bei einem Handy an Stelle des Diensttelefons der Fall sei. Im Übrigen sei ein Handy nicht mit einer Geldbörse, Uhr, Brille oder Aktentasche vergleichbar. Was z.B. für einen Fotoapparat gelte, das müsse auch für ein Handy gelten. Es fehle an einem Bezug dieses Gegenstandes zur amtlichen Sphäre. Zudem habe die Klägerin hier grob fahrlässig gehandelt, wenn sie ihr Handy unbeaufsichtigt in ihrer Aktentasche gelassen habe. Schließlich aber wäre im Rahmen des § 96 NBG die Minderung des Gebrauchswertes angemessen zu berücksichtigen, da Handys wegen des rasanten technischen Fortschrittes rasch an Wert verlören.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist mit ihrem Hilfsantrag begründet.

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1. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG kann dem Beamten Ersatz u.a. für solche Gegenstände geleistet werden, die bei Ausübung des Dienstes abhanden gekommen sind und die üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt werden. Die Norm berücksichtigt auch das öffentliche Interesse daran, dass der Beamte durch seinen Dienst bedingte „gefahrgeneigte“ Tätigkeiten nicht aus Sorge vor etwaigen Sach- oder gar Körperschäden soll scheuen müssen (Günther, ZBR 1990, S. 97 Fußn. 8, 9 u. 10 m.w.N.). Dass die Amtsausübung eines Lehrers heute mit vielfältigen Gefahren verbunden ist, hat die Klägerin durch Verweis auf Zeitungsartikel belegt (Bl. 27 und Bl. 28 der GA).

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2. Geschützt sind neben den ausdrücklich im Gesetz genannten Kleidungsstücken auch sonstige Gegenstände, die üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes „mitgeführt“ werden. Dazu gehören etwa Uhr, Füllhalter, Schirm, Aktentasche, Brille, Schmuck, Geld, Literatur und ggf. auch ein sog. „Kulturbeutel mit kosmetischen Artikeln“ (Weimar, RiA 1964, 200/201) - also Gegenstände, die im Dienst nicht unbedingt benötigt werden, die dabei jedoch „üblicherweise“ mitgeführt werden. Es soll sich jedoch andererseits nur um solche Gegenstände handeln, die der Beamte „in der berechtigten Vorstellung legitimer Risikoübertragung in die Sphäre des Dienstherrn einbringt“ (Günther, aaO.). Entscheidend soll das - von persönlichen Eigenheiten gelöste - jeweilige Statusamt und das nach den aktuellen Dienstaufgaben Angemessene sein. Dabei ist nicht engherzig zu werten, weil der tatbestandsmäßig denkbare Ersatz in einem zweiten Schritt - auf der Rechtsfolgeseite - noch einer Ermessensentscheidung unterliegt.

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3. Die Klägerin befindet sich im Statusamt einer Lehrerin, die mit pädagogischen Aufgaben im Hauswirtschaftstrakt der Grund- und Hauptschule C., u.zw. in sog. „Randstunden“, betraut ist. Sie unterrichtet somit hin und wieder als einzige Lehrerin oder doch als solche, mit der zeitgleich nur noch wenige Kolleginnen oder Kollegen unterrichten. Bei Notfällen, die in der Schulküche denkbar sind, kann somit schnell eine schwierige Situation entstehen. Denn in der Küche sind Messer mit einer stehenden Klinge von ca. 20 cm vorhanden. Schon aus diesem Grunde ist es auch aus dienstlichen Gründen nützlich und angemessen, ein Handy bei sich zu haben, um in Not- oder Bedrohungsfällen schnell reagieren und Hilfe - ggf. auch Eltern der Schüler - herbeirufen zu können. Das gilt besonders deshalb, weil die Klägerin die von ihr betreute Schulklasse nicht so ohne weiteres selbst verlassen kann (und darf), um ggf. Hilfe per Schultelefon, das sich in einem anderen Trakt befindet, herbei zu rufen.

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4. Daneben ist es heute so, dass im Hinblick auf die häufig längeren An- und Abfahrten zum Schulstandort mit den dabei möglichen Verkehrsbehinderungen ein Handy durchaus von Nutzen sein kann, um schnell und reibungslos den notwendigen Vertretungsunterricht organisieren zu können. Die Klägerin hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass ihre Fahrten durch den Elbtunnel bzw. über die Elbbrücken sehr leicht durch Staus behindert werden können. Damit ist ein Zusammenhang zwischen dem Dienst der Klägerin und dem Mitführen eines Mobiltelefons aufgezeigt, der nicht einmal Voraussetzung ihres Sachschadensanspruchs ist, da es lediglich auf die „Üblichkeit“ und das „Mitführen“ auch in der Schule im Sinne einer angemessenen Sozialtypik ankommt (Günther, aaO., S. 98). Ein dienstlicher Zusammenhang oder gar eine dienstliche Veranlassung bzw. Kausalität ist nicht geboten. Es entspricht vielmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich die Fürsorgepflicht des Dienstherrn auf Sachen des Beamten erstreckt, die dieser im üblichen Rahmen zum Dienst mitbringt (vgl. zuletzt BVerwGE 94, 163 = NJW 1995, 271 = Buchholz 237.7 § 87 LBG NW Nr. 7 = DÖV 1994, 300 = DVBl 1994, 582). Auf eine Anregung oder Veranlassung seitens des Dienstherrn kommt es damit nach § 96 NBG nicht an. Einer „Genehmigung“ der Mitnahme des Handys durch den Schulleiter (vgl. Bescheid vom 27.1.2003) bedurfte es damit nicht. Das dürfte sich für Schirm, Uhr, Schmuck (z.B. Goldring), Mantel usw. von selbst verstehen und gilt auch für ein Handy. Entscheidend ist das Einbringen in die Sphäre des Dienstherrn aufgrund einer Entscheidung des Beamten, die sich im Rahmen der „Üblichkeit“ zu bewegen hat.

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Solche Üblichkeit ist heute - im Jahre 2004 wie auch im Zeitpunkt des Schadenseintritts - für ein Handy in der Berufsgruppe der Lehrer mit ihren vielgestaltigen, oftmals unvorhersehbaren Dienstaufgaben anzunehmen - zumal bei Anreise aus einer Großstadt wie Hamburg und der Wahrnehmung von Amtsaufgaben in einer Schulküche ohne Telefon. Soweit der angesprochene Erlass vom 10.3.1999 (Bl. 3 der VerwV) das Mitführen eines Handys „beispielsweise“ bei „Schulwanderungen fernab von Ortschaften“ oder aber bei „Aufenthalt in einer abseits gelegenen Skihütte im Rahmen einer Klassenfahrt“ für schadensersatzrechtlich relevant hält, weil die Möglichkeit bestehe, bei „Unfällen oder in Gefahrensituationen Hilfe zu ordern“, ist diese enge Auffassung inzwischen und mit Blick auf die spezifische Situation der Klägerin im vorliegenden Fall (s.o.) überholt. Auch im Hauswirtschaftsunterricht unter Bedingungen, die die Klägerin vorgefunden hatte, und im Hinblick auf die Anreise aus einer Großstadt ist es heute durchaus angemessen und üblich, ein Handy mitzuführen.

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5. Der Auffassung der Beklagten, die Klägerin habe sich im vorliegenden Fall grob fahrlässig verhalten, kann nicht gefolgt werden. Die Klägerin hat in der Situation, in der sie sich befand (Unterricht in der Schulküche, keine abschließbaren Spinde oder Schrankfächer), die verkehrsübliche Sorgfalt angewandt, nämlich ihr abgeschaltetes Handy in ihrer Aktentasche verborgen und verschlossen. Die Aktentasche hatte sie im Essraum und damit „am Ort des Geschehens“ abgelegt, nicht etwa unbeaufsichtigt in einem Nebenraum. Wenngleich die Klägerin während des Unterrichts naturgemäß abgelenkt gewesen sein mag, so hat sie mit dem Ablegen des Handys in der verschlossenen Aktentasche nicht grob fahrlässig gehandelt.

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6. Nach allem konnte die Beklagte dennoch nicht gemäß dem Hauptantrag zur Gewährung eines Sachschadensersatzes in der beantragten Höhe verpflichtet werden. Denn gemäß 3.3 der Verwaltungsvorschriften zu § 96 NBG ist die Minderung des Gebrauchswertes in angemessenem Umfange zu berücksichtigen, so dass eine volle Erstattung des Kaufpreises nicht in Betracht kommt. Zwar behält auch ein älteres Handy noch dem Grunde nach seinen Gebrauchswert; es hat aber durch die Abnutzung - u.a. auch des aufladbaren Akkumulators - eine gewisse Wertminderung erfahren, der hier Rechnung zu tragen ist. Entsprechend den zivilrechtlichen Prinzipien des Schadensersatzes kann ein Abzug Neu für Alt vorgenommen werden (Günther, aaO., S. 102).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.