Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.10.2016, Az.: 2 NB 35/16

HannibaL; Modellstudiengang; Modellstudiengang: HannibaL; Patientenkapazität

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.10.2016
Aktenzeichen
2 NB 35/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43350
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 30.11.2015 - AZ: 8 C 4812/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Mit Verbindlichkeit für das vorliegende Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist - unter Einbeziehung der aktuellen Erkenntnisse aus dem Berufungsverfahren 2 LB 270/15 - davon auszugehen, dass es den in § 17 Abs. 2 NdsKapVO für den Modellstudiengang enthaltenen Vorgaben an der zu fordernden Plausibilität fehlt. Dem ist durch einen Zuschlag auf die Studienplätze bis zur Grenze der Funktionsfähigkeit Rechnung zu tragen. Ob sich diese Grenze in etwa an der Kapazitätsberechnung eines (fiktiven) Medizin-Regelstudiengangs (mit den herkömmlichen Parametern) orientiert oder ob ein deutlich darüberhinaus gehender Zuschlag in Betracht zu ziehen ist, war anlässlich des vorliegenden Verfahrens nicht zu entscheiden.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der sie betreffende Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 8. Kammer - vom 30. November 2015 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragsteller nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2015/2016 vorläufig zum Studium der Humanmedizin im Modellstudiengang auf einen Studienplatz im 1. Fachsemester zuzulassen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten die Antragsteller betreffenden Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 5.000 --Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller haben bei der Antragsgegnerin ihre Zulassung zum Studium der Humanmedizin außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl (270) für das 1. Fachsemester begehrt.

Gemäß einer auf der Grundlage des § 1 Abs. 3 NHG mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geschlossenen Zielvereinbarung vom 26. Mai 2005 bietet die Antragsgegnerin ab dem Wintersemester 2005/2006 auf der Grundlage des § 41 ÄApprO für Studienanfänger nur noch einen Modellstudiengang Medizin "Hannoveraner integrierte berufsorientierte adaptierte Lehre" (HannibaL) an, der aus einem integrierten Studienabschnitt von mindestens vier Jahren und zehn Monaten (insgesamt fünf Studienjahren) besteht, wobei pro Studienjahr drei Tertiale von jeweils zehn Wochen gebildet werden. An diese fünf Studienjahre schließt sich ein praktisches Jahr an, danach erfolgt die abschließende Prüfung. Prägendes Element dieses Modellstudiengangs ist nach Darlegung der Antragsgegnerin bereits vom ersten Semester an ein patientenbezogener Unterricht. Zum Wintersemester 2005/2006 wurde der bisher angebotene Regelstudiengang Medizin mit der bisherigen Trennung in die zwei Studienabschnitte "Vorklinik" und "Klinik" aufgegeben. In der Zielvereinbarung wurde weiter festgehalten, dass die jährliche Aufnahmekapazität für den Modellstudiengang (allein) auf Grundlage der patientenbezogenen Aufnahmekapazität festgesetzt werden solle.

In den für den Modellstudiengang geltenden Studienordnungen (z.B. v. 14.9.2005, dort § 31, v. 12.6.2013, dort § 21) wurde die Laufzeit des Modells mit 9 Jahren angegeben, die mittlerweile bis 2020 verlängert wurde.

Auf Grundlage eines von der Antragsgegnerin eingeholten Gutachtens der Fa. H. (Endgutachten v. Okt. 2011) wurde § 17 Abs. 2 der NdsKapVO geändert (Änderungsverordnung v. 4.7.2012, NdsGVBl. S. 220, nunmehr idFv. 23.5.2014, NdsGVBl. S. 145, vgl. zuvor auch schon die Änderung in § 17 NdsKapVO idF. v. 23.6.2009, NdsGVBl S. 288) und wurden neue Parameter und Vorgaben nur für den Modellstudiengang übernommen (10,65% und 1:1.300).

Beginnend mit dem Studienjahr 2005/2006 ist die Zulassungszahl für den Modellstudiengang in der jeweiligen ZZ-VO stets auf 270 festgesetzt worden (vgl. für das vorliegende Studienjahr 2015/2016 ZZ-VO v. 26.6.2015, NdsGVBl. S. 105). Belegt sind im 1. Semester nach einer von der Antragsgegnerin vorgelegten anonymisierten Immatrikulationsliste 278 Plätze.

Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieben in der Vergangenheit vor dem Senat ohne Erfolg.

Für das vorliegend im Streit befindliche Wintersemester 2015/2016 hat die Antragsgegnerin keine wesentlichen Veränderungen an dem Modellstudiengang oder der Kapazitätsberechnung vorgenommen. Für die Berechnung der Kapazität ist die Modulliste aus dem Studienjahr 2014/2015 (vgl. Kap.-Unterlagen, dort AG 2a, Schriftsatz d. Antragsgegnerin v. 22.10.2015) zugrunde gelegt worden. Nach dieser Modulliste werden im Modellstudiengang 689 Ausbildungsstunden an (stationären oder ambulanten) Patienten gefordert (765 Ausbildungsstunden abzüglich 76 Std. an Schauspielern). Von den 689 Stunden entfallen 40 auf den ambulanten Bereich und 417 auf den stationären Bereich (175 UaK, 242 BP), jeweils bei der Antragsgegnerin. Daneben sind 232 externe Ausbildungsstunden angeführt (Lehrkrankenhaus 148, Lehrpraxen 84).

Durch den angefochtenen Beschluss vom 30. November 2015, auf den wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht u.a. die auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Anträge der Antragsteller, im Wintersemester 2015/2016 vorläufig zum 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zugelassen zu werden, abgelehnt.

Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde mit dem sinngemäßen Ziel, die Antragsgegnerin unter Abänderung des sie betreffenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie vorläufig zum Studiengang Humanmedizin im 1. Fachsemester zuzulassen. Sie vertreten u.a. die Auffassung, da das Modell mittlerweile 10 Jahre erprobt sei, müsse die vorhandene Kapazität voll ausgeschöpft werden und könne auf die möglicherweise Spielräume eröffnende Innovationsklausel nicht mehr verwiesen werden. Angesichts der Vielzahl der Bewerber um ein Medizinstudium könne es nicht Folge des Modellstudienganges mit seinen eigenen Parametern sein, die sich nach den Regelparametern ergebende Zulassungszahl abzusenken. Das sei indes der Fall, da sich nach den - vom Senat angeforderten - Alternativberechnungen beim Regelstudiengang mit den herkömmlichen Parametern unter der vom Senat seit dem WS 2013/2014 geforderten Berücksichtigung von Privatpatienten 282 Studienplätze ergäben. Unabhängig davon seien die in die Ermittlung der Parameter des Modellstudienganges eingeflossenen Einzelgrößen zu beanstanden, weil entgegen der Vorgabe einer bundesweiten Betrachtung und einer einheitlichen Berechnungspraxis allein die Verhältnisse bei der MHH zugrunde gelegt worden seien. Zudem seien die Bewertungskriterien für die Ermittlung der Patienteneignung (IK 1-IK4) nicht plausibel, seien tagesbelegte Betten nicht einbezogen, bleibe die ambulante Ausbildungskapazität bei der MHH unter ihren Möglichkeiten und sei die aufgrund der höheren Ausbildungsstunden erforderliche Ausweitung von externen Ausbildungsplätzen nach wie vor nicht erfolgt. Die Geeignetheit der im Rahmen des Modells entwickelten Formel zur Berechnung der Studienplätze sei zu hinterfragen. Aus dem Gutachten ergebe sich zudem, dass in der Praxis häufig größere Gruppen gebildet würden, als in der Formel vorgesehen (Schriftsatz v. 8.1.2016 <S. 25 iVm. Klageschrift v. 30.3.2015 S. 9>) Die neuen Parameter seien als verfassungswidrig anzusehen, mit der Folge weiterer Zulassungen bis zur Grenze der Funktionsfähigkeit der Hochschule.

Dem tritt die Antragsgegnerin im Wesentlichen mit folgender Argumentation entgegen: das H. -Gutachten habe auf die Besonderheiten nur an der MHH abstellen dürfen; denn das Gutachten sei auf Veranlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gerade für den Modellstudiengang an der MHH erstellt worden. Im Übrigen sei die Firma H. von den hergebrachten Formeln ausgegangen und habe diese an die Spezifika des Modells angepasst. Der Verordnungsgeber habe diesen Ansatz übernommen. Dies sei von dem Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers gedeckt. Soweit die Alternativberechnung für einen Regelstudiengang (mit Privatpatienten) 282 Studienplätze ergebe, bestätige dies vor dem Hintergrund des erhöhten patientengebundenen Unterrichts im Modell letztlich die festgesetzte Zulassungszahl von 270.

Der Senat hat in einem Hauptsacheverfahren (2 LB 270/15), an dem die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller beteiligt sind, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung den für den Modellstudiengang geltenden Parameter von 10,65% und die ihm zugrunde liegende Formel erörtert und im Anschluss einen Auflagenbeschluss erlassen.

II.

Die Beschwerden haben Erfolg. Es spricht Überwiegendes dafür, dass die der Ermittlung der Studienplätze zugrunde liegende Vorschrift (§ 17 Abs. 2 NdsKapVO) den Vorgaben aus Art. 12 GG an die Ableitung und Plausibilität von Parametern und Kapazitätsberechnungen nicht genügt, so dass sich die Norm in einem Hauptsacheverfahren als nichtig erweisen dürfte. Fehlt aber eine plausible Vorgabe für die Kapazitätsberechnung, ist die Antragsgegnerin verpflichtet, Studienbewerber bis zur Grenze der Funktionsfähigkeit aufzunehmen.

1. Allerdings räumen Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Staatsvertrag 2008 in Verbindung mit der Innovationsklausel der §§ 1 Abs. 2, 20 KapVO für die Kapazitätsermittlung bei Modellstudiengängen grds. gewisse Spielräume ein (vgl. allg. Sen., Beschl. v. 21.12.2006 - 2 NB 347/06 ua. -, zur Einführung des Modellstudienganges im WS 2005/2006; der neu ausgehandelte „Staatsvertrag über die gemeinsame Einrichtung für Hochschulzulassung“ vom März 2016 gilt frühestens ab dem Wintersemester 2018/2019). Zum einen bringt ein neuer Modellstudiengang häufig erhebliche Änderungen im Studienverlauf mit sich und kann daher nicht zwingend von Anfang an mit einer vollständigen Auslastung der Kapazitäten fahren. Zum anderen treten bei der Kapazitätsberechnung eines Modellstudienganges, der - so die Antragsgegnerin - sich gerade durch eine deutlich erhöhte Zahl von patientengebundenen Ausbildungsstunden auszeichnet und der - wiederum nach Angaben der Antragsgegnerin - deswegen zwingend auf externe Ausbildungsstellen angewiesen ist, etliche Fragen auf, die erst im Laufe der Zeit einer sachgerechten Lösung zugeführt werden können. Der einem Modellstudiengang einzuräumende „Freiraum“ verengt sich allerdings mit Fortschreiten der Zeit und der dabei gesammelten Erkenntnisse. Nach Ablauf von nahezu 10 Jahren liegen keine Gründe mehr vor, dem Modellstudiengang bei der Kapazitätsermittlung über die Freiräume nach Art. 12 GG hinaus weitere Freiräume zu belassen. Soweit die Antragsgegnerin daher die Auffassung vertritt, auch derzeit bestehe kein Kapazitätserschöpfungsgebot für den Modellstudiengang, vermag der Senat dem nicht (mehr) zu folgen.

2. Der der Berechnung zugrunde liegende § 17 Abs. 2 NdsKapVO wird den Vorgaben an eine plausible und erschöpfende Kapazitätsberechnung nach derzeitigem Kenntnisstand nicht gerecht.

Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgrundsatz gewährleisten jedem Bürger, der die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, einen Anspruch auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl. Absolute Zulassungsbeschränkungen sind nur unter strengen formellen und materiellen Voraussetzungen statthaft. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sind nur dann verfassungsgemäß, wenn sie zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes - Funktionsfähigkeit der Universitäten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium - und nur in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.6.2015 - 1 BvR 590/15 -, juris, v. 21.7.2005 – 1 BvR 584/05 –, juris mwN., v. 31.3.2004 - 1 BvR 356/04 -, NVwZ 2004, 1112, v. 22.10. 1991 - 1 BvR 393/85 u.a. -, BVerfGE 85, 36 <54> mwN., Urt. v. 18.7.1972 - 1 BvL 32/70 u.a. - BVerfGE 33, 303 < 336 ff.>). Auch die Art und Weise der Kapazitätsermittlung, insbesondere die Feststellung vorhandener Ausbildungskapazitäten und die darauf basierende Festsetzung von Zulassungszahlen hat, da sie zum Kern des Zulassungswesens gehört und Grundlage für die Zurückweisung von verfassungsrechtlich gewährleisteten Zulassungsansprüchen ist, diesen Anforderungen zu genügen. Aus dem Gebot der erschöpfenden Kapazitätsauslastung lassen sich allerdings keine konkreten Berechnungsgrundsätze ableiten, die als allein zutreffend gelten könnten. Dem Verordnungsgeber kommt vielmehr bei der Entwicklung der Parameter für den Modellstudiengang eine Einschätzungsprärogative zu; denn eine mathematische Beweisführung ist nicht möglich, da die maßgeblichen Umstände nicht naturwissenschaftlich beweisbar sind, sondern mit Wahrscheinlichkeiten gearbeitet werden muss und „die Entwicklung eines (Anm.: hier neuen) Parameters aus der zum Teil modellhaften Anwendung sehr subtiler Verfahren mit differenzierenden Eingabegrößen gewonnen wird“ (so schon Niederschrift über die Sitzung der Arbeitsgruppe Medizin v. 13.10.1978, dort Anlage „Die besonderen Parameter für den klinischen Teil des Studiengangs Medizin in der Kapazitätsverordnung“, S. 3 zu der Entwicklung des herkömmlichen Parameters; Sen. Beschl. v. 17.11.2014 - 2 NB 81/14 u.a. -, WS 2013/2014, juris). Wenn auch mithin ein nicht unerheblicher Gestaltungsfreiraum des Verordnungsgebers besteht, muss die Berechnung des Parameters doch den Bedingungen rationaler Abwägung genügen. Definiert die Verordnung die Ausbildungskapazität mittels Zahlenwerten und Formeln, so muss sich die gerichtliche Kontrolle auch auf deren Ableitung erstrecken (vgl. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschl. v. 15.1.2014 – 109/13 –, Rnr. 35, juris, mwN.).

Diesen Vorgaben wird die in § 17 Abs. 2 NdsKapVO enthaltene Kapazitätsberechnung für den Modellstudiengang aller Voraussicht nach nicht gerecht. Sie dürfte sich - zumindest nach dem inzwischen gewonnenen Kenntnisstand - in einem Hauptsacheverfahren als nichtig erweisen (a). Fehlt es aber an einer zulässigen Berechnungsformel in der KapVO, ist dem durch einen Zuschlag auf die Studienplätze bis zur Grenze der Funktionsfähigkeit Rechnung zu tragen, da der Verlust eines an sich möglicherweise zustehenden Studienplatzes gravierendere Auswirkungen hat als eine etwaige vorübergehende Mehrbelastung der Antragsgegnerin (b).

a. Den für den Modellstudiengang entwickelten Berechnungsvorgaben mangelt es an der zu fordernden Plausibilität, weil sich ein wesentlicher Aspekt des Modells, nämlich die gegenüber dem Regelstudiengang erhöhte Zahl an Ausbildungsstunden am Patienten, in der dem Parameter von 10,65 % zugrunde liegenden Formel nicht wiederfindet , gleichwohl aber aus der Ambulanz der MHH und aus den externen Ausbildungsstätten weitere Studienplätze erschlossen werden (1). Die Darlegungen der Antragsgegnerin haben diese Bedenken zumindest bislang nicht ausräumen können (2).

(1) Bei der Berechnung des herkömmlichen Parameters für die Berechnung der stationären Ausbildungskapazität (früher 20%, später 16,2%, ab 2002 15,5%) dürften nach dem damaligen theoretischen Ansatz jeweils alle damals geforderten patientenbezogenen Ausbildungsstunden (sei es mit oder ohne „Schauspieler“) in die Formel eingeflossen sein, nämlich 444 Std., vgl. die Formel im H. Gutachten 1987, S. 10a und ab 2002 gem. § 2 Abs. 3 ÄApprO 476 Std., vgl. die Formel der ZVS vom 9.9.2002, vorgelegt zu TOP 10 der VA-Sitzung 127:

2 (Semester) x 100 x 0,33 (Eignung) x 2 Std/Wo (Belastung) x 14 Wo/Semester

476 Ausbildungsstd.

4 (Gruppengröße)

= 2 x 100 x 0,33 x 2x(Std/Woche) x 4  = 15,5%,

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mag diese Stundenzahl die Ausbildungswirklichkeit an den Universitäten mittlerweile auch nicht mehr widerspiegeln, zumal die 476 Stunden nur den Unterricht am Krankenbett betrafen.

Bei der Berechnung mit dem derzeit geltenden herkömmlichen Parameter von 15,5% wird mithin - soweit in diesem Verfahren nachvollziehbar - theoretisch unterstellt, dass die Ausbildung eines Studierenden mit den in der Formel enthaltenen 444 bzw. 476 Ausbildungsstunden zureichend abgedeckt ist. Dementsprechend erscheint es zumindest in der theoretischen Ableitung konsequent, wenn bei Anwendung des herkömmlichen Parameters (zuletzt 15,5%) weitere externe Ausbildungsstunden in zusätzliche Studienplätze umzurechnen sind (§ 17 Abs.1 Nr. 3 NdsKapVO).

Für den Modellstudiengang (eine Unterteilung in Vorklinik/Klinik gibt es nicht) hat die Antragsgegnerin vorgetragen, sie biete ab dem 1. Semester deutlich mehr Ausbildungsstunden am Patienten an als im Regelstudiengang. Die gegenüber dem Regelstudium erhöhten Patientenkontakte könnten allein an der MHH allerdings nicht abgedeckt werden. Es müssten daher externe Ausbildungsstätten einbezogen werden.

Nach dem Gutachten der Fa. H. (Endfassung 2011, S. 54, sog. Muttertabelle/Modulliste, die der Ermittlung des neuen Parameters von 10,65 % zugrunde gelegt wurde) war von 750 (bzw. 690, <750 abzgl. 60 Std. an Schauspielern>) patientenbezogenen Ausbildungsstunden/ Student im Modellstudiengang auszugehen, von denen (nur) 411 direkt im stationären Bereich bei der MHH erbracht wurden. Bei der Ermittlung des Parameters für die stationäre Patientenkapazität im Modellstudiengang sind in die Berechnungsformel lediglich die unmittelbar bei der Antragsgegnerin angebotenen 411 stationären Ausbildungsstunden eingeflossen (Gutachten 2011: 184 Std. Unterricht am Krankenbett, UaK und 227 Std. Blockpraktikum, BP). Nicht eingeflossen in die Berechnungsformel sind die für ein ordnungsgemäßes Studium im Modellstudiengang ebenfalls erforderlichen weiteren 279 Ausbildungsstunden am Patienten (690 abzgl. 411), die faktisch auf die externen Einrichtungen (Gutachten 2011: 230 Std.) bzw. den ambulanten Bereich bei der MHH (Gutachten 2011: 49 Std.) entfallen; denn die Formel lautet (H., Gutachten v. Okt. 2011, Langfassung S. 89):

3 (Tertiale) x 100 x 0,406 (Eignung) x 1,448 Std/Wo (Belastg) x 10 Wochen/Tertial = 10,65%.

411 Ausbildungsstd.

2,481 Gruppengröße

Finden sich aber die für den Modellstudiengang maßgeblichen Gesamtausbildungsstunden nicht in der Formel wieder, ist davon auszugehen, dass die Ausbildung eines Studierenden mit den in der Formel (nur) enthaltenen 411 Ausbildungsstunden noch nicht zureichend umschreiben, da es gerade Sinn des Modellstudienganges ist, 690 patientenbezogene Ausbildungsstunden je Student anzubieten.

Das bedeutet, zumindest mit Verbindlichkeit für das vorliegende Verfahren, dass die über den Parameter von 10,65% zuzulassenden Studierenden (nach der Kapazitätsberechnung der MHH für das aktuelle Studienjahr 2015/2016: 132,1869 Studierende) für ihre ordnungsgemäße Ausbildung zwingend auf eine Ergänzung ihrer Ausbildung, sei es in der Ambulanz bei der MHH, sei es in externen Einrichtungen angewiesen sind. Dann aber ist es letztlich unplausibel und rationaler Ableitung nicht (mehr) zugänglich, aus der Ausbildung in dem ambulanten Bereich bei der MHH und in den externen Einrichtungen noch zusätzliche Studienplätze abzuleiten.

Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen der Firma H. die über die 50% - Regelung ermittelten Studienplätze aus dem ambulanten Bereich tatsächlich an vielen Hochschulen - so auch bei der MHH - in dem ambulanten Bereich gar nicht kreiert werden können, weil der ambulante Bereich aus verschiedenen Gründen in der Praxis tatsächlich nur zu ca. 12 % an der Ausbildung der Studierenden mitwirken könne, so dass die für den ambulanten Bereich ermittelten Studienplätze letztlich zu einer Überbelastung des stationären Bereichs führten (H., Gutachten Okt. 2011, Langfassung S. 3, 6, 11, 24, 90, vgl. auch schon H., Gutachten 1987 S. 74, 76).

Es soll nicht verkannt werden, dass der Ansatz von nur 411 Ausbildungsstunden im Nenner der Formel kapazitätsfreundlich ist, denn bei einem Ansatz von 690 patientenbezogenen Ausbildungsstunden hätte sich im Zusammenspiel mit den anderen errechneten Parametern für den Modellstudiengang ein nicht mehr hinnehmbarer deutlich geringerer Parameter (von rd. 6,34%) ergeben. Zudem ist davon auszugehen, dass die in den früheren Formeln eingesetzten Ausbildungsstunden (444 bzw. 476, s.o.) die Ausbildungswirklichkeit ebenfalls nicht zutreffend wiedergegeben haben dürften. Wenn in der für den Modellstudiengang maßgeblichen Formel allerdings (sogar) mit noch geringeren als den früher eingesetzten Ausbildungsstunden gerechnet wird, besteht Erklärungsbedarf. Unabhängig davon kann erwartet werden, dass neu ermittelte Parameter Defizite des herkömmlichen Parameters nicht (weiter) vertiefen.

Die Darlegung der Antragsgegnerin, sie trage seit Jahren eine Überlast (vgl. auch Sen., Beschl. v. 17.11.2014 - 2 NB 81/14 u.a. -, WS 2013/2014, juris) verstärkt iVm. der 10-jährigen Dauer des Modellstudienganges die Frage nach der Plausibilität der Vorgaben in § 17 Abs. 2 KapVO; denn wenn die Antragsgegnerin über Jahre aus ihrem ambulanten Bereich und aus den externen Einrichtungen zusätzliche Studienplätze errechnet, obgleich diese Vorgehensweise mit der zugrunde liegenden Formel nicht in Übereinklang zu bringen sein dürfte und zudem (nach ihrer Kapazitätsberechnung) darauf nochmals einen Zuschlag macht, sie die aufgenommenen 270 Studierenden aber ordnungsgemäß ausbilden kann, spricht dies dafür, dass Einzelwerte in der Formel (sei es die Gruppengröße oder die Patienteneignung oder die Belastbarkeit) nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.

(2) Dem nach alledem bestehenden Erklärungsbedarf (vgl. auch u.a. Beschl. des Sen. v 17.11.2014 - 2 NB 81/14 ua. - und - 2 NB 55/14 ua. -, an dem die Prozessbevollmächtigten des vorliegenden Verfahrens beteiligt waren, jeweils WS 2013/2014) ist die Antragsgegnerin bislang nicht zureichend nachgekommen, insbesondere auch nicht im Rahmen der o.a. mündlichen Verhandlung.

Der Verweis auf die Innovationsklauseln führt nicht weiter (s.o.). Es trifft - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - zudem nicht zu, dass für den Modellstudiengang die Berechnungsart des allgemein anerkannten Regelparameters (15,5%) nur „adaptiert“ wurde. Auch die nach dem Auflagenbeschluss in dem Berufungsverfahren 2 LB 270/15 erfolgten Ausführungen der Antragsgegnerin (Schriftsatz v. 22.7.2016) vermögen die aufgeworfenen Fragen - soweit in diesem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren erkennbar - nicht zureichend zu beantworten. Der Hinweis, bei Einsatz der für den Regelparameter geltenden Einzelwerte (für Eignungswahrscheinlichkeit, Belastung etc.) im Zähler der Formel einerseits und der im Modell angebotenen Gesamtausbildungsstunden von 750 (Gutachten 2011) im Nenner andererseits, ergebe sich ein Wert von ca. 9,67 %, was den normierten Wert von 10,65 % plausibel mache, greift zu kurz; denn der neue Parameter rechnet gerade nicht mit den klassischen alten Einzelwerten des Regelparameters. Die im Berufungsverfahren vorgelegte Alternativberechnung belegt nach derzeitigem Verständnis eher die unzureichende Aussagekraft des Parameters; denn die Antragsgegnerin ermittelt nunmehr - soweit ersichtlich unter Ansatz anderer Gruppengrößen - allein in ihrem stationären und ambulanten Bereich eine Kapazität von 242 Studienplätzen, während sie in allen früheren Berechnungen mit dem Rechenansatz der Fa. H. für ihren stationären und ambulanten Bereich lediglich auf rd. 200 Studienplätzen kam (vgl. H., Gutachten Okt. 2011 Langfassung S. 90). Darüber hinaus dürfte die Alternativberechnung darauf hindeuten, dass die Antragsgegnerin nur so viele externe Patientenstunden generiert, als für 270 Studienplätze erforderlich sind. Das wird dem Sinn einer Kapazitätsberechnung aber nicht gerecht, denn damit werden die 270 Studienplätze letztlich wie eine vereinbarte Zulassungszahl behandelt.

Eine rechtlich verbindliche Vereinbarung über 270 Studienplätze liegt indes nicht vor.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die zwischen dem Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der Antragsgegnerin 2005 geschlossene und später fortgeschriebene Zielvereinbarung; denn in der maßgeblichen Vereinbarung vom 26. Mai 2005 ist - unabhängig von der Frage einer etwaigen rechtlichen Verbindlichkeit derartiger Zielvereinbarungen - schon gar keine konkrete Zulassungszahl vorgegeben, vielmehr lediglich festgehalten, dass die Kapazität „auf der Grundlage der patientenbezogenen Aufnahmekapazität“ festgesetzt werden soll. Die weiteren dem Senat vorliegenden Vereinbarungen enthalten keine hiervon abweichende Regelung (ebenso Schriftsatz der Antragsgegnerin v. 16.7.2015 zum WS 2014/2015). Auch soweit seit dem Wintersemester 2006/2007, nach Einführung des § 10 NHZG durch Art. 5 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 (NdsGVBl. S. 426), die Zahl von 270 Studienplätzen ergänzend jeweils jährlich im Bewirtschaftungsvermerk des jeweiligen Haushaltsplanes enthalten ist, ist hieraus keine verbindliche Festlegung auf 270 Studienplätze rechtlich herzuleiten. Die Regelung belegt lediglich die Erwartung des Landes Niedersachsen gegenüber der Antragsgegnerin, für den Modellstudiengang mindestens 270 Studienplätze zu schaffen iVm. der Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel durch das Land. Etwas anderes nehmen die Antragsgegnerin bzw. der Normgeber auch nicht in Anspruch. Vielmehr ist in der NdsKapVO - anders als für den Medizinstudiengang an der Universität Oldenburg - eine ausdrücklich für den Modellstudiengang geltende Kapazitätsberechnungsvorgabe geschaffen worden und hat die Antragsgegnerin (Schriftsatz v. 16.7.2015 S.4 f, WS 2014/2015) bestätigt, dass die im Bewirtschaftungsvermerk genannten 270 Plätze nicht als Maximalwert zu verstehen sind (vgl. Sen., Beschl. v. 16.9.2015 - 2 NB 15/15 -, juris).

b. Sind die Vorgaben in § 17 Abs. 2 NdsKapVO in einem Hauptsachverfahren - wiederum nur nach derzeitigem Kenntnisstand - aller Voraussicht nach als nichtig anzusehen, kann wegen der von der Antragsgegnerin hervorgehobenen Ausbildungsunterschiede als Ersatz nicht ohne weiteres auf die in § 17 Abs. 1 NdsKapVO enthaltenen Vorgaben für die herkömmliche Kapazitätsberechnung zurückgegriffen werden, die nach den Berechnungen der Antragsgegnerin (Schriftsatz v. 20.6.2016) zu 282 Plätzen (mit Privatpatienten, die der Senat seit dem Wintersemester 2014/15 mit einrechnet, vgl. Beschl. v. 9.9.2015 - 2 NB 401/14 - WS 2014/2015 Uni Göttingen, juris) führen würde. Allerdings ist davon auszugehen, dass mindestens diese 282 Plätze zu vergeben sind, da die Einführung eines Modellstudienganges grundsätzlich nicht dazu führen soll, Studienplätze abzuschmelzen (vgl. Wissenschaftsrat, „Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Deutschland auf Grundlage einer Bestandsaufnahme der humanmedizinischen Modellstudiengänge“, Dresden, 11.7.2014, Drucks. 4017-14 S. 50). Da es an weiteren Berechnungsvorgaben in der KapVO für den Modellstudiengang fehlt, ist die Antragsgegnerin zu verpflichten, Studienbewerber bis zur Grenze ihrer Funktionsfähigkeit aufzunehmen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 21.4.2016 - 13 B 114/16 -, juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 9.2.2015 - 3 Nc 55/14 -, juris). Wo diese Grenze genau liegt, ob sie in etwa an der Kapazität des Regelstudiengangs auszurichten ist oder ob auch ein deutlich darüber hinaus gehender Zuschlag denkbar wäre, ist anlässlich des im Streit befindlichen Wintersemesters 2015/2016 nicht zu entscheiden, denn zumindest die Aufnahme von weiteren 5 Antragstellern (ggfls. auch 6 Antragstellern, zieht man das Verfahren 2 NB 10/16 mit ein) überschreitet die Kapazität des Regelstudiengangs mit dann insgesamt (278 + 6=) 284 Studierenden nicht derart, dass von einer Einschränkung der Funktionsfähigkeit bei der Antragsgegnerin auszugehen wäre.

3. Zum weiteren Vortrag der Antragsteller sei nur der Vollständigkeit halber festgehalten:

Die Zuordnung der teilstationären Patienten, zu denen nach Darstellung der Antragsgegnerin auch die Patienten von Tages- bzw. Nachtkliniken zählen, zu dem stationären Bereich kann der Kläger nach der Rechtsprechung des Senats nicht verlangen (vgl. Sen., Urt. v. 7.6.2016 - 2 LB 70/15 -, WS 2012/2013, Uni Göttingen, Beschl. v. 9.9.2015 - 2 NB 401/14 -, WS 2014/2015, Uni Göttingen, jeweils juris; für eine Zuordnung zum stationären Bereich OVG Hamburg, Beschl. v. 28.9.2015 - 3 Nc 7/15 -, v. 21. 4. 2015 - 3 Nc 121/14 -, v. 30.7.2014 - 3 NC 10/14 -, jeweils juris). Zudem hat die Firma H. nachvollziehbar dargelegt, das teilstationäre Behandlungsangebot bei der Antragsgegnerin umfasse im Wesentlichen die Behandlung von Tumorpatienten, Dialysepatienten sowie psychiatrische und psychosomatische Patienten, die sich aufgrund ihres Erkrankungsbildes jeweils nur bedingt für die Lehre eigneten, da sie sich entweder in einer kritischen Krankheitsphase befänden, für das Ausbildungsziel nicht relevant seien oder - bei psychiatrischen Erkrankungen - ein besonderes Patient-Arzt-Verhältnis bestehe (H., Langgutachten, Okt. 2011 S. 46 f., Kurzgutachten S. 25).

Soweit die zur Ermittlung der Eignungswahrscheinlichkeit der stationären Patienten eingeführten Kriterien (IK 1: Patient in kritischer Krankheitsphase, IK 2: Patient für Ausbildungsziel nicht relevant, IK 3: Patient hat persönliche Vorbehalte, IK4: Patient steht wegen anderer Aktivitäten nicht zur Verfügung, vgl. H.., Gutachten Okt. 2011, Kurzfassung S. 13) und deren Berechnung gerügt werden, vermag der Senat die Bedenken nicht zu teilen, da die Fa. H. schon seit langem in dem Bereich der Kapazitätsermittlung tätig ist, daher über große Erfahrungen verfügt und die genannten Kriterien bereits Gegenstand der Untersuchung durch die Firma von 1986/1987 (dort S. 14 ff, vgl. ebenso Sen., Beschl. v. 17.11.2014 - 2 NB 55/14 -, WS 2013/2014).

Eine Schwundberechnung ist nicht geboten, da nach den Angaben der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht, die Semester jeweils auf 270 Studierende aufgefüllt werden. Dies belegt auch die den Kapazitätsberechnungen jeweils beigefügte Schwundtabelle, aus der ersichtlich ist, dass stets 270 Studierende ggf. mit geringfügigen Überbuchungen in den Semestern geführt werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in der Schwundberechnung fehlerhaft beurlaubte Studierende aufgeführt sind.

Die Antragsgegnerin hat schließlich mit Vorlage einer anonymisierten Immatrikulationsliste die Belegung im 1. Semester (278) in zureichendem Maße nachgewiesen. Anlass, an den Angaben zu zweifeln, sieht der Senat nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).