Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.09.2012, Az.: 8 ME 181/12
Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG bei Verletzung einer ausländerbehördlichen Pflicht zum Hinweis auf die Möglichkeit der Geltendmachung eines Härtefalls
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.09.2012
- Aktenzeichen
- 8 ME 181/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 24059
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0925.8ME181.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 23a Abs. 2 S. 3 AufenthG
- § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG
Fundstelle
- AUAS 2013, 5-7
Amtlicher Leitsatz
Ein Verstoß gegen die sich aus dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 30. November 2011 42.12 / 12231.3-6 und 12230.1-8 (§ 23a) - ergebende Pflicht zum rechtzeitigen Hinweis auf die Möglichkeit einer Eingabe an die Niedersächsische Härtefallkommission vor Festlegung eines Abschiebungstermins begründet einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Mai 2012 über die Ablehnung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse anzuordnen, hilfsweise den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung der Antragsteller aus dem Bundesgebiet auszusetzen. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung zu Eigen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die mit der Beschwerde hiergegen erhobenen Einwände, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen eine Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht.
Der von den Antragstellern geltend gemachte Verstoß gegen die sich aus dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 30. November 2011 - 42.12 / 12231.3-6 und 12230.1-8 (§ 23a) -,
"Vollziehbar ausreispflichtigen ausländischen Staatsangehörigen ist die Möglichkeit eröffnet, sich an die Niedersächsische Härtefallkommission zu wenden, um bei Vorliegen von dringenden humanitären oder persönlichen Gründen auf Empfehlung der Härtefallkommission durch besondere MI-Anordnung im Einzelfall noch eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Um zu vermeiden, dass Härtefalleingaben erst in der Vollzugsphase gestellt werden, bitte ich künftig vollziehbar ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige, die noch kein Härtefallverfahren durchlaufen haben, entweder bei der Vorsprache zur erstmaligen Erteilung einer Duldung oder Inhabern einer Duldung bei der nächsten Vorsprache zur Verlängerung der Duldung einmal auf diese Möglichkeit, sich an die Härtefallkommission zu wenden, hinzuweisen. Sie sind auch darüber zu informieren, dass eine Härtefalleingabe nach Festlegung eines Abschiebungstermins nach § 5 Abs. 1 NHärteKVO nicht mehr angenommen werden kann. Ihnen ist dafür eine Frist von mindestens zwei Wochen einzuräumen. Während dieser Frist ist eine Abschiebung nicht zu terminieren.",
ergebende Pflicht zum rechtzeitigen Hinweis auf die Möglichkeit einer Eingabe an die Niedersächsische Härtefallkommission vor Festlegung eines Abschiebungstermins begründet einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht.
Selbst beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Eingabe zur Beratung durch die Niedersächsische Härtefallkommission ergäbe sich hieraus eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Sinne des§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht. Denn die Bestimmungen des § 23a AufenthG und der Niedersächsischen Härtefallkommissionsverordnung begründen keine subjektiven Rechte der Antragsteller (vgl. VG Oldenburg, Beschl. v. 22.11.2010 - 11 B 3094/10 -, NVwZ-RR 2011, 260 f.; VG Münster, Beschl. v. 18.8.2005 - 8 L683/05 -, [...] Rn. 8; VG Schleswig, Beschl. v. 21.6.2005 - 2 B 68/05 -, [...] Rn. 5; GK-AufenthG, Stand: Juni 2007, § 23a Rn. 19; Nr. 23a.1.4 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26.10.2009, GMBl. S. 877). Nach § 23a Abs. 1 Satz 4 AufenthG steht die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung nach der Härtefallregelung vielmehr ausschließlich im öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte des Ausländers. Die Härtefallkommission wird daher ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig (vgl. § 23a Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Dritte, auch der Ausländer, können weder verlangen, dass die Härtefallkommission sich überhaupt mit einem bestimmten Einzelfall befasst, noch dass sie eine bestimmte Entscheidung trifft (vgl. § 23a Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Die Entscheidungen der Härtefallkommission, gleich, ob es um die Frage der Annahme zur Beratung, die Entscheidung in der Sache oder die damit verbundenen aufenthaltsrechtlichen Folgen geht, sind damit einer gerichtlichen Überprüfung von vorneherein entzogen (vgl. VG Münster, Beschl. v. 18.8.2005, a.a.O., VG Schleswig, Beschl. v. 21.6.2005, a.a.O., GK-AufenthG, a.a.O.). Der Justizgewährungsanspruch nach Art. 19 Abs. 4 GG ist hierdurch nicht tangiert, denn dieser setzt eine Verletzung subjektiver Rechte voraus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.9.2010 - 2 BvR 2349/08 -, [...] Rn. 34; BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77, 85 [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 461/03]), an der es hier gerade fehlt (vgl. Schönenbroicher, Rechtsstaat auf Abwegen ? - Die neue "Härtefallklausel" des Ausländerrechts, in: ZAR 2004, 351, 356 f. m.w.N.).
Entgegen der Annahme der Antragsteller wird ihnen durch eine Verletzung der Hinweispflicht auch nicht die Möglichkeit zur Eingabe an die Härtefallkommission genommen. Zwar sah § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Niedersächsische Härtefallkommissionsverordnung - NHärteKVO - vom 6. August 2006 (Nds. GVBl. S. 426) in der zuletzt durch Verordnung vom 9. Dezember 2009 (Nds. GVBl. S. 448) geänderten Fassung noch vor, dass eine Eingabe nicht zur Beratung angenommen wird, wenn der Termin für eine Abschiebung des Ausländers bereits feststeht oder Abschiebungshaft angeordnet wurde. Durch Verordnung vom 3. Juli 2012 (Nds. GVBl. S. 214) wurde diese Regelung indes mit Wirkung zum 13. Juli 2012 geändert. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NHärteKVO schließt nunmehr die Annahme einer Eingabe zur Beratung nur dann aus, wenn "ein Termin für eine Abschiebung der Ausländerin oder des Ausländers bereits feststeht oder ein feststehender Termin verstrichen ist und die Ausländerbehörde nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht und vor dem Feststehen eines ersten Termins für eine Abschiebung über die Möglichkeit der Anrufung der Härtefallkommission informiert hat". Hat die Ausländerbehörde diese Hinweispflicht verletzt, steht mithin auch eine feststehender Abschiebungstermin oder dessen Verstreichen der Annahme einer Eingabe zur Beratung durch die Härtefallkommission nicht entgegen. Erst mit der Annahme der Eingabe zur Beratung ordnet das Fachministerium nach § 5 Abs. 4 Satz 2 NHärteKVO an, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Entscheidung über die Eingabe oder bis zum Ende des Verfahrens nach § 7 Abs. 6 Satz 3 NHärteKVO zurückgestellt werden.
Soweit die Antragsteller darüber hinaus - auch in dem Parallelverfahren 8 PA 183/12 - auf die Lebensunterhaltssicherung durch das vom Antragsteller zu 1. erzielte Erwerbseinkommen und den rechtmäßigen Aufenthalt anderer erwachsener Familienangehöriger im Bundesgebiet verweisen, sind diese Umstände zutreffend in der angefochtenen Entscheidung gewürdigt, ohne dass sich hieraus ein Ausreise- oder Abschiebungshindernis unter Berücksichtigung der aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK folgenden Schutzwirkungen ergäbe.