Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.03.2003, Az.: 8 PS 37/03

Gerichtsstand; Klagebegehren; Klagehäufung; objektive Klagehäufung; örtliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.03.2003
Aktenzeichen
8 PS 37/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48560
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO gelangt auch bei einer objektiven Klagehäufung in den Fällen zur Anwendung, in denen die örtliche Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt, wegen des engen Zusammenhangs der Klagebegehren aber eine einheitliche gerichtliche Entscheidung notwendig ist.

Gründe

1

Der Kläger, dessen Sitz sich in B. befindet, betreibt stationäre und ambulante Einrichtungen für die Betreuung hilfsbedürftiger Menschen, u. a. die "Wohn- und Lebenshilfe C. ". Nach erfolglosen Verhandlungen über den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung mit dem Land Niedersachsen als dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe stellte der Kläger bei der Schiedsstelle nach § 94 BSHG für das Land Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales den Antrag, die Vergütung für die Einrichtung "Wohn- und Lebenshilfe C. " für das Jahr 2002 festzusetzen. Durch Bescheid vom 20. Juni 2002 lehnte die Schiedsstelle die Erhöhung der Vergütung für die Einrichtung mit der Begründung ab, dass eine Leistungsvereinbarung für die Erhöhung des Leistungsstandards um drei Planstellen fehle und dass die Notwendigkeit der Erhöhung der Vergütung im Übrigen nicht substantiiert begründet worden sei.

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Daraufhin hat der Kläger am 22. Juli 2002 beim Verwaltungsgericht Braunschweig Klage erhoben (3 A 181/02) und beantragt,

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festzustellen, dass zwischen den Beteiligten über die Einrichtung "Wohn- und Lebenshilfe C. " eine Leistungsvereinbarung gemäß Anlage K 1 besteht,

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hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, ihm gegenüber folgende Willenserklärung abzugeben: "Ich nehme das Angebot des Klägers zum Abschluss einer Leistungs- und Prüfungsvereinbarung gemäß Anlage K 1 an.",

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den Bescheid der Schiedsstelle vom 20. Juni 2002 aufzuheben.

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Mit Verfügung vom 28. Januar 2003 hat das Verwaltungsgericht Braunschweig den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Rechtsstreit teilweise an das Verwaltungsgericht Hannover zu verweisen, weil dieses Gericht für die Feststellungsklage nach § 52 Nr. 5 VwGO örtlich zuständig sei.

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Daraufhin hat der Kläger am 20. Februar 2003 beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht beantragt, das örtlich zuständige Verwaltungsgericht zu bestimmen.

II.

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Der Kläger konnte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 3 Satz 1 VwGO zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts anrufen.

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Nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO wird das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen. Diese Vorschrift betrifft in erster Linie den Fall, dass für eine Klage gegen einen Beklagten nach § 52 VwGO verschiedene Gerichte als örtlich zuständige in Betracht kommen. Sie ist aber auch dann anzuwenden, wenn sich die Klage gegen mehrere Beklagte richtet (subjektive Klagehäufung), eine notwendige Streitgenossenschaft zwischen den Beklagten besteht oder nicht fern liegt und die örtliche Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht zu ziehen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.11.1999 - 11 AV 2/99 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 27, m.w.N.; Senatsbeschl. v. 15.1.2003 - 8 PS 175/02 - Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 11. Aufl., § 53 Rn. 6). Darüber hinaus gelangt § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bei einer objektiven Klagehäufung in den Fällen zur Anwendung, in denen die örtliche Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt, wegen des engen Zusammenhangs der Klagebegehren aber eine einheitliche gerichtliche Entscheidung notwendig ist.

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Ein derartiger Fall liegt hier vor. Da der Kläger gegen den Beklagten sowohl Feststellungs- als auch Anfechtungsklage erhoben hat, ist eine objektive Klagehäufung gegeben. Diese hat zur Folge, dass die örtliche Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt. Außerdem ist eine einheitliche Entscheidung über die Klagebegehren erforderlich.

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Die örtliche Zuständigkeit für die gegen den Bescheid der Schiedsstelle gerichtete Anfechtungsklage bestimmt sich nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO, weil § 52 Nr. 1, 2 und 4 VwGO nicht einschlägig ist (vgl. Senatsbeschl. v. 15.1.2003, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 9.6.1995 - 8 P 2276/95 - DVBl. 1995 S. 933 f.). Die Anfechtungsklage wird von § 52 Nr. 2 und 4 VwGO ersichtlich nicht erfasst. Sie betrifft aber auch keine Streitigkeit, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne des § 52 Nr. 1 VwGO bezieht, weil der angefochtene Bescheid weder unbewegliches Vermögen betrifft noch ein Recht oder Rechtsverhältnis begründet, das zu einem bestimmten Territorium in besonderer Beziehung steht und daher ortsgebunden ist (vgl. dazu: BVerwG, Beschl. v. 10.12.1996 - 7 AV 11/96 - NJW 1997 S. 1022; Beschl. v. 30.1.1964 - II ER 406.63 - BVerwGE 18, 26; Nomos-Kommentar zur VwGO, § 52 Rn. 8). Dem kann der Beklagte nicht entgegenhalten, dass zwischen der Streitigkeit über die Vergütungsvereinbarung und der Streitigkeit über das Bestehen einer Leistungsvereinbarung ein sachlicher Zusammenhang bestehe. Dieser Umstand spricht zwar für die Notwendigkeit einer einheitlichen gerichtlichen Entscheidung. Er rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass sich die Anfechtungsklage auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehe.

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Daher bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit für die Anfechtungsklage nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO, weil der angefochtene Bescheid von einer Behörde erlassen worden ist, deren Zuständigkeit sich auf alle niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt (vgl. Senatsbeschl. v. 15.1.2003, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 9.6.1995, a.a.O.; zur Behördeneigenschaft der Schiedsstelle auch: Schellhorn, BSHG, Kommentar, 16. Auflage, § 94 Rn. 7; Mergler/Zink, BSHG, Kommentar, Stand: Mai 2002, § 93 b Rn. 14). Nach dieser Vorschrift ist das Verwaltungsgericht Braunschweig für die Anfechtungsklage örtlich zuständig, weil der Kläger, der durch den Bescheid der Schiedsstelle beschwert ist, seinen Sitz im Bezirk dieses Gerichts hat.

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Soweit der Kläger Feststellungsklage erhoben hat, beurteilt sich die örtliche Zuständigkeit hingegen nach § 52 Nr. 5 VwGO, da § 52 Nr. 1 - 4 VwGO diese Klage nicht erfasst. Danach ist das Verwaltungsgericht Hannover für die Feststellungsklage örtlich zuständig, weil die Landesregierung in dessen Bezirk ihren Sitz hat.

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Schließlich ist auch eine einheitliche gerichtliche Entscheidung über die Anfechtungsklage und die Feststellungsklage notwendig. Da eine Leistungsvergütung nur festgesetzt werden kann, wenn Art und Umfang der zu vergütenden Leistungen feststehen, ist im Rahmen der Anfechtungsklage aller Voraussicht nach zu prüfen, ob eine Leistungsvereinbarung i. S. d. § 93 Abs. 2 Nr. 1 BSHG besteht und welchen Inhalt sie hat. Diese Prüfung überschneidet sich mit der, die im Rahmen der Feststellungsklage vorzunehmen ist. Daher ist es notwendig, dass ein Gericht sowohl über die Anfechtungsklage als auch die Feststellungsklage entscheidet, um widersprüchliche Entscheidungen über das Bestehen und den Inhalt der Leistungsvereinbarung auszuschließen. Darüber hinaus spricht der Grundsatz der Prozessökonomie entschieden dafür, dass eine einheitliche gerichtliche Entscheidung über die Klagen ergeht. Somit liegen die Voraussetzungen für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vor.

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Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts, die nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu erfolgen hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14. 5. 1992 - 4 ER 403/91 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 18; Senatsbeschl. v. 15.1.2003, a.a.O.; Eyermann, VwGO, Komm., 11. Aufl., § 53 Rn. 14), orientiert sich der Senat daran, dass die Entscheidung über die Feststellungsklage, für die das Verwaltungsgericht Hannover nach § 52 Nr. 5 VwGO örtlich zuständig ist, aller Voraussicht nach der Entscheidung über die Anfechtungsklage vorgreiflich ist. Ob die Schiedsstelle den Antrag des Klägers auf Festsetzung einer Vergütung zu Recht abgelehnt hat, dürfte zunächst davon abhängig sein, ob eine Leistungsvereinbarung mit dem vom Kläger behaupteten Inhalt zwischen den Beteiligten besteht. Diese Frage ist Gegenstand der Feststellungsklage. Daher ist die Entscheidung über die Feststellungsklage voraussichtlich vorgreiflich. Folglich ist es sachgerecht, das Verwaltungsgericht Hannover, das für diese Klage örtlich zuständig ist, zum örtlich zuständigen Gericht für das gesamte beim Verwaltungsgericht Braunschweig anhängige Verfahren 3 A 181/02 zu bestimmen.