Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.02.2010, Az.: 5 LB 391/08
Anspruch eines Bundesgrenzschutzbeamten auf Freizeitausgleich von einer Stunde pro Kalendermonat; Erforderlichkeit eines vorherigen Antrages auf Freizeitausgleich
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.02.2010
- Aktenzeichen
- 5 LB 391/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 11977
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0209.5LB391.08.0A
Rechtsgrundlage
- § 242 BGB
Fundstelle
- DÖV 2010, 487
Redaktioneller Leitsatz
In Fällen rechtswidriger Heranziehung zu einer überhöhten Regelarbeitszeit besteht der Anspruch auf Freizeitausgleich erst seit dem Ende des Monats, in dem der Beamte den Ausgleich erstmals beantragt hat (sog. Antragserfordernis). Die Geltendmachung des Anspruchs auf Freizeitausgleich muss so deutlich sein, dass sie den Dienstherrn veranlassen muss, darüber zu entscheiden, ob und ggf. welche konkreten Dispositionen zu treffen sind, um sich auf die Verpflichtung zur Gewährung von Dienstbefreiung einzustellen und den Dienst- oder Schichtplan rechtzeitig entsprechend anzupassen. Wer lediglich um Mithilfe dabei bittet, einen Umstand zu klären, der Voraussetzung des Anspruchs auf Freizeitausgleich ist, macht damit den Anspruch noch nicht geltend.
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Verwaltungsgericht sie unter teilweiser Aufhebung entgegenstehender Bescheide verpflichtet hat, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 1995 bis zum 31. August 1999 Freizeitausgleich im Umfang von einer Stunde pro Kalendermonat zu gewähren. Sie ist nämlich der Auffassung, dass es hierfür an einem erforderlichen, aber nicht fristgerecht bei ihr gestellten Antrag des Klägers auf Freizeitausgleich fehle.
Der Kläger leistete seit dem 15. März 1993 als Bundesgrenzschutzbeamter seinen Dienst bei (Bundes-) Grenzschutzämtern in Sachsen. Aufgrund einer falschen, höchstrichterlich (BVerwG, Urt. v. 21. 12. 2000 - BVerwG 2 C 1.00 -, in: Schütz/Maiwald, BeamtR ES/B I 2.4 Nr. 47) aber erst im Jahre 2000 für unzutreffend erklärten Auslegung einer Übergangsvorschrift des Einigungsvertrages zog die Beklagte ehedem die im Beitrittsgebiet tätigen Bundesbeamten über deren rechtmäßige, regelmäßige Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden hinaus zu einer von ihr irrig für geschuldet erachteten, regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche zum Dienst heran.
Mit Schreiben vom 10. Juni 1995 (Bl. 14 Beiakte - BA - A) wandte sich der Kläger an seine damalige Dienststelle, das Grenzschutzamt D., stellte verschiedene Fragen zu seiner Versorgung und Besoldung und wollte außerdem wissen, "auf welcher Rechtsgrundlage die 1,5 Stunden Mehrarbeit pro Woche basieren." Eine entsprechende Anfrage übersandte er unter dem 26. Oktober 1995 (Bl. 15 BA A) auch dem Personalrat des Grenzschutzamtes, der ihm mit Schreiben vom 9. November 1995 (Bl. 16 BA A) antwortete und ihn von der Übergangsvorschrift desEinigungsvertrages und deren damaligem (aber unrichtigen) Verständnis unterrichtete. Die Dienststelle des Klägers reagierte nicht auf seine Anfrage.
Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin in zwei dem Kläger bekannt gewordenen Urteilen vom 2. November 1999 (- 28 A 134.96 -, u.a.) die Übergangsvorschrift des Einigungsvertrages anders als die Beklagte verstanden und die Sprungrevision zugelassen hatte, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 6. Januar 2000 (in BA A am Ende) die Feststellung, dass auch für ihn vom "15.03.92 - 31.08.99" die regelmäßige Arbeitszeit 38,5 Wochenstunden betragen habe. Hilfsweise beantragte er, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für den genannten Zeitraum rückwirkend von 40 auf 38,5 Stunden zu reduzieren. Mit Bescheid vom 18. Januar 2000 (in Beiakte A am Ende) wertete das Bundesgrenzschutzamt E. die Begehren des Klägers als Antrag auf die Feststellung, dass seit dem 1. Januar 1996 die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 38,5 Stunden betrage, sowie als Antrag auf die Gewährung eines Freizeitausgleichs, hilfsweise auf die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung, und lehnte diese Anträge ab. Nach einem hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers setzte das genannte Bundesgrenzschutzamt das Widerspruchsverfahren im Juli 2000 im Hinblick darauf aus, dass die Beklagte gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin die zugelassene Sprungrevision zwar eingelegt hatte, eine Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aber noch ausstand. Durch Bescheid vom 28. Juni 2004 (Bl. 7 f. Gerichtsakte - GA -) griff das Grenzschutzpräsidium F. das Verfahren wieder auf und bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar 2000 bis zum 31. Dezember 2000 pro Monat eine Stunde - insgesamt also 11 Stunden - Freizeitausgleich. Ein weiter gehender Anspruch bestehe nicht, weil der Kläger erstmals mit Schreiben vom 6. Januar 2000 ein entsprechendes Begehren geäußert habe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers, der damit begründet war, dass erstmalig bereits mit Schreiben vom 10. Juni 1995 der erforderliche Antrag gestellt worden sei, wies das Grenzschutzpräsidium durch Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2004 (Bl. 11 ff. GA) zurück. Der Kläger habe 1995 keinen Antrag gestellt, sondern lediglich eine "wertneutrale Auskunft" erbeten und hinterfragt, auf welcher Rechtsgrundlage er 40 Wochenstunden zu leisten habe. Diese Frage sei durch den Personalrat beantwortet worden. Ein Anspruch auf Abgeltung der zuviel geleisteten Stunden bestehe daher nur im bereits zuerkannten Umfang.
Am 3. August 2004 hat der Kläger - entsprechend der ihm erteilten Rechtsbehelfsbelehrung - bei dem Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben. Das Verfahren ist mit Beschluss vom 24. September 2004 - 13 A 3829/04 - an das Verwaltungsgericht Göttingen verwiesen worden.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger ausgeführt, dass er bereits mit seinem Schreiben vom 10. Juni 1995 die Rechtmäßigkeit der 40-stündigen Wochenarbeitszeit hinterfragt habe und dies angesichts seiner eingeschränkten rechtlichen Vorbildung als Antrag zu verstehen gewesen sei, die wöchentliche Regeldienstzeit auf 38,5 Stunden zu reduzieren. Für den über 50-monatigen Zeitraum vom 1. Juli 1995 bis zum 31. August 1999 - ab dem Folgetag sei er nach G. abgeordnet worden - müsse ihm deshalb eine Kompensation gewährt werden. Seine mehr geleistete Dienstzeit von 1,5 Stunden pro Woche summiere sich für den gesamten Zeitraum auf 324,75 Stunden, woraus sich mit einem Ansatz von 24,00 EUR/Stunde ein Bruttobetrag von fast 7.800,00 EUR ergebe. Eigentlich habe er von Anfang an eine entsprechende Regelung für die Zeit seit dem 15. März 1993 begehrt, wodurch sich der Kompensationsanspruch auf 503,3 Stunden erhöhe.
Der Kläger hat (zuletzt) beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide des Bundesgrenzschutzamtes E. vom 18. Januar 2000 und des Grenzschutzpräsidiums F. vom 28. Juni 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2004, soweit sie dem entgegenstehen, zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 15. März 1993 bis zum 31. August 1999 Freizeitausgleich im Umfang von 1,5 Stunden pro Woche zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angegriffenen Bescheide verteidigt und die Auffassung vertreten, das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinem Urteil vom 28. Mai 2003 - BVerwG 2 C 30.02 - festgestellt, dass die Bundesbeamten in den neuen Bundesländern nach Treu und Glauben einen Anspruch auf Freizeitausgleich von einer Stunde je Kalendermonat für die Zeit vom 1. Oktober 1992 bis zum 31. Dezember 2000 hätten. Das insoweit bestehende Antragserfordernis sei zwar von dem Bundesverwaltungsgericht nicht näher begründet, aber zwischenzeitlich durch mehrere erstinstanzliche Entscheidungen bestätigt worden. Da der Kläger im Juni 1995 nur eine Auskunft wegen der Rechtsgrundlage der 40-Stunden-Woche erbeten habe, sei für seinen individuellen Ausgleichsanspruch der Antrag vom 6. Januar 2000 maßgeblich. Nach dem Erhalt des Antwortschreibens des Personalrates habe der Kläger keine Einwendungen erhoben.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1995 bis zum 31. August 1999 Freizeitausgleich im Umfang von einer Stunde pro Kalendermonat zu gewähren und die Bescheide des Bundesgrenzschutzamtes E. vom 18. Januar 2000 sowie des Grenzschutzpräsidiums F. vom 28. Juni 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2004 aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides seien rechtswidrig und verletzten den Kläger in dessen Rechten, soweit ihm für die Zeit vom 1. Juli 1995 bis zum 31. August 1999 Freizeitausgleich von einer Stunde je Monat versagt worden sei. Im Umfang von 50 Monaten sei die Beklagte deshalb zu einem Ausgleich zu verpflichten. Soweit der Klageantrag darüber hinausgehe, seien die angefochtenen Bescheide jedoch vor einer Klageänderung bestandskräftig geworden und sei die Klage deshalb unbegründet. Mit Urteilen vom 28. Mai 2003 - BVerwG 2 C 28.03 u.a. - habe das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Bundesbeamte, die im Beitrittsgebiet tätig gewesen seien und aufgrund einer unrichtigen Auslegung der Arbeitszeitvorschriften des Einigungsvertrages durch die Beklagte zwischen dem 1. Oktober 1992 und dem 31. Dezember 2000 Dienst mit einer Wochenarbeitszeit von 40 statt 38,5 Stunden geleistet hätten, Dienstbefreiung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beanspruchen könnten. Ein Kompensationsanspruch bestehe hiernach für jeden betroffenen Bundesbeamten im Umfang von einer Stunde je Kalendermonat seiner "Mehrarbeit". Weitere Anspruchsvoraussetzungen habe das Bundesverwaltungsgericht nicht aufgestellt. Im Gegensatz zu der von der Beklagten unter Berufung auf erstinstanzliche Rechtsprechung vertretenen Auffassung sei der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu entnehmen, dass der Anspruch auf Freizeitausgleich erst mit dem Ende des Monats entstehe, in dem der Beamte einen entsprechenden Antrag bei seiner Dienststelle stelle. Nicht mit einer (zu späten) Antragstellung bei der Dienststelle im verwaltungsbehördlichen Verfahren, sondern mit dem Umfang des klageweise begehrten Freizeitausgleichs sei es zu erklären, dass das Bundesverwaltungsgericht in dem damals von ihm entschiedenen Fall die Klage teilweise abgewiesen habe. Nach dem eindeutigen Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften habe es klar auf der Hand gelegen, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Bundesbeamten im gesamten Bundesgebiet 38,5 Stunden betragen habe. Unter den genannten Umständen wäre es grob unbillig, den Ausgleichsanspruch vollständig entfallen zu lassen, wenn er im konkreten Einzelfall nicht rechtzeitig geltend gemacht worden sei, weil der Beamte gutgläubig auf die rechtmäßige Festlegung des Umfangs der wöchentlichen Arbeitszeit durch den sich in Wirklichkeit mindestens grob fahrlässig und rechtswidrig verhaltenden Dienstherrn vertraut habe. Wenn demgegenüber zur Begründung eines Antragserfordernisses der Dienstherr so lange als "gutgläubig" - und damit nicht ausgleichspflichtig - behandelt werden solle, bis er "im konkreten Fall Zweifel an der Rechtmäßigkeit der abverlangten Arbeitszeit bekommen habe", so hätte das Bundesverwaltungsgericht zumindest für die Zeit vor seinem die Auslegung des Einigungsvertrages betreffenden Urteil vom 21. Dezember 2000 in keinem Fall einen Ausgleichsanspruch zuerkennen können. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), den das Bundesverwaltungsgericht als Grundlage des Ausgleichsanspruchs heranziehe, sei in seiner Erfüllung auch nicht deshalb von einem Antrag beim Dienstherrn abhängig, weil Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts aus der "Alimentationsrechtsprechung" hierauf übertragbar wären. Der Ausgleichsanspruch aus Treu und Glauben stehe hinsichtlich seiner Rechtsnatur und den Voraussetzungen für seine Entstehung vielmehr den gesetzlichen Ausgleichsansprüchen der Beamten, wie beispielsweise denjenigen auf Trennungsgeld, Reisekosten, Beihilfe, Mehrarbeitsausgleich oder Erholungsurlaub, gleich. Auch auf diesen Rechtsgebieten müsse der Beamte einen Antrag nicht stellen, um den Anspruch dem Grunde nach zum Entstehen zu bringen, sondern nur, um ihn der Höhe oder dem Zeitraum nach zu konkretisieren. Da hinsichtlich der Verwirkung des Anspruchs auf Ausgleich von Mehrarbeitszeit nach Treu und Glauben durch das Bundesverwaltungsgericht keine Fristenregelung getroffen worden sei, gälten insoweit die allgemeinen Grundsätze. Zwar möge im vorliegenden Fall seit dem Entstehen des Ausgleichsanspruchs des Klägers bis zu seiner Geltendmachung ein langer Zeitraum verstrichen sein. Ein Umstandsmoment, aus dem der Dienstherr hätte schließen dürfen, dass der Kläger seinen Ausgleichsanspruch nicht mehr geltend machen würde, sei aber nicht erkennbar. Es liege insbesondere nicht darin, dass der Kläger auf das Antwortschreiben des Personalrates seiner damaligen Dienststelle vom 9. November 1995 nicht erkennbar reagiert habe. Sei demzufolge der Ausgleichsanspruch des Klägers im Umfang von einer Stunde pro Monat ab dem 1. Oktober 1992 entstanden und nicht durch Verwirkung wieder erloschen, komme es nicht darauf an, ob der Schriftverkehr aus dem Jahre 1995 als Ausgleichsantrag aufzufassen gewesen sei.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Anträge auf Zulassung der Berufung gestellt.
Der Senat hat mit Beschluss vom 11. September 2008 - 5 LA 260/05 - den Zulassungsantrag des Klägers abgelehnt. Auf den Antrag der Beklagten hat er dagegen wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils die Berufung insoweit zugelassen, als die Beklagte verpflichtet worden ist, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1995 bis zum 31. August 1999 Freizeitausgleich im Umfang von einer Stunde pro Kalendermonat zu gewähren, und dem entgegenstehenden Bescheide teilweise aufgehoben worden sind. Die Kostenentscheidung hat er der Schussentscheidung vorbehalten.
Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 18. September 2009 hat die Beklagte ihre Berufung am 7. Oktober 2009 im Wesentlichen begründet wie folgt:
Maßgeblich sei, dass ausgehend von einer richtigen Auslegung der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2003 - BVerwG 2 C 28.02 - u.a. ein Anspruch des Klägers auf Freizeitausgleich erst mit dem Ende des Monats der Antragstellung bei seiner Dienststelle habe entstehen können. Einen solchen Antrag habe der Kläger aber erstmals mit Schreiben vom 6. Januar 2000 gestellt. Im Rahmen des zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn bestehenden Dienst- und Treueverhältnisses bedürfe der Anspruch auf Freizeitausgleich wegen zuviel geleisteter Dienste einer Konkretisierung durch den Beamten, damit dem Dienstherrn die Möglichkeit gegeben werde, sich auf die Verpflichtung zur Gewährung von Freizeitausgleich einzustellen und den Dienst- oder Schichtplan entsprechend anzupassen. Nur so sei ein angemessener Ausgleich der Interessen des Beamten an der Wiedergutmachung der rechtswidrig abverlangten Mehrarbeit einerseits und des Dienstherrn an einer Planung der für die Dienstausübung zur Verfügung stehenden Personalkapazität andererseits möglich. Der Verweis des Verwaltungsgerichts auf andere, gesetzlich normierte Ansprüche, wie auf Trennungsgeld usw., gehe fehl, weil der hier in Rede stehende Anspruch gerade nicht gesetzlich konkretisiert sei. Schließlich sei nach Treu und Glauben auch nur eine angemessene Dienstbefreiung geschuldet. Angemessen sei eine Dienstbefreiung nach Treu und Glauben aber lediglich dann, wenn sich ein von der rechtswidrigen Heranziehung zu zusätzlichem Dienst betroffener Beamter dadurch überhaupt beschwert gefühlt und dies seinem Dienstherrn deutlich gemacht habe. Ergänzend beziehe sie, die Beklagte, sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das Ergebnis des angefochtenen Urteils, soweit die Entscheidung zu seinen Gunsten ergangen ist. Seiner Auffassung nach ist er mit einer ergebnisorientierten, unfairen Verlagerung von Obliegenheitspflichten zu seinen Lasten konfrontiert, und zwar sowohl seitens der Beklagten als auch in Gestalt der mit dem Zulassungsbeschluss vertretenen Rechtsauffassung des Senats. Entscheidungserheblich sei allein, dass er in einem Umfang Dienst geleistet habe, der über dasjenige Maß hinausgegangen sei, das sich im Rahmen der gesetzlichen Regelung und der ihm zustehenden Besoldung gehalten hätte. Daher habe im Nachhinein eine Kompensation zu erfolgen und könne es nicht darauf ankommen, ob der Dienstbetrieb übermäßig beeinträchtigt würde, wenn der Dienstherr einer Vielzahl gleichartiger Begehren Rechnung tragen müsste. Die Beklagte habe zu solchen Beeinträchtigungen auch gar nichts vorgetragen. Unabhängig davon dürften die Anforderungen an eine für die Gewährung von Freizeitausgleich etwa erforderliche "Antragstellung" nicht überdehnt werden. Bei der Auslegung seines Schreiben vom 10. Juni 1995 sei der Rechtsgedanke des § 133 BGB zu beachten, also sein wirklicher Wille zu erforschen, und nicht an dem buchstäblichen Sinne des von ihm gewählten Ausdrucks zu haften. Es müssten insoweit ähnliche Maßstäbe angelegt werden, wie sie der Senat zugunsten der Beklagten bei der Auslegung der Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrages habe walten lassen. Bereits mit seinen Schreiben vom 10. Juni 1995 habe er, der Kläger, ausdrücklich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der "Mehrarbeitsleistung" ohne gleichzeitigen Freizeitausgleich geäußert. Selbst wenn dieses Schreiben nicht als ausdrücklicher Antrag aufgefasst werden sollte, ergebe sich aus ihm doch, dass er nicht davon ausgegangen sei, "Mehrarbeit" leisten zu müssen, ohne entsprechenden Freizeitausgleich zu erhalten. Er habe bereits damals deutlich gemacht, dass er sich durch eine rechtswidrige Heranziehung beschwert fühle. Die Beklagte ziehe sich zu Unrecht darauf zurück, dass sie erst bei einer ausdrücklichen Beantragung von Freizeitausgleich eine Prüfungspflicht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Umfangs ihrer damaligen Inanspruchnahme von Bundesbeamten gehabt hätte. Was die Bestimmung der Höhe seines Anspruchs auf Freizeitausgleich anbetreffe, sei die von dem Bundesverwaltungsgericht und dem Senat bislang für richtig gehaltene Pauschalierung abzulehnen. Der Senat nehme insoweit Ungenauigkeiten in Kauf, die in einem nicht gerechtfertigten Gegensatz zu der Genauigkeit stünden, die ihm, dem Kläger, mit Blick auf seine angeblich mangelnde Antragstellung abverlangt werde. Ergänzend beziehe er sich auf sein bisheriges Vorbringen in beiden Rechtszügen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte A) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Berufungsverhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt daher zur vollständigen Abweisung der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils.
Der Kläger hat mangels einer erforderlichen, vorangegangenen Antragstellung bei der Beklagten keinen Anspruch auf den ihm zugesprochenen Freizeitausgleich von einer Stunde pro Kalendermonat für die Zeit vom 1. Juli 1995 bis zum 31. August 1999. Die mit den angegriffenen Bescheiden erfolgte Ablehnung dieses Begehrens muss deshalb Bestand haben.
In Fällen rechtswidriger Heranziehung zu einer überhöhten Regelarbeitszeit besteht nach der (recht verstandenen) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 28. 5. 2003 - BVerwG 2 C 28.02 -, LKV 2004, 268 f.), des Senats (Urt. v. 30. 5. 2007 - 5 LC 225/04 -, Nds. VBl. 2007, 295 ff. und Urt. v. 9. 12. 2008 - 5 LC 293/06 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in [...]), des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 21. 5. 2005 - 1 Bf 117/04 -, Bl. 91 ff. GA), des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (Beschl. v. 30. 9. 2008 - 1 L 119/08 - BeckRS 2008, 39719, und [...] Langtext Rn. 9 f.) und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (Urt. v. 19. 7. 2006 - 1 R 20/05 -, AS RP-SL 33, 273 ff., zitiert nach [...], Langtext, Rn. 26) der aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) herzuleitende Anspruch auf Freizeitausgleich erst seit dem Ende des Monats, in dem der Beamte den Ausgleich erstmals beantragt hat. Das Erfordernis der zeitigen Antragstellung ist damit zu begründen, dass der genannte Anspruch in das zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn bestehende Dienst- und Treuverhältnis eingebettet ist und in diesem Rahmen der Konkretisierung durch den Beamten bedarf, damit dem Dienstherrn die Möglichkeit gegeben wird, sich auf die Verpflichtung zur Gewährung von Freizeitausgleich einzustellen und den Dienst- oder Schichtplan rechtzeitig entsprechend anzupassen (Nds. OVG, Urt. v. 18. 6. 2007 - 5 LC 225/04 -, Nds. VBl. 2007, 295 ff. [299] und Urt. v. 9. 12. 2008 - 5 LC 293/06 -, a.a.O.; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 21. 5. 2005 - 1 Bf 117/04 -, Bl. 91 ff. [95] GA).
Zu Unrecht meinen der Kläger und die Vorinstanz, ein solches Antragserfordernis widerstreite dem sich aus dem fehlerhaften Verhalten der Beklagten ergebenden Erfordernis voller Kompensation bzw. sei mit dem Gedanken von Treu und Glauben unvereinbar, weil es grob unbillig wäre, den Ausgleichsanspruch vollständig entfallen zu lassen, wenn er nicht rechtzeitig geltend gemacht worden sei, weil der Beamte gutgläubig auf die rechtmäßige Festlegung des Umfangs der wöchentlichen Dienstzeit durch den sich in Wahrheit grob fahrlässig und rechtswidrig verhaltenden Dienstherrn vertraut habe.
Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinen Grundsatzentscheidungen (Urt. v. 28. 5. 2003 - BVerwG 2 C 28.02 -, LKV 2004, 268 f. und Urt. v. 28. 5. 2003 - BVerwG 2 C 30.02 - Bl. 22 ff. BA A) zutreffend ausgeführt hat, bestehen für die vorliegende Fallgestaltung keine gesetzlich geregelten Ansprüche auf vollständige Kompensation. Es gibt auch keinen gleichsam naturrechtlichen Anspruch auf vollständigen Ausgleich erlittenen Unrechts. Deshalb sind die Voraussetzungen und der Umfang des hier lediglich nach Treu und Glauben in Betracht kommenden Ausgleichs durch richterliche Rechtsfortbildung näher zu bestimmen. Diese Rechtsfortbildung hat sich daran zu orientieren, dass Beamte wie der Kläger zu ihrem Dienstherrn in einem Dienst- und Treueverhältnis stehen, dem in vielfacher Hinsicht eine Bindung an das Gemeinwohl eigen ist. Zwar wäre es unbillig, rechtsirrig veranlasste Überschreitungen der regelmäßigen Arbeitszeit den davon betroffenen Beamten grundsätzlich ohne jeden Ausgleich zuzumuten. Der soziale Zweck der missachteten Arbeitszeitregelung, nämlich der Schutz vor Überbeanspruchung, lässt sich aber durch einen nachträglichen Freizeitausgleich für weit zurückliegende Zeiträume kaum mehr erreichen. Dagegen liegt es auf der Hand, dass es den Interessen der Allgemeinheit zuwiderläuft, wenn ein Dienstherr unversehens nach Jahr und Tag in einer hohen Zahl von Fällen mit erheblichen Ansprüchen auf einen gesetzlich nicht vorgesehenen Freizeitausgleich für seit Langem verflossene Zeiträume konfrontiert werden könnte (vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 21. 5. 2005 - 1 Bf 117/04 -, Bl. 91 ff. [95] GA). Dies wäre nämlich geeignet, die Einsatz- und Personalplanung, und damit die Effektivität der Erledigung der Aufgaben des Öffentlichen Dienstes, erheblich zu beeinträchtigen. Insoweit weist der vorliegende Interessengegensatz sehr wohl Parallelen (so auch: OVG Berl-Brdb, Beschl. v. 21. 6. 2007 - 4 N 192.05 - [...], Langtext Rn. 4) zu der Problematik auf, die das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 13. 11. 2008 - BVerwG 2 C 16.07 - NVwZ-RR 2009, 249 [250 f.]) und ihm folgend den erkennenden Senat (Beschl. v. 24. 7. 2009 - 5 LA 160/07 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in [...]) bestimmt haben, das Erfordernis der zeitnahen Geltendmachung von Ansprüchen, die über die gesetzlich vorgesehene Besoldung hinausgehen, auch auf Ansprüche auf der Grundlage der Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91, 5, 6, 7, 8, 9, 10/96, 3, 4, 5, 6/97 - (BVerfGE 99, 300) zu erstrecken. Denn die nachträgliche Erfüllung solcher Ansprüche ist als "Alimentation für die Vergangenheit" ebenfalls kaum mehr zweckentsprechend, kann aber, wenn sie in zahlreichen Fällen unerwartet erforderlich wird, gleichfalls die Handlungsfähigkeit der betroffenen Dienstherrn zu Lasten der Allgemeinheit erheblich einschränken.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht unbillig, sondern geboten, Ansprüche auf Freizeitausgleich an das hier umstrittene Antragserfordernis zu binden. Dem steht auch die Argumentation des Verwaltungsgerichts mit der vermeintlichen Rechtsnatur solcher Ansprüche nicht entgegen. Denn inwieweit ihre Rechtsnatur derjenigen anderer Ausgleichsansprüche entspricht, beurteilt sich erst nach dem Ergebnis der richterlichen Rechtsfortbildung.
Aus dem vorgenannten Zweck des Antragserfordernisses ergibt sich zugleich, welche inhaltlichen Anforderungen an die gebotene Beantragung von Freizeitausgleich zu stellen sind. Die Auffassung des Klägers, es seien stattdessen Parallelen zu den Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrages zu ziehen und der Senat müsse aus Gründen der Fairness die Auslegung des materiellen Rechts an denselben Maßstäben orientieren, nach denen die Begründung des Zulassungsantrages der Beklagten als noch hinreichend beurteilt worden sei, ist nicht vertretbar. Sie nimmt die unterschiedlichen Funktionen der beiden Rechtshandlungen nicht in den Blick.
Der Senat hat die Anforderungen an einen Antrag auf Freizeitausgleich in seinem Urteil vom 9. Dezember 2008 - 5 LC 293/06 - (veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in [...]) dahingehend konkretisiert, dass die Geltendmachung des Anspruchs auf Freizeitausgleich so deutlich zu sein habe, dass sie den Dienstherrn hätte veranlassen müssen, sich darüber Rechenschaft abzulegen, ob und ggf. welche konkreten Dispositionen zu treffen sind, um sich auf die Verpflichtung zur Gewährung von Dienstbefreiung einzustellen und den Dienst- oder Schichtplan rechtzeitig entsprechend anzupassen. Daran ist festzuhalten. Diesen Voraussetzungen genügt die Anfrage des Klägers vom 10. Juni 1995 (Bl. 14 BA A) nicht. Das ergibt sich gerade unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 133 BGB. Denn in der Anfrage hielt es der Kläger selbst für möglich, dass es eine Rechtsgrundlage für die Mehrarbeit von 1,5 Wochenstunden gebe. Dadurch gab er der Beklagten zu verstehen, dass er bislang noch nicht einmal selbst von der Rechtswidrigkeit der Mehrarbeit und damit von dem Vorliegen der entscheidenden Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs überzeugt sei. Wer aber lediglich um Mithilfe dabei bittet, einen Umstand zu klären, der Voraussetzung des Anspruchs auf Freizeitausgleich ist, macht damit diesen Anspruch noch nicht mit jener Deutlichkeit geltend, die seinen lediglich befragten Dienstherrn hätte veranlassen müssen, sich darüber Rechenschaft abzulegen, ob und ggf. welche konkreten Dispositionen zu treffen sind, um sich auf die Verpflichtung zur Gewährung von Freizeitausgleich einzustellen und den Dienst- bzw. Schichtplan rechtzeitig entsprechend anzupassen. Dies gilt umso mehr, wenn man - wie geboten - bei der Beantwortung der Frage nach den Verständnismöglichkeiten, die für das Schreiben des Klägers im Juni 1995 gegeben waren, als Hintergrund auch die damalige Rechtsauffassung der Beklagten und den damaligen Stand der Rechtsprechung berücksichtigt, nach dem weder die Auslegung des Einigungsvertrages noch die Rechtsfolgen höchstrichterlich geklärt waren, die sich zugunsten des Klägers aus einer rechtswidrigen Heranziehung zu einer überhöhten Regelarbeitszeit ergeben konnten. Es darf deshalb nicht nachträglich ein Empfängerhorizont der Beklagten fingiert werden, der durch ein - ehedem nicht vorhandenes - Bewusstsein rechtswidrigen Handelns und Wissen um eine bestimmte, an dieses Handeln anzuknüpfende Rechtsfolge gekennzeichnet ist. Vielmehr hätte der Kläger es deutlich machen müssen, falls er über eine Auskunft hinaus bereits etwas verlangte und was dies sei. Das hat er jedoch nicht getan. Seine Erwartung, sein Dienstherr oder das Gericht müsse ihn nun aus Gründen der Fürsorge rückwirkend anders verstehen, als dies im Jahre 1995 möglich war, ist nicht berechtigt. Wie der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss 11. September 2008 - 5 LA 260/05 - festgestellt hat, wurde von dem Kläger vor dessen Schreiben vom 6. Januar 2000 ein Freizeitausgleich nicht beantragt. Für den diesem Schreiben vorangegangenen Zeitraum vom 1. Juli 1995 bis zum 31. August 1999 besteht somit kein Anspruch auf die Gewährung von Freizeitausgleich. Die Klage ist deshalb insgesamt abzuweisen.