Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.12.1990, Az.: 18 L 3/89
Bindungswirkung des Beschlusses einer Einigungsstelle; Verweigerung der Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung; Umfang der Rechte des Personalrates
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.12.1990
- Aktenzeichen
- 18 L 3/89
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1990, 19243
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1990:1219.18L3.89.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 17.11.1988 - AZ: PL VG 21/88
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 5 KSchG
- § 73 Abs. 5 Nds.PersVG
Verfahrensgegenstand
Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Einigungsstelle
In der Personalvertretungssache
hat der 18. Senat - Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Niedersachsen - des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
auf die mündliche Anhörung vom 19. Dezember 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
die Richter am Oberverwaltungsgerichts Ladwig und Schwermer sowie
die ehrenamtlichen Richter Kindervater und Rolinski
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Hannover - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen in Hildesheim - vom 17. November 1988 wird als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragsteller, der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, möchte festgestellt wissen, daß ein Beschluß der Beteiligten zu 1. - der Einigungsstelle für den Bereich des bei ihm gebildeten Hauptpersonalrats, des Beteiligten zu 2. - keine Bindungswirkung entfaltet. Mit diesem Beschluß hat die Einigungsstelle seinen Antrag abgelehnt, die vom Beteiligten zu 2. verweigerte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des technischen Angestellten ... bei der Technischen Universität ... zu ersetzen.
Durch Arbeitsvertrag vom 28. Mai 1975 wurde Herr ... bei der Technischen Universität ... als Programmierer im Angestelltenverhältnis auf unbestimmte Zeit "aus Mitteln/Beiträgen Dritter" eingestellt (§ 1). In der Nebenabrede des § 5 wurde er darauf hingewiesen, daß sein Arbeitsplatz im Landeshaushalt stellenmäßig nicht ausgewiesen sei und die Mittel für die Vergütung aus Sondermitteln bereitgestellt würden; falls die Sondermittel nicht mehr flössen, ende das Beschäftigungsverhältnis durch Kündigung. Die Einstellung zielte auf seine Verwendung im Rahmen des beim Institut für Baustoffkunde und Stahlbetonbau der Technischen Universität (jetzt: Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz) im Jahre 1973 eingerichteten Sonderforschungsbereichs 148 "Brandverhalten von Bauteilen" - SFB 148 -, in dem er in den Folgejahren auch tätig war. Er hatte die Aufgabe, die institutseigene Rechenanlage, die ebenfalls dem Sonderforschungsbereich zur Verfügung stand, zu betreuen. Ab 1. Juli 1985 wurde er mit seiner Zustimmung ausdrücklich beim Sonderforschungsbereich "weiterbeschäftigt" (Einverständniserklärung vom 25. Juli 1975).
Nachdem feststand, daß der SFB 148 ab 1. Januar 1987 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft nicht mehr gefördert wurde und deswegen das Forschungsprogramm auslief, wurde seitens der Technischen Universität im Jahre 1986 versucht, die in diesem Bereich tätigen Mitarbeiter anderweitig unterzubringen. Bei Herrn ... hatten diese Bemühungen keinen Erfolg. Aus diesem Grund erbat der Präsident der Technischen Universität mit Datum vom 30. März 1987 beim Gesamtpersonalrat der Technischen Universität die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Der Gesamtpersonalrat verweigerte die Zustimmung mit Stellungnahme vom 3. April 1987 mit der Begründung, der Arbeitsplatz von Herrn ... sei nicht überflüssig geworden. Daraufhin beantragte der Präsident der Technischen Universität mit Schreiben vom 15. April 1987 beim Antragsteller, die Zustimmung zur Kündigung bei der Stufenvertretung zu erwirken bzw. die Entscheidung der Einigungsstelle herbeizuführen. Der Beteiligte zu 2. lehnte den entsprechenden Antrag des Antragstellers ab (Antrag vom 2. Oktober 1987, Zustimmungsverweigerung vom 12. jenes Monats). Am 22. Oktober 1987 rief der Antragsteller die Beteiligte zu 1. mit dem Antrag an, die verweigerte Zustimmung gemäß § 73 Abs. 5 Nds.PersVG zu ersetzen.
In der Sitzung der Beteiligten zu 1. vom 1. Dezember 1987 stellte sich heraus, daß Herr ... mit Wirkung ab 1. April 1985 in den Fachbereichsrat seines Fachbereichs gewählt worden war und diesem Gremium inzwischen in der zweiten Periode bis zum 31. März 1989 angehörte. Im Blick hierauf lehnte die Beteiligte zu 1. mit Beschluß vom 1. Dezember 1987 den Antrag auf Zustimmungsersetzung ab. Die beabsichtigte Kündigung sei unzulässig, weil Herr ... Fachbereichsmitglied sei und deswegen seine Kündigung nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 KSchG erfolgen könne, die hier nicht gegeben seien. Auf die weiteren Einzelheiten der Begründung wird verwiesen.
Am 31. März 1988 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Braunschweig das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren mit dem Antrag eingeleitet festzustellen, daß der Beschluß der Beteiligten zu 1. keine Bindungswirkung entfaltet. Dieses hat die Sache durch Beschluß vom 7. Juni 1988 - PL 8/88 - an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Hannover verwiesen. Mit Beschluß vom 17. November 1988 hat die dortige Fachkammer den Feststellungsantrag des Antragstellers abgelehnt: Die Ablehnung der Zustimmungsersetzung durch die Beteiligte zu 1. sei bindend, weil sie sich im Sinne des § 73 Abs. 5 Nds.PersVG im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften halte. Für die weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Gegen den ihm am 29. Dezember 1988 zugestellten Beschluß hat der Antragsteller am 27. Januar 1989 Beschwerde eingelegt, die er fristgerecht begründet hat. Die Beteiligten sind sich darüber einig, daß Herrn Kirchner wegen des Erreichens einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren im Verlauf des Beschwerdeverfahrens nur noch aus in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Gründen fristlos gekündigt werden kann, daß dagegen andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen und hier im Streit stehen, eine Kündigung nicht mehr rechtfertigen (§ 55 Abs. 1 und 2 i.V. mit § 53 Abs. 3 BAT).
Der Antragsteller ist der Ansicht, ihm stehe trotz der Erledigung des konkreten Falles ein Rechtsschutzbedürfnis für die Weiterverfolgung seines Feststellungsbegehrens zur Seite. Die zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig gewesene Rechtsfrage, ob Mitarbeitern von Sonderforschungsbereichen, denen der Schutz der Mitglieder der Personalvertretungen vor Kündigungen zugute komme, bei Stillegung des jeweiligen Sonderforschungsbereichs nach Maßgabe der Ausnahmevorschriften der Abs. 4 und 5 KSchG gekündigt werden könne, könne sich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in anderem Zusammenhang erneut stellen.
Der Antragsteller beantragt,
den angefochtenen Beschluß zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen,
hilfsweise:
festzustellen, daß der bei der Technischen Universität ... bis Ende des Jahres 1986 geführte SFB 148 wie eine Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG zu behandeln sei,
weiter hilfsweise:
festzustellen, daß die auf der Grundlage des Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern zur Förderung der Sonderforschungsbereiche an den Niedersächsischen Hochschulen eingerichteten Sonderforschungsbereiche wie eine Betriebsabteilung gemäß § 15 Abs. 5 KSchG zu behandeln seien.
Die Beteiligte zu 1. hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Der Beteiligte zu 2. beantragt,
Die Beschwerde zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, daß dem Antragsteller für keinen seiner mit der Beschwerde verfolgten Anträge das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zugebilligt werden könne. Der konkrete Streitfall habe sich mit Eintritt der Unkündbarkeit des Herrn ... erledigt. Die, hilfsweise gestellten Feststellungsanträge des Antragstellers beinhalteten abstrakte Rechtsfragen, die zu beantworten nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Antragstellers, die Gegenstand der mündlichen Anhörung waren, Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zu verwerfen. Alle drei Beschwerdeanträge sind in Anbetracht der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht bzw. nicht mehr zulässig.
1.
Für die vom Antragsteller im Hauptantrag begehrte Feststellung, der Beschluß der zu 1. beteiligten Einigungsstelle vom 1. Dezember 1987 entfalte keine Bindungswirkung, weil er sich nicht im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften halte (§§ 85 Abs. 1 Nr. 5, 73 Abs. 5 Nds.PersVG), ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fortgefallen.
Eine Entscheidung über die Verbindlichkeit der Ablehnung der Beteiligten zu 1., die vom Beteiligten zu 2. verweigerte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des bei der Technischen Universität ... beschäftigten technischen Angestellten ... zu ersetzen, kann in der Kündigungsangelegenheit keine Rechtswirkungen mehr auslösen. Denn die Kündigungsangelegenheit hat sich - was auch der Antragsteller nicht in Abrede stellt - zwischenzeitlich dadurch erledigt, daß Herr ... Mitte des Jahres 1990 eine Beschäftigungszeit im Angestelltenverhältnis von 15 Jahren erreicht hat und ihm deswegen selbst aus dringenden betrieblichen Gründen, die der Antragsteller angeführt hat, nicht mehr ordentlich gekündigt werden kann (§§ 55 Abs. 1 und 2 i.V. mit § 53 Abs. 3 BAT). Die vom Antragsteller begehrte Feststellung der Unverbindlichkeit des Beschlusses der Einigungsstelle könnte daher in bezug auf eine Kündigung des Herrn ... keine rechtlichen Auswirkungen mehr haben.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers kann ein fortdauerndes schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Klärung auch nicht damit begründet werden, es sei zu erwarten, daß sich die gleichen Rechtsfragen in anderem sachlichen Zusammenhang erneut stellen werden. Richtig ist zwar, daß das Rechtsschutzbedürfnis mit Rücksicht auf die Besonderheiten des personalvertretungsrechtlichen Beschlußverfahrens, das überwiegend einen objektiven Charakter hat, anders zu beurteilen ist als im Zivil- oder Verwaltungsprozeß. Auch dort ist aber eine gerichtliche Klärung der aufgetretenen Streitfrage nach Abschluß/Erledigung des Vorgangs, der den Streit ausgelöst hat, nur zulässig, wenn hierfür - beispielsweise unter dem Aspekt einer Wiederholungsgefahr - ein konkretes Bedürfnis anzuerkennen ist (BVerwG, Beschluß vom 12. Februar 1986 - BVerwG 6 P 25.84 -, PersV 1986, 327; ferner BAG, Beschluß vom 29. Juli 1982 - 6 ABR 51/79 -, AP § 83 ArbGG 1979 Nr. 5). Daran fehlt es hier. Denn mit einer Sachentscheidung über den gestellten Hauptantrag würde nur die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des angegriffenen Beschlusses der Beteiligten zu 1. rechtskräftig festgestellt, woran - wie dargelegt - kein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers mehr besteht. Die weiter hierzu notwendigen rechtlichen Ausführungen insbesondere zu dem Problem, ob der Sonderforschungsbereich 148 rechtlich als Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG zu qualifizieren war, würden an der Rechtskraft des Beschlusses als Vortrage nicht teilnehmen, weil sich die Rechtskraft des Beschlusses allein auf den Verfahrensgegenstand erstreckt, über den entschieden wird. Hiervon werden nicht einzelne Elemente des Verfahrensgegenstandes oder Feststellungen über tatsächliche oder rechtliche Voraussetzungen der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge erfaßt (BAG, a.a.O.). Mit einer Entscheidung in der Sache über den gestellten Hauptantrag würde daher eine die Verfahrensbeteiligten zwar interessierende, wegen des Wegfalls der Möglichkeit, Herrn ... ordentlich zu kündigen, aber gewissermaßen "abstrakt" gewordene Rechtsfrage "mitentschieden". Eine solche Entscheidung hätte aber nur noch die Bedeutung einer gutachtlichen Äußerung, zu deren Abgabe die Gerichte nicht berufen sind (vgl. BVerwG, a.a.O.; BAG, a.a.O.).
2.
Nach den zuvor dargelegten Maßstäben kann dem Antragsteller ebensowenig ein Rechtsschutzinteresse für den Hilfsantrag auf Feststellung zuerkannt werden, daß der bei der Technischen Universität ... bis Ende 1986 geführte SFB 148 wie eine Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG zu behandeln sei. Auch dieser vom konkreten Kündigungsvorgang ... losgelöste Antrag bezieht sich auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt, der keine fortwährenden Rechtswirkungen mehr entfaltet. Denn der in Rede stehende Sonderforschungsbereich ist inzwischen aufgelöst worden. Auch der Antragsteller behauptet weiterhin nicht, daß noch Kündigungsvorgänge in bezug auf ehemalige Mitarbeiter des Sonderforschungsbereichs liefen, die - wie Herr ... als Fachbereichsmitglied oder Mitglied einer der Personalvertretungen der Technischen Universität ... einen besonderen Schutz vor ordentlichen Kündigungen genießen.
3.
Der in der mündlichen Anhörung vor dem Senat gestellte weitere Hilfsantrag des Antragstellers ist ebenfalls unzulässig. Er zielt auf die Feststellung, daß die auf der Grundlage des Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern zur Förderung der Sonderforschungsbereiche an den Niedersächsischen Hochschulen eingerichteten Sonderforschungsbereiche wie eine Betriebsabteilung gemäß § 15 Abs. 5 KSchG zu behandeln seien. In der Antragstellung liegt gegenüber den bisherigen Anträgen des Antragstellers eine Ausweitung des Streitgegenstandes, deren Zulässigkeit als Antragsänderung nach § 85 Abs. 2 Nds.PersVG in Verbindung mit § 87 Abs. 2 Satz 3 ArbGG an die Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG gebunden ist. Diese liegen hier nicht vor. Eine Zustimmung der übrigen Verfahrensbeteiligten zur Antragsänderung kann hier schon deswegen nicht bejaht werden, weil die "Hauptbeteiligte", die Beteiligte zu 1., im Termin zur mündlichen Anhörung vor dem Senat nicht vertreten war und sich dementsprechend auf den geänderten Antrag nicht eingelassen hat. Der Senat hält die Änderung außerdem nicht für sachdienlich. Mit dem geänderten Antrag wird die Streitsache erstmals im Beschwerdeverfahren auf eine wesentlich erweiterte Grundlage gestellt. Dies kann aber bereits deshalb nicht als sachdienlich angesehen werden, weil - auch bezogen auf den Bereich der Niedersächsischen Hochschulen - Sonderforschungsbereiche in organisatorischer Hinsicht, wie der Beteiligte zu 2. zu Recht betont hat, unterschiedliche Strukturen aufweisen, die im Blick auf § 15 Abs. 5 KSchG keiner einheitlichen rechtlichen Beurteilung zugänglich sind (vgl. dazu auch Möller, Sonderforschungsbereiche in der Hochschulplanung, WissR Beiheft 2, 1974, S. 51 ff.). Der Antragsteller selbst hat im Anhörungstermin Gegenteiliges nicht substantiiert vorgetragen.
Nach alledem ist die Beschwerde daher in vollem Umfang als unzulässig zu verwerfen.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die dafür vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen.
Kindervater
Schwermer
Dr. Dembowski
Rolinski