Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.02.2010, Az.: 2 ME 311/09

Anwesenheit sämtlicher Mitglieder des Plenums des Landeselternrates bei einer Abstimmung in einem schriftlichen Umlaufverfahren i.S.d. Geschäftsordnung des Landeselternrats; Aufkommen allgemeiner Fragestellungen über Bildungsziele und Struktur des Schulsystems i.S.v. § 169 Abs. 3 S. 4 Nr. 1 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) bei einer Neubildung von Klassen; Beeinträchtigung eines Teils des Erziehungswesens und Bildungswesens von gravierendem Gewicht in qualitativer oder quantitativer Hinsicht zur Erfüllung des Begriffs der Notstände i.S.v. § 169 Abs. 3 S. 4 Nr. 5 NSchG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.02.2010
Aktenzeichen
2 ME 311/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12079
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0222.2ME311.09.0A

Fundstellen

  • DVBl 2010, 526
  • DÖV 2010, 488
  • NdsVBl 2010, 181-183

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Im Fall einer Abstimmung in einem schriftlichen Umlaufverfahren gelten als "anwesend" im Sinn der Geschäftsordnung des Landeselternrats sämtliche Mitglieder des Plenums des Landeselternrates.

  2. 2.

    Die Neubildung von Klassen wirft keine allgemeinen Fragestellungen über Bildungsziele und die Struktur des Schulsystems i.S.v. § 169 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG auf.

  3. 3.

    Der Begriff der Notstände i.S.v. § 169 Abs. 3 Satz 4 Nr. 5 NSchG setzt eine Beeinträchtigung eines Teils des Erziehungs- und Bildungswesens von gravierendem Gewicht in qualitativer oder quantitativer Hinsicht voraus; bloße Beeinträchtigungen reichen nicht aus.

Entscheidungsgründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den Antrag, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur Beendigung des nach § 169 Abs. 4 NSchG vorgesehenen Anhörungsverfahrens zu untersagen, gemäß Ziffer 3.4 Sätze 3 bis 6 des Runderlasses "Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen" vom 9. Februar 2004 (SVBl. 2004, 128) in der Fassung der Änderung vom 16. Juli 2009 (SVBl. 2009, 333) - im Folgenden: Runderlass - zu verfahren und ihm aufzugeben, eine entsprechende Anweisung der Landesschulbehörde und den öffentlichen Schulen im Land Niedersachsen zu übermitteln, abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners ist der Antrag aber zulässig (dazu 1.), er ist indessen unbegründet (dazu 2.).

3

1.

Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig.

4

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners liegt dem Rechtsschutzgesuch eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Plenums des Antragstellers zugrunde, sodass dessen Vorstand befugt ist, den Verwaltungsrechtsstreit gegen den Antragsgegner im Namen und im Auftrag des Antragstellers zu führen.

5

Das Verwaltungsgericht führt zutreffend an, dass nach § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Antragstellers in der bis zum 3. September 2009 maßgeblichen Fassung - GO-LER - das Plenum, das heißt die Vollversammlung aller Mitglieder, Beschlussorgan des Antragstellers ist. Nach § 173 Abs. 7 Satz 1 NSchG und § 8 Abs. 3 Satz 1 GO-LER fasst der Antragsteller seine Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen, auf Ja oder Nein lautenden Stimmen. Diesem Erfordernis ist hier entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts mit Blick auf den vorliegenden Rechtsstreit Genüge getan. Der Antragsteller hat in seiner Sitzung vom 12. Juni 2009 die von dem Antragsgegner (zu jenem Zeitpunkt) beabsichtigte Neufassung der genannten Vorschrift des Runderlasses einstimmig abgelehnt und dies in einem Schreiben seines Vorsitzenden an den Antragsgegner vom 6. Juli 2009 - bei dem Antragsgegner am 8. Juli 2009 eingegangen - im Einzelnen fristgerecht begründet. Es ist allerdings richtig, dass das Plenum des Antragstellers in dieser Sitzung seinen Vorstand - jedenfalls ausdrücklich - weder beauftragt noch ermächtigt hat, gegen den Antragsgegner gerichtliche Schritte einzuleiten, um das aus seiner Sicht bestehende sogenannte suspensive Vetorecht gemäß § 169 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Nr. 5 NSchG ("Maßnahmen zur Behebung oder Linderung von Notständen im Erziehungs- und Bildungswesen") durchzusetzen. Unabhängig von der Frage, ob der Vorstand des Antragstellers bereits nach § 5 Abs. 2 Satz 2 GO-LER, wonach er "im Rahmen der Beschlüsse" des Plenums handelt, oder zumindest aufgrund einer Eilkompetenz gemäß § 5 Abs. 2 Satz 3 GO-LER zur Umsetzung dieses negativen Votums berechtigt war, (auch) gerichtliche Schritte gegen den Antragsgegner einzuleiten, ergibt sich diese Berechtigung jedenfalls aus dem Ergebnis des von dem Vorstand am 1. Juli 2009 initiierten Umlaufverfahrens. Wie sich aus der Niederschrift der Sitzung des Antragstellers vom 12. Juni 2009 (dort Ziffer 9.1.2, Seite 8) ergibt, hat der Vorsitzende des Antragstellers die Auffassung des Vorstands, dass hier ein Fall des § 169 Abs. 3 Satz 4 Nr. 5 NSchG und damit das suspensive Vetorecht nach § 169 Abs. 4 NSchG gegeben sei, gegenüber dem Plenum wiedergegeben, ohne dass dieses dem widersprochen hätte. In seiner an alle Mitglieder des Plenums gerichteten e-mail vom 1. Juli 2009 hat der Vorsitzende des Antragstellers anknüpfend an die Diskussion in der Sitzung vom 12. Juni 2009 ausgeführt, zwischenzeitlich geführte Gespräche mit dem Antragsgegner über einen (weitergehenden) Kompromiss seien nicht erfolgreich geblieben, und deshalb um Zustimmung gebeten, zur Durchsetzung des suspensiven Vetorechts gegen den Antragsgegner gerichtliche Schritte einzuleiten. Diesem Vorschlag haben noch vor Stellung des Antrages bei dem Verwaltungsgericht 27 Mitglieder des aus insgesamt 37 Mitgliedern bestehenden Plenums und damit die erforderliche Mehrheit durch e-mails zugestimmt, während zwei Mitglieder dafür waren, dem Kompromissangebot des Antragsgegners zuzustimmen. Dieses schriftliche e-mail-Umlaufverfahren genügt den Anforderungen des § 8 Abs. 4 Satz 2 GO-LER. Hiernach kann der Vorstand des Antragstellers bei Eilbedürftigkeit und in begründeten Ausnahmefällen ein schriftliches Abstimmungsverfahren im Umlauf durchführen. Angesichts der seit dem 25. Juni 2009 begonnenen Sommerferien und des Umstandes, dass der Antragsgegner die Schulen angewiesen hatte, bereits zu Beginn des Schuljahres 2009/2010 nach den Vorgaben der genannten Änderungen zu verfahren, lagen diese Voraussetzungen vor. Der Vorstand der Antragstellerin hat diese Vorgehensweise auch in einer den Anforderungen des § 8 Abs. 4 Satz 3 GO-LER entsprechenden Weise begründet.

6

Ein derartiges Umlaufverfahren ist von der Ermächtigung des § 173 Abs. 5 NSchG gedeckt und verstößt entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht gegen § 173 Abs. 7 Satz 2 NSchG. Nach der letztgenannten Vorschrift ist der Antragsteller beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der gesetzlichen Mitglieder "anwesend oder durch Ersatzmitglieder vertreten" ist. Aus der Verwendung des Begriffs "anwesend" folgt nicht, dass zur Beschlussfähigkeit immer zwingend eine körperliche Anwesenheit der abstimmenden Mitglieder des Antragstellers in einer Sitzung erforderlich und mithin ein schriftliches Umlaufverfahren ausnahmslos ausgeschlossen ist. Dieser Begriff steht einer Abstimmung in einem schriftlichen Umlaufverfahren nicht entgegen. Zwar bedeutet er in der Regel "teilnehmen, zugegen sein, an der Stelle sein". Für ein Verständnis der Beschlussfähigkeit in dem von dem Antragsgegner vertretenen Sinn der körperlichen Anwesenheit vor Ort spricht, dass hierdurch ein unmittelbarer Austausch der Argumente und der Möglichkeit aller anwesenden Mitglieder des Plenums zur aktiven Beteiligung an der Diskussion gewährleistet ist, und auf diesem Weg ein umfassendes Meinungsbild erstellt werden kann. Diesem Verständnis kann aber auch in einem schriftlichen Umlaufverfahren dadurch Genüge getan werden, dass - anders als bei einer Beschlussfassung vor Ort, wo nur die auch tatsächlich erschienenden und abstimmenden Mitglieder zählen - im Fall einer Abstimmung im Wege eines schriftlichen Umlaufverfahrens als "anwesend" nicht nur die Mitglieder gelten, die an der Abstimmung aktiv mit "Ja" oder "Nein" teilnehmen oder sich der Stimme enthalten, sondern sämtliche (gesetzlichen) Mitglieder des Plenums. Durch ein derartiges Verständnis ist hinreichend gewährleistet, dass die Nachteile des schriftlichen Abstimmungsverfahrens, die in einer potentiell mangelnden Transparenz und einem fehlenden unmittelbaren mündlichen Diskurs der Argumente bestehen, ausgeglichen werden und die Entscheidung zusätzlich zur rechnerischen Mehrheit auch von einer absoluten Mehrheit getragen wird (vgl. hierzu KG Berlin, Urt. v. 26.5.2009 - 14 U 212/08 -, [...] Langtext Rdnr. 34 f.). Diesem Erfordernis der absoluten Mehrheit der gesetzlichen Stimmen des Plenums des Antragstellers ist hier Genüge getan. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Plenum bereits in seiner Sitzung am 12. Juni 2009 einen mündlichen Meinungsaustausch auch zu der Frage, ob ein Fall des suspensiven Vetorechts gegeben ist, vorgenommen hat, der in die einstimmige Ablehnung der von dem Antragsgegner beabsichtigten Änderung des Runderlasses gemündet ist. Auf dieser mündlich erarbeiteten Position aufbauend hat die absolute Mehrheit des Plenums des Antragstellers für die Einleitung gerichtlicher Schritte gestimmt. Damit ist sowohl die Beauftragung eines Rechtsanwalts als auch die Stellung des vorliegenden Eilantrages wirksam vorgenommen worden.

7

2.

Der Antrag ist aber unbegründet. Während dem Antragsteller ein Anordnungsgrund zur Seite steht (dazu a), fehlt es an dem darüber hinaus erforderlichen Anordnungsanspruch (dazu b).

8

a)

Der Anordnungsgrund, das heißt die Dringlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung in der Sache, ist gegeben.

9

Der Antragsgegner hat die streitgegenständliche, auf zwei Jahre befristete Änderung des Erlasses zwar bereits mit Beginn des Schuljahres 2009/2010 umgesetzt, sodass sich das Antragsbegehren des Antragstellers für dieses Schuljahr insoweit erledigt hat. Die Schulen sind aber aufgrund der Erlasslage gehalten, zu Beginn des kommenden Schuljahres 20010/2011 die Klassen - mit Ausnahme bestimmter Schuljahrgänge - erneut neu zu bilden. Insoweit hat sich das Antragsbegehren mithin nicht erledigt.

10

Aus diesem Grund kann dem Antrag des Antragstellers auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden. Dieses kann auch nicht deshalb verneint werden, weil der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch auf erneute Erörterung seitens der Antragsgegnerin bereits erfüllt worden wäre. Der Antragsteller trägt zwar selbst vor, dass sein Vorsitzender die Angelegenheit mit dem Antragsgegner nach der Sitzung vom 12. Juni 2009 persönlich (mit dem Referatsleiter des Antragsgegners am 23. Juni 2009) und auch telefonisch mit der Kultusministerin und dem Staatssekretär mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung besprochen hatte. Diese Gespräche erfüllen aber nicht die in § 169 Abs. 4 NSchG genannten Anforderungen, zumal es - soweit ersichtlich - an der erforderlichen Unterrichtung der Landesregierung seitens des Antragsgegners fehlt. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass das Maßnahmepaket "Bildungsland Niedersachsen - Erfolge und Herausforderungen" vom 24. Februar 2009 - im Folgenden: Maßnahmepaket -, das die Grundlage für die streitgegenständliche Änderung des Klassenbildungserlasses bildet, auf einer Beschlusslage der Landesregierung beruht. Auch wenn die Landesregierung diese Änderung unmittelbar oder mittelbar iniitiert hat und daher bereits inhaltlich mitträgt, bedarf es nach der Regelung des § 169 Abs. 4 NSchG ihrer Unterrichtung von dem ablehnenden Standpunkt des Antragstellers in diesem Punkt.

11

Mit dem Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung würde die Hauptsache allerdings in der Sache vorweggenommen werden. Der Antragsteller erstrebt, das aus seiner Sicht bestehende, über das (einfache) Anhörungsrecht des § 169 Abs. 3 NSchG hinausgehende Mitwirkungsrecht gemäß § 169 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Nr. 5 NSchG mit der Folge eines suspensiven Vetorechtes zu sichern und die Umsetzung der auf zwei Jahre befristeten Änderung des Erlasses hinauszuzögern. Sollte dieses Recht bestehen und die beantragte einstweilige Anordnung ergehen, bliebe den Beteiligten nur bis zum Beginn des Schuljahres 2010/2011 am 1. August 2010 (§ 28 Abs. 1 Satz 1 NSchG) noch Zeit, die Änderungsregelung erneut zu erörtern; auch bliebe dem Antragsgegner im Fall der Ablehnung durch den Antragsteller mit der erforderlichen qualifizierenden Mehrheit von mehr als zwei Dritteln seiner gesetzlichen Mitglieder nur noch Gelegenheit, die Landesregierung zu unterrichten. Angesichts der aufgrund der zweijährigen Befristung auslaufenden Wirkung der Änderung des Erlasses zum Beginn des neuen Schuljahres könnte der Antragsteller ein etwaig bestehendes erweitertes Anhörungsrecht nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg in einem Hauptsacheverfahren durchsetzen.

12

b)

Der Antragsteller hat hingegen einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er beruft sich ohne Erfolg auf die Mitwirkungstatbestände des § 169 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und 5 NSchG.

13

aa)

Der Mitwirkungstatbestand der Nr. 1 der §§ 169 Abs. 4 Satz 1, Abs. 3 Satz 4 NSchG, auf den sich der Antragsteller erstmals in der Beschwerdeinstanz beruft, ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift wirkt der Antragsteller mit und hat ein suspensives Vetorecht unter anderem - nur hierauf stellt der Antragsteller in der Beschwerdebegründung ab, sodass der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur insoweit in eine Prüfung einzusteigen hat - bei dem Erlass allgemeiner Bestimmungen über Bildungsziele und die Struktur des Schulsystems.

14

Die Neubildung von Klassen wirft keine allgemeinen Fragestellungen über Bildungsziele auf, auch wenn - worauf der Antragsteller abstellt - dem Klassenverband für die Schülerinnen und Schüler eine besonders stabilisierende Wirkung zukommt. Die Bildungsziele sind in § 2 NSchG näher umschrieben, sie gelten klassenübergreifend und unabhängig davon, ob und wann Klassen neu gebildet werden.

15

Die Struktur des Schulsystems umfasst nur die grundsätzlichen Fragen zum Aufbau und zur Gliederung des Schulwesens, zur Festlegung der Schulformen sowie deren Abgrenzung und Beziehung zueinander. Diese Fragen sind in dem Ersten Teil des Niedersächsischen Schulgesetzes und hier speziell in den §§ 5 bis 21 NSchG geregelt. Der Klassenbildungserlass und mithin auch die streitgegenständliche Vorschrift enthalten dagegen nur innerorganisatorische Maßnahmen, die die allgemeine Struktur des Schulsystems in dem aufgezeigten Sinn nicht berühren, sondern gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 NSchG in den Aufgabenbereich der Schulleitung jeder einzelnen Schule fallen. Zur Struktur des Schulsystems i.S.d. § 169 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG gehört entgegen der Ansicht des Antragstellers mithin nicht die "Frage, wann innerhalb des Systems Klassen neu gebildet werden und damit Klassenzüge an einer Schule aufgehoben werden". Dass an einer einzelnen Schule in Befolgung des streitgegenständlichen Klassenbildungserlasses Klassen zusammengelegt und dadurch an dieser Schule die Zügigkeit von Jahrgangsstufen verringert wird, ist keine Frage der generellen Struktur des Schulsystems, sondern eine auf die einzelne Schule beschränkte Organisationsmaßnahme. Dass dem Klassenverband aus Sicht des Antragstellers für die Schüler und die Schule als Bildungsstätte eine "ganz besonders stabilisierende Wirkung" zukommt, rechtfertigt ein anderes Ergebnis nicht.

16

bb)

Auch der Tatbestand der Nr. 5 der §§ 169 Abs. 4 Satz 1, Abs. 3 Satz 4 NSchG greift nicht ein. Hiernach hat der Antragsteller ein suspensives Vetorecht bei Maßnahmen zur Behebung oder Linderung von Notständen im Erziehungs- und Bildungswesen.

17

Der Begriff der Notstände wird im Gesetz nicht weiter definiert. Vom Wortlaut bezeichnet "Notstand" allgemein einen Zustand gegenwärtiger oder drohender Gefahr, der nur durch den Eingriff in das Recht eines anderen oder auf Kosten fremder Interessen beseitigt werden kann (vgl. Münchener Rechtslexikon, Band 2, 1987: "Notstand - Privatrecht", S. 1095; Duden, Band 10: Das Bedeutungswörterbuch, 1970: "Notstand", S. 471; Köbler, Juristisches Wörterbuch, 4. Aufl. 1986: "Notstand", S. 234). Von einer Gefahr wiederum ist bei einer Sachlage auszugehen, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines absehbaren Schadenseintritts für schützenswerte Rechte und Rechtsgüter besteht (zum polizeilichen Gefahrenbegriff vgl. § 2 Nr. 1 a Nds. SOG). Hierbei muss es sich in Abgrenzung zu dem Begriff der bloßen Beeinträchtigung bereits vom Wortlaut her um eine nachhaltige Gefährdungslage handeln. Auch wenn § 169 Abs. 3 Nr. 5 NSchG den Begriff des Notstands im Plural verwendet, bedarf es daher einer Beeinträchtigung jedenfalls eines Teilbereichs des Erziehungs- und Bildungswesens von einigem Gewicht entweder in quantitativer oder in qualitativer Hinsicht. Bezogen auf das hier betroffene Schutzgut der ausreichenden Unterrichtsversorgung muss es sich um eine gravierende Beeinträchtigung handeln, die eine grundlegende Gefährdung der Unterrichtsversorgung nach sich zieht mit der Folge, dass dem in § 2 NSchG umschriebenen Unterrichts- und Bildungsauftrag der Schulen ernsthaft Schaden droht. Allein die bloße Beeinträchtigung in der Unterrichtsversorgung reicht nicht aus.

18

Hiergegen kann der Antragsteller nicht mit Erfolg einwenden, dass er nach der Generalklausel des § 169 Abs. 3 Satz 1 NSchG in allen wichtigen allgemeinen Fragen des Schulwesens - soweit die Belange der Erziehungsberechtigten berührt werden - mitwirkt und dass es sich bei den Problemen, die sich bei der Bildung von Klassen stellen, um wichtige allgemeine Fragen handelt. Gerade diese Generalklausel spricht eher für die eingrenzende Auslegung der genannten Sondertatbestände. Während die Aufzählung der Angelegenheiten, bei denen der Antragsteller im Rahmen seines "einfachen" Anhörungsrechts i.S.v. § 169 Abs. 3 Satz 2 NSchG mitwirkt, in § 169 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 bis 11 NSchG nicht abschließend, sondern nur beispielhaft ist, handelt es sich bei dem in § 169 Abs. 4 Satz 1 NSchG genannten Katalog der erweiterten Mitwirkungstatbestände um einen abschließenden Kanon, der einer erweiternden Auslegung mithilfe der Generalklausel nicht zugänglich ist (vgl. hierzu Littmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG, Kommentar, Stand: März 2009, § 169 Anm. 4 und 6).

19

Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung hat der Antragsteller bereits nicht deutlich gemacht, wo aus seiner Sicht die gravierende Beeinträchtigung und damit ein Notstand in der Unterrichtsversorgung liegen soll, dem durch die Änderung des Klassenbildungserlasses entgegengewirkt werden soll. Durch die Änderung des Klassenbildungserlasses als einem Teilaspekt des Maßnahmepakets verspricht sich der Antragsgegner ein Äquivalent von 150 Vollzeitlehrerstellen (VZLE), sodass in diesem Umfang zusätzliche Lehrerstunden zur Sicherung des Pflichtunterrichts in den Schuljahren 2009/2010 und 2010/2011 frei werden. Grund hierfür ist, dass aus Sicht der niedersächsischen Landesregierung und des Antragsgegners gerade in diesen beiden Schuljahren insbesondere wegen des erforderlichen Abbaus der sogenannten Arbeitszeitkonten der Lehrkräfte und der doppelten Abiturjahrgänge im Schuljahr 2010/2011 bei einer weiterhin hohen Schülerzahl die Schulen bei der Unterrichtsversorgung vor besonderen Herausforderungen stehen. Dieser Zustand rechtfertigt es nicht, von einem "Notstand" im Erziehungs- und Bildungswesen i.S.d. § 169 Abs. 3 Satz 4 Nr. 5 NSchG bei der Unterrichtsversorgung der Schulen mit Lehrkräften auszugehen. Ohne die streitgegenständliche Änderung des Klassenbildungserlasses würden auf der Grundlage der Berechnung des Antragsgegners 150 VZLE fehlen. Insgesamt soll das Maßnahmepaket 2.000 VZLE erwirtschaften, die bei einem Gesamtumfang von 68.500 VZLE einen Anteil von unter 4 v. H. ausmachen. Die durch die Änderung des Erlasses freiwerdenden 150 VZLE stellen gemessen an diesem Gesamtumfang lediglich einen Anteil von weit unter 1 v. H. dar. Es ist nicht ersichtlich, dass ohne diesen Stellenanteil die Unterrichtsversorgung der allgemein bildenden Schulen in einem derartigen Maße gefährdet sein könnte, dass die Realisierung des Unterrichts- und Bildungsauftrags ernsthaft in Gefahr wäre.

20

Der unter Beifügung von Zeitungsartikeln bekräftigte Hinweis des Antragstellers darauf, dass in Deutschland und auch in Niedersachsen aufgrund der Alterstruktur der Lehrkräfte in den nächsten Jahren allgemein ein erheblicher Mangel an Lehrkräften und ein solcher insbesondere in bestimmten Fächern auftreten werde, sodass die Unterrichtsversorgung in Zukunft ernsthaft und gravierend gefährdet erscheine, rechtfertigt ein anderes Ergebnis nicht. Bei der streitigen Änderung des Klassenbildungserlasses handelt es sich nicht um eine Maßnahme, die diesem generellen Umstand Rechnung tragen soll. Die Änderung ist ausdrücklich und - wie sich aus einem in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindlichen Vermerks des Staatssekretärs ergibt - entgegen anderslautender Überlegungen des Fachreferats des Antragsgegners gezielt auf zwei Jahre beschränkt und soll ausweislich der Ausführungen in dem Maßnahmepaket lediglich den aus dem Abbau der Arbeitszeitkonten der Lehrkräfte und des doppelten Abiturjahrgangs resultierenden, zeitlich beschränkten Bedarf an Lehrerstunden teilweise ausgleichen. Der von dem Antragsteller angeführte online-Artikel mit dem Titel "Lehrermangel - Notstand in Niedersachsen" in der Zeitschrift "Focus" (Anlage K 16) thematisiert nicht die hier streitgegenständliche Änderung des Klassenbildungserlasses, sondern führt zur Lösung der aus dem Lehrermangel resultierenden Situation andere Maßnahmen an. Dass das Maßnahmepaket vom 24. Februar 2009 nicht von dem zuständigen Antragsgegner, sondern von der niedersächsischen Landesregierung beschlossen worden ist, mag zwar die besondere politische Bedeutung der dort aufgeführten Maßnahmen und auch des Klassenbildungserlasses aufzeigen, belegt für sich genommen aber nicht einen Notstand in dem aufgezeigten Sinn.

21

Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, wie die Unterrichtsversorgung zu berechnen ist und wie sie sich prozentual bemisst, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Der Antragsteller verweist in diesem Zusammenhang zwar zu Recht darauf, dass es aus Elternsicht auf die tatsächliche Unterrichtsversorgung vor Ort und nicht auf den nach der Stundentafel zu erbringenden Unterricht ankommt und dass die Unterrichtsversorgung wegen des Ausfalls von Lehrkräften etwa aufgrund von Erkrankungen, Teilnahme an Lehrgängen und Konferenzen oder Freistellungsstunden infolge des Abbaus von Arbeitszeitkonten geringer ausfällt als die von dem Antragsgegner unter Außerachtlassung dieser Umstände errechnete Unterrichtsversorgung nach der Stundentafel. Aber selbst unter Zugrundelegung der Annahme des Antragstellers, dass sich die tatsächliche Unterrichtsversorgung nur bei etwa 90 v. H. bewegt, handelt es sich bei der streitgegenständlichen Änderung des Klassenbildungserlasses nicht um eine Maßnahme, die den Unterrichtsausfällen gerade aus diesen Gründen begegnen soll. Im Rahmen des Mitwirkungstatbestandes der Nr. 5 des § 169 Abs. 3 Satz 4 NSchG ist aber eine Kausalität von Missstand und Maßnahme erforderlich, die Maßnahme muss mit anderen Worten erklärtermaßen und gezielt gerade der Behebung oder Linderung des erkannten Missstandes dienen; hieran fehlt es. Gleiches gilt für die von dem Antragsteller unter Hinweis auf angeblich mangelhafte Kenntnisse angehender Studenten in Studiengängen mit mathematischen Anteilen aufgeworfene Frage, ob aufgrund qualitativer Missstände in dem Unterrichtsfach Mathematik von einem "Notstand" gesprochen werden kann.

22

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Antragsgegner sei noch in den Jahren 2003/2004 im Zusammenhang mit der seinerzeitigen Änderung des Klassenbildungserlasses von einem suspensiven Vetorecht ausgegangen und habe diese Änderung auf der Grundlage des § 169 Abs. 4 NSchG mit ihm erneut erörtert. Dem Antragsgegner stand es frei, seinen Standpunkt zu dieser Frage zu überdenken und infolgedessen die frühere Verfahrensweise zu ändern. Nach den obigen Ausführungen bewegt er sich damit im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen des Niedersächsischen Schulgesetzes.