Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.12.1990, Az.: 10 L 26/90

Juristische Staatsprüfung; Wiederholer; Wiederholung der Prüfung; Kennziffer; Tatsachenirrtum; Voreingenommenheit der Prüfer

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.12.1990
Aktenzeichen
10 L 26/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 13025
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1990:1218.10L26.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Schleswig - 28.03.1990 - AZ: 9 A 57/89
nachfolgend
OVG Schleswig-Holstein - 18.12.1990 - AZ: 10 L 26/90
BVerwG - 30.07.1991 - AZ: BVerwG 7 B 52.91
BVerwG - 30.01.1995 - AZ: BVerwG 6 C 1/92

Tenor:

Die Berufung des Klägers und die Anschlußberufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 9. Kammer - vom 28. März 1990 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 3/5, der Kläger zu 2/5; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger nahm im Jahre 1988 ohne Erfolg an der zweiten Wiederholung der Großen Juristischen Staatsprüfung teil. Mit Bescheid vom 5. Dezember 1988 teilte der Beklagte ihm mit, daß er die Prüfung nicht bestanden habe. Zur Begründung wies der Beklagte darauf hin, daß der Prüfungsausschuß die Prüfungsleistungen des Klägers wie folgt bewertet habe:

2

Häusliche Arbeit: mangelhaft (3 Punkte)

3

Aufsichtsarbeit aus dem Zivilrecht mit Schwerpunkt im bürgerlichen Recht: ungenügend (0 Punkte)

4

Aufsichtsarbeit aus dem Zivilrecht mit Schwerpunkt im Handelsrecht oder im Zivilprozeßrecht einschließlich des Rechts der Zwangsvollstreckung: mangelhaft (3 Punkte)

5

Aufsichtsarbeit aus dem Strafrecht: mangelhaft (3 Punkte)

6

Aufsichtsarbeit aus dem Staats- oder Verwaltungsrecht: mangelhaft (2 Punkte).

7

Gemäß § 15 Satz 1 der Übereinkunft der Länder Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg und Schleswig-Holstein über ein Gemeinsames Prüfungsamt und die Prüfungsordnung für die Große Juristische Staatsprüfung sei die Prüfung nicht bestanden, da nicht wenigstens die Häusliche Arbeit oder zwei der Aufsichtsarbeiten oder die schriftliche Kurzarbeit und eine der Aufsichtsarbeiten mit mindestens je 4 Punkten bewertet worden seien.

8

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger Verfahrensfehler und inhaltliche Bewertungsfehler bei sämtlichen schriftlichen Arbeiten rügte, wies der Beklagte mit Bescheid vom 25. April 1989 - zugestellt am 10. Mai 1989 - als unbegründet zurück.

9

Der Kläger hat am 5. Juni 1989 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Die Prüfer hätten anhand der ihm zugewiesenen Kennziffer erkennen können, daß er ein "Wiederholer" sei. Hierdurch sei er gleichheitswidrig belastet worden. Die Bewertungen der Hausarbeit und der schriftlichen Aufsichtsarbeiten ließen erkennen, daß die Prüfer in einer Vielzahl von Fällen Sachverhalts- bzw. Tatsachenirrtümern unterlegen seien und allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze verletzt hätten.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

den Bescheid vom 5. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1989 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die schriftlichen Prüfungsarbeiten erneut zu bewerten.

12

Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung hat er auf seinen Widerspruchsbescheid Bezug genommen und auf einen entsprechenden Hinweis des Berichterstatters ergänzend vorgetragen: Die Randbemerkungen auf den Seiten 88 und 89 der Häuslichen Arbeit des Klägers zeigten, daß der Erstkorrektor die Prüfungsleistung in vollem Umfang zur Kenntnis genommen habe. Allerdings sei die Formulierung des Votums des Erstkorrektors insoweit mißverständlich. Richtig hätte es heißen müssen, daß der entscheidende Punkt nicht eine etwaige Aufrechnung durch die Klägerin in dem Prüfungsfall darstelle. Ein etwa doch vorliegender Bewertungsfehler sei schließlich für die Bewertung der Häuslichen Arbeit nicht kausal geworden, da die Ausführungen zur Widerklage ohnehin mißglückt seien.

15

Durch Gerichtsbescheid vom 28. März 1990 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Dezember 1988 und des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1989 verpflichtet, die Hausarbeit des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Kosten des Verfahrens dem Beklagten zu 3/5 und dem Kläger zu 2/5 auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das vom Beklagten benutzte Kennziffersystem stelle keinen Verfahrensmangel dar. Die Prüfer hatten zwar erkennen können, daß der Kläger noch nach altem Recht geprüft würde. Die Kenntnis von der anzuwendenden Prüfungsordnung sei jedoch zwingend notwendig, weil die Prüfer sicher wissen müßten, auf welcher rechtlichen Grundlage sie die Bewertung der Prüfungsleistungen vorzunehmen hätten. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung des Klägers scheide auch deshalb aus, weil sich im fraglichen Prüfungszeitraum nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Beklagten mindestens die Hälfte aller Kandidaten, die noch nach altem Recht und daher mit einer entsprechenden Kennziffer geprüft worden seien, im ersten Prüfungsversuch befunden hätten.

16

Die Bewertung der Hausarbeit sei fehlerhaft, weil sie unter dem Einfluß eines fehlerhaft ermittelten Sachverhalts, nämlich auf der Grundlage eines Tatsachenirrtums über den Inhalt der Prüfungsleistung, zustande gekommen sei. Der Erstprüfer habe zwar den Satz "Der Zahlungsanspruch war aber nach den §§ 389, 388, 387 BGB erloschen" auf Seite 88 der Hausarbeit offensichtlich gesehen. Dies belegten seine Randbemerkungen zu dieser Passage. Ihm sei dieser Teil der Hausarbeit bei der Abfassung seines Votums aber offensichtlich nicht mehr gegenwärtig gewesen. In seinem Votum heiße es nämlich zur Widerklage: "... der entscheidende Punkt - Anspruch durch Aufrechnung erloschen - wird nicht gesehen ...". Im entscheidenden Zeitpunkt der Bewertung der Hausarbeit habe sich der Erstprüfer daher - ebenso wie die ihm in seiner Bewertung folgenden weiteren Prüfer - teilweise über die Prüfungsleistung geirrt und sei insoweit von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Es sei nicht auszuschließen, daß dieser Sachverhaltsirrtum kausal für die Bewertung der Hausarbeit geworden sei. Die Möglichkeit werde dadurch unterstrichen, daß die Aufrechnungsfrage im Erstvotum als der "entscheidende Punkt" der Widerklage bezeichnet werde. Die Nichtaufklärbarkeit der Ursächlichkeit eines bei der Findung einer Prüfungsentscheidung unterlaufenen Fehlers auf das Entscheidungsergebnis dürfe im Lichte des Rechtsstaatsprinzips und des Gebots wirksamen Rechtsschutzes nicht zu Lasten des Prüflings gehen.

17

Die zahlreichen weiteren Rügen des Klägers sowohl hinsichtlich der Bewertung der Häuslichen Arbeit als auch hinsichtlich der Bewertung der schriftlichen Aufsichtsarbeiten greifen nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht durch. Insoweit wird auf die Begründung des Gerichtsbescheides (S. 10 - 20) Bezug genommen.

18

Der Kläger hat am 26. April 1990 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen und rügt, daß das Verwaltungsgericht sich nicht mit allen von ihm aufgezeigten inhaltlichen Bewertungsfehlern in seiner Entscheidung auseinandergesetzt habe. Ergänzend macht er geltend: Da die Mitglieder des gemeinsamen Prüfungsamtes nach § 2 Abs. 6 der Länderübereinkunft in der Beurteilung von Prüfungsleistungen unabhängig seien, dürfe der Zweitbeurteiler vor seiner Beurteilung weder vom Inhalt des Erstvotums noch von Randbemerkungen oder Unterstreichungen des Erstbeurteilers vor seiner Beurteilung Kenntnis erhalten. Hiergegen sei verstoßen worden, da der Zweit- und Drittprüfer sowie der Vorsitzende des Prüfungsausschusses bei der Abfassung ihrer Voten die Beurteilungen ihrer Vorgänger gekannt hätten. Hierin liege ein wesentlicher Verfahrensmangel. Die Neubewertung der schriftlichen Arbeiten dürfe nicht von den Prüfern vorgenommen werden, die an der früheren Beurteilung und Bewertung der in Frage stehenden Arbeiten beteiligt gewesen seien. Die Anforderungen des § 11 der Länderübereinkunft, daß die Prüfer ihren Notenvorschlag für die gemeinsame Beratung und Festsetzung der Endnote getrennt zu erarbeiten hätten, seien von den bisherigen Prüfern nicht mehr erfüllbar, wenn vor der abschließenden Erarbeitung der Notenvorschläge durch die Prüfer der Prüfungsausschuß bereits über die Bewertung der Arbeiten beraten habe. Selbst wenn man unterstelle, daß die Prüfer auch weiterhin unbefangen und unvoreingenommen seien, lasse sich die durch das Beurteilungsgespräch bewirkte gegenseitige Einflußnahme durch die Beurteilung nicht mehr rückgängig machen.

19

Der Kläger beantragt,

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den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 5. Dezember 1988 sowie des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1989 zu verpflichten, die Hausarbeit und die schriftlichen Aufsichtsarbeiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts durch andere Prüfer erneut zu bewerten.

21

Der Beklagte beantragt,

22

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

23

Er hält die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, soweit sie die Klageabweisung stützen, für rechtmäßig.

24

Der Beklagte hat am 28. Mai 1990 Anschlußberufung eingelegt. Er macht geltend: Das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Erstprüfer zwar die Hausarbeit des Klägers vollständig gelesen und richtig erfaßt habe, wie auch seine Randbemerkungen zeigten, dies ihm indessen "offensichtlich nicht mehr gegenwärtig" gewesen sei, als er sein Votum verfaßt habe. Die Wortwahl des Verwaltungsgerichts zeige, daß es bloße Mutmaßungen als Tatsachen hinstelle. Der Erstprüfer selbst habe gegenüber dem Beklagten im Schreiben vom 18. Januar 1990 zu diesem Punkt seines Votums Stellung genommen. Er habe ausgeführt, daß die Formulierung in seinem Votum "der entscheidende Punkt - Anspruch durch Aufrechnung erloschen - wird nicht gesehen", mißverstanden werden könne. Gemeint gewesen sei, daß der Kläger diesen Punkt nicht in seiner Bedeutung erkannt habe. Anderenfalls hätte er auf Seite 88 der Hausarbeit darlegen müssen, daß der von der Klägerin in dem Prüfungsfall aufgerechnete Zahlungsanspruch bestanden habe, die Aufrechnung also wirksam gewesen sei. Weitere Ausführungen zum durch Aufrechnung erloschenen Anspruch auf Rückzahlung des Anzahlungsbetrages erübrigten sich dann. Dieses Verständnis seiner kurzen Bemerkung im Votum ergebe sich aus seinen Randbemerkungen in der Hausarbeit auf Seite 88 und 89.

25

Der Beklagte beantragt,

26

den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und die Klage abzuweisen.

27

Der Kläger beantragt,

28

die Anschlußberufung zurückzuweisen.

29

Er hält die Anschlußberufung für unzulässig und unbegründet.

30

Der Senat hat den Beweisantrag des Beklagten in der mündlichen Verhandlung abgelehnt.

31

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Prüfungsakten des Beklagten Bezug genommen. Sie waren in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

32

II.

Berufung und Anschlußberufung haben keinen Erfolg.

33

1. Die Anschlußberufung des Beklagten ist unbegründet.

34

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, daß der Erstprüfer sich bei der Bewertung der Hausarbeit in einem Tatsachenirrtum über die Prüfungsleistung befunden hat. Zu den voll überprüfbaren Pflichten des Prüfers gehört die Kenntnisnahme der gesamten Lösung und ihre vollständige Bewertung. Übergeht der Prüfer Ausführungen des Prüflings, so befindet er sich in einem Tatsachenirrtum über die Lösung. Ein Tatsachenirrtum liegt darüber hinaus auch dann vor, wenn der Prüfer, der die Arbeit zunächst vollständig zur Kenntnis genommen hat, aus welchen Gründen auch immer, etwa bei einer Zeitdifferenz zwischen der Durchsicht der Arbeit und der abschließenden Begutachtung oder aufgrund von Erinnerungslücken den Inhalt der Arbeit bei der Erstellung des Votums nicht (mehr) vollständig präsent hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20. 11. 1990 - 9 S 2130/90 -; vgl. auch Bay.VGH Urt. v. 12. 9. 1990 - 3 B 90.00061). Einem derartigen Tatsachenirrtum, der das Gegenstück zu dem ebenfalls voll überprüfbaren Aufgabenirrtum ist (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 6. 6. 1989, DVBl. 1989, 1202; Urt. v. 8. 3. 1989 - 9 S 207/89 m.w.N.), ist der Erstprüfer unterlegen. In seinem Votum (Bl. 2 vorletzter Absatz) hat er zur Widerklage u.a. festgestellt: "... der entscheidende Punkt - Anspruch durch Aufrechnung erloschen - wird nicht gesehen.". Der Erstprüfer hat sich bei der Erstellung des Votums und damit bei der anschließenden Bewertung also darüber geirrt, daß der Kläger auf Seite 88 der Hausarbeit bei der Widerklage die Aufrechnung erwähnt hat. Daß der Erstprüfer diese Passage der Hausarbeit zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich aus seiner hierauf bezogenen Randbemerkung auf Seite 88 der Hausarbeit. Damit hat sich der Prüfer bei der abschließenden Bewertung in einem Tatsachenirrtum über die Lösung befunden.

35

Der Beklagte hat den Senat auch nicht davon überzeugen können, daß der Prüfungsausschuß sich bei der abschließenden Bewertung der Hausarbeit des Klägers nicht in einem Tatsachenirrtum befunden hat. Den dazu in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten Behauptungen des Beklagten, daß alle Prüfer in Kenntnis und Gegenwärtigkeit der Randbemerkung von Herrn RiOLG Polack auf Seite 88 f. der Hausarbeit des Klägers ihre Voten gefertigt und in Kenntnis und Gegenwärtigkeit dieser Randbemerkung auch über die Hausarbeit des Klägers beraten haben, mußte nicht nachgegangen werden. Der Senat hat den Beweisantrag in entsprechender Anwendung des § 244 Abs. 3 StPO (vgl. Kopp, VwGO, 8. Aufl., § 86 RdNr. 21 m.w.N.) abgelehnt, weil es auf die mit ihm behaupteten Tatsachen, selbst wenn sie erwiesen wären, für die Entscheidung des Gerichts nicht ankommt. Allein durch die unter Beweis gestellten Tatsachen kann der festgestellte Tatsachenirrtum nicht beseitigt werden. Das könnte nur mit einem Beweisantrag gelingen, in dem der Beklagte unter Beweis stellt, daß der Prüfungsausschuß bei der in der Schlußberatung vorgenommenen Bewertung (vgl. § 11 Abs. 2 der Übereinkunft der Länder Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg und Schleswig-Holstein über ein Gemeinsames Prüfungsamt und die Prüfungsordnung für die Große Juristische Staatsprüfung vom 4. Mai 1972 - Länderübereinkunft -, SH GVOBl 1972, 135) der Hausarbeit des Klägers den festgestellten Tatsachenirrtum des Erstprüfers erkannt hat mit der Folge, daß dieser sich bei der abschließenden Beurteilung nicht ausgewirkt hat. Einen dahingehenden Beweisantrag hat der Beklagte aber nicht gestellt.

36

Der Erstprüfer hat seinen Tatsachenirrtum während des Rechtsschutzverfahrens auch nicht durch Neubewertung wirksam beseitigt (vgl. hierzu Bay.VGH, Urt. v. 12. 9. 1990, aaO; VGH Bad.-Württ. DVBl. 1989, 1202). Aus seiner Stellungnahme vom 18. Januar 1990 ergibt sich nicht, daß der Erstprüfer die Hausarbeit des Klägers unter Berücksichtigung des Tatsachenirrtums neu bewertet hat. Der Erstprüfer stellt dort lediglich dar, daß die entsprechende Formulierung in seinem Votum mißverstanden werden könne und führt aus, was er gemeint habe. Hierin ist keine Neubewertung zu sehen.

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2. Die Berufung des Klägers ist, auch soweit sie auf eine erneute Bewertung der Hausarbeit gerichtet ist, zulässig, da sich die in dem Gerichtsbescheid bezüglich der Hausarbeit vom Verwaltungsgericht für verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der Auffassung des Klägers deckt und jene für ihn ungünstiger ist als diese (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. 12. 1981, DVBl. 1982, 447).

38

Die Berufung ist aber unbegründet.

39

Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 3. 1. 1985, DVBl. 1985, 1082) und des Senats (vgl. Urt. v. 18. 8. 1987, 10 OVG A 45/86) zutreffend dargelegt, daß dem Prüfer im Bereich fachlich-wissenschaftlicher Bewertung von Prüfungsleistungen wegen der Eigenart des Bewertungsvorganges als Akt wertender Erkenntnis ein der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung entzogener Beurteilungsspielraum zusteht. Die Verwaltungsgerichte sind auf die Kontrolle beschränkt, ob das Prüfungsergebnis verfahrensfehlerfrei, auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage und unter Beachtung allgemein anerkannter Bewertungsgrundsätze sowie frei von sachfremden Erwägungen und Willkür zustande gekommen ist. Nach diesen Grundsätzen läßt sich über den bereits dargestellten Tatsachenirrtum hinaus keine fehlerhafte Bewertung der Hausarbeit und der schriftlichen Aufsichtsarbeiten des Klägers feststellen. Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides, denen er sich anschließt (Art. 2 § 6 EntlG). Zum Berufungsvorbringen des Klägers wird ergänzend angemerkt:

40

Entgegen der Auffassung des Klägers stellt es keinen Verfahrensfehler dar, daß der Zweit- und Drittprüfer sowie der Vorsitzende des Prüfungsausschusses bei der Abfassung ihrer Noten die Beurteilungen ihrer Vorgänger kannten. § 2 Abs. 6 der Länderübereinkunft schreibt lediglich vor, daß die Mitglieder des Gemeinsamen Prüfungsamtes in der Beurteilung von Prüfungsleistungen unabhängig sind. An einer selbständigen, eigenverantwortlichen und damit unabhängigen Beurteilung wird ein Prüfer aber nicht dadurch gehindert, daß er die Beurteilung eines anderen Prüfers zur Kenntnis nimmt. Die Berücksichtigung der Bewertung eines anderen Prüfers kann ein Mittel sein, eigene Positionen selbstkritisch zu überdenken und dadurch zu einer gerechteren Bewertung zu gelangen. Sie kann auch dazu führen, daß die Beurteilung eines vorangegangenen Korrektors als unzutreffend erkannt und durch die eigene Bewertung korrigiert wird (BVerwG, Beschl. v. 10. 6. 1983, Buchholz 421.0, Nr. 175). Die Unabhängigkeit in der Beurteilung von Prüfungsleistungen wird deshalb durch die Kenntnis der Beurteilungen der Vorkorrektoren nicht berührt.

41

Die von dem Kläger im Berufungsverfahren zusätzlich vorgetragenen Mängel sind nicht geeignet, eine Verletzung allgemein anerkannter Bewertungsgrundsätze zu begründen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 4. 8. 1989, DVBl. 1989, 1196; Beschl. v. 12. 11. 1979, DÖV 1980, 380), die der Senat teilt (vgl. Urt. v. 20. 3. 1990, 10 OVG A 76/88), führen Korrekturfehler im Sinne von fachlichen Irrtümern erst dann zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung, wenn sie auf einer derart eklatanten und außerhalb jedes vernünftigen Rahmens liegenden Fehleinschätzung beruhen, daß sich ihr Ergebnis einem unbefangenen Dritten als gänzlich unhaltbar aufdrängen muß. Sämtliche unterhalb dieser Schwelle liegenden Beanstandungen von Aufbau und Lösung einer Prüfungsleistung enthalten dagegen keine Verletzung allgemein anerkannter Bewertungsgrundsätze. Sie stellen vielmehr eine fachlich-wissenschaftliche Bewertung durch die Prüfer dar, die innerhalb ihres Beurteilungsspielraumes entscheiden, ob eine Aufgabe richtig oder falsch gelöst wird.

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Hiervon ausgehend ist nicht festzustellen, daß die vom Kläger im Berufungsverfahren sowohl bezüglich der Hausarbeit als auch der Aufsichtsarbeit erhobenen Rügen eine Verletzung allgemein anerkannter Bewertungsvorsätze begründen. In ihnen legt der Kläger anhand von in der Rechtsprechung und Lehre dazu vertretenen Meinungen jeweils die Gründe dar, die für seine Lösung und die von ihm vertretene Auffassung bzw. gegen die in den Randbemerkungen zum Ausdruck kommende Ansicht des Prüfers sprechen. Sämtliche Rügen des Klägers bewegen sich dabei aber offensichtlich unterhalb der aufgezeigten Schwelle. Sie sind einer gerichtlichen Überprüfung deshalb entzogen.

43

Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Prüfer bei der Bewertung der schriftlichen Arbeiten des Klägers nicht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Ein Sachverhaltsirrtum könnte vorliegen, wenn die Prüfer die zu beurteilende Prüfungsleistung nicht zur Kenntnis genommen haben. Hierzu gehört in erster Linie, daß sie die Arbeit nicht gelesen oder versehentlich die Arbeit eines anderen Prüflings bewertet haben (vgl. BVerwGE 70, 143, 145 f.) [BVerwG 20.09.1984 - 7 C 57/83]. Ein Sachverhaltsirrtum kann weiterhin auch dann vorliegen, wenn sie die Aufgabenstellung verkannt haben, indem sie Teile der Aufgaben nicht zur Kenntnis genommen oder versehentlich Inhalte einer anderen Aufgabe als zur Aufgabenstellung gehörig angesehen haben (BVerwG, Beschl. v. 7. 4. 1986, Buchholz aaO Nr. 229). Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Den Beurteilern haben die richtigen schriftlichen Prüfungsarbeiten vorgelegen. Anhaltspunkte dafür, daß sie sie nicht gelesen haben, sind nicht ersichtlich. Außerdem sind die Prüfer auch von der richtigen Aufgabenstellung ausgegangen. Die Rügen des Klägers, die sich insbesondere auf die Hausarbeit beziehen (vgl. hier d.q, v und w seiner Berufungsbegründung) belegen keinen Sachverhaltsirrtum der Prüfer. In allen Fällen schließt der Kläger von aus seiner Sicht relevanten Bewertungsfehlern der Prüfer darauf, daß sie den Sachverhalt verkannt haben. Hierin liegt jedoch kein Sachverhaltsirrtum, sondern lediglich eine in den nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Prüfer fallende von der Auffassung des Klägers abweichende Auslegung des Sachverhalts.

44

Der Kläger hat schließlich keinen Anspruch auf Neubewertung der Hausarbeit durch einen anderen Prüfungsausschuß. Das Verwaltungsgericht hat die ursprüngliche Prüfungsentscheidung des Beklagten wegen eines Bewertungsfehlers des Erstkorrektors der Häuslichen Arbeit teilweise aufgehoben. Dieser Bewertungsfehler stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der Chancengleichheit dar. Ziel der neuen Prüfungsentscheidung muß es sein, diesem Grundsatz nachträglich möglichst ungeschmälert Geltung zu verschaffen. In der Länderübereinkunft ist die Frage, von wem im Falle einer fehlerhaften Bewertung die erforderliche Nachbewertung vorzunehmen ist, nicht ausdrücklich geregelt. Der Beklagte ist deshalb nicht gehindert, die Häusliche Arbeit des Klägers von einem anderen Prüfungsausschuß bewerten zu lassen. Ein Anspruch hierauf besteht aber nicht, da im vorliegenden Fall auch eine Nachbewertung durch den ursprünglichen Prüfungsausschuß nicht zu beanstanden ist. Die Heranziehung derselben Prüfer verstieße nur dann gegen Bundesrecht, wenn diese gegenüber dem Prüfling voreingenommen wären. Denn sowohl der Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) schließen einen voreingenommenen Prüfer von der Prüfung aus. Der Umstand allein, daß ein Prüfer erneut eine Prüfungsleistung beurteilen muß, weil seine erste Beurteilung durch eine Gerichtsentscheidung als fehlerhaft beanstandet und aufgehoben worden ist, rechtfertigt allerdings nicht den Schluß, er sei nunmehr voreingenommen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9. 7. 1982, Buchholz aaO Nr. 161 m.w.N.). Eine Voreingenommenheit des Prüfers mit der Folge seines Ausschlusses von der Neubewertung kann deshalb nur angenommen werden, wenn objektiv Anhaltspunkte für eine fehlende innere Distanz des Prüfers zum Inhalt der Prüfungsleistung bestehen. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich weder aus den Randbemerkungen und dem Votum des Erstkorrektors der Häuslichen Arbeit des Klägers noch aus seiner Stellungnahme vom 18. Januar 1990. Eine Ausnahme von der Regel, daß der bisherige Prüfer die Arbeit neu bewerten muß, ist hier nicht gegeben.

45

Es ist schließlich nicht zu beanstanden, daß bei einer Neubewertung der Hausarbeit durch dieselben Prüfer dem Grundsatz der Bewertung durch dieselben Prüfer Vorrang vor dem in § 14 der Länderübereinkunft festgelegten Anonymitätsprinzip eingeräumt wird (vgl. hierzu BVerwG, Buchholz aaO Nr. 161).

46

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

47

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

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Dr. Jank

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Dr. Greve

50

Merz-Bender