Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.02.2010, Az.: 11 OB 452/09
Geltendmachung eines Wertersatzanspruches vor den Zivilgerichten aufgrund eines ursprünglich nach § 111d Strafprozessordnung (StPO) gepfändeten PKW; Nutzung für dienstliche Zwecke i.R.d. Annahme des Eigentumsübergangs an das Land
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.02.2010
- Aktenzeichen
- 11 OB 452/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 10571
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0202.11OB452.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 11.08.2009 - AZ: 6 A 1433/09
Rechtsgrundlagen
- § 111d StPO
- § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO
Fundstellen
- DVBl 2010, 399
- DÖV 2010, 412
Amtlicher Leitsatz
Ein Anspruch auf Wertersatz für einen PKW, der ursprünglich nach § 111d StPO gepfändet, dann einvernehmlich an das Land übergangen und dort für dienstliche Zwecke genutzt worden ist, ist nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 VwGO vor den Zivilgerichten geltend zu machen.
Gründe
Gegen den Kläger wurde im Jahr 2002 ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Kreditwesengesetz und des gewerbsmäßigen Betruges eingeleitet. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens ordnete das Amtsgericht B. am 30. April 2003 zur Sicherung eines zu erwartenden (Wertersatz-)Verfalls und der Einziehung den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Klägers an. Auf Grund dieses Beschlusses wurde ein im Eigentum des Klägers stehender PKW gepfändet. Am 8. Juli 2003 erklärte der Kläger bei einer Vernehmung:
"Mir wurde gesagt, dass mein Fahrzeug verwertet werden soll, damit der Erlös auf den dinglichen Arrest angerechnet werden soll. Hierzu erkläre ich, dass ich mit der Notveräußerung einverstanden bin. Ich erkläre dies unwiderruflich. Mir ist bewusst, dass ich somit auf dieses Eigentum verzichte".
Der PKW wurde nachfolgend nicht an Dritte veräußert, sondern verblieb im Landesbesitz. Er wurde in der Annahme, dass das Eigentum an das Land übergangen sei, für dienstliche Zwecke der Polizei genutzt. Über die Höhe des Wertes des PKW im Zeitpunkt des angenommenen Eigentumsüberganges und über die gesonderte Verwendung eines Betrages in dieser Höhe finden sich in den Akten keine Ausführungen. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 153a StPO nach Erfüllung von Auflagen am 3. April 2008 endgültig eingestellt. Am 9. April 2008 wurde der dingliche Arrest aufgehoben.
Der Kläger beantragte im Dezember 2008 beim Beklagten die Zahlung von 28.000 EUR. Ihm, dem Kläger, stehe insoweit ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. Infolge der ersatzlosen Aufhebung des dinglichen Arrestes sei nämlich der Rechtsgrund für die Übertragung des Eigentums an dem PKW entfallen. Der Beklagte lehnte dieses Begehren mit Schreiben vom 23. Dezember 2008 ab. Aus dem Schriftwechsel über die vom Kläger zu erbringenden Auflagen nach § 153a StPO, der dem Einstellungsbeschluss vom 3. April 2008 vorausgegangen sei, ergebe sich, dass der Kläger konkludent auf alle Ansprüche hinsichtlich des PKW verzichtet habe; andernfalls wäre der vom Kläger als Auflage i.S.d. § 153a StPO zu zahlende Geldbetrag entsprechend höher ausgefallen.
Am 1. April 2009 hat der Kläger mit dem zuvor bezeichneten Begehren den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit einem nicht näher begründeten und nicht zugestellten Beschluss vom 11. August 2009 an das Landgericht Hannover verwiesen.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit zu Recht an das Landgericht verwiesen. Dies folgt aus der gegenüber der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 Abs. 1 VwGO spezielleren, abdrängenden Zuweisung an die Zivilgerichte gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 VwGO, § 23 Abs. 3 EGGVG. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 VwGO ist für Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung der ordentliche Rechtsweg gegeben, und zwar nach § 23 Abs. 3 EGGVG auch dann, wenn - wie hier - das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis auf strafprozessualen Maßnahmen der Staatsanwaltschaft beruht (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.12.2005 - 1 VAs 12/05 -, NStZ 2006, 654 f., m.w.N.). Vorliegend ist mit der Pfändung des PKW auf Grund des richterlichen Beschlusses vom 30. April 2003 ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis begründet worden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 3.5.2004 - 10 K 426/04 -, NVwZ-RR 2005, 512, m.w.N.). Der Eigentümer als Berechtigter hat nach ersatzloser Aufhebung des dinglichen Arrestes grundsätzlich einen Herausgabeanspruch, der nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, aber etwa in Nr. 75 RiStBV anerkannt wird (vgl. Löffler, NJW 1991, 1705 ff.). Dieser Herausgabeanspruch aus dem Verwahrungsverhältnis wandelt sich bei einer (Not-)Veräußerung der gepfändeten Sache gemäß § 111l Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. zu den Voraussetzungen bei Pfändung eines PKW: OLG Hamm, Beschl. v. 23.7.1999 - 2 Ws 232/99 -, [...]) in einen Anspruch auf Herausgabe des Erlöses. Vorliegend ist allerdings nach den Angaben der Beteiligten ein einvernehmlicher Übergang des Eigentums an der gepfändeten Sache von dem Betroffenen an das Land erfolgt, so dass ein Erlös, der "auf den dinglichen Arrest angerechnet werden sollte", nicht erzielt und nach Aktenlage auch nicht gesondert ermittelt worden ist. Ob sich unter diesen Voraussetzungen der ursprüngliche Herausgabeanspruch nunmehr auf Zahlung eines Betrages in Höhe des Wertes (abzüglich etwaiger Aufwendungen) bezieht, der im Falle der Veräußerung der Sache im Zeitpunkt ihrer Übertragung mutmaßlich erzielt worden wäre, oder ob es sich bei diesem Begehren um einen sonstigen Schadenersatzanspruch oder - wie vom Kläger geltend gemacht - um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch handelt, kann offen bleiben. Jedenfalls handelt es sich um einen Anspruch aus einer öffentlich-rechtlichen Verwahrung (vgl. OVG Münster, a. a. O). Die genannte Sonderzuweisung des § 40 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 VwGO stellt nämlich bewusst nicht auf die genaue Einordnung des Anspruches, sondern auf das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis ab. Zudem lässt sich der zulässige Rechtsweg bei Erstattungsansprüchen ohnehin nur auf Grund des rückabzuwickelnden Leistungsverhältnisses bestimmen (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 31.10.2001 - 8 L 29/98 -, [...], m.w.N.). Da der dingliche Arrest nicht rückwirkend, sondern erst mit Wirkung ab Beschlussfassung im April 2008 aufgehoben worden ist, erscheint schließlich auch sehr zweifelhaft, ob sich ein "Erstattungsanspruch" - wie vom Kläger vorgetragen - überhaupt auf den Wert des PKW im Zeitpunkt der im Jahr 2003 einvernehmlich auf das Land erfolgten Eigentumsübertragung beziehen würde.
Die Zuweisung an die ordentlichen Gerichte nach § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 23 Abs. 3 EGGVG wird hier auch nicht durch die spezielleren Regelungen des § 111f Abs. 5, § 111k Satz 2 oder § 111l Abs. 6 StPO verdrängt.
Nach § 111f Abs. 5 StPO kann der Betroffene jederzeit gegen Maßnahmen, die in Vollziehung ... des Arrestes getroffen werden, die Entscheidung des (Amts-)Gerichts beantragen. Eine solche Vollziehungsmaßnahme ist hier aber nicht umstritten. Denn die Beteiligten streiten nicht um die Rechtmäßigkeit der Vollziehung des ersatzlos aufgehobenen dinglichen Arrestes, sondern vielmehr darum, ob der Kläger im Zuge des Schriftverkehrs über die nach § 153a StPO zu erbringenden Auflagen wirksam konkludent auf die zuvor bezeichneten Ansprüche aus dem Verwahrungsverhältnis verzichtet hat. Daher kann offen bleiben, ob die Zuständigkeit des (Amts-)Gerichts gemäߧ 111f Abs. 5 StPO nach dem Abschluss des Strafverfahrens überhaupt noch fortbestehen kann (vgl. BT- Drs. 16/700, S. 13; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.11.2008 - 4 Ws 590/08 -, [...], m.w.N.).
Ebenso wenig ist die Zuweisung gemäß § 111f Abs. 5 StPO hier über die Verweisung in § 111k Satz 2 StPO einschlägig. Denn § 111k StPO ist auf Ansprüche desjenigen, dessen Eigentum dem dinglichen Arrest unterlag, nicht anwendbar.
Schließlich ist vorliegend auch kein Anwendungsfall des § 111l Abs. 6 StPO gegeben. Danach kann u.a. der von einer Veräußerung von Vermögenswerten, die gemäß § 111d StPO gepfändet worden sind, Betroffene gegen Anordnungen der Staatsanwaltschaft Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 (StPO) zuständige Gericht beantragen. Diese Befugnis bezieht sich aber gemäß § 111l Abs. 1 StPO nur auf eine Notveräußerung (Satz 1) oder eine Veräußerung nach Rechtskraft eines Urteils in den Fällen des § 111i Abs. 2 StPO (Satz 2). Hier ist keine dieser beiden Konstellationen gegeben.
Für eine entsprechende Anwendung einer der zuvor angeführten Zuweisungen nach der StPO fehlt es wegen der Regelung in§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 VwGO hier jedenfalls an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke (vgl. zur Herausgabe im Ermittlungsverfahren beschlagnahmter Gegenstände: OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.8.2001 - 2 Ws 165/01 -, [...], m.w.N.).