Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.10.2002, Az.: 7 PA 60/02
Aufenthaltsgenehmigung; Ermessen; räumliche Beschränkung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.10.2002
- Aktenzeichen
- 7 PA 60/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43595
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 28.02.2002 - AZ: 5 A 2762/01
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs 1 S 2 AuslG
- § 14 Abs 2 AuslG
Gründe
Die Beschwerde ist begründet.
Der Rechtsverfolgung der Kläger in erster Instanz konnte nicht die - hier allein streitige - hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 116 VwGO iVm § 114 ZPO abgesprochen werden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sprechen gewichtige Umstände dafür, dass der Beklagte den Antrag der Kläger, die Auflage zur Verpflichtung zur Wohnsitznahme im Landkreis {C.} zu streichen, nicht ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.
Die Kläger sind im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 AuslG, die ihnen der Beklagte - soweit aus den vorgelegten Beiakten ersichtlich - zuletzt am 30. August 2000 erteilt hat. Die Aufenthaltsbefugnis enthält jeweils die Auflage, dass die Wohnsitznahme nur im Landkreis {C.} mit Ausnahme des Stadtgebiets {C.} gestattet ist. Den Antrag der Kläger, die Auflage zu ändern und ihnen den Aufenthalt im Landkreis {D.} zu gestatten, weil sie in {E.} in der Wohnung ihres Sohnes leben und von diesem sowie ihrer Tochter und deren Familie, die ebenfalls in diesem Ort wohnen, betreut werden könnten, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27. März 2001 ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Ausländerbehörde des Landkreises Hannover dem Umzug nicht zustimme und zur Begründung angegeben habe, dass der Sohn der Kläger erst am 1. September 2000 die bis dahin mit seinen Eltern gemeinsam bewohnte Wohnung in {F.} verlassen habe und nach Ronnenberg umgezogen sei. Im Falle der Betreuungsbedürftigkeit der Kläger hätte er bei ihnen wohnen bleiben können. Den Widerspruch der Kläger wies die Bezirksregierung Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2001 zurück.
Rechtsgrundlage der der Aufenthaltsbefugnis beigefügten Auflage ist § 12 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 2 AuslG. Danach kann eine Aufenthaltsgenehmigung räumlich beschränkt werden. Das Ermessen des Beklagten wird durch den Runderlass des MI vom 15. Juli 1998 (Nds. MBl. S. 1062) gesteuert. Der Erlass hat das Ziel, dass die mit der Aufnahme und Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen verbundenen Kosten innerhalb des Landes möglichst gleichmäßig verteilt werden und diese Verteilung nicht später durch eine ungeregelte Binnenwanderung verändert wird. Zu diesem Zweck ist bei einem Anspruch auf Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz jede Aufenthaltsbefugnis bei ihrer Erteilung oder Verlängerung gemäß § 14 Abs. 2 AuslG mit der Auflage zu versehen, den Wohnsitz im Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde zu nehmen. Die Ausländerbehörde kann bestimmte Gemeinden ihres Bezirks von der Wohnsitznahme ausschließen und eine Beschränkung auf bestimmte Gemeinden vornehmen. Wird gegenüber der Ausländerbehörde nachgewiesen, dass die Ausländerin oder der Ausländer im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde oder in einem anderen Land eine Beschäftigung aufnehmen und eine Wohnung beziehen kann, so wird die Auflage aufgehoben, wenn die Arbeitsstelle in unzumutbarer Entfernung zum bisherigen Wohnort liegt. Dieser Ausnahmefall ist hier - da nicht die Kläger, sondern ihre Kinder eine Beschäftigung aufgenommen haben - unstreitig nicht gegeben. Gleichwohl dürfen die individuellen Verhältnisse auch dann nicht vernachlässigt werden, wenn die Ermessensausübung der Ausländerbehörden zulässigerweise aus sachlichen Erwägungen durch einen ministeriellen Erlass konkretisiert wird. Die durch einen derartigen Erlass angestrebte Gleichbehandlung darf nicht dazu führen, dass wesentliche Abweichungen von dem zugrunde gelegten Normalfall außer Acht gelassen werden oder gewichtige private Belange unberücksichtigt bleiben.
Diesen Anforderungen wird die ablehnende Entscheidung des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover voraussichtlich nicht gerecht. Die angefochtenen Bescheide stellen auf den Zweck des ministeriellen Erlasses ab und halten das Interesse der Kläger für nachrangig, weil deren Sohn den früheren gemeinsamen Wohnsitz nicht hätte aufgeben müssen und im Übrigen durch ihn auch eine Betreuung von {D.} aus erfolgen könne. Damit werden indes die privaten Interessen der Kläger nicht angemessen erfasst und mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen abgewogen. Die Kläger hatten des näheren auf ihre individuellen Lebensumstände hingewiesen und durch ärztliche Atteste belegt, die aus ihrer Sicht eine Familienzusammenführung notwendig machen. Sie hatten dabei auf Gesichtspunkte wie ihr relativ hohes Alter, ihre Krankheiten, sprachliche Verständigungsschwierigkeiten und die Entfernung zu den Kindern und Enkelkindern verwiesen. Auf diese individuellen Lebensumstände ist der Beklagte nur unvollkommen eingegangen. Die Kläger hatten ferner vorgetragen, ihr Sohn sei nach {G.} umgezogen, um in der Nähe eine Arbeitsstelle annehmen zu können. Das Argument des Beklagten, die Kinder der Kläger hätten in der Nähe ihrer Eltern bleiben können, verkennt das Gewicht der berührten Belange. Es liegt grundsätzlich auch im öffentlichen Interesse, dass aufenthaltsberechtigte Ausländer eine Beschäftigung gegebenenfalls auch im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde aufnehmen und damit der Bezug von Sozialhilfe oder Leistungen nach den Asylbewerberleistungsgesetz möglichst entbehrlich wird. Diese Bewertung liegt ersichtlich auch dem Runderlass des MI vom 15. Juli 1998 zugrunde. Mit diesem öffentlichen Interesse ist es unvereinbar, wenn dem Ausländer, dessen Bemühungen um eine Beschäftigung erfolgreich sind, schlechthin entgegengehalten wird, er hätte unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit privaten Interessen - wie der Betreuung seiner Eltern - den Vorzug geben sollen. Andererseits besteht ein öffentliches Interesse daran, dass die mit der Aufnahme und Unterbringung von Ausländern verbundenen Kosten innerhalb des Landes möglichst gleichmäßig verteilt werden und eine ungeregelte Binnenwanderung vermieden wird. Dringende familiäre Gründe, wie z.B. Hilfsbedürftigkeit, können aber gleichwohl eine Änderung der räumlichen Beschränkung rechtfertigen (vgl. auch Nr. 56.3.1 der Verwaltungsvorschriften zum AuslG). Dabei entspricht es im Allgemeinen einer sachgerechten Verfahrensweise, dass nicht erwerbstätige Familienangehörige Gelegenheit erhalten, zu den Erwerbstätigen und Betreuungsbedürftige zu den Betreuern zu ziehen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte diese Gesichtspunkte in seine Ermessensentscheidung einbezogen hätte. Nicht nachvollziehbar ist ferner, dass der Beklagte allein auf die Lebensverhältnisse des Sohnes der Kläger und dessen Beziehung zu seinen Eltern abgestellt hat. Zwar hatten die Kläger darauf verwiesen, bei ihrem Sohn wohnen zu können, zugleich aber vorgetragen, auch von ihrer Tochter und deren Familienangehörigen, die ebenfalls in {G.} ansässig sind und einer Erwerbstätigkeit im Raum {D.} nachgehen, betreut werden zu können. Unter den gegebenen Umständen vermag der Senat somit nicht zu erkennen, dass die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Betreuung der Kläger sei durch die räumliche Trennung von ihren Familienangehörigen zwar schwieriger geworden, aber nicht unmöglich, auf einer umfassenden und sachgerechten Bewertung der berührten Interessen beruht.
Ob die Kläger nach allem einen Anspruch auf Streichung der Wohnsitzauflage haben, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Es sprechen jedenfalls gewichtige Gründe dafür, dass der Beklagte verpflichtet ist, über den Antrag der Kläger jedenfalls erneut und ermessensfehlerfrei zu entscheiden.