Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.04.2015, Az.: 10 LA 11/15

Agrarförderung; Aufhebung; Beihilfe; Rücknahme; Verwaltungsakt; Verwaltungsakt mit Mischwirkung; Wiederaufgreifen des Verfahrens

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.04.2015
Aktenzeichen
10 LA 11/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45041
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.02.2015 - AZ: 4 A 124/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Bescheid über die Bewilligung einer Agrarbeihilfe, mit dem dem Betroffenen ein geringerer als der ihm zustehende Betrag bewilligt worden ist, ist nicht nur begünstigend i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 18. Februar 2015 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 17.822,89 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Kläger bewirtschaftete in den streitigen Jahren 1993 bis 2000 einen landwirtschaftlichen Betrieb in Niedersachsen. Auf seine jährlichen Anträge erhielt er (bestandskräftig) Ausgleichs- bzw. Flächenzahlungen nach Maßgabe der Verordnungen (EWG) Nr. 1765/1992 und (EG) Nr. 1251/1999 i. V. m. der Kulturpflanzen-Ausgleichs-Verordnung bzw. der folgenden Flächenzahlungs-Verordnung. In den letztgenannten nationalen Verordnungen war der Getreidedurchschnittsertrag, der für die Berechnung des angewandten Beihilfesatzes der Ausgleichs- bzw. Flächenzahlungen mitbestimmend war, bezogen auf Niedersachsen regional gestaffelt. Für die Region des Klägers betrug der Durchschnittsertrag zuletzt 52,4 dt/ha und lag damit unter dem landesweiten Durchschnittsertrag von 53,3 dt/ha. Das Bundesverwaltungsgericht hielt diese regionale Staffelung nachfolgend inzident für gleichheitswidrig und bejahte in den noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren einen Anspruch auf Bewilligung unter Anwendung des o.a. (höheren) landesweiten Durchschnittsertrages (Urt. v. 25.7.2007 - 3 C 10/06 -, BVerwGE 129, 116 ff.). Der Senat verneinte jedoch mit Urteil vom 1. August 2012 (- 10 LC 180/10 - RdL 2012, 275 ff. = AUR 2013, 301 ff.) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen bereits bestandskräftig abgeschlossener Verfahren; die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil blieb erfolglos (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21. 6.2013 - 3 B 89/12 -, juris). Der Kläger meint gleichwohl, ihm stehe ein Anspruch auf höhere Leistungen zu. Die bisherigen Bescheide seien nach § 10 Abs. 1 MOG zurückzunehmen. Als Folge der Aufhebung stehe ihm dann unmittelbar ein Anspruch auf höhere Zahlungen zu. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. § 10 Abs. 1 MOG gehe zwar den Regelungen der §§ 48, 51 VwVfG vor, die hier dem Kläger keinen Anspruch vermittelten. Nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, der Systematik sowie dem Sinn und Zweck beziehe sich § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG jedoch nur auf die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Agrarbeihilfen und nicht auf solche Bescheide, die den Betroffenen belasteten - wie hier gegenüber dem Kläger.

Der gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

§ 10 Abs. 1 Satz 1 MOG lautet: „Rechtswidrige begünstigende Bescheide in den Fällen der §§ 6 und 8 sind, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, zurückzunehmen.“

Damit enthält diese Norm schon dem Wortlaut nach nicht die vom Kläger gewünschte Rechtsfolge einer höheren als der bislang bestandskräftig erfolgten Bewilligung. Zu dieser vom Kläger angestrebten Folge gelangt man nur, wenn man § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG um den ungeschriebenen Satz ergänzt, dass nach der Aufhebung ein Anspruch auf Erlass eines neuen begünstigenden Bescheides bestehe. Entgegen dem Zulassungsvorbringen spricht also schon der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG nicht für, sondern gegen die Auffassung des Klägers und legt das Verwaltungsgericht diesen Wortlaut nicht einschränkend aus. Es ist vielmehr zutreffend davon ausgegangen, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG nur den hier nicht gegebenen Fall der ausschließlich begünstigenden Agrarbeihilfe regelt und insofern als abschließende Rechtsfolge die zwingende Rücknahme im Umfang der unzulässigen Begünstigung regelt (sowie in den folgenden Sätzen und Absätzen die daraus folgende Erstattungspflicht des Begünstigten). Ein Widerspruch zu der allgemeinen Regelung in § 48 VwVfG besteht darin nicht. § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG stellt sich als Spezialregelung zu § 48 Abs. 1 Satz 2 und nicht zu Abs. 1 Satz 1 VwVfG dar. Dementsprechend handelt es sich vorliegend im streitigen Umfang einer zu niedrigen Bewilligung nicht um einen „begünstigenden“, sondern um einen „belastenden“ Verwaltungsakt. Denn die ursprünglichen Bewilligungen waren nur im Umfang der Bewilligung unter Anwendung des regional gestaffelten Durchschnittsertrages „begünstigend“, im Übrigen, d.h. im Umfang der Nichtanwendung des höheren Landesdurchschnittsertrages, jedoch „belastend“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.5.2012 - 6 C 3/11 -, BVerwGE 143, 87 ff., Rn. 47; Urt. v. 25.4.1985 - 5 C 123/83 -, BVerwGE 71, 220 ff., Rn. 30; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl., § 48, Rn. 72, sowie für den Fall einer zu niedrigen Rückforderung das Senatsurt. v. 19.11.2013 - 10 LB 57/12 -, BzAR 2014, 19 ff.= RdL 2014, 80 ff.; juris, Rn. 33, m. w. N.). Dass dem Kläger nach den deshalb für die Rücknahme dieser belastenden (Teil-)Regelung allein in Betracht kommenden §§ 51 Abs. 5, 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ein Anspruch auf Aufhebung dieser Belastung zusteht, hat er aber nicht dargelegt; wie der Senat bereits in seinem o.a. Urteil vom 1. August 2012 ausgeführt hat, besteht ein solcher Anspruch auch in der Sache nicht.

Die Berufung kann ferner nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Klärung der vom Kläger aufgeworfenen Frage zugelassen werden, „ob § 10 MOG einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass diese Vorschrift ausschließlich die Rückforderung von Überzahlungen zum Gegenstand hat“. Die Frage ist schon nicht hinreichend präzise. Sie differenziert nicht hinreichend zwischen den unterschiedlichen Regelungen in den Absätzen 1 bis 3 des § 10 MOG und bezieht sich außerdem dem Wortlaut nach nicht auf die vorrangige Frage nach dem richtigen Verständnis des Begriffs „begünstigend“ als Tatbestandsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG, sondern stattdessen auf die sich daraus ergebende Rechtsfolge - die Rückforderung von Überzahlungen. Soweit vom Kläger sinngemäß die Frage aufgeworfen wird, ob auch ein Bescheid über die Bewilligung einer Agrarbeihilfe, mit dem dem Betroffenen ein geringerer als der ihm zustehende Betrag bewilligt worden ist, nur „begünstigend“ i. S. d. § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG ist, ist diese Frage aus den vorgenannten Gründen zu verneinen; der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf es dazu nicht.