Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.10.2016, Az.: 2 ME 192/16

Inklusion; Notanwalt; Wiedereinsetzung; UN-Behindertenrechtskonvention

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.10.2016
Aktenzeichen
2 ME 192/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43320
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 08.08.2016 - AZ: 6 B 4212/16

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 8. August 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der am 6. Juli 1999 mit einem Down-Syndrom geborene Antragsteller wurde zum Schuljahr 2006/2007 in Thüringen in die Grundschule eingeschult und durchlief  diese sechs Jahre. Anschließend besuchte er in Thüringen den 5. und 6. Jahrgang der Sekundarstufe I (Schuljahre 2012/13 und 2013/14). Zum Schuljahr 2014/15 zog er mit seiner sorgeberechtigten Mutter nach Niedersachsen. Seine Mutter hatte bereits mit Schreiben vom 16. Juni 2014 unter Hinweis auf das Down-Syndrom bei der Nds. Landesschulbehörde und der Antragsgegnerin um Aufnahme des Antragstellers in die Sekundarstufe I, 7. Jahrgang gebeten. Die Landesschulbehörde teilte am 2. Juli 2014 mit, eine Aufnahme bei der Antragsgegnerin sei möglich. Der Antragsteller durchlief daraufhin bei integrativer Beschulung den 7. und 8. Jahrgang bei der Antragsgegnerin und erhielt zuletzt einen Schülerausweis, ausgestellt bis Juli 2018.

Hinsichtlich der Beschulung in Thüringen und bei der Antragsgegnerin liegen keine Bescheide vor. Nach Darstellung des Antragstellers ist die bisherige Beschulung im Einvernehmen mit allen Beteiligten erfolgt.

Soweit aus den Unterlagen ersichtlich, wandte sich die Mutter des Antragstellers Anfang 2016 an die Antragsgegnerin, die Nds. Landesschulbehörde und das Nds. Kultusministerium, weil sie mit der Ausbildungssituation an der Antragsgegnerin (insbesondere mit dem Projekt einer Zusammenarbeit mit der Tagesbildungsstätte B.) nicht einverstanden war. Das Nds. Kultusministerium teilte in seinem Antwortschreiben vom 7. März 2016 mit, der Antragsteller befinde sich in dem (damals laufenden) Schuljahr 2015/2016 zwar im 8. Jahrgang, tatsächlich jedoch bereits im 10. Schulbesuchsjahr, er habe daher Anspruch, nach den Rahmenrichtlinien des Förderschwerpunktes Geistige Entwicklung für die Schuljahrgänge 10 bis 12 (Sekundarstufe II) unterrichtet zu werden und brauche nicht länger an dem Projektunterricht mit der Tagesbildungsstätte teilzunehmen, stattdessen solle ein sich an den curricularen Vorgaben der Schuljahrgänge 10 bis 12 Förderungsschwerpunkt Geistige Entwicklung orientierender Unterricht durchgeführt werden. Gleichzeitig wies das Kultusministerium darauf hin, mit Ablauf des 8. Jahrgangs und damit des 10. Schulbesuchsjahres ende der Besuch bei der Antragsgegnerin und sei die 12-jährige Schulpflicht mit dem Besuch des Schuljahrganges der Sekundarstufe II an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung zu erfüllen.

Die Mutter des Antragstellers stellte daraufhin bei der Landesschulbehörde am 14. März 2016 den Antrag, die Schulzeit um die Jahrgangsstufen 9 und 10 bei der Antragsgegnerin zu verlängern. Eine ausdrückliche Entscheidung hierzu ist nicht ergangen.

In der folgenden Zeit wurde ein Fördergutachten (v. 17.5.2016, BA 002) eingeholt. Dieses schlägt vor, den Antragsteller in allen Entwicklungsbereichen unter Berücksichtigung der Kerncurriculums der Sekundarstufe II Schwerpunkt Geistige Entwicklung zu fördern.

Mitte Juni 2016 wies die Landesschulbehörde die Antragsgegnerin an, dem Antragsteller ein Abgangszeugnis zu erstellen, da eine weitere Beschulung bei der Antragsgegnerin ausgeschlossen sei.

Daraufhin hat der Antragsteller am 26. Juli 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung sinngemäß gegenüber der Landesschulbehörde begehrt, ihm den Schulbesuch bei der Antragsgegnerin im 9. Jahrgang (Schuljahr 2016/2017) zu gestatten, hilfsweise, ab August 2016 für die Schuljahre 2016/17 und 2017/18 die Voraussetzungen für eine inklusive Beschulung in den Berufsbildenden Schulen Stadthagen zu schaffen.

Bereits kurz zuvor, nämlich mit Bescheid vom 22. Juli 2016 hat die Landesschulbehörde bei dem Antragsteller einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung festgestellt und ihn unter Anordnung des Sofortvollzugs verpflichtet, ab dem Schuljahr 2016/2017 die Förderschule Geistige Entwicklung in C. zu besuchen.

Das Verwaltungsgericht hat für das einstweilige Anordnungsbegehren des Antragstellers (Verlängerung des Schulbesuchs) die Antragsgegnerin als zuständige Passivpartei aufgenommen und das Begehren mit dem angefochtenen Beschluss mit der Begründung abgelehnt, einer weiteren Beschulung bei der Antragsgegnerin stehe der Bescheid vom 22. Juli 2016 entgegen, Rechtsmittel gegen diesen Bescheid seien bislang nicht eingelegt.

Gegen den am 13. August 2016 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Eingang vom 29. August 2016 (Montag) Beschwerde eingelegt und unter Hinweis auf eine Krankschreibung des Antragstellers/Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Mutter die Beiordnung eines Notanwaltes sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt. Mit Schreiben vom 9. September 2016 hat er mehrere Anwälte benannt, die einer Mandatsannahme nicht zugestimmt hätten, und sein Begehren näher begründet. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, die Zuweisung an die Förderschule stehe im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention. Er habe ein Recht auf eine weitere Beschulung bei der Antragsgegnerin. Die organisatorischen, personellen und tatsächlichen Rahmenbedingungen für eine zieldifferente Beschulung lägen dort vor.

Mitte August 2016 hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 22. Juli 2016 Klage erhoben (6 A 4879/16) und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht (6 B 4589/16). Das vorläufige Rechtsschutzbegehren hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. September 2016 (zugestellt am 7. September 2016) abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller - wiederum vertreten durch seine Mutter, aber ohne Beauftragung eines Rechtsanwalts - am 20. September 2016 Beschwerde eingelegt und erneut unter Hinweis auf die Krankschreibung des Antragstellers/Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Mutter die Beiordnung eines Notanwalts sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt ( 2 ME 202/16). zur Begründung hat der Antragsteller seine Ausführungen aus dem Verfahren 2 ME 192/16 vertieft und u.a. ausgeführt, er sei bei der Antragsgegnerin des vorliegenden Verfahrens bereits nach dem Curriculum der Sekundarstufe II beschult worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und Schriftsätze, auch in den Verfahren 6 A 4879/16 und 6 B 4589/16 (2 ME 202/16) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes hat keinen Erfolg.

1.  Die am 29. August 2016 eingelegte Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist (Zustellung des Beschlusses 13.8.2016, Ablauf der Beschwerdefrist Montag, 29.8.2016) durch einen Rechtsanwalt (vgl. § 67 VwGO) eingelegt worden ist, obgleich auf diese Notwendigkeit in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses hingewiesen worden ist.

2.  Allerdings hat der Antragsteller am 29. August 2016 und damit innerhalb der Beschwerdefrist um die Beiordnung eines Notanwaltes und Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Dem Antragsteller kann jedoch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist nach § 60 VwGO gewährt werden.

a.  Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung der Rechtsmittelfrist wegen fehlender Postulationsfähigkeit ist nur dann nicht verschuldet, wenn der Beteiligte bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist alles getan hat, um durch einen Rechtsanwalt vertreten zu werden. Das erfordert nicht nur, dass er noch innerhalb der laufenden Beschwerdefrist den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts nach § 173 Satz 1 VwGO iVm. § 78 b ZPO stellt, sondern er muss innerhalb der noch laufenden Frist auch alles ihm Zumutbare getan haben, um sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen (BVerwG, Beschl. v. 26.2.2013 - 4 AV 3.13 u.a. -, juris, v. 28.7.1999 - 9 B 333.99 -, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.8.2014 - 2 ME 144/14 -, mwN.; OVG NW, Beschl. v. 18. 12.2009 – 12 A 2463/09 –, juris; BGH, Beschl. v. 24.6.2014 - VI ZR 226/13 -, NJW 2014, 3247).

Vorliegend hat der Antragsteller innerhalb der Beschwerdefrist nicht nachgewiesen, dass er zumutbare Anstrengungen unternommen hat, um einen zur Vertretung bereiten Prozessbevollmächtigten zu finden; denn der Schriftsatz vom 29. August 2016 enthält hierzu keine näheren Angaben und der Antragsteller hat auch nicht belegt, dass er bzw. seine Mutter krankheitsbedingt in dieser Zeit zu einer Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt nicht in der Lage waren. Der nicht näher substantiierte Hinweis auf eine Krankschreibung des Antragstellers/Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Mutter und die bloße Vorlage dieser Krankschreibung reichen hierfür nicht aus.

b.  Und selbst wenn man zugunsten des Antragstellers die mit Schriftsatz vom 9. September 2016 nachgewiesenen Bemühungen um einen Rechtsanwalt in die Prüfung mit einbezieht, bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

Gemäß §§ 173 Satz 1 VwGO iVm. 78 b Abs. 1 ZPO kommt die Beiordnung eines Notanwalts nur dann in Betracht, wenn die Partei trotz zumutbarer Anstrengungen einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet (aa) und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint (bb). Beide Voraussetzungen liegen nicht vor.

aa.  Die als Anlage zum Schriftsatz vom 9. September 2016 beigefügten Unterlagen zu sechs Rechtsanwälten reichen zum Nachweis eines ausreichenden Bemühens um anwaltlichen Beistand nicht aus; denn die Kontaktaufnahme erfolgte per Internet und betraf teilweise Anwälte in Hannover, Oldenburg, Hamburg. Es war dem Antragsteller bzw. seiner Mutter aber zumutbar, persönlich mit Rechtsanwälten in ihrer Umgebung Kontakt aufzunehmen, zumal bereits eine oberflächliche Recherche im Internet zeigt, dass es im Raum D. zahlreiche Anwaltskanzleien gibt.

bb.  Die Beiordnung eines Notanwalts kommt - selbständig tragend - zudem deswegen nicht in Betracht, weil die Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint. Aussichtslosigkeit im Sinne von § 78 b ZPO ist dann gegeben, wenn ein für den Betroffenen günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Vertretung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (BVerwG, Beschl. v. 8.10.2013 - 6 PKH 7.13, 6 PKH 7.13 (6 B 48.13) -, juris, BSG, Beschl. v. 3.1.2005 - B 9a/9 SB 39/04 B - juris mwN.). So liegt es hier.

Das Verwaltungsgericht hat das Begehren des Antragstellers auf Schulzeitverlängerung zu Recht zum einen als gegen die Antragsgegnerin gerichtet angesehen, weil über einen derartigen Antrag durch die jeweilige Schule zu entscheiden ist (Brockmann/Schippmann/ Littmann, Nds. SchulG, Stand: Juni 2016, § 65 Anm. 2) und zum anderen als unbegründet gewertet, weil dem Begehren der Bescheid der Nds. Landesschulbehörde vom 22. Juli 2016 entgegensteht.

(1)  Das Begehren auf Schulzeitverlängerung bei der Antragsgegnerin bleibt schon deswegen erfolglos, weil das gegen den Bescheid der Nds. Landesschulbehörde vom 22. Juli 2016 gerichtete vorläufige Rechtsschutzbegehren rechtskräftig mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. September 2016 (6 B 4589/16) abgelehnt und hiergegen nicht innerhalb der Beschwerdefrist (Ablauf: 21.9.2016) durch einen Rechtsanwalt Beschwerde eingelegt worden ist. Die am 20. September 2016 von der Mutter des Antragstellers erhobene Beschwerde verbunden mit dem Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts und Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wahrt diese Frist nicht; denn innerhalb der Beschwerdefrist sind nicht zumutbare Anstrengungen nachgewiesen worden, einen zur Vertretung bereiten Prozessbevollmächtigten zu finden und der Antragsteller hat auch nicht belegt, dass er bzw. seine Mutter krankheitsbedingt in dieser Zeit zu einer Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt nicht in der Lage waren. Der nicht näher substantiierte Hinweis auf eine (weitere) Krankschreibung des Antragstellers und die bloße Vorlage dieser Krankschreibungen (nunmehr bis 30.9.2016) reichen hierfür nicht aus.

(2) Unabhängig davon ist der Bescheid vom 22. Juli 2016 nach dem in diesem Verfahren gegebenen Erkenntnisstand in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht als aller Voraussicht nach rechtmäßig anzusehen.

Rechtsgrundlage für den Bescheid der Landesschulbehörde vom 22. Juli 2016 ist § 183 c Abs. 1 NSchulG. Danach finden die Vorgaben zur inklusiven Beschulung (vgl. Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule v. 23.3.2012, Nds. GVBl 2012 S. 34, wonach grundsätzlich <Ausnahme § 59 Abs. 5 NSchulG> zum einen Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet werden und zum anderen die Erziehungsberechtigten über die Schulform entscheiden sollen,) auf den Antragsteller keine Anwendung, weil er sich nicht in einem der Inklusion unterfallenden Schuljahrgang befindet. Nach der Übergangsvorschrift des § 183 c Abs. 1 NSchulG sind die Inklusionsvorschriften erstmals auf die Schuljahrgänge anzuwenden, die sich im Schuljahr 2013/2014 im (1. oder) 5. Schuljahrgang befinden/befunden haben. Der Antragsteller befand sich im Schuljahr 2013/2014 bereits im 6. Jahrgang. Aus den Vorgaben in § 183 c Abs. 1 NSchulG folgt, dass für das hier umstrittene Schuljahr 2016/2017 lediglich bis einschließlich zum 8. Schuljahrgang ein Rechtsanspruch auf eine inklusive Beschulung geltend gemacht werden könnte, der Antragsteller befindet sich im laufenden Schuljahr 2016/17 indes im 9. Schuljahrgang (und faktisch im 11. Schulbesuchsjahr). Er ist - anders ausgedrückt - den Inklusionsklassen immer um ein Jahr voraus. Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass der Antragsteller nicht freiwillig ein Jahr zurücktreten könnte, um so in einen Schuljahrgang zu gelangen, für den grundsätzlich die inklusive Beschulung gilt; denn nach § 3 Abs. 2 der „Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen der Allgemeinbildenden Schulen“, v. 3.5.2016, Nds. GVBl 2016, 82, WESchVO) rückt ein Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung am Ende eines Schuljahrgangs (stets) in den nächsthöheren Schuljahrgang auf. Diese Vorgabe liegt darin begründet, dass eine Klassenwiederholung ebenso wie eine Zurückstellung von der Einschulung nur erfolgen soll, wenn die Behinderung nicht selbst hierfür den Anlass bietet; es muss vielmehr ein Entwicklungsrückstand im Vergleich zu anderen gleichaltrigen Kindern mit vergleichbaren Behinderung vorliegen. Hinzu kommt, dass in dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung grundsätzlich die Möglichkeit eines zieldifferenten Unterrichts besteht, der individuell auf den jeweiligen Entwicklungsrückstand angepasst ist. Auch dieses rechtfertigt es, von einer Wiederholung des Jahrgangs abzusehen (vgl. Eikötter, Inklusives Schulsystem am Beispiel Niedersachsens, NordÖR 2015, 53, 60 zur Zurückstellung vom Schulbesuch).

Aus den obigen Ausführungen folgt zugleich, dass der Antragsteller auch bei einem etwaigen Wechsel auf berufsbildende Schulen (BBS) keinen Rechtsanspruch auf eine inklusive Beschulung hätte.

An diesen rechtlichen Vorgaben ändert sich - wenn das auch für die Mutter des Antragstellers nur schwer verständlich sein mag - nichts dadurch, dass der Antragsteller in der Vergangenheit jeweils an einer Regelschule, zunächst in Thüringen, später bei der Antragsgegnerin, integrativ beschult worden ist und zwar zumindest in Niedersachsen auch mit Kenntnis der Landesschulbehörde.

Die in § 183 c Abs. 1 NSchulG vorgegebene zeitliche Staffelung der Einführung der inklusiven Schule verstößt - entgegen dem sinngemäßen Vortrag des Antragstellers - nicht gegen Art. 24 UN-BRK. Zu dieser Problematik hat der Senat ausgeführt:

„Mit dem „Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule“ (v. 23.3.2012, Nds. GVBl. 2012, 34) ist das NSchG mit Wirkung zum 1. August 2012 geändert und hierbei auch die in Art. 24 BRK (v. 13.12.2006 iVm. dem Ratifizierungsgesetz des Bundes v. 21.12.2008, BGBl. 2 II 1419) grundsätzlich vorgesehene inklusive Beschulung umgesetzt worden. Die Bestimmungen sehen nunmehr die inklusive Beschulung von Schülern mit einem Anspruch auf sonderpädagogische Unterstützung grundsätzlich in der allgemeinen Regelschule vor. Damit ist die erforderliche Transformation des Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) durch den niedersächsischen Gesetzgeber erfolgt. Die gesonderte Umsetzung durch den niedersächsischen Gesetzgeber war erforderlich, da die Konvention mit dem deutschen Ratifizierungsgesetz nur insoweit Bestandteil des Bundesrechts gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG geworden war, als dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zustand. Keine Umsetzung in nationales Recht war demgegenüber durch die Ratifizierung für diejenigen Bestandteile des völkerrechtlichen Übereinkommens erfolgt, die nach Art. 70 Abs. 1 GG dem Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfielen; hierzu zählte auch das der Kultushoheit zuzuordnende Schulwesen (Sen., Beschl. v. 19.9.2010 - 2 ME 278/10 -, juris, ausführlich Hess. VGH, Beschl. v. 12.11.2009 - 7 B 2763/09 -, NVwZ-RR 2010, 602 = juris; sowie Brockmann/Littmann/Schippmann, Stand: Juni 2013, § 4 Anm. 1.). Die nunmehr in § 183c Abs. 1 und 2 NSchG (…) vorgesehenen Übergangsregelungen (verpflichtende sukzessive, aufsteigende Einführung der inklusiven Schule ab dem Schuljahr 2013/2014 beginnend mit dem 1. und 5 Jahrgang; Möglichkeit, bis zum 31.Juli 2018 zunächst nur Schwerpunktgrundschulen vorzuhalten) begegnen keinen Bedenken; denn Art. 4 Abs. 2 BRK enthält den Vorbehalt der Verfügbarkeit ausreichender Mittel zur Umsetzung der BRK und geht selbst von einer sukzessiven Umsetzung („nach und nach“) aus (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.11.2012 - 9 S 1833/12 -, juris, Rnr. 60, mwN.). Die (nur) sukzessive Einführung der inklusiven Schule ist in Niedersachsen geboten, um zum einen dem Schulträger Zeit zu geben, die für eine inklusive Beschulung erforderlichen baulichen und sonstigen Änderungen an den Schulen vorzunehmen (vgl. § 183c Abs. 2 und 3 NSchG) und zum anderen den Lehrkräften genügend Spielraum einzuräumen, sich auf die tiefgreifende Änderung ihres pädagogischen Auftrags einzustellen (vgl. Brockmann/Schippmann/ Littmann, Nds. SchulG, Stand: Juni 2013, § 183c Anm.1).“ (vgl. Sen., Beschl. v. 16.4.2014 - 2 LA 43/14 mwN.).

Hieran ist weiter festzuhalten.

Greift nach alledem die Übergangsvorschrift des § 183c NSchulG ein, gilt noch  § 68 Abs. 1 Satz 1 NSchulG a.F.. Danach sind Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf zum Besuch der für sie geeigneten Förderschule verpflichtet und entscheidet (allein) die Landesschulbehörde, welche Schule zu besuchen ist. Eine Verpflichtung zum Besuch der Förderschule besteht lediglich dann nicht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist.

Der Antragsteller bedarf unstreitig einer sonderpädagogischen Förderung im Bereich Geistige Entwicklung, ergänzend wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichtes in seinem o.a. Beschluss (v. 2.9. 2016 - 6 B 4589/16 -, BA S. 4) verwiesen.

Die für den Antragsteller notwendige Förderung ist bei der Antragsgegnerin nicht gewährleistet. Nach dem Fördergutachten sollte der 17-jährige Antragsteller vor dem Hintergrund, dass bereits 10 Schulbesuchsjahre faktisch absolviert sind, mit Beginn des Schuljahres 2016/2017 nach dem Kerncurriculum der Förderschule für Geistige Entwicklung, Sek II, unterrichtet werden, um ihn möglichst umfassend zu fördern. Wesentliche Inhalte des Kerncurriculums (gesellschaftliche, personale und vorberufliche Bildung, also z.B. Unterrichtsinhalte auf den Gebieten von Lebenspraxis-Orientierung, Berufs-Orientierung, Wohnen in Gemeinschaft) können jedoch nach den plausiblen Darlegungen der Landesschulbehörde (vgl. Schriftsatz v. 22.8.2016 im Verfahren 6 B 4589/16) bei der Antragsgegnerin mangels der dafür notwendigen personellen und räumlichen logistischen Voraussetzungen (Küche, Wohnraum für eine Wohngemeinschaft, pädagogische Mitarbeiter für die Begleitung im öffentlichen Raum, z.B. bei der Verkehrserziehung oder im Betrieb) nicht abgedeckt werden. Auch aus dem Beschwerdevortrag ergibt sich, dass der Antragsteller bei der Antragsgegnerin nur „zum Teil“ nach dem Kerncurriculum der Förderschule für Geistige Entwicklung, Sek II, unterrichtet worden ist. Dass auch die Mutter des Antragstellers mit der Unterrichtsqualität im Frühjahr 2016 nicht völlig einverstanden war, ergibt sich schließlich indirekt aus dem Schreiben der Landesschulbehörde vom 7. März 2016. Da nach dem Fördergutachten der Antragsteller am besten durch den Besuch der Sekundarstufe II auf der Förderschule Geistige Entwicklung gefördert werden kann, hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Schulzeit bei der Antragsgegnerin um ein oder zwei Jahre. Würde der Antragsteller nämlich die nächsten beiden Jahre (Schuljahr 2016/17 und 2017/18) aufgrund des gestellten Verlängerungsantrages bei der Antragsgegnerin verbleiben und die dort geführten Integrationsklassen mit zieldifferentem Unterricht im 9., später 10. Jahrgang besuchen, hätte er bis zur Erfüllung seiner 12-jährigen Schulpflicht lediglich die Sekundarstufe I besucht und würde daher an den umfassenden Bildungsinhalten der Sekundarstufe II der Förderschule Geistige Entwicklung nicht teilhaben können. Dafür, dass ihm in späterer Zeit zwingend eine (weitere) Schulverlängerung zugebilligt werden müsste, ist derzeit nichts ersichtlich.

Über Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG besteht - auch in Verbindung mit den aus Art. 24 UN-BRK zu entnehmenden Vorgaben - ebenfalls keine Verpflichtung, dem Antragsteller einen Platz bei der Antragsgegnerin zur Verfügung zu stellen. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen einer Behinderung diskriminiert werden. Es kann anlässlich des vorliegenden Falles offen bleiben, ob in der Überweisung an eine Förderschule überhaupt generell eine Diskriminierung Behinderter zu sehen ist (so dem Grunde nach wohl Bernhard, Art. 24 UN-BRK: Rezeption in der Rechtsprechung nach fünf Jahren, RdJB 2015, Bd. 1 S. 79 ff, der im Ergebnis sinngemäß allerdings auch auf den Ressourcenvorbehalt verweist, ähnlich Mißling/Ückert, Das Recht auf inklusive Bildung in der Schule, RdJB, 2015, Bd. 1 S. 63 ff; kritisch Luthe, Die Behindertenkonvention-leicht überstrapaziert!, jM 2015, 190 ff, der die in der <deutschen> Literatur/Rechtsprechung z.T. entwickelte Abgrenzung zwischen Integration und Inklusion hinterfragt und u.a. auf das Bundesverwaltungsgericht <Urt. v. 26.1.1966 - V C 88.64 -, BVerwGE 23, 149, 153, v. 10.2.1983 - 5 C 115/81 -, BVerwGE 67, 1, 5> verweist, wonach „der Staat … nicht jedem Einzelnen absolut gleiche Startbedingungen gewährleisten und erst recht jedem Einzelnen sein persönliches Lebensrisiko abnehmen <kann>“, ähnlich Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenkonvention, SGb 2013,391; dazu wiederum Schulte, Zwischenruf, SGb 2013, 691). Es würde nämlich dem Zweck des Diskriminierungsverbots und dem Recht des behinderten Kindes auf eine umfassende Förderung entgegenlaufen, wenn die an einer Regelschule mögliche integrative/inklusive Beschulung deutlich hinter den Förderungsmöglichkeiten an einer Förderschule zurückbleibt (Sen., Beschl. v. 7.8.2014 - 2 ME 272/14 -, juris, zur Förderschule Lernen; Mißling/Ückert, Das Recht auf inklusive Bildung in der Schule, RdJB 2015 Heft 1 S. 63, 71/72; auch in der Elternschaft dürften die Förderschulen im Hinblick auf die Probleme mit der inklusiven Beschulung an Regelschulen nicht mehr generell abgelehnt werden, vgl. z.B. HAZ v. 16.9.2016, wonach Eltern teilweise ihre Kinder <wieder> lieber auf Förderschulen geben). Vorliegend bliebe die Förderungsmöglichkeit des Antragstellers bei der Antragsgegnerin deutlich hinter der auf der Förderschule zurück, da eine Beschulung nach dem Kerncurriculum Sek. II - wie oben ausgeführt - bei der Antragsgegnerin nicht im gebotenen Umfang erfolgen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52, 53 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).