Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.04.2015, Az.: 8 PA 75/15

Anordnung einer ärztlichen Untersuchung; PKH-Beschwerde; behördliche Verfahrenshandlung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.04.2015
Aktenzeichen
8 PA 75/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45010
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 01.04.2015 - AZ: 7 A 1000/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. In einem Verfahren, in dem auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 3 BÄO über die Anordnung des Ruhens der ärztlichen Approbation wegen Zweifeln an der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO zu entscheiden ist, stellt die von der zuständigen Behörde an den Arzt gerichtete Anordnung, sich einer amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO dar.

2. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Ausnahmebestimmung in § 44a Satz 2 VwGO im Wege verfassungskonformer Auslegung kann auch bei der Anordnung der ärztlichen Untersuchung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 BÄO geboten sein. Dies gilt indes nicht, wenn die Anordnung der ärztlichen Untersuchung bereits erledigt ist.

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 1. April 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen den ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts, über die der Senat unter Mitwirkung des von der Klägerin abgelehnten Richters am Oberverwaltungsgericht Hüsing entscheiden kann, weil dieser Befangenheitsantrag mangels konkreter individueller Befangenheitsgründe unzulässig ist und daher nicht berücksichtigt werden muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.12.1975 - BVerwG VI C 129.74 -, BVerwGE 50, 36, 37), ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht abgelehnt.

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hier fehlt der Rechtsverfolgung der Klägerin die erforderliche Erfolgsaussicht. Denn nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) erweist sich die von ihr mit dem Begehren erhobenen Klage, die Nichtigkeit der von der Bezirksregierung Weser-Ems unter dem 15. Oktober 2003 erlassenen Anordnung einer fachärztlichen Untersuchung festzustellen, bereits als unzulässig.

Der Zulässigkeit der Klage steht § 44a VwGO entgegen. Nach Satz 1 dieser Bestimmung können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nach Satz 2 ausnahmsweise nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

In einem Verfahren, in dem auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 3 BÄO über die Anordnung des Ruhens der ärztlichen Approbation wegen Zweifeln an der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO zu entscheiden ist, stellt die von der zuständigen Behörde an den Arzt gerichtete Anordnung, sich einer amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO dar. Die Anordnung der Untersuchung dient allein der Vorbereitung der nachfolgenden Sachentscheidung über die Anordnung des Ruhens der Approbation (vgl. zum Begriff der Verfahrenshandlung: BVerwG, Urt. v. 1.9.2009 - BVerwG 6 C 4.09 -, BVerwGE 134, 368, 373 f. m.w.N.). Dieser Einordnung als Verfahrenshandlung stünde die von der Klägerin favorisierte Annahme, die Anordnung der Untersuchung sei ein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG (vgl. dies verneinend VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 15.12.2014 - 9 S 2073/14 -, juris Rn. 7 ff.), nicht entgegen. Denn die Rechtsnatur der Verfahrenshandlung ist für die Eröffnung des Anwendungsbereichs von § 44a Satz 1 VwGO unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.9.2009, a.a.O., S. 375; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19.1.1998 - 2 S 648/96 -, NVwZ-RR 1999, 209 f. [OVG Sachsen 19.01.1998 - 2 S 648/96]; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 3.2.1994 - 3 L 1243/91 -, NVwZ 1995, 286; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 44a Rn. 16; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 44a Rn. 38 f.).

Die von der zuständigen Behörde an den Arzt gerichtete Anordnung, sich einer amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, kann daher nach § 44a Satz 1 VwGO grundsätzlich nicht isoliert in einem eigenständigen Rechtsbehelfsverfahren angefochten werden. Sie wird in dem Rechtsbehelfsverfahren gegen die Anordnung des Ruhens der Approbation inzident überprüft.

Etwas anderes gilt hier nicht ausnahmsweise nach § 44a Satz 2 VwGO.

Eine Vollstreckung der Anordnung, sich einer amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ist im Regelungskonzept des § 6 Abs. 1 Nr. 3 BÄO nicht vorgesehen. Für den Fall, dass der Arzt sich der angeordneten ärztlichen Untersuchung verweigert, kann die Behörde bei Zweifeln an der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs vielmehr ohne Weiteres das Ruhen der Approbation anordnen (vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 26.11.2012 - 8 LA 3/12 -, juris Rn. 13). Die Anordnung der ärztlichen Untersuchung ergeht auch nicht gegen Nichtbeteiligte.

Auch die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebietet im vorliegenden Fall nicht, dass die Anordnung der ärztlichen Untersuchung ausnahmsweise isoliert in einem eigenständigen Rechtsbehelfsverfahren zu überprüfen ist.

Der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung von Verfahrenshandlungen nach § 44a Satz 1 VwGO darf für die Rechtsuchenden zwar nicht zu unzumutbaren Nachteilen führen, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig zu beseitigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.1990 - 1 BvR 1028/90 -, NJW 1991, 415, 416; BVerwG, Beschl. v. 20.11.2012 - BVerwG 1 WB 4.12 -, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 55; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, BT-Drs. 7/910, S. 97). Auf solche Fälle ist der Anwendungsbereich der Ausnahmebestimmung des § 44a Satz 2 VwGO im Wege verfassungskonformer Auslegung zu erweitern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.8.2000 - BVerwG 11 VR 10.00 -, Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 32; Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn. 73 f. m.w.N.). Dies kann auch bei der Anordnung der ärztlichen Untersuchung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 BÄO geboten sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 15.12.2014, a.a.O., Rn. 10; siehe auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.10.2012 - 1 B 550/12 -, NVwZ-RR 2013, 198 f.; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 23.2.2010 - 5 LB 20/09 -, juris Rn. 50 zur Anordnung der ärztlichen Untersuchung gegenüber einem Beamten zur Klärung der Dienstfähigkeit).

Art. 19 Abs. 4 GG fordert eine verfassungskonforme erweiternde Auslegung von § 44a Satz 2 VwGO aber nicht, wenn die behördliche Verfahrenshandlung bereits erledigt ist (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 30.1.2002 - BVerwG 9 A 20.01 -, BVerwGE 115, 373, 380). In diesen Fällen ist ein mit der behördlichen Verfahrenshandlung verbundener Nachteil entweder entfallen, etwa infolge einer Aufhebung der Verfahrenshandlung, oder bereits eingetreten, etwa infolge Vollzugs der Verfahrenshandlung oder Erlasses der Sachentscheidung. Die zur Vermeidung des Nachteils unter Erweiterung der Ausnahmebestimmung des § 44a Satz 2 VwGO gebotene Gewährung von (präventivem) Rechtsschutz gegen die Verfahrenshandlung ist folglich nicht mehr erforderlich. Eine solche Konstellation ist hier gegeben. Die von der Klägerin angegriffene Anordnung der ärztlichen Untersuchung vom 15. Oktober 2003 (Blatt 61 f. der Beiakte C) ist erledigt. Nachdem die Klägerin Einwände gegen den in der Anordnung bezeichneten Gutachter, Herrn B. aus C., erhoben hatte, die auch die Bezirksregierung Weser-Ems für nachvollziehbar erachtete (vgl. Blatt 76 f. der Beiakte C), hielt sie an ihrer Anordnung nicht mehr fest. Stattdessen ordnete sie unter dem 4. November 2003 (Blatt 83 f. der Beiakte C) eine ärztliche Untersuchung der Klägerin durch einen anderen Gutachter, Herrn D. aus E., an. Diese Anordnung wiederholte die Bezirksregierung Weser-Ems unter dem 30. April 2004 (Blatt 427 ff. der Beiakte A). Auch diese Anordnungen sind indes erledigt. Die Klägerin hat sich zwar der angeordneten Untersuchung nicht unterzogen. Die Bezirksregierung Weser-Ems hat mit Bescheid vom 2. Juli 2004 (Blatt 547 ff. der Beiakte A) aber das Ruhen der Approbation angeordnet und damit die Sachentscheidung getroffen. Diese Sachentscheidung bedingt die tatsächliche Erledigung der sie vorbereitenden behördlichen Verfahrenshandlung der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung.

Unabhängig davon, dass die Klage danach bereits gemäß § 44a Satz 1 VwGO unzulässig ist, fehlt der Klägerin für eine Nichtigkeitsfeststellungsklage voraussichtlich auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Dies kann grundsätzlich jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.5.2009 - BVerwG 8 C 10.08 -, Buchholz 415.1 Allg KommunalR Nr. 171). Das von der Klägerin pauschal behauptete Interesse, vor Wiederholungen geschützt und rehabilitiert zu werden, ist mit Blick auf die streitgegenständliche Anordnung vom 15. Oktober 2003 aber nicht als schutzwürdig anzuerkennen. Diese konkrete Anordnung ist nicht vollzogen worden und seit mehr als zehn Jahren erledigt. Es ist für den Senat nicht ansatzweise ersichtlich, welche konkreten Beeinträchtigungen sich aus dieser Anordnung heute noch für die Klägerin ergeben könnten. Mit Blick auf die nachfolgenden Anordnungen vom 4. November 2003 und vom 30. April 2004, die im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich sind, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass einer Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 121 Nr. 1 VwGO die Rechtskraft der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 29. März 2006 - 7 A 4197/04 - und des Senats vom 19. Juni 2006 - 8 LA 63/06 - entgegen stehen dürfte.

Auch der schließlich von der Klägerin erhobene Einwand, ihr gegen den beschließenden Einzelrichter gerichtetes Befangenheitsgesuch vom 20. März 2015 sei zu Unrecht abgelehnt worden, verhilft ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg. Der Senat überprüft auf eine zulässige Beschwerde die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe umfassend und auch unter Berücksichtigung etwaiger neuer Tatsachen und Beweismittel selbst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.3.1988 - 2 BvR 233/84 -, NVwZ 1988, 718, 719). Ein der angefochtenen Entscheidung anhaftender Verfahrensmangel ist daher für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens von vorneherein ohne Belang.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen. Für die Höhe der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens gilt der streitwertunabhängige Kostentatbestand in Nr. 5502 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz.