Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.04.2015, Az.: 2 NB 78/15
Kapazitätsunterlagen; Rechtsmittelbelehrung; Vorlagepflicht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.04.2015
- Aktenzeichen
- 2 NB 78/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45014
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.01.2015 - AZ: 12 C 3105/14
Rechtsgrundlagen
- § 146 Abs 4 S 1 VwGO
- § 58 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zur Reichweite der Vorlagepflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Numerus clausus-Verfahren (Anschluss an Senatsbeschl. v. 29. April 2014 - 2 NB 133/14 -).
2. Der Senat geht grundsätzlich davon aus, dass behördliche Tatsachenmitteilungen korrekt sind, soweit keine Anhaltspunkte dafür hervortreten, dass die Hochschule unrichtige Angaben gemacht hat. Einer zusätzlichen Glaubhaftmachung der Richtigkeit von inhaltlich an sich ausreichenden Kapazitätsunterlagen (hier z.B.: Angaben über die Finanzierung aus Haushaltsmitteln, Hochschulpaktmitteln oder Studienbeiträgen) bedarf es deshalb nicht ohne Weiteres.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 12. Kammer - vom 23. Januar 2015 geändert.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig im Studiengang Sonderpädagogik (Zwei-Fächer-Bachelor) zum Wintersemester 2014/2015 für das erste Fachsemester zuzulassen, weil die vorhandene Kapazität (festgesetzt auf 77 Studienplätze) trotz zulässiger Überbuchung um 5,75 Vollzeitäquivalente mit insgesamt 119 Zulassungen (82,75 Vollzeitäquivalenten) nach summarischer Prüfung nicht ausgeschöpft sei. Dagegen richtet sich die fristgemäß eingelegte und begründete Beschwerde der Antragsgegnerin.
Diese hat bereits auf der Grundlage des bisherigen Beschwerdevorbringens Erfolg. Der Senat braucht deshalb weiteres Vorbringen der Antragsgegnerin nicht mehr abzuwarten, das innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO noch angebracht werden könnte. Letzteres ergibt sich daraus, dass die erteilte Rechtsmittelbelehrung unrichtig ist, weil sie die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht anspricht. Zum notwendigen Inhalt einer Rechtsmittelbelehrung gehört bei zweistufig aufgebauten Rechtsmitteln auch der Hinweis auf die Begründungsfrist (vgl. BVerwG, Großer Senat, Beschl. v. 5.7.1957 - 1.57 -, BVerwGE 5, 178 = NJW 1957, 1571; Urt. v. 30.4.2009 - 3 C 23.08 -, BVerwGE 134, 41 = NJW 2009, 2322; Beschl. v. 24.10.2012 - 1 B 23.12 -, NVwZ-RR 2013, 128; Beschl. v. 7.11.2014 - 2 B 45.14 -, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.5.2014 - 5 ME 58/14 -, juris; OVG Münster, Beschl. v. 30.1.2012 - 13 B 1396/11 -, juris; Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 58 Rdnrn. 55 und 63).
Der Senat geht nach der Gesamtheit der nunmehr vorliegenden Unterlagen davon aus, dass freie Kapazitäten bei der Antragsgegnerin nicht mehr vorhanden sind.
1. Weiterer Glaubhaftmachungen bedarf es nicht. Weder gibt das prozessuale Verhalten der Antragsgegnerin Anlass zu Zweifeln an der Korrektheit dieser Unterlagen noch sind diese widersprüchlich oder lückenhaft.
Zunächst kann aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin die Kapazität mit und ohne Hochschulpaktmaßnahmen berechnet hat, weder ein Mangel der Kapazitätsberechnung noch Inkonsequenz gefolgert werden. Die Antragsgegnerin ist damit einer Aufforderung des Ministeriums gefolgt; damit ist nichts darüber gesagt, worauf rechtlich maßgeblich abzustellen ist.
In welchem - gestuften - Umfang die Hochschulen in Bezug auf die Kapazitätsberechnung vorlagepflichtig sind, hat der Senat bereits mit Beschluss vom 29. April 2014 (- 2 NB 133/14 -, juris) dargelegt. Im Ergebnis können sie sich auf ein standardisiertes Rechenwerk mit knappen Zusatzangaben (hier: WinKap-Ausdruck) beschränken, soweit nicht seitens der Antragstellerseite oder des Gerichts - das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon im Eilverfahren in weitem Umfang eigene Sachaufklärung betreiben darf und ggfs. muss - konkrete Nachfragen gestellt werden. Je substantiierter einzelne Ansätze in Frage gestellt werden, desto mehr sind die Hochschulen zu einer Ergänzung der vorgelegten Unterlagen und zur Erläuterung ihrer Rechenschritte verpflichtet. Sie sind allerdings nicht gehalten, auf eine rein pauschale Aufforderung zur Konkretisierung ihrer Berechnung zu reagieren, sondern zwischen Maß der Konkretisierung gerichtlicher Nachfragen und Rügen der Antragstellerseite einerseits und dem gebotenen Maß an „Anreicherung“ des Rechenwerks mit Unterlagen und Belegen andererseits bestehen unmittelbare Wechselwirkungen. Infolgedessen handelt die Hochschule auf eigenes Risiko, wenn sie auf konkrete Nachfragen nicht umfassend antwortet. Andererseits ist auch unschädlich, wenn sie nicht jede Einzelfrage gesondert beantwortet, ihre Auskünfte in ihrer Gesamtheit aber das Nachvollziehen der Kapazitätsberechnung hinreichend ermöglichen.
Mit seiner Aufklärungsverfügung vom 17. Dezember 2014 hat das Verwaltungsgericht in diesem Sinne zu Recht eine Ergänzung der bis dahin vorgelegten Unterlagen verlangt und diese auch erhalten. Nur teilweise ist die Antragsgegnerin allerdings der Auflage gefolgt, bestimmte Umstände zu erläutern, zu belegen und zu begründen. Offenbar ist sie insoweit auch davon ausgegangen, dass die von ihr vorgelegten Unterlagen im Wesentlichen selbsterklärend seien.
Soweit das Verwaltungsgericht seinen Beschluss der Sache nach darauf gestützt hat, dass die Antragsgegnerin seinem Aufklärungsbeschluss nur unzureichend nachgekommen sei, hat die Antragsgegnerin nunmehr mit der Beschwerdebegründung erneut nachgebessert und zumindest teilweise Erläuterungen gegeben und Unterlagen eingereicht, die so wohl auch vom Verwaltungsgericht akzeptiert worden wären. Dieses Vorbringen ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht als verspätet zurückzuweisen, sondern vertieft in zulässiger Weise den bereits erstinstanzlich eingenommenen Standpunkt der Antragsgegnerin. Das gilt vor allem insoweit, als das Verwaltungsgericht aus dem ihm vorgelegten Material teilweise unbegründete Schlussfolgerungen gezogen hat. Im Übrigen ist neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren ohnehin nicht generell ausgeschlossen (vgl. Senatsbeschl. v. 30.11.2004 - 2 NB 430/03 -, NVwZ-RR 2005, 409; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.1.2007 - OVG 5 NC 136.06 -, juris; OVG Saarlouis, Beschl. v. 24.7.2014 - 1 B 32/14.NC -, juris; OVG Bautzen, Beschl. v. 29.1.2015 - 3 B 100/14 -, juris); hier war es im Hinblick auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung auch nicht auf eine Geltendmachung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO beschränkt.
Im Übrigen stellt der Senat jedoch auch teilweise geringere Anforderungen, jedenfalls was die Glaubhaftmachung durch Belege und Erläuterungen anbetrifft. Grundsätzlich geht er davon aus, dass behördliche Tatsachenmitteilungen korrekt sind. Zwar mag auch für Behörden die Versuchung bestehen, ihre Position durch sorgfältige Auswahl der mitgeteilten Fakten in einem günstigen Licht dastehen zu lassen. Bewusste Fehlinformationen gehören aber nach den Erfahrungen des Senats nicht zum normalen prozessualen Vorgehen der Behörden. Auch der Grundsatz der Waffengleichheit verlangt nicht, dass die Hochschulen ihre Äußerungen mit „dienstlichen Erklärungen“ o.ä. versehen, auch wenn im Bewerbungsverfahren von Studienwilligen eidesstattliche Versicherungen gefordert werden. Letzteres dient der rationellen Abwicklung von Massenverfahren und soll vor allem verhindern, dass die Anträge konkurrierender Studienwilliger nicht zu Unrecht zugunsten solcher Anträge zurückgestellt werden, für die es an Studienvoraussetzungen fehlt. Eine vergleichbare Situation besteht im individuellen Zulassungsstreit nicht.
Infolgedessen sind etwa organisatorische Entscheidungen (Gremienbeschlüsse, Mittelzuweisungen o.ä.) als solche regelmäßig nur insoweit vorzulegen, als sie im Kapazitätsprozess selbst einer inhaltlichen Kontrolle unterliegen, etwa in Bezug auf eine dabei zu treffende Abwägung (z.B. bei Stellenabbau oder Deputatsreduzierung). Der Senat sieht demgegenüber keinen Anlass, z.B. Angaben der Hochschule über die Finanzierungsart einzelner Stellen oder Veranstaltungen (Haushaltsmittel, Hochschulpaktmittel o.ä.) gesondert belegen zu lassen, solange keine Anhaltspunkte dafür hervorgetreten sind, dass die Hochschule insoweit unrichtige Angaben gemacht hat. Soweit - wie hier - ein Stellenplan vorliegt, bedarf es auch keiner Vorlage der Beschlüsse der Hochschulgremien, aus denen sich die der Lehreinheit zugewiesenen Stellen ableiten lassen.
2. Eine Erhöhung des unbereinigten Lehrangebots in Bezug auf die Professoren um mindestens 27,5 LVS ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht veranlasst. An dem fraglichen Institut sind sieben Professoren - einer mehr als nach dem Strukturplan der Fakultät - und ein Privatdozent tätig. Eine Professorenstelle wird aus Mitteln des Hochschulpaktes 2020 finanziert. Soweit das Verwaltungsgericht Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Stellennummer 451 angenommen hat, teilt der Senat seine Bedenken nicht. Wie die Antragsgegnerin nunmehr nochmals näher erläutert hat, ist diese Stelle durch Prof. Dr. Ortmann besetzt und wird insoweit auch für die Kapazitätsberechnung berücksichtigt. Die Juniorprofessorin Dr. Gebhard soll diese Stelle erst perspektivisch erhalten („spätere Möglichkeit zur Verstetigung nach W2 durch Stellennummer 451“), besetzt sie aber jetzt noch nicht. Ein Widerspruch zum Strukturplan liegt mithin nicht vor.
Der LVS-Ansatzpunkt ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu erhöhen, dass sich die angesetzten vier (8 x 0,5) LfbA-Stellen (Lehrkräfte für besondere Aufgaben) und drei (6 x 0,5) FwN-Stellen (Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses) nicht unmittelbar zu den vorgelegten Arbeitsverträgen in Beziehung setzen ließen. Diese Stellen ergeben sich zahlenmäßig aus dem zum Strukturplan gehörenden Stellenplan, nicht aber aus der Addition der vorgelegten Arbeitsverträge. Letzteres ist jedoch unschädlich, weil - wie die Antragsgegnerin unter Beifügung einer neuen Anlage A 12 nunmehr erläutert hat - eine Mitarbeiterin heiratsbedingt den Namen gewechselt hat und deshalb vom Verwaltungsgericht versehentlich doppelt gezählt worden ist und zwei weitere Mitarbeiterinnen als Urlaubsvertreterinnen eingesetzt waren, die Arbeitskraft von Vertretenen und Vertretern aber nicht addiert werden dürften. Dagegen ist nichts zu erinnern.
Auch soweit das Verwaltungsgericht den Umfang der für Frau Rogge anzusetzenden Stellenanteile von 0,5 auf 0,75 erhöht hat, ist eine derartige Korrektur im Ergebnis nicht gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren zusätzlich eine „Bestätigung zur Finanzierung der Arbeitsverträge der Lehreinheit Sonderpädagogik am 01.02.2014“ des Vizepräsidenten für Verwaltung und Finanzen vom 24. Februar 2015 mit tabellarischer Aufstellung über die Beschäftigungsverhältnisse einschließlich der Finanzierung vorgelegt, worin Frau Rogge an zwei Stellen in der Mitarbeiterkategorie LfBA geführt wird, einmal zu 50 % finanziert aus Haushaltsmitteln mit 6 LVS, und ein weiteres Mal zu 25 % aus Mitteln des Hochschulpaktes mit 3 LVS, insoweit mit der Bemerkung „Qualifizierungsvertrag“. Einer weiteren Glaubhaftmachung für die Teilfinanzierung aus Mitteln des Hochschulpaktes bedarf es nicht, weil es an Anhaltspunkten dafür fehlt, dass die Antragsgegnerin Finanzierungsmodalitäten - im Allgemeinen oder im Besonderen - unkorrekt darstellt. Infolgedessen sind an den Nachweis dieser Finanzierungsmodalitäten keine besonderen Anforderungen zu stellen. Auch für eine vom Verwaltungsgericht angenommene Doppelzählung ist nichts ersichtlich. Danach verbleibt es bei der von der Antragsgegnerin angesetzten Anzahl von LVS.
Soweit das Verwaltungsgericht zusätzliche SWS für Lehraufträge angerechnet hat, beruht dies ebenfalls darauf, dass es in den bis dahin vorgelegten Unterlagen keine hinreichende Glaubhaftmachung für eine Finanzierung aus Studienbeiträgen und Hochschulpaktmitteln oder für den Charakter als ergänzendes Lehrangebot, Zusatzangebot oder Titellehre erblickt hat. Damit stellt es jedenfalls für den Fall überhöhte Plausibilisierungsanforderungen, dass die in der Rubrik „Art des Lehrauftrags“ erfolgte Zuordnung nicht - von der Antragstellerseite oder vom Gericht selbst - konkret in Zweifel gezogen worden ist. Die dort vorgenommene Kategorisierung u.a. nach „Lehrangebot aus Studienbeiträgen“ bzw. „Lehrangebot aus Hochschulpaktmitteln“ oder „ergänzendes Lehrangebot“ kann nicht generell als „unspezifisch“ und mangels weiterer Unterlagen nicht glaubhaft charakterisiert werden. Eine derartige tabellarische Auflistung erfüllt den Zweck einer Kapazitätsberechnung vielmehr im Grundsatz ohne Weiteres. Erst wenn die Zuordnung von Veranstaltungen zu diesen Kategorien substantiiert in Zweifel gezogen wird, besteht ggfs. Anlass, den Lehrauftrag und seine Finanzierung detailliert zu beschreiben und entsprechende Belege nachzureichen. Solche Zweifel sind hier jedoch nicht hervorgetreten.
Im Übrigen hat die Antragsgegnerin die Aufstellung in ihrer Kapazitätsberechnung auf die Aufklärungsverfügung des Verwaltungsgerichts durch die Anlage A 8 ergänzt, nämlich eine Bestätigung des Dekans, dass die in einer weiteren tabellarischen Aufstellung aufgeführten Lehraufträge aus Mitteln des Hochschulpakts, aus dem Qualitätspakt Lehre (3. Säule Hochschulpakt) oder aus Studienbeitragsmitteln finanziert seien. Das sieht der Senat als ausreichend an.
Das Verwaltungsgericht hat eine Reihe von weiteren Zweifeln angesprochen, die aus seiner Sicht das Ergebnis jedoch nicht mehr entscheidungserheblich beeinflussten. Weder lässt sich jedoch aus den aufgeführten Erwägungen unmittelbar die Ergebnisunrichtigkeit der Kapazitätsberechnung ableiten, noch hat sich die Antragstellerin ihrerseits kompensatorisch darauf gestützt, so dass ihnen auch der Senat nicht weiter nachgeht.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).