Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.10.2016, Az.: 14 PS 9/16

in-camera-Verfahren; Vertretungszwang

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.10.2016
Aktenzeichen
14 PS 9/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43329
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der nach § 99 Abs. 2 Satz 3 VwGO bei einem Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zu stellende Antrag auf Durchführung eines in-camera-Verfahrens vor dem Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts unterliegt gemäß § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO.

Tenor:

Der Antrag wird verworfen.

Gründe

I.

In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover - 10 A 2981/15 - begehrt der Kläger die Verpflichtung der Beklagten, ihm Einsicht in Akten der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt - Außenstelle Mitte - über einen Schriftwechsel betreffend ein Diensterfindungsverfahren zu gewähren.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte am 9. Juni 2015 aufgefordert, die bei ihr geführten Verwaltungsvorgänge vorzulegen. Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt - Außenstelle Mitte - hat dies mit Schriftsatz vom 7. August 2015 unter Berufung auf § 99 VwGO abgelehnt und geltend gemacht, dass die Verwaltungsvorgänge das streitgegenständliche Informationszugangsrecht beträfen und schon deshalb aus prozessrechtlichen Gründen ihrem Wesen nach geheim zu halten seien. Darüber hinaus sei der Ausschlusstatbestand nach § 5 Abs. 1 und 2 des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes - IFG - erfüllt, so dass die Verwaltungsvorgänge auch von Gesetzes wegen geheim zu halten seien.

Nach einem Hinweis des Verwaltungsgerichts vom 10. August 2015 hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unter dem 22. September 2015 eine Sperrerklärung abgegeben. Danach wird die Vorlage der die Verwaltungsstreitsache betreffenden Verwaltungsvorgänge (Band 1 (Seite 1 bis 157), Band 2 (Seite 158 bis 407) und Band 3 (Seite 408 bis 565)) vollständig verweigert. Zur Begründung hat das Bundesministerium geltend gemacht, die Akten seien ihrem Wesen nach aus prozessrechtlichen Gründen und zum Schutz personenbezogener Daten Dritter geheim zu halten.

Der anwaltlich nicht vertretene Kläger hat mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2015 beantragt, "die Rechtmäßigkeit der Verweigerung durch das Bundesverwaltungsgericht feststellen zu lassen".

Auf diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. Juni 2016 das Verfahren gemäß §§ 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO dem Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Entscheidung über die Frage vorgelegt, ob die Verweigerung der Vorlage des Verwaltungsvorgangs "Diensterfindung des Technischen Angestellten B. " (Az. C.; D.) durch die Erklärung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 22. September 2015 rechtmäßig ist.

II.

Der Fachsenat legt das vom Kläger im Schriftsatz vom 21. Oktober 2015 geäußerte Begehren dahin aus, dass der Kläger beantragt, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 22. September 2015 festzustellen.

Über diesen Antrag entscheidet gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO der nach § 189 VwGO gebildete Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts. Die abweichende Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 99 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist nur eröffnet, wenn eine oberste Bundesbehörde die Vorlage, Übermittlung oder Auskunft mit der Begründung verweigert, das Bekanntwerden des Inhalts der Urkunden, der Akten, der elektronischen Dokumente oder der Auskünfte würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten (Halbsatz 1) oder wenn das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 VwGO für die Hauptsache zuständig ist (Halbsatz 2). Keiner dieser Fälle ist hier gegeben. Die Sperrerklärung wurde zwar von einer obersten Bundesbehörde erteilt. Diese begründet die Verweigerung der Aktenvorlage aber nicht mit Nachteilen für das Wohl des Bundes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO, sondern allein mit einer wesensmäßigen Geheimhaltungsbedürftigkeit im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO (vgl. zur Definition und Abgrenzung dieser Geheimhaltungsgründe: Senatsbeschl. v. 8.2.2016 - 14 PS 6/15 -, NordÖR 2016, 327, 329 f. mit weiteren Nachweisen). Das Bundesverwaltungsgericht ist auch nicht nach § 50 VwGO für die Hauptsache zuständig.

Der Antrag des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger bei der Antragstellung nicht durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist.

Nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO müssen sich die Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht außer in Prozesskostenhilfeverfahren durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt nach § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird.

Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung unterliegt auch der gemäß § 99 Abs. 2 Satz 3 VwGO bei dem Gericht der Hauptsache zu stellende Antrag auf Durchführung eines Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO vor dem nach § 189 VwGO gebildeten Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.2.2009 - BVerwG 20 F 3.08 -, juris Rn. 3; Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 99 Rn. 16). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck der durch Art. 13 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840) mit Wirkung vom 1. Juli 2008 in § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO bestimmten Erstreckung des Vertretungszwangs auch auf Prozesshandlungen, die zwar gegenüber dem Verwaltungsgericht vorzunehmen sind, durch die aber ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Der Gesetzgeber hat hiermit die vorausgegangene Regelung in § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung geändert, die lediglich für die Beschwerde gegen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ein Vertretungserfordernis vorsah (vgl. zu dieser alten Rechtslage: BVerwG, Beschl. v. 5.2.2009, a.a.O., Rn. 3; Senatsbeschl. v. 9.6.2005 - 14 PS 1/05 -, NVwZ-RR 2005, 819 [OVG Niedersachsen 09.06.2005 - 14 PS 1/05] jeweils mit weiteren Nachweisen). Der im Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat geäußerten Anregung, Anträge auf Durchführung von Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO von der Erstreckung des Vertretungszwangs nach § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO auszunehmen (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BR-Drs. 623/06 (B), S. 22), ist der Bundestag ersichtlich nicht gefolgt (vgl. auch die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 16/3655, S. 122 f.).

Dem danach bestehenden Vertretungserfordernis genügt der vom Kläger im Schriftsatz vom 21. Oktober 2015 persönlich gestellte Antrag nicht. Denn als Bevollmächtigte sind nach § 67 Abs. 4 Sätze 3 und 7 VwGO nur die in § 67 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen, zu denen der Kläger nicht zählt.

Klarstellend weist der Fachsenat darauf hin, dass der Kläger durch die Verwerfung seines unzulässigen Antrages nicht gehindert ist, den nicht fristgebundenen Antrag auf Durchführung des Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO - vertreten durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten - erneut zu stellen.

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht. Denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit, für den das Gerichtskostengesetz einen Ansatz von Gerichtsgebühren nicht vorsieht und besondere anwaltliche Vergütungsansprüche nicht entstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.2010 - BVerwG 20 F 15.10 -, NVwZ-RR 2011, 261). Auch ein Streitwert ist daher nicht festzusetzen.