Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.04.2015, Az.: 1 LB 63/14

Grenzabstand; hervortretendes Gebäudeteil; Vorbau

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.04.2015
Aktenzeichen
1 LB 63/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45016
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.04.2013 - AZ: 2 A 55/11

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Frage, wann Vorbauten / hervortretende Gebäudeteile die abstandsrechtliche Privilegierung gem. § 7b NBauO a.F./ § 5 Abs.3 Nr.2 NBau 2012 in Anspruch nehmen können.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 9. April 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Gebäudes auf dem Grundstück G. Straße 80a in H., das dem von ihm bewohnten Grundstück G. Straße 82 unmittelbar südlich benachbart ist. Der Kläger moniert unter anderem, dass das Gebäude mit der seinem Grundstück zugewandten Front den notwendigen Grenzabstand von mindestens 3 m in Teilen nicht einhält.

Der Beigeladene stellte im März 2009 einen Bauantrag für ein Gewerbegebäude mit Betriebswohnung in den Abmessungen von 10,89 m x 14,24 m. Das Gebäude ist auf dem von Nordwest nach Südost sich erstreckenden Grundstück in Längsrichtung, also mit seiner Schmalseite zur Straße, platziert. An der nach Südost gerichteten Schmalseite befindet sich ein Vorbau mit einem innenliegenden Balkon im Obergeschoss und einem Satteldach, das in der Art einer Gaube in das Dach des (Haupt-)Gebäudes übergeht. An der zur Straße ausgerichteten Westfassade des Gebäudes befindet sich im Obergeschoss ein Balkon mit den Ausmaßen 1,50 x 7 m. An der nach Nordost - zum Grundstück des Klägers - weisenden Längsseite des Gebäudes mit einer Länge von 14,24 m befinden sich zwei turmartige Vorbauten mit einer Breite von jeweils 4,25 m und einer vor die Außenwand halbkreisförmig hervortretenden Tiefe von bis zu 2,25 m. Zwischen beiden Vorbauten verbleiben 3 m, die im Obergeschoss ein Balkon einnimmt, der ebenfalls halbkreisförmig vorspringt mit einer Tiefe von bis zu 2,25 m. Beide Vorbauten haben jeweils ein 45° geneigtes Dach in der Art einer „Turmhaube“, dessen höchster Punkt über der Linie der Außenwand des (Haupt-)Gebäudes liegt und von dort in einen First übergeht, der mit einer Länge von etwa 4 m nach Art einer Gaube auf das flach geneigte Walmdach des (Haupt-)Gebäudes zuläuft und in dieses übergeht. Im Erdgeschoss liegt zwischen den beiden Vorbauten mit einer Breite von 3 m der Eingangsbereich. Der östliche Vorbau schließt im Erdgeschoss an den mit „Büro 2/Teeküche“ und im Obergeschoss an den mit „Küche“ bezeichneten Raum an, jeweils mit einer Öffnung von 3,30 m Breite zum angrenzenden Raum. Die jeweilige Grundfläche des halbrunden Vorbaus wird mit 4,60 m² angegeben (Bl. 12 BA A). Im nördlichen der beiden Vorbauten befindet sich das Treppenhaus. Beide Vorbauten weisen jeweils drei Fenster auf. Der östliche der beiden halbrunden Vorbauten an der Nordostseite des Gebäudes ragt nach den genehmigten Zeichnungen mit 41 cm in den Bauwich zum nordöstlich angrenzenden Grundstück des Klägers.

Unter dem 4. Juni 2009 erteilte die Beklagte die Baugenehmigung für das Gebäude, das laut Baubeschreibung ein Gewerbeobjekt aufnehmen sollte mit Büroräumen im Erdgeschoss für den Garten- und Landschaftsbaubetrieb des Beigeladenen und im Obergeschoss der Betriebsleiterwohnung. Der zum Zeitpunkt des Bauantrags vorliegende Bebauungsplanentwurf sah die Festsetzung eines Gewerbegebietes vor. Mit Nachtragsantrag vom 10. September 2009 beantragte der Beigeladene die Genehmigung der Änderung des Baukörpers. Statt eines eingeschossigen Baukörpers mit einem Satteldach sah er nunmehr ein flach geneigtes Walmdach und eine zweigeschossige Ausführung mit „geradem Obergeschoss“ vor. Im Übrigen blieben die Abmessungen unverändert. Unter dem 29. Oktober 2009 erteilte die Beklagte die Nachtragsgenehmigung.

Den unter dem 2. Februar 2010 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2010 zurück. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage, mit der er die Aufhebung der Baugenehmigung und die Verpflichtung der Beklagten zum Einschreiten begehrte.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und das Verfahren eingestellt, soweit der Kläger seinen Antrag auf Einschreiten zurückgenommen hatte. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, das Vorhaben des Beigeladenen, das unstreitig den Mindestabstand zum Grundstück des Klägers teilweise nicht einhalte, sei in diesen Ausmaßen nicht genehmigungsfähig. Weder § 7b NBauO 2003 noch § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO n. F. seien anwendbar. Der Vorbau sei nicht als Erker im Sinne eines untergeordneten Gebäudeteils einzuschätzen, denn sowohl aufgrund der Größe als auch der Nutzung entstehe der Eindruck, dass das Gebäude mit einem Teil seiner Außenwand in den Bauwich hineinrage. Es komme nicht darauf an, dass die Fläche innerhalb des Bauwichs weniger als 1 m² betrage und deshalb im Verhältnis zur Größe der Gesamtfläche des Baus zu vernachlässigen sei. Dies könne nicht aus § 7b NBauO 2003 geschlossen werden. Nach § 5 Abs. 3 NBauO n. F. dürfe ein solcher Vorbau nur ein Drittel der Außenwand in Anspruch nehmen, das sei hier in hohem Maße überschritten. Wie auch schon der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden habe, müsse es sich um einen Gebäudeteil handeln, der vor eine Außenwand vortrete und nicht um einen Teil der Außenwand selbst, damit die Privilegierung, die sich nach den entsprechenden Vorschriften ergebe, eingreifen könne.

Zur Begründung ihrer mit Beschluss vom 14. April 2014 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor: Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei deshalb fehlerhaft, weil für die Betrachtung, ob die Vorschriften des § 7b beziehungsweise § 5 Abs. 3 NBauO eingriffen, nur der Teil betrachtet werden dürfe, der in den Bauwich rage. Damit dürfe hier nur der östliche der beiden runden Vorbauten herangezogen werden zur Beantwortung der Frage, ob es sich um einen untergeordneten Gebäudeteil beziehungsweise um einen weniger als ein Drittel der Außenwand einnehmenden Vorbau handele. Zudem müsse im Hinblick auf die Urteile des Senats vom 31. Mai 1995 beziehungsweise 22. Juli 2012 auf die Nutzung des in den Bauwich hineinragenden Gebäudeteils abgestellt werden. Danach handele es sich hier nur um die Mauer, so dass keinerlei wohnähnliche Nutzung innerhalb des freizuhaltenden Abstands anfalle. Soweit sich das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs beziehe, sei dies schon deshalb nicht richtig, weil die dortige Vorschrift nicht mit § 5 Abs. 3 NBauO n. F. vergleichbar sei. Darüber hinaus sei zu beachten, dass die Formulierung „insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite …“ sich auf die Teile beziehe, für die die Privilegierung in Anspruch genommen werden solle, nicht jedoch auf sämtliche vor die Außenwand hervortretende Bauteile.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 9. April 2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er darauf, dass § 5 Abs. 3 NBauO 2012 damit begründet werde, dass der in dem alten § 7b NBauO verwendete Begriff der untergeordneten Gebäudeteile aufgegeben werde im Hinblick auf die entstandenen Auslegungsschwierigkeiten und deshalb nunmehr durch bestimmte zusätzliche Maßnahmen ersetzt werde. Das zeige, dass der streitgegenständliche Vorbau auch nach der neuen Vorschrift nicht genehmigungsfähig sei.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert und stellt keinen Antrag.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 4. Juni 2009 und die Nachtragsgenehmigung vom 10. September 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2010 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Das Gebäude unterschreitet den gegenüber dem Grundstück des Klägers einzuhaltenden Grenzabstand, denn es hält mit dem östlichen der beiden turmartigen Vorbauten an der Gebäudelängsseite gegenüber der Grenze zum Grundstück des Klägers nur einen Abstand von 2,59 m statt der notwendigen 3 m ein (§ 7 NBauO a. F., § 5 Abs. 2 NBauO 2012). Für die Genehmigung des Gebäudes des Beigeladenen in dieser Form kann  weder auf § 7b NBauO 2003 noch auf § 5 Abs. 3 NBauO 2012 zurückgegriffen werden.

Nach § 7b NBauO a. F., der auf das Vorhaben des Beigeladenen gemäß § 86 NBauO anwendbar ist, dürfen bestimmte dort teilweise beispielhaft, teilweise abstrakt beschriebene Vorhaben den Bauwich um maximal ein Drittel unterschreiten. § 7b NBauO a. F. stellte zur Definition des damit abstandsrechtlich privilegierten Vorhabens auf das Merkmal „untergeordnet“ ab, das heißt den (Mindest-)Abstand unterschreiten durften  nur „untergeordnete“ Gebäudeteile.

Zu § 7b NBauO 2003 hat sich der Senat im Beschluss vom 19. November 1999 (1 L 2987/99, BauR 2000, 372 = BRS 62 Nr. 140) grundlegend geäußert. Ein Gebäudeteil ist danach dann untergeordnet, wenn es nach seinem Umfang, seiner Größe, im Verhältnis zum gesamten Bauwerk und in seiner Funktion nicht nennenswert ins Gewicht fällt. Die Gebäudeteile dürfen den Umfang des Gebäudes nicht wesentlich größer erscheinen lassen, und in funktionaler Hinsicht muss sich der fragliche Gebäudeteil der ihm im Rahmen der Baugestaltung zukommenden Aufgabe unterordnen. In dem damals entschiedenen Fall handelte es sich um Stahlträger einer Dachkonstruktion, die mit einer Länge von 1,30 m aus der Dachhaut hervortraten bei einer Höhe des Gebäudes von 6,20 m und einer Frontlänge von 18,50 m und einen Umfang von 0,21 m hatten. Daher kam der Senat zu dem Ergebnis, dass sich diese hervorkragenden Teile von der Baumasse her als unbedeutend darstellten im Hinblick auf den Umfang der Fläche, vor die sie vortraten. Hinzu kam, dass die Funktion ebenfalls untergeordnet war. Im Urteil vom 19. Juni 2012 (1 LB 169/11; vgl. auch Beschl. v. 31.5.1995 - 1 M 1920/95 -, NdsRpfl. 95, 257) hat der Senat zusätzlich darauf abgestellt, dass mit diesem Gebäudeteil nicht  eine Wohnflächenvergrößerung einhergehen darf, wenn es sich - noch - um einen untergeordneten Gebäudeteil handeln soll. Ebenso wird in der Kommentierung (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. § 7b Rdn. 16 bis 21) darauf abgestellt, dass nicht eine Wohnflächenvergrößerung erreicht wird,  sondern  allenfalls  eine Erweiterung des Blickfelds durch einen Erker, und die sichtbare Fassade nicht in den Hintergrund tritt gegenüber dem vorkragenden Gebäudeteil, sondern die Gliederung der Außenwand erreicht wird. Auch dürfen danach nicht Treppenhäuser in derartigen Vorbauten untergebracht werden (Ebenso: Barth/Mühler Abstandsvorschriften, 3. Aufl., § 7b Rdn. 14 ff., 17 und 20).

Gemessen an diesen Vorgaben kann hier nicht von einem Gebäudeteil ausgegangen werden, für den § 7b NBauO 2003 Anwendung finden könnte. Das Gebäude des Beigeladenen hat in seiner Nordostfassade eine Länge von 14,24 m. Vor diese Wand treten die beiden runden Vorbauten - diese sind nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut insgesamt und nicht bloß hinsichtlich des in das Bauwich hineinragenden Teils zu betrachten - um jeweils 2,50 m vor mit Außenmaßen in der Breite von 4,25 m. Die zwischen diesen beiden Vorbauten verbleibende Wandfläche hat eine Breite von ca. 3,00 m, die im Obergeschoss mit einem Balkon gefüllt ist und im Erdgeschoss den Eingang aufnimmt. Der Balkon weist bei gleicher Tiefe wie die beiden Vorbauten eine ebenfalls gerundete Außenkante auf. Von der „geraden Gebäudewand“ verbleiben an den beiden Außenkanten jeweils etwa 1,30 m.

Bereits an dem Verhältnis dieser Maße zeigt sich, dass der „Rest“ der sichtbaren Außenwand nicht mehr ins Gewicht fällt gegenüber den runden Vorbauten. Dazu kommt, dass beide Vorbauten nicht nur über beide Geschosse verlaufen, sondern auch einen eigenen Dachaufbau besitzen, der zur Front in der Art einer spitzgiebligen Turmhaube vor das flach geneigte Dach des Hauptgebäudes tritt und etwa 0,50 m unterhalb von dessen Firstlinie endet.

Damit stellt sich die nordöstliche Fassade des Gebäudes dar als aus zwei Türmen bestehend, die im Erdgeschoss den Eingang umschließen, dessen „Dach“ wiederum von dem darüber liegenden gerundeten Balkon gebildet wird. Eine Fassade im Sinne einer geraden Wand verbleibt deshalb optisch nicht.

Weiterhin kann die Nutzung der hinter den runden Vorbauten entstehenden Fläche nicht unberücksichtigt bleiben. Im nördlichen Teil der beiden Vorbauten ist das Treppenhaus untergebracht und im östlichen Teil ein Teil der Küche im Obergeschoss. Deren Beleuchtung wird allein durch diesen Vorbau vorgenommen. Im Erdgeschoss ist die Fläche mit „Büro 2/Teeküche“ bezeichnet bei einer Fläche von insgesamt 24,39 m². Die Rundung öffnet sich im östlichen Teil zu den Räumen, die sie erweitert, jeweils in beiden Geschossen mit 3,30 m auf einer Länge des Raums von insgesamt 4,64 m, das heißt, der Raum, dem sie angeschlossen ist, geht bis auf einen Versprung von 1,34 m vollständig in die Rundung über und verschmilzt dadurch mit ihr. Im Wesentlichen bildet die Fläche der Rundung damit eine Einheit mit diesem Raum. Eine Vergleichbarkeit mit einem Erker, der „nur“ der Erweiterung des Blickfelds und der Beleuchtung des Raums dient, ist damit nicht mehr gegeben.

Der nördliche Teil der Rundung dient im Erdgeschoss allein als Treppenraum. Im Obergeschoss erweitert sich die Rundung ebenfalls auf 3,30 m in einen als Treppenhaus bezeichneten Raum von 1,07 m Tiefe und 4,64 m Breite, dessen Fläche insgesamt entsprechend mit 7,49 m² angegeben ist. Auch hier ist damit eine Trennung von der Fläche des Hauses insgesamt und einer vorgelagerten Erweiterung durch einen erkerähnlichen Anbau nicht mehr erkennbar.

Die Baugenehmigung wäre aber auch nicht erneut - nunmehr unter Anwendung der NBauO 2012 - zu erteilen, denn das Vorhaben entspricht in dieser Form auch nicht § 5 Abs. 3 Nr.2 NBauO n. F. Zwar enthält § 5 Abs. 3, der § 7b NBauO a. F. ersetzt hat, nicht mehr das Merkmal der „Unterordnung“. Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO 2012 verlangt aber nunmehr, dass der Vorbau/der hervortretende Gebäudeteil nicht mehr als ein Drittel der Fassade in Anspruch nimmt. Bezogen auf beide Vorbauten ist diese Voraussetzung zweifelsfrei nicht erfüllt. Eine Anwendung der Vorschrift könnte danach allenfalls dann in Betracht kommen, wenn nur auf die östliche Rundung abzustellen wäre, weil nur diese den notwendigen Grenzabstand von 3 m unterschreitet.

Dem steht bereits der Wortlaut der Vorschrift entgegen, denn die Formulierung „der Abstand … darf unterschritten werden … von sonstigen Vorbauten und anderen vortretenden Gebäudeteilen, wenn die Gebäudeteile insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der jeweiligen Außenwand in Anspruch nehmen …“, bezieht sich  auf die Art der in Nr. 2 aufgezählten „Gebäudeteile“ schlechthin. Ohne nach deren tatsächlichem Abstand zur Grenze zu differenzieren, wird allein auf das Verhältnis Vorbau/hervortretender Gebäudeteil zur Außenwand abgestellt, um den Anwendungsbereich der Vorschrift zu beschreiben.

So hebt auch die Gesetzesbegründung hervor, dass nunmehr das Merkmal „der Unterordnung“ durch die Maßangabe ersetzt sei, und durch diese Maßangabe jegliche Unsicherheit bei der Bestimmung der Unterordnung, die sich zuvor in der Praxis ergeben hatte, entfalle (LT-Drucks. 16/3195, S. 72; Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl., § 5 Rdn. 107, 110 und 120; anders wohl Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 4. Aufl., § 5 Rdn. 51). Auch in Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte zu vergleichbaren Vorschriften wie § 5 Abs. 3 NBauO wird darauf abgestellt, dass sich ein „Vorbau“ der Fassade des Hauptgebäudes unterordnet und die Dominanz der Außenwand gewahrt bleibt (OVG Münster, Beschl. v. 10.9.2014 - 2 B 918/14 -; Urt. v. 19.7.2010 - 7 A 3199/08 -, BRS 76 Nr. 181; Beschl. v. 17.2.2009 - 10 A 3416/07 -, Juris; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.7.2014 - 8 S 827/14 -, ZfBR 2014, 783; OVG Greifswald, Urt. v. 4.12.2013 - 3 L 143/10 -, Juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 14.6.2013 - 2 BS 126/13 -, NordÖR 2013, 478; Hess. VGH, Beschl. v. 14.6.2010 - 4 A 879/10.Z -, BRS 76, 122).

Eine Interpretation der Vorschrift dahin, bei mehreren Vorbauten/hervortretenden Gebäudeteilen danach zu differenzieren, welcher Vorbau welchen Abstand einhält, verbietet sich, wenn § 5 Abs. 3 ebenso wie vormals § 7b NBauO eine Definition des „Vorbaus“ / „vortretenden Gebäudeteils“ gibt. Kommt es - nach dieser Definition - darauf an, dass ein Vorbau/hervortretender Gebäudeteil nur ein Drittel der Wand, vor die er tritt, überdeckt, wenn er „noch“ ein Vorbau sein soll, muss eine unveränderte - gerade-  „Restwand“ von mindestens zwei Dritteln ihrer Gesamtlänge „überbleiben“. Anderenfalls kann es sich nicht mehr um eine Wand mit einen Vorbau handeln, sondern um eine Wand, die aus verschiedenen Versprüngen besteht, die die besondere architektonische Form des Baukörpers selbst ausmachen. So ist die nordöstliche Fassade des Gebäudes des Beigeladenen einzustufen. Hier beträgt das „gerade Reststück“ der nordöstlichen Fassade insgesamt nur 5,64 m im Verhältnis zu den 4,25 m, die bereits einer der beiden „Türme“ einnimmt. Daraus ergibt sich, dass auch nur einer der beiden „Türme“ bereits nicht Vorbau im Sinne dieser aus dem Verhältnis „ein Drittel Vorbau zu zwei Dritteln gerade Restwand“ abgeleiteten Definition des Vorbaus sein kann. Zudem befindet   sich zwischen den beiden „Türmen“ im Obergeschoss noch ein Balkon, der ebenfalls eine Rundung wie beide Türme aufweist und wie beide Türme um bis zu 2,25 m vor die „Fassade“ vortritt. Damit erhöht sich der Eindruck einer aus drei Rundungen bestehenden Fassade, die im Gegensatz zur „herkömmlichen“ geraden Fassade hier eine besondere architektonische Gestaltung aufweist. Als „gerade Fassade“ verbleiben optisch für das Obergeschoss nur die beiden westlich und östlich der Türme an den Hausecken liegenden Fassadenteile von jeweils 1,34 m.

Ist für die Frage der Anwendbarkeit der Vorschrift des § 5 Abs. 3 NBauO 2012 das Merkmal „untergeordnet“ durch die Maßangabe ersetzt, bedeutet dies allerdings auch, dass es nicht mehr darauf ankommt, ob der Vorbau „nur“ mit seiner Wand in den Bauwich hineinragt und nicht mit einer „Wohnfläche“ oder ob es sich nur um ein „geringfügiges“ Hineinragen (hier „nur“ 0,41 m) handelt, denn diese Kriterien sind gerade nicht - mehr - ausschlaggebend für das Eingreifen der abstandsrechtlichen Privilegierung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen folgt aus § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.