Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.12.1990, Az.: 9 A 111/87

Zinsanspruch; Rückzahlung; Erschließungsbeitrag; Lärmschutzwall; Erschließungsanlage

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.12.1990
Aktenzeichen
9 A 111/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 12989
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1990:1211.9A111.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 11.08.1987 - AZ: 1 A 132/86
nachfolgend
BVerwG - 13.05.1991 - AZ: BVerwG 8 B 56.91
BVerwG - 13.08.1993 - AZ: BVerwG 8 C 36.91

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer Osnabrück - vom 11. August 1987 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Rückzahlung von geleisteten Vorauszahlungen auf Erschließungsbeiträge.

2

Der Kläger und seine Ehefrau sind Eigentümer des Grundstückes ... Straße 3 in W.. Dieses liegt im Bereich des im Oktober 1979 genehmigten Bebauungsplanes Nr. 109 "...". Der Plan setzt an der Nordseite seines Geltungsbereiches einen Lärmschutzwall fest. In Ziffer 4.1 der Begründung heißt es:

3

Die von der geplanten L 109 an der nördlichen Planbereichsgrenze zu erwartenden Immissionen sollen durch einen aufzuschüttenden, zu bepflanzenden Lärmschutzwall gemindert werden.

4

Der Bebauungsplan ist in einem Normenkontrollverfahren für unwirksam erklärt worden (OVG Lüneburg, Urt. v. 26. 2. 1981 - 6 C 4/80 -, BauR 1981, 454). Die nördlich des Lärmschutzwalles geplante Landesstraße ist bislang nicht verwirklicht worden; sie verläuft nach wie vor im Süden des Planbereiches. Nach Angabe der Beklagten stehen gegenwärtig für dieses Vorhaben keine Landesmittel zur Verfügung. Jedoch hat der Rat der Beklagten am 29. Januar 1987 die Führung der Landesstraße nördlich des Planbereiches beschlossen (Führung und Ausbau der B ..., L ..., des Knotenpunktes L .../B ...). Auch der Lärmschutzwall ist noch nicht endgültig hergestellt worden. Es sind Erdaufschüttungen vorhanden, aber das endgültige Planum und die vorgesehene Bepflanzung fehlen.

5

Nördlich der für die geplante L 109 vorgesehenen Trasse befinden sich im Bereich des Bebauungsplanes Nr. 11 "..." verschiedene Gewerbebetriebe. Dieses Industriegebiet wird im südlichen Bereich im wesentlichen durch die ...straße und durch eine davon abzweigende Ringstraße erschlossen.

6

Der Kläger und seine Ehefrau kauften ihr Grundstück mit notariell beurkundetem Vertrag vom 3. Juli 1980 von der Beklagten. § 4 des Kaufvertrages lautet:

7

Neben dem Kaufpreis ist für jeden Quadratmeter Grundstücksfläche ein Betrag von 10,-- DM zu zahlen für die selbständige Erschließungsmaßnahme zur Errichtung von Schallimmissionsschutzanlagen als Vorauszahlung. Dem Käufer ist bekannt, daß diese selbständige Erschließungsmaßnahme gesondert neben den Erschließungsmaßnahmen nach dem Bundesbaugesetz abgerechnet wird. Der Veranlagungsbescheid hierüber ist dem Käufer mit Vertragsabschluß ausgehändigt worden. Der Empfang wird bestätigt. Kaufpreis und Vorschuß für die selbständige Erschließungsmaßnahme Immissionsschutz sind sofort zahlbar.

8

Mit einem an den Kläger und seine Ehefrau gerichteten Bescheid vom 3. Juli 1980 erhob die Beklagte eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Lärmschutzanlagen entlang der künftigen Trasse der L 109 in Höhe von 7.200,-- DM. In der Begründung wurde ausgeführt, daß in die Berechnung lediglich der Kostenaufwand für den Grunderwerb einbezogen werde. Die Herstellungskosten blieben noch unberücksichtigt.

9

Nach einem Schriftwechsel begehrte der Kläger für sich und seine Ehefrau mit Schreiben vom 17. Mai und 15. Juni 1985 die Rückzahlung der Vorausleistungen, da nicht absehbar sei, ob und wann der Lärmschutzwall fertiggestellt werde. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. August 1986 ab, da der Vorausleistungsbescheid vom 3. Juli 1980 bestandskräftig und die Neutrassierung der L 109 im Planungsstadium sei. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1987 zurückgewiesen.

10

Der Kläger hat bereits am 9. Mai 1986 Klage auf Rückzahlung der Vorausleistungen erhoben.

11

Er hat beantragt,

12

die Bescheide der Beklagten vom 4. August 1986 und 12. Februar 1987 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den Vorausleistungsbescheid vom 3. Juli 1980 aufzuheben und an ihn 7.200,-- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 11. August 1987 stattgegeben. Es hat ausgeführt: Die Klage sei zulässig, nachdem der Kläger während des Klageverfahrens ein Vorverfahren durchgeführt habe. Der Kläger habe einen Anspruch auf Aufhebung des Vorausleistungsbescheides und auf Erstattung der Vorausleistungen. Bei der geplanten Lärmschutzanlage handele es sich nicht um eine Anlage, für deren Errichtung die Beklagte zuständig sei, vielmehr sei dies Aufgabe des Straßenbaulastträgers, der die Anlage bei dem Neubau der L 109 errichten müsse. Daß der geplante Lärmschutzwall auch Schutz vor dem nördlich angrenzenden Gewerbegebiet biete, sei nicht erheblich, da die Anlage nach der Begründung zum - nichtigen - Bebauungsplan nur Schutz vor der Landesstraße bieten sollte.

16

Gegen das am 22. September 1987 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24. September 1987 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor:

17

Bei der Planung des Wohngebietes habe der geplante Bau der L 109 einbezogen werden müssen. Sie, die Beklagte, habe die notwendigen Maßnahmen zum Schutze des Wohngebietes durch die Lärmschutzanlage schaffen müssen. Davon abgesehen schütze der Lärmschutzwall auch vor Lärmimmissionen des unmittelbar angrenzenden Gewerbe- und Industriegebietes. Daß dies in der Begründung zum Bebauungsplan nicht zum Ausdruck gekommen sei, sei nicht erheblich. Dieser Schutzzweck ergebe sich aus dem Aufstellungsverfahren zum Bebauungsplan Nr. 109. Die Lärmschutzanlage sei auch benutzbar, da sie dem Zweck, das Wohngebiet vor den z.Zt. vom Gewerbegebiet ausgehenden Lärmimmissionen abzuschirmen, erfülle. Die Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes sei beabsichtigt, es müßten jedoch noch Verhandlungen mit dem Eigentümer des im Plangebiet liegenden Sägewerkes geführt werden.

18

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

19

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer Osnabrück - vom 11. August 1987 zu ändern und die Klage abzuweisen.

20

Der Kläger beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Gemäß Beschluß vom 1. März 1990, geändert durch Beschluß vom 11. April 1990, hat der Senat durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über die Fragen Beweis erhoben, welchem Lärm aus dem nördlich des Lärmschutzwalles angrenzenden Gewerbe- und Industriegebiet in seiner derzeitigen Ausnutzung das Wohngebiet an der ... Straße/... Straße ohne Lärmschutzwall ausgesetzt wäre bzw. unter Berücksichtigung des Lärmschutzwalles tatsächlich ausgesetzt ist und welche Auswirkungen der Lärmschutzwall unter Berücksichtigung der vorhandenen Bebauung konkret für das Grundstück des Klägers hat. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. vom 27. August 1990 verwiesen.

23

Nach der Vorlage des Gutachtens streiten die Parteien darüber, ob es für die Frage der Erforderlichkeit des Lärmschutzwalles auch auf die Verkehrsgeräusche der Hansastraße ankommt. Die Beklagte beruft sich insoweit auf ein von ihr vorgelegtes Gutachten des Sachverständigen Bonk vom 12. April 1989.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten einschließlich der Beiakten A bis S Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

25

Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide die Beklagte zu Recht "verpflichtet", an den Kläger 7.200,-- DM zu zahlen. Auch der Zinsanspruch ist ab Rechtshängigkeit begründet.

26

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch des Klägers ist § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Diese Vorschrift geht als speziellere Norm der allgemeinen Regelung in § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) NKAG iVm § 37 Abs. 2 AO vor. Sie ist anzuwenden, wenn eine Gemeinde Vorausleistungen auf einen grundsätzlich möglichen Erschließungsbeitrag verlangt hat und die Herstellung der geplanten Erschließungsanlage sich erheblich verzögert oder ganz ausbleibt. So liegt es hier. § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist zum 1. Juli 1987 in Kraft getreten und kann hier herangezogen werden, weil es für die kombinierte Verpflichtungs- und Leistungsklage auf die Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung ankommt. Die Ansicht der Beklagten, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Erschließungsbeitragsbescheides und auch eines Vorausleistungsbescheides sei grundsätzlich auf das Recht abzustellen, das im Zeitpunkt seines Erlasses gegolten habe (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 24. 9. 1987 - 8 C 75/86 -, NVwZ 1988, 359), ist zwar grundsätzlich zutreffend, aber im vorliegenden Fall nicht entscheidend. Da es um die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung geht, stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Vorausleistungsbescheides nur nachrangig innerhalb des zu prüfenden Erstattungsanspruches.

27

Ein bestandskräftig gewordener Vorausleistungsbescheid ist - selbst wenn er bei Eintritt der Unanfechtbarkeit fehlerhaft war - formeller Rechtsgrund für eine gezahlte Vorausleistung. Deshalb kann ein auf die Rückzahlung einer erbrachten Vorausleistung gerichtetes Begehren nur Erfolg haben, wenn dem ein Anspruch zur Seite steht, der unter Aufhebung des unanfechtbaren Bescheids die Erstattung der Vorausleistung begründet (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 2. Aufl., RdNr. 654). Dies setzt den Wegfall des materiellen Rechtsgrundes für die Vorausleistung voraus. Der materielle Rechtsgrund für eine erbrachte Vorausleistung entfällt mit der Folge, daß sie demjenigen zu erstatten ist, der sie gezahlt hat, wenn eine endgültige (sachliche) Erschließungsbeitragspflicht für die betreffende Anlage nicht (mehr) entstehen kann oder wenn der Gesetzgeber für den Fall des Vorliegens bestimmter Voraussetzungen eine Rückzahlungspflicht angeordnet hat (vgl. Driehaus, aaO, RdNr. 655 f). Auf eine vom Gesetzgeber angeordnete Rückzahlungspflicht kann der Kläger sich mit Erfolg berufen.

28

Nach § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB kann die Vorausleistung zurückverlangt werden, wenn die Beitragspflicht sechs Jahre nach Erlaß des Vorausleistungsbescheides noch nicht entstanden und die Erschließungsanlage zu diesem Zeitpunkt noch nicht benutzbar ist. Die in dieser Vorschrift genannten anspruchsbegründenden Voraussetzungen liegen vor. Damit hat der Kläger sowohl einen Anspruch auf Aufhebung des Vorausleistungsbescheides vom 3. Juli 1980 als auch einen Anspruch auf Rückzahlung der Vorausleistungen. Dem steht auch § 4 des Kaufvertrages vom 3. Juli 1980 nicht entgegen. Da in diesem Vertragsteil auf den gesondert zu erlassenen Veranlagungsbescheid verwiesen wird, ist fraglich, ob neben dem Bescheid noch Raum für eine selbständig wirksame Vereinbarung war. Aber selbst wenn darin ein sog. Vorfinanzierungsvertrag zu sehen wäre, der der Beklagten den Rechtsgrund für das Behaltendürfen des vom Kläger gezahlten Betrages lieferte, bestünde eine Erstattungspflicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. Driehaus, aaO, RdNr. 663).

29

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß es an den Voraussetzungen für die Erhebung von Vorausleistungen von Anfang an gefehlt hätte, wenn es allein um den Schutz des Baugebietes Dörnte vor Lärmemissionen der geplanten L 109 ginge. Die Regelungen über Erschließungsbeitragspflichten - und damit über Vorausleistungen - stehen im Zusammenhang mit Erschließungsanlagen im Sinne von § 127 Abs. 2 BauGB, für die die Gemeinde die Baulast trägt (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. 11. 1981 - 8 C 10.81 -, Buchholz 406.11 § 123 Nr. 22 = KStZ 1982, 92 = BRS Bd. 43, 5). Obliegt die Verpflichtung einem anderen, ist die entsprechende Schutzanlage nicht beitragsfähig. Bei der Frage, wer bei Baugebieten an einer Straße die ggf. erforderliche Lärmschutzanlage herzustellen verpflichtet ist, muß differenziert werden. Wird ein Baugebiet an eine bestehende öffentliche Straße mit Lärmentwicklung herangeführt, stellt ein zum Schutz der Anwohner errichteter Wall eine Immissionsschutzanlage dar, die unter § 127 Abs. 2 Nr. 5 BauGB fällt. Wird dagegen umgekehrt eine Straße an ein vorhandenes Wohngebiet herangelegt, so ist die Errichtung der notwendigen Schutzeinrichtungen Sache des Trägers der Straßenbaulast. Nimmt eine Gemeinde irrtümlich an, sie trage für die vorgesehene Anlage die Erschließungslast, so ist die Erhebung von Vorausleistungen rechtswidrig, weil eine (sachliche) Beitragspflicht endgültig nicht entstehen kann. Ein auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) NKAG iVm § 37 Abs. 2 AO zu stützender Erstattungsanspruch bestünde dann unbeschadet der in § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB getroffenen Sonderregelung auch schon vor Ablauf der 6-Jahresfrist und ungeachtet der Benutzbarkeit der Anlage (vgl. Driehaus, aaO, RdNr. 655 ff). Ein solcher Irrtum mag den Planungen der Beklagten zugrunde gelegen haben, doch war sie nicht gehindert, nach Erhebung der Vorausleistungen der Immissionsschutzanlage eine andere Zweckrichtung zu geben. Ebenso wie die Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplanes zumindest bei der sog. Genehmigungsalternative des § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB/BBauG den materiellen Rechtsgrund für die Vorausleistung nicht entfallen läßt, darf die Gemeinde gezahlte Vorausleistungen auch dann behalten, wenn sich die Erforderlichkeit der Erschließungsanlage aus zunächst nicht genannten Gründen herleiten läßt. In einem solchen Falle kann die Erschließungsbeitragspflicht noch entstehen, so daß gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB auch Vorausleistungen verlangt werden können. Dementsprechend waren hier sonstige Lärmquellen, vor denen der Erdwall an der Nordseite des Baugebietes ... Schutz bieten könnte, in die Betrachtung einzubeziehen.

30

An sonstigen Lärmquellen sind die im Industriegebiet angesiedelten Gewerbebetriebe sowie die H.- und R.straße zu berücksichtigen. Der zwischen dem Industriegebiet und dem Wohngebiet errichtete Erdwall stellt eine selbständige öffentliche Immissionsschutzanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 5 BauGB dar. Wenn überhaupt der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen in Betracht kommen kann, und daran ist bei unmittelbarer Nachbarschaft von Industrie- und Wohnnutzung nicht zu zweifeln, dann erfüllt ein zum Zwecke des Lärmschutzes errichteter Wall die in dieser Vorschrift geforderten Merkmale. Anders als bei Parkflächen und Grünanlagen im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 3 BauGB ist die Notwendigkeit bei Immissionsschutzanlagen kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal. Die Erforderlichkeit ist vielmehr gemäß § 129 Abs. 1 BauGB im Rahmen der Frage zu prüfen, ob die Gemeinde die ihr für die Immissionsschutzanlage entstehenden Kosten über Erschließungsbeiträge abwälzen kann.

31

Erforderlich ist ein Lärmschutzwall, wenn das Baugebiet, dessen Schutz beabsichtigt ist, von schädlichen Lärmeinwirkungen betroffen wird und der Wall geeignet ist, eine merkbare Schallpegelminderung herbeizuführen. Nur dann trägt ein solcher Wall zur Erschließung der Baugrundstücke bei und rechtfertigt wegen des damit verbundenen Vorteils die Erhebung von Beiträgen.

32

Schädliche Umwelteinwirkungen sind gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Nach § 3 Abs. 2 BImSchG zählen zu den Immissionen auch auf Menschen einwirkende Geräusche. Bei welchem Schallpegel die Geräusche zu erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen führen, war bis vor kurzer Zeit gar nicht und ist jetzt nur ansatzweise normativ geregelt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBl. I S. 1036) sind beim Bau oder der wesentlichen Änderung von öffentlichen Straßen und Schienenwegen in reinen und allgemeinen Wohn- sowie Kleinsiedlungsgebieten Immissionsgrenzwerte von 59 dB(A) am Tag und 49 dB(A) in der Nacht einzuhalten. Die Verordnung erfaßt einen Bereich, für den das Bundesverwaltungsgericht zuvor bei Anwendung von § 41 BImSchG Leitlinien entwickelt hatte. Nach der ständigen Rechtsprechung des 4. Senats war in Ermangelung normativer Festlegungen die Grenze des noch zumutbaren Straßenverkehrslärms für von anderen Störfaktoren nicht vorbelastete Wohngebiete bei einem äquivalenten Dauerschallpegel von etwa 55 dB(A) am Tage und 45 dB(A) in der Nacht zu ziehen (vgl. Urt. v. 22. 5. 1987 - 4 C 33-35/83 -, E 77, 285 = DVBl 1987, 907; Urt. v. 20. 10. 1989 - 4 C 12.87 -, DVBl 1990, 419). Diese Rechtsprechung bedarf nach dem Tägigwerden des Verordnungsgebers einer Überprüfung und Anpassung an die veränderte Rechtslage. Solange die Erschließungsanlage nicht endgültig hergestellt ist, muß eine Veränderung der Maßstäbe, nach denen die Erforderlichkeit der Anlage zu beurteilen ist, berücksichtigt werden. Die Beitragspflicht kann nur entstehen, wenn die Erforderlichkeit im Zeitpunkt der endgültigen Herstellung gegeben ist.

33

Es darf hier nicht außer acht gelassen werden, daß weder die Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung noch die genannten Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts unmittelbar Anwendung finden können, weil es im Hinblick auf die ...straße nicht um den Bau oder die wesentliche Änderung einer Straße geht, sondern ein Wohngebiet im Einwirkungsbereich vorhandener Lärmquellen erschlossen worden ist. Gleichwohl bieten die genannte Verordnung und die vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Werte Anhaltspunkte für die Frage, wo die Grenze der Erforderlichkeit im Sinne von § 129 Abs. 1 BauGB zu ziehen ist. Erforderlich - und damit beitragsfähig - ist eine Immissionsschutzanlage nur, wenn die abzuwehrenden Umwelteinwirkungen sich der Grenze dessen nähern, was zumutbar ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn - wie hier - der Lärmpegel im ungünstigsten Fall ca. 5 bis 6 dB(A) hinter dem jetzt für Straßenbauvorhaben maßgeblichen Immissionsgrenzwert nach § 2 16. BImSchV zurückbleibt und im überwiegenden Teil des zu schützenden Gebietes noch erheblich niedriger liegt.

34

Aus dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des Sachverständigen Bonk ist zu ersehen, daß der Verkehr auf der ...straße im Februar 1989 im nordostwärtigen Teil des Baugebietes ... ohne Schutzwall tagsüber einen Lärmpegel von etwa 53 dB(A) verursachte. Für einen weiteren Meßpunkt im westlichen Drittel der Nordgrenze des Baugebietes wurde ein Wert von ca. 49 dB(A) ermittelt. Da der durch die Gewerbebetriebe im Industriegebiet verursachte Lärm, wie das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. ... zeigt, erheblich hinter dem Einfluß der Straßenverkehrsgeräusche zurücktritt, wird der Verkehrslärmpegel rein rechnerisch um weniger als 1 dB(A) durch die Geräusche aus dem Industriegebiet erhöht. Bei einer Bewertung dieser Angaben ist zu berücksichtigen, daß der Schalldruckpegel definitionsgemäß ein logarithmisches Größenverhältnis darstellt. Mit einer Pegelerhöhung um 10 dB(A) ist eine Verzehnfachung der Schallintensität verbunden; für die subjektive Wahrnehmung bedeutet diese Pegelerhöhung etwa eine Verdoppelung des Lautheitseindrucks (vgl. Bethge/Meurers, TA-Lärm, Kommentar, 3. Aufl., S. 74; Hoffmann/v. Lüpke, 0 dB + 0 dB = 3 dB, 3. Aufl., S. 28). Dementsprechend ist mit einer Unterschreitung des als zumutbar anzusehenden Geräuschpegels von 59 dB(A) um 6 dB(A) nicht etwa eine Differenz von ca. 10 % verbunden; vielmehr erreicht die Schallintensität nur ein Viertel des höheren Wertes (vgl. Hoffmann/v. Lüpke, aaO).

35

Wie bereits erwähnt, sind die durch die Gewerbebetriebe im Industriegebiet verursachten Lärmimmissionen im Baugebiet ... erheblich niedriger als die Belastungen durch Verkehrsgeräusche. Der Sachverständige Dr. ... hat auf der Grundlage einer auf Betriebsbefragungen beruhenden Erfassung aller Geräuschquellen berechnet, daß in Höhe des dem Kläger gehörenden Grundstücks ohne Schutzeinrichtungen im Obergeschoß des Hauses Schallpegel von ca. 41 dB(A) am Tage sowie knapp 37 dB(A) in der Nacht auftreten. Die Werte für das Erdgeschoß liegen geringfügig darunter. Da das Grundstück des Klägers in der zweiten Baureihe liegt, dürften die Schallpegelwerte unmittelbar hinter dem Wall nicht nur wegen der geringeren Entfernung zu den Immissionsquellen, sondern auch aufgrund der durch die erste Häuserzeile bewirkten Abschirmung höher liegen. Der Entfernungsunterschied ist aber nicht sehr groß und die offene Bauweise am Rande des Walles verhindert eine "optimale" Abschirmung der dahinterliegenden Grundstücke, so daß auch ohne konkrete Berechnungen eine deutliche Unterschreitung der zulässigen Richtwerte am Rande des Walles angenommen werden kann.

36

Eine geringere Differenz zu den genannten Richtwerten ist indes festzustellen, wenn statt der konkret vorhandenen die in einem Industriegebiet zulässigen Schalleistungspegel zugrunde gelegt werden. Unter dieser Voraussetzung wären nach dem von dem Sachverständigen Dr. ... bereits im März 1981 erstellten schalltechnischen Gutachten zum Bebauungsplan Nr. 109 an der Nordseite des Baugebietes ... ohne den Schutzwall Schallpegelwerte in Höhe von 53 dB(A) am Tage und 43 dB(A) in der Nacht zu erwarten. Bei Einbeziehung des von der ...straße ausgehenden Straßenverkehrslärms ergäbe sich an der Nordgrenze des Wohngebietes ein Summenpegel von etwa 55 dB(A). Diese Werte können hier aber bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Immissionsschutzanlage nicht herangezogen werden. Die Beurteilung allein anhand abstrakter Berechnungen unter Verwendung höchstzulässiger Schalleistungspegel ist lediglich bei einer Planung "auf der grünen Wiese" angezeigt. Hinsichtlich der Industrie- und Gewerbeflächen nördlich des Wohngebietes liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sich Art und Intensität der Emissionsquellen in absehbarer Zeit ändern könnten. Deshalb ist von den konkreten Verhältnissen auszugehen.

37

In Anbetracht der tatsächlichen Geräuscheinwirkungen auf das Wohngebiet einerseits und der nunmehr durch Rechtsverordnung für Straßenverkehrsgeräusche gezogenen Grenzwerte andererseits wäre eine vom Rat der Beklagten getroffene Entscheidung, den Lärmschutzwall zwecks Abschirmung des Wohngebiets vor diesen Beeinträchtigungen fertigzustellen und dafür Erschließungsbeiträge zu erheben, mit § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht vereinbar. Die Beklagte würde damit die Grenze des ihr zustehenden Ermessens (vgl. dazu BVerwGE, Urt. v. 24. 11. 1978 - 4 C 18.76 -, Buchholz 406.11 § 135 Nr. 11 = DVBl 1979, 780 m.w.N.) überschreiten. Wie aufgezeigt, treten allenfalls im nordostwärtigen Bereich des Wohngebietes aufgrund der durch den Verkehr auf der ...straße verursachten Geräusche Immissionen auf, die als Belästigung angesehen werden könnten. Aber auch diese Immissionen bleiben deutlich hinter der Zumutbarkeitsschwelle zurück. Keineswegs jedoch läßt sich daraus eine Erforderlichkeit für den Lärmschutzwall entlang der gesamten Nordseite des Baugebietes ... herleiten.

38

In dem vorliegenden Verfahren ist außerdem zu berücksichtigen, daß auf dem Grundstück des Klägers nicht nur der ohne Schutzanlage zu verzeichnende Schallpegel in einem unkritischen Bereich liegt (ca. 41 dB(A)), sondern auch die dort mit Hilfe eines 4 m hohen Walles zu erreichende Pegelminderung von (maximal) 2,72 dB(A) die Errichtung dieser Schutzanlage nicht rechtfertigt. Selbst wenn für die Nutzbarkeit der Grundstücke unmittelbar hinter dem Wall die Erforderlichkeit zu bejahen wäre, würde es für das Grundstück des Klägers an der Vermittlung eines Sondervorteils fehlen, so daß dieses Grundstück nicht mit den Kosten für die Herstellung belastet werden dürfte. Das Grundstück würde durch den Wall nicht im Sinne von § 131 Abs. 1 BauGB erschlossen (vgl. BVerwG, Urt. v. 19. 8. 1988 - 8 C 51.87 -, DVBl 1988, 1162).

39

Nach alledem sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB gegeben. Die Beitragspflicht ist sechs Jahre nach Erlaß des Vorausleistungsbescheides noch nicht entstanden und die Erschließungsanlage ist noch nicht benutzbar. Eine Erschließungsanlage ist benutzbar, wenn sie ungeachtet ihrer fehlenden endgültigen Herstellung in der Lage ist, das herzugeben, was ihrer bestimmungsgemäßen Funktion entspricht (BVerwG, Urt. v. 28. 10. 1981 - 8 C 4.81 -, BRS Bd. 43 Nr. 6 S. 17; Driehaus, aaO, RdNr. 659). Der schon aufgeschüttete Erdwall müßte demnach dem Grundstück des Klägers einen spürbaren Schutz vor Lärm bieten. Die Wohnnutzung auf dem Grundstück des Klägers wird jedoch durch den vorhandenen Wall nicht in rechtlich relevanter Weise beeinflußt. Die Beklagte ist daher zur Rückzahlung der Vorausleistung verpflichtet.

40

Der vom Kläger weiterhin geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 291 BGB. Den ab 1. Juli 1987 gegebenen höheren Zinsanspruch gemäß § 133 Abs. 3 Satz 4 BauGB hat der Kläger nicht verlangt, so daß er ihm nicht zugesprochen werden konnte (§ 88 VwGO).

41

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Nebenentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

42

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.

43

Schmaltz

44

Berthold

45

Harbeck