Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.04.2015, Az.: 5 LA 146/14

Beihilfe; Massenverwaltung; Prozessbeteiligte; Rückforderung; Tod; Unterbrechung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.04.2015
Aktenzeichen
5 LA 146/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44995
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.07.2014 - AZ: 4 A 32/13

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 22. Juli 2014 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 25.146,76 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist die Alleinerbin des im Jahr 19..   geborenen und im Verlaufe des Zulassungsverfahrens (November 2014) verstorbenen Universitätsprofessors a. D. C..

Der Verstorbene hatte sich mit seiner Klage gegen die Rückforderung eines überzahlten Beihilfebetrages von 25.146,76 EUR gewandt. Ihm war mit Bescheid vom 2. Februar 20..   auf ein Rezept vom 19. Januar 20.. , das einen Rechnungsbetrag von 50,52 EUR aufwies, nicht eine Beihilfe von 22,74 EUR (= 50 Prozent des Rechnungsbetrages), sondern von 25.168,50 EUR gewährt worden.

Die Klage, mit der sich der Verstorbene gegen die Rücknahme des Beihilfebescheides und die Rückforderung des überzahlten Beihilfebetrages von 25.146,76 EUR gewandt hat, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.

Dagegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung, der nach dem Tod des Universitätsprofessors a. D. C. von seiner Alleinerbin als Klägerin aufrechterhalten worden ist.

II.

1. Das Verfahren ist durch den Tod des Universitätsprofessors a. D. C. nicht unterbrochen worden, sondern hat sich fortgesetzt (vgl. § 173 VwGO in Verbindung mit § 246 Abs. 1, 1. Satzteil ZPO). Die Alleinerbin des Verstorbenen ist an dessen Stelle Prozessbeteiligte geworden (vgl. BGH, Urteil vom 8.2.1993 - II ZR 62/92 -, juris; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl. 2011, § 246 Rn 5).

2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der bei verständiger Würdigung des Zulassungsbegründungsschriftsatzes vom 25. September 2014 geltend gemacht wird, sind nicht erfüllt.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen im Zulassungsverfahren nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass die Beklagte den Beihilfebescheid vom 2. Februar 20..  mit ihrem Bescheid vom 5. April 20..   rechtsfehlerfrei gemäß § 48 VwVfG zurückgenommen hat und dass auch die mit Bescheid vom 8. Oktober 20..   gemäß § 87 Satz 2 NBG in Verbindung mit den §§ 812 ff. BGB verfügte Rückforderung der überzahlten Beihilfe in Höhe von 25.146,76 EUR rechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Senat macht sich gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO die ausführliche und sorgfältige Begründung des angefochtenen Urteils zu Eigen und verweist auf sie (S. 6 - 15 UA). Mit dem Zulassungsbegründungsschriftsatz vom 25. September 2014 sind keine gewichtigen, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Gründe aufgezeigt worden, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.

Im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren ist das Folgende hervorzuheben bzw. zu ergänzen:

Das Verwaltungsgericht hat in jeder Hinsicht zutreffend begründet, dass der verstorbene Universitätsprofessor a. D. C. nicht auf den Bestand des Beihilfebescheides vom 2. Februar 20..   vertrauen durfte, weil er die Rechtswidrigkeit der seinerzeit festgesetzten Beihilfe zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG) und warum die im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu treffende Ermessensentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden ist (S. 9 f. UA). Es hat insbesondere auch schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, warum es zu der Einschätzung gelangt ist, dass das Vorbringen,

- die Überzahlung von mehr als 25.000 EUR sei dem Verstorbenen nicht aufgefallen,

- es erscheine ausgeschlossen, dass der Betrag auf dem Konto des Verstorbenen gutgeschrieben worden sei und ihm zur Verfügung gestanden habe,

nicht glaubhaft ist (S. 9 UA). Den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Zulassungsverfahren nichts hinzuzufügen.

Der Verstorbene hat sich - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei angenommen hat - gegenüber dem Rückforderungsanspruch der Beklagten nicht mit Erfolg auf den Wegfall der Bereicherung berufen können, weil im vorliegenden Fall die Voraussetzungen der verschärften Haftung gemäß § 87 Satz 2 und 3 NBG in Verbindung mit §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB gegeben sind. Auch die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 11 f. UA) bedürfen keiner Ergänzungen.

Schließlich rechtfertigt auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ermessensentscheidung der Beklagten, von der Verminderung des Rückzahlungsbetrages abzusehen und nur eine Ratenzahlung von monatlich 1.000 EUR einzuräumen, verstoße nicht gegen § 87 Satz 4 NBG, nicht die Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat gewürdigt, dass die primäre Ursache für die Überzahlung allein auf einem Eingabefehler des zuständigen Mitarbeiters der Beklagten im Beihilfeverfahren beruhte. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge wiege das Verhalten des Verstorbenen deutlich schwerer als der einmalige behördliche Eingabefehler, begegnet keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der im Zulassungsbegründungsschriftsatz vom 25. September 2014 vertretenen Auffassung, der Rückforderungsbetrag müsse bei der Gewichtung der Verursachungsbeiträge deutlich gekürzt, wenn nicht sogar insgesamt erlassen werden, folgt der Senat nicht.

Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung die Rechtsprechung des beschließenden Senats zugrunde gelegt. Danach ist bei im Rahmen der Massenverwaltung erfolgenden Überzahlungen, deren Ursache entweder in einem Fehler des behördlich verwendeten Computersystems oder aber - wie hier - in einem Eingabefehler liegt, ohne ein Hinzutreten verschärfender Umstände - etwa bei einem Unbemerktbleiben des Fehlers auch bei nachfolgenden Kontrollen bzw. Eingaben in das System oder aber über lange Zeit (so in den Fällen BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, juris; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, juris) - allenfalls von einem ganz geringfügigen Verschulden auf Seiten der Behörde auszugehen, weil es sich bei derartigen Fehlern um im Rahmen der Massenverwaltung auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht gänzlich zu vermeidende Fehler handelt. Für sich genommen reichen solche Fehler daher nicht aus, um eine Verringerung des Rückforderungsbetrages aus Gründen der Billigkeit rechtlich geboten erscheinen zu lassen. Vielmehr aktualisiert sich bei derartigen Fehlern die in der Treuepflicht des Besoldungs- bzw. Versorgungsempfängers wurzelnde Verpflichtung, die ihm erteilten Bezügemitteilungen und die auf seinen Antrag ergehenden Beihilfebescheide auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. Diese Pflicht besteht gerade im Interesse des Dienstherrn, der auf automatisierte und in gewissem Umfang fehleranfällige Systeme zurückgreift und auch deshalb darauf angewiesen ist, dass die Besoldungs- und Versorgungsempfänger ihrer Kontrollaufgabe ebenfalls nachkommen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 24.7.2013 - 5 LB 85/13 -, juris Rn 36; Beschluss vom 6.8.2013 - 5 LA 82/13 -; Beschluss vom 18.8.2014 - 5 LA 85/14 -, juris Rn 31).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen keine im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge das Verhalten des Verstorbenen, den ins Auge springenden Überzahlungsbetrag von mehr als 25.000 EUR nicht erkannt und die Beklagte dementsprechend auch nicht auf den Fehler hingewiesen zu haben, auch angesichts des Umstandes, dass der Fehler erst im Zuge einer allgemeinen Überprüfung mehr als 5 Jahre später aufgefallen ist, deutlich schwerer wiegt als der bei der Beihilfefestsetzung unterlaufene Eingabefehler. Das Unbemerktbleiben des Fehlers überschreitet in zeitlicher Hinsicht noch nicht die Grenze, ab der von einem überwiegenden Mitverschulden der Beklagten ausgegangen werden könnte (vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 27.11.2014 - 5 LA 125/14 - [Überzahlung von Versorgungsbezügen knapp 5 Jahre lang] unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, a. a. O. [Überzahlung einer Zulage 8 Jahre und 8 Monate lang]; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, a. a. O. [Überzahlung von Ortszuschlag 10 Jahre und 1 Monat lang]). Eine generelle Verpflichtung der Beklagten, den abgeschlossenen Beihilfevorgang des Verstorbenen sowie auch andere Beihilfevorgänge nach dem Erlass eines Beihilfebescheides jeweils regelmäßig auf Unstimmigkeiten hin zu überprüfen, bestand nicht (vgl. ebenso zu Versorgungsvorgängen Nds. OVG, Beschluss vom 27.11.2014 - 5 LA 125/14 -).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).