Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.10.2002, Az.: 12 ME 623/02
Ausreise; Humanitäre Gründe; Montenegro; Roma; Rückkehr
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.10.2002
- Aktenzeichen
- 12 ME 623/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43602
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 07.08.2002 - AZ: 3 B 1491/02
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 1 AsylbLG
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig. Sie ist durch den am 11. September 2002 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 4. September 2002 innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden, denn die Antragsgegnerin hat glaubhaft gemacht, dass das aus dem Empfangsbekenntnis über die Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses ersichtliche Datum des 10. August 2002 falsch eingetragen worden ist und ihr der Beschluss tatsächlich erst am 12. August 2002 zugegangen ist. Der Senat hat den Beteiligten vorab mitgeteilt, dass er vor diesem Hintergrund von einer Einhaltung der Begründungsfrist ausgeht. Die Beschwerdebegründung erfüllt auch die übrigen in § 146 Abs. 4 VwGO geregelten Zulässigkeitsvoraussetzungen.
Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Antragsgegnerin nicht im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, den Antragstellern nach § 2 Abs. 1 AsylbLG Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG zu gewähren.
Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das BSHG auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Dass die Antragsteller die zeitlichen Voraussetzungen des Leistungsbezuges erfüllen, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Jedoch haben die Antragsteller, nicht glaubhaft gemacht, dass ihrer Rückkehr in ihre Heimat die genannten Gründe - insbesondere solche humanitärer Art - entgegenstehen. Insoweit folgt der Senat auf der Grundlage der Darlegungen der Antragsgegnerin (§146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht der abweichenden Einschätzung des Verwaltungsgerichts.
Entsprechend dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG kann die leistungsrechtliche Besserstellung nur erreicht werden, wenn aus den dort genannten Gründen sowohl eine freiwillige Ausreise nicht erfolgen kann als auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (vgl. aus der Rechtsprechung des 4. Senats des erkennenden Gerichts: Beschl. v. 8.2.2001 - 4 M 3889/00 -, FEVS 52, 419, 421.; Urt. v. 13.2.2002 - 4 LB 781/01 -, S. 12 UA u. weiterhin: GK-AsylbLG, § 2, Rn. 28). Für den streitgegenständlichen Zeitraum war bzw. ist den Antragstellern jedenfalls eine freiwillige Rückkehr in ihre Heimat zumutbar.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Antragsteller Angehörige des Volkes der Roma sind. Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts jedoch nicht, dass aus diesem Grunde einer Ausreise der Antragsteller humanitäre Gründe entgegenstehen. Allerdings ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung (insbesondere des 4. Senats des erkennenden Gerichts: Urt. v. 13.2.2002 - 4 LB 781/01 -, S. 13 ff.; Beschl. v. 17.1.2001 - 4 M 4422/00 -, S. 8 ff.) angenommen worden, dass aus dem Kosovo stammenden Angehörigen des Volkes der Roma eine Rückkehr in den Kosovo wegen der dort bestehenden schwierigen humanitären Situation für die Angehörigen dieser Minderheit nicht zugemutet werden könne. Zur Überzeugung des erkennenden Senats waren die Antragsteller zu 1. und 2. vor ihrer Ausreise - die Antragsteller zu 3. bis 7. wurden bereits in Deutschland geboren - jedoch nicht im Kosovo, sondern in Titograd, dem heutigen Podgorica, in Montenegro wohnhaft. Dies haben die Antragsteller in ihrem seinerzeitigen Asylverfahren im Rahmen ihrer Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 3. November 1993 eindeutig erklärt (Bl. 70 der Beiakte C). Ebenso ist Titograd in dem Wehrpass des Antragstellers zu 1. als dessen Wohn- und Geburtsort angegeben (Bl. 14 der Beiakte C). Insoweit ist es entgegen der Ansicht der Antragsteller ohne Belang, dass in der Begründung des die Antragsteller zu 1. bis 3. betreffenden negativen Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Dezember 1993 (Bl. 66 der Beiakte C) von jugoslawischen Staatsangehörigen aus Montenegro bzw. Kosovo die Rede ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Beschl. v. 27.3.2001 - 12 MA 1112/02 -, FEVS 52, 367, 372 f., Beschl. v. 30.8.2002 - 12 PA 620/02 -, S. 2 BA) und des 4. Senats des erkennenden Gerichts (Beschlüsse v. 23.1.2002 - 4 MA 3842/01 -, S. 4 BA u. v. 25.2.2002 - 4 MA 16/02 -, S. 3 f. BA) war für Angehörige des Volkes der Roma eine Situation wie im Kosovo in den anderen Teilrepubliken der Bundesrepublik Jugoslawien nämlich nicht entstanden, so dass jedenfalls diejenigen Roma, die vor ihrer Ausreise in Zentralserbien oder in Montenegro wohnten, eine Rückkehr in ihre Heimat zugemutet werden kann und einer solchen mithin persönliche oder humanitäre Gründe im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht entgegenstehen.
Die Antragsteller haben in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bisher nicht behauptet, dass ihnen eine Rückkehr wegen fehlender Pässe zur Zeit nicht möglich sei. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 27.3.2001 - 12 MA 1112/01 -, FEVS 52, 367, 369 ff.; a.A. der 4. Senat des erkennenden Gerichts: Beschl. v. 8.2.2001 - 4 M 3889/00 -, FEVS 52, 419, 421 ff.; Beschl. v. 9.7.2002 - 4 LB 151/02 -, S. 10 ff.) stellt die Passlosigkeit ohnehin allenfalls einen tatsächlichen Umstand dar, der einer Ausreise oder aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegenstehen kann, der jedoch durch die in § 2 Abs. 1 AsylbLG genannten Gründe nicht erfasst wird.
Schließlich haben die Antragsteller jedenfalls zum derzeitigen Zeitpunkt nicht glaubhaft gemacht, dass aus der Schwerbehinderung der Antragstellerin zu 6., die sich aus den dem Senat vorliegenden Sozialhilfevorgängen der Antragsgegnerin (insbesondere der unpaginierten Beiakte A) ergibt, ein ihrer Rückkehr entgegenstehender humanitärer oder persönlicher Grund im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG (hierzu im Hinblick auf schwerwiegende Erkrankungen: 4. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 21.3.2001 - 4 MA 626/01 -, S. 5f BA; GK-AsylbLG, § 2, Rn. 33, 35) abgeleitet werden könnte, zumal jedenfalls Epilepsie, unter der die Antragstellerin zu 6. soweit ersichtlich (auch) leidet, in der Bundesrepublik Jugoslawien grundsätzlich behandelbar ist (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien vom 6.2.2002, S. 22).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).