Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.10.2002, Az.: 12 ME 622/02
Aids-Erkrankung; Bedarf; Ernährung; Hilfe zum Lebensunterhalt; HIV-Infektion; kostenaufwändige Ernährung; Mehrbedarf; Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.10.2002
- Aktenzeichen
- 12 ME 622/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43772
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 07.08.2002 - AZ: 4 B 317/02
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs 4 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Schon die HIV-Infektion und nicht erst die AIDS-Erkrankung führt zur Anerkennung von Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung nach § 23 Abs. 4 BSHG.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt erfolglos. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass der Antragsteller gemäß § 23 Abs. 4 BSHG wegen seiner HIV-Infektion einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von monatlich 25,56 € hat. Die Auffassung des Antragsgegners und seines Amtsarztes, dass ein Mehrbedarf erst bei einer AIDS-Erkrankung, aber noch nicht bei einer HIV-Infektion anzuerkennen ist, entspricht nicht den „Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe“, Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (2. Aufl. 1997 mit acht Anlagen, darunter fünf Gutachten, - künftig: „Empfehlungen“), die auch der Senat der Beurteilung zugrunde legt. Zwar trifft es zu, dass medizinisch zwischen HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen unterschieden wird, wobei AIDS definitorisch dem Stadium 3 der HIV-Infektion entspricht (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl. 1998, Stichworte AIDS und HIV-Erkrankung) und dass auf S. 81 der „Empfehlungen“ ausgeführt wird, eine wissenschaftlich begründbare allgemeine Diät, die den Ausbruch der AIDS-Erkrankung verhindern kann, gebe es nicht. Dieser Satz bezieht sich aber lediglich auf eine „Diät“, die den „Ausbruch von AIDS“ verhindern kann. Die „Empfehlungen“ umfassen aber auch die Kostform der Vollkost, wie sich u.a. aus S. 14, 36 ergibt und in diesem Zusammenhang werden HIV-Infektion und AIDS nebeneinander erwähnt (s. auch S. 134). Zur Begründung heißt es auf S. 138:
„HIV-Infektionen/AIDS: Wie bei Patienten mit onkologischen Erkrankungen ist auch bei HIV-Infizierten frühzeitig auf eine ausreichende vollwertige Ernährung zu achten. Eine präventive Ernährungsberatung sollte daher jedem HIV-Infizierten angeboten werden, um Ernährungsstörungen und Mangelernährung, die bei mehr als 90 % der Patienten im Verlauf ihrer Erkrankung auftreten, möglichst lange zu vermeiden. In den Frühstadien der Erkrankung finden sich Zeichen der Mangelernährung bei 10 bis 30 % der Patienten, im Endstadium bei mehr als 90 %.“
So wird auch in der Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass es für die Anerkennung eines Mehrbedarfs nicht darauf ankomme, ob ein Hilfesuchender mit HIV infiziert oder bereits an AIDS erkrankt sei. Denn bei HIV-Infizierten könne die Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte den Ausbruch der Krankheit zeitlich beeinflussen, so dass zur Festigung des Immunabwehrsystems auch für den Personenkreis der Infizierten eine Krankenkost anzuerkennen sei (Hofmann, in: LPK-BSHG, § 23 Rn. 28); ebenso hat der 4. Senat des erkennenden Gerichts bei einer HIV-Infektion einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 50,- DM zuerkannt (Urt. v. 13.12.2000 - 4 L 3142/00 -). Da hier unstreitig ist, dass der Antragsteller an einer fortgeschrittenen HIV-Infektion, Stadium B 2 leidet, entspricht die Auffassung des Antragsgegners und seines Amtsarztes nicht den „Empfehlungen“, wie das Verwaltungsgericht auf S. 3 u. seines Beschlusses zutreffend ausführt.
Da mit einer Heilung der HIV-Infektion nicht gerechnet werden kann, sondern nur die Progression der HIV-Infektion sich durch einen rechtzeitigen Behandlungsbeginn deutlich verlangsamen und die Lebenszeit verlängern lässt (Pschyrembel a.a.O.), brauchte das Verwaltungsgericht auch den Bewilligungszeitraum nicht zeitlich zu befristen. Soweit der Antragsgegner auf die Befristungsempfehlung auf S. 29 der „Empfehlungen“ (zu Rn. 8) hinweist, ist die generelle Empfehlung für eine Befristung der Bewilligung auf zwölf Monate aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung ausgesprochen worden und soll bei chronischen Erkrankungen Gelegenheit zur Überprüfung geben, ob sich der Bedarf geändert hat, ggf. sei eine erneute Beratung anzustreben. Insoweit ist auch dem Antragsgegner nicht verwehrt, in angemessenen Zeitabständen erneut eine ärztliche Bescheinigung anzufordern, um festzustellen, ob bei Fortschreiten der Erkrankung evtl. von der Vollkost zu einer speziellen Diät überzugehen ist, der Antragsgegner sollte den Antragsteller auch über den Zweck der Krankenkostenzulage unterrichten und auf eine Ernährungsberatung hinwirken (S. 15, 16 der „Empfehlungen“).
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.