Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.03.2003, Az.: 1 LA 47/02

Ausnahme; Baugebiet; Bauherr; Betriebskonzept; Betriebsleiterwohnung; Gewerbegebiet; Schallleistungspegel; Wohngebiet; Wohnnutzung; Zweckbestimmung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.03.2003
Aktenzeichen
1 LA 47/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48465
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 20.12.2001 - AZ: 4 A 6366/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es ist Sache des Bauherrn, ein schlüssiges Betriebskonzept vorzulegen, das die Zulassung einer Betriebsleiterwohnung rechtfertigen soll.

2. Der Umstand, dass für das in Rede stehende Gewerbegebiet zum Schutze eines benachbarten Wohngebietes ein flächenbezogener Schallleistungspegel festgesetzt ist, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Zulassung einer Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ohne weiteres in Betracht kommt.

3. Die Gliederung eines Gewerbegebietes durch einen flächenbezogenen Schallleistungspegel kann die Zweckbestimmung des Baugebietes wahren.

Gründe

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Die Klägerin möchte auf einem Grundstück, für das im Bebauungsplan der Beklagten Nr. 88 a „Tonkuhle“ Gewerbegebiet als Nutzungsart festgesetzt worden ist, einen Taxen- und Mietwagenbetrieb mit Wohnhaus errichten. Der Bebauungsplan enthält eine textliche Festsetzung Nr. 2, wonach im Plangebiet flächenbezogene Schallleistungspegel von 60/45 dB(A) einzuhalten sind. Die zu wohn- und gewerblichen Zwecken genutzten Räumlichkeiten sollen in einem Gebäudekomplex untergebracht werden. Dazu sollen Sanitär-, Büro-, Sozialräume, Materiallager sowie eine Werkstatt mit Grube gehören, in der kleinere Reparatur- und Wartungsarbeiten erledigt werden.

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Der Bebauungsantrag blieb ohne Erfolg. Durch Bescheid vom 20. April 2000 lehnte die Beklagte die Erteilung des Vorbescheides mit der Begründung ab, dass Wohnen ordne sich mit einer Fläche von 116 m² der gewerblichen Fläche von 122 m² nicht unter. Die im Widerspruchsverfahren mitgeteilte Absicht, das Vorhaben verändert auszuführen, bezog die Bezirksregierung Hannover in ihrem Widerspruchsbescheid vom 27. November 2000 nicht in ihre Überlegungen ein.

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Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit der angegriffenen Entscheidung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen: Der Bebauungsplan Nr. 88 a sei einschließlich seiner textlichen Festsetzungen Nr. 2 gültig. Ein Etikettenschwindel liege nicht vor, weil die Beklagte einerseits gewerbliche Nutzung dort tatsächlich ansiedeln und dabei sowohl die Ansiedlung von Wohnen im Gewerbegebiet verhindern als auch vermeiden wolle, dass die Auswirkungen des Gewerbegebietes ein benachbartes Wohngebiet unzumutbar beeinträchtigten. In Gewerbegebieten seien Wohnnutzungen nur ausnahmsweise zulässig. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme lägen nicht vor. Mit Rücksicht auf die Art und Größe des Betriebs sei das Wohnen nicht objektiv sinnvoll.

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Dagegen richtet sich der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte, rechtzeitig gestellte und begründete Zulassungsantrag. Dieser hat keinen Erfolg.

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Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nach ständiger Senatsrechtsprechung nur vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis – auf dieses ist abzustellen und nicht auf einzelne Begründungselemente – „die besseren Gründe sprechen“, d. h. wenn ein Obsiegen im Berufungsverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Das ist hier nicht der Fall. Im Gegenteil überwiegen die Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe greift durch.

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Das gilt namentlich für die Annahme der Klägerin, der Bebauungsplan der Beklagten Nr. 88 a sei nichtig, weil die durch die Nr. 2 seiner textlichen Festsetzungen beigegebene Einschränkung in einer § 1 BauNVO zuwiderlaufenden Weise dazu führe, dass die Zweckbestimmung des Baugebiets nicht mehr gewahrt ist. Das trifft ebenso wenig zu wie die weitere Annahme der Klägerin, zumindest handele es sich bei dieser Festsetzung um einen zur Nichtigkeit des Plans führenden Etikettenschwindel. Zu den beiden Gesichtspunkten ist folgendes auszuführen: Nach § 1 Abs. 4, 5 und 9 BauNVO kann die Gemeinde das Baugebiet gliedern. Sie kann nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO namentlich Festsetzungen treffen, die das Baugebiet nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften gliedern. Als Gliederungskriterium kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. insbesondere Beschlüsse vom 15.4.1987 – 4 B 71.87 -, ZfBR 1987, 262 = BRS 47 Nr. 55 = DVBl 1987, 904, sowie vom 18.12.1990 – 4 N 6.88 -, BRS 50 Nr. 25 = DVBl 1991, 442 = NVwZ 1991, 881) das Emissionsverhalten von Betrieben und Anlagen in Betracht. Zu den besonderen Eigenschaften von Betrieben und Anlagen, nach denen ein Baugebiet gegliedert werden kann, zählen auch ihr Emissionsverhalten. Geklärt ist dabei, dass Baugebiete insbesondere durch Festsetzungen flächenbezogener Emissionsgrenzwerte beispielsweise in Gestalt eines flächenbezogenen Schallleistungspegels gegliedert werden können (vgl. auch BVerwG, Beschl. vom 7.3.1997 – 4 NB 38.96 -, BauR 1997, 602 = BRS 59 Nr. 25 = NVwZ-RR 1997, 522). Diese Gliederungsmöglichkeit betrifft nach dem klaren Wortlaut von § 1 Abs. 4 BauNVO auch Gewerbegebiete.

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Durch die textliche Festsetzung Nr. 2 im Bebauungsplan der Beklagten Nr. 88 a wird die allgemeine Zweckbestimmung des Gewerbegebiets – noch – nicht nachteilig berührt. Die Eigenart des Gewerbegebietes wird vielmehr gerade dadurch hergestellt, dass alle nach  § 8 Abs. 2 BauNVO zugelassenen Regelnutzungen uneingeschränkt zulässig bleiben, ihnen jedoch  – gerade um ihnen die Möglichkeit gewerblicher  Betriebsamkeit zu  eröffnen – auferlegt wird, ihre Betriebsweise in einer Weise zu gestalten, welche auf benachbarte Wohnbebauung Rücksicht nimmt. Dem Zweck, sich in diesem Rahmen ohne weitere Einschränkungen bewegen zu können, dient gerade die weitere, in § 8 BauNVO enthaltene Einschränkung, dass Wohnnutzung grundsätzlich nicht zulässig sein sollen. Würde man mit der Klägerin daher das Gebiet „gleich zu einem Mischgebiet“ gemacht haben, wäre dies etwas qualitativ anderes und würde die allgemeine Zweckbestimmung eines Gewerbegebietes gerade verfehlen. Denn in Mischgebieten sind Wohnungen gleichberechtigt neben nicht wesentlich störender gewerblicher Nutzung zugelassen.

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Entgegen der Annahme der Klägerin bedeutet diese Art der Festsetzung auch keinen Etikettenschwindel. Ein Etikettenschwindel ist nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Entscheidungen vom 23.9.1999 – 1 K 5147/97 -, ZfBR 2000, 137 = BauR 2523 = BRS 52 Nr. 16; Urt. vom 28.11.2000 – 1 K 3185/99 -, AgrarR 2002, 95 = NuR 2001, 339) nur dann anzunehmen, wenn der vorgegebene, d.h. der festgesetzte und der tatsächlich gewollte Nutzungszweck auseinanderfallen. Die Festsetzung geschieht in einem solchen Falle nur zum Schein und mit dem Ziel, eine ganz andere als die vermeintlich festgesetzte Nutzung zu ermöglichen. Die „wahre Nutzungsabsicht“ wird bewusster nicht festgesetzt, weil dies Nutzungskonflikte mit umliegender Bebauung und Nutzung hervorrufen würde. Um diesen Nutzungskonflikt „auf dem Papier“ zu lösen, wird dann eine andere mit der Umgebung verträgliche Nutzungsart festgesetzt. Nichtig ist das deshalb, weil damit der Nutzungskonflikt nicht wahrhaft gelöst, sondern eher verschärft und/oder verschleiert wird.

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Eine dem entsprechende Sachlage ist hier nicht gegeben. Die hier maßgebliche textliche Festsetzung Nr. 2 wird zwar auch durch einen drohenden Nutzungskonflikt mit der angrenzenden Wohnbebauung veranlasst. Dieser Nutzungskonflikt wird durch die textliche Festsetzung Nr. 2 indes nicht nur auf dem Papier, sondern „wahrhaft“ gelöst. Die Gemengelage zwischen der reinen Wohnnutzung auf der einen sowie der Reemtsma ?schen Zigarettenfabrik und dem Bahndamm auf der anderen Seite wird durch Einfügung eines eingeschränkten Gewerbegebietes gelöst. Dieses hat durch Einschränkung des Immissionsverhaltens den Preis dafür zu zahlen, auf den entsprechenden Flächen überhaupt Gewerbe betreiben zu können. Der festgesetzte Schalleistungspegel reduziert damit zwar die gewerblichen Nutzungsmöglichkeiten, schließt sie indes nicht in einer die Eigenart des Gewerbebetriebes ausschließenden Weise aus und stellt zugleich sicher, dass den Ansprüchen benachbarter Wohnbebauung – noch – ausreichend Rechnung getragen werden kann. Die festgesetzte Nutzungsart wird daher nicht planerisch „vorgeschwindelt“, sondern soll nach dem Willen der Gemeinde tatsächlich verwirklicht werden.

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Maßgeblich ist damit § 8 Abs. 3 Satz 1 BauNVO. Hiernach können nur ausnahmsweise zugelassen werden Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihnen gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind. Das hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht zum Nachteil der Klägerin beantwortet. Dabei kommt es nicht auf die von der Klägerseite ausführlich in den Vordergrund gestellte Frage an, ob die Bezirksregierung Hannover bei ihrer Entscheidung über den Widerspruch die Veränderungen im angestrebten Vorhaben hätte berücksichtigen müssen, welche die Klägerseite namentlich durch ihr Schreiben vom 3. August 2000 zu den Akten hatte gelangen lassen. Denn selbst wenn man diese Ausführungen berücksichtigt, wird eine Ausnahmelage nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nicht eröffnet. Dementsprechend hätte sich für die Bezirksregierung Hannover gar nicht die Frage gestellt, ob dieses Vorhaben nach Maßgabe ihres pflichtgemäß auszuübenden Ermessens zugelassen werden kann.

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Wann eine Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in Betracht kommt, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Juni 1999 (- 4 B 46.99 -, NVwZ 1999, 1336) wie folgt zusammengefasst: Bauplanungsrechtlich hierzu erforderlich ist, dass die in Rede stehende Wohnung dem jeweiligen Betrieb funktional zugeordnet ist. Dabei ist zwischen Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie Betriebsinhabern und

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–leitern zu unterscheiden. Die genannte funktionale Zuordnung besteht bei Aufsichts- und Bereitschaftspersonal dann, wenn diese Personen wegen der Art des Betriebes oder zur Wartung von Betriebseinrichtungen oder aus Sicherheitsgründen ständig erreichbar sein müssen und deshalb das Wohnen solcher Personen nahe dem Betrieb erforderlich ist. Wohnungen für Betriebsleiter und –inhaber können wegen der engen Bindung zu ihrem Betrieb auch/schon dann zulässig sein, wenn der Betrieb ihre ständige Einsatzbereitschaft nicht zwingend erfordert. Auch dann aber muss das Wohnen auf dem Betriebsgrundstück oder seiner Nähe mit Rücksicht auf die Art und die Größe des Betriebes aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll sein. Dafür reicht es aus, dass vernünftige, auf den konkreten Betrieb bezogene Gründe vorliegen, die eine Betriebswohnung als notwendig erscheinen lassen. Allgemein verbindlich lässt sich nicht formulieren, wann dies der Fall ist. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Dies erfordert eine umfassende Bewertung aller maßgeblichen Umstände. In diese Bewertung kann auch einfließen, welche telekommunikationstechnischen Möglichkeiten heute bestehen und daher ein Wohnen gegebenenfalls entbehrlich machen.

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Damit rechtfertigt nicht schon jedweder Wunsch des Gewerbetreibenden, auf seinem Grundstück oder in dessen Nähe eine Wohnung zu unterhalten, eine Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Erforderlich ist vielmehr eine „objektive“ Prüfung. Dabei dürfte der Klägerin hier zwar darin Recht zu geben sein, dass Ausgangspunkt dieser Überprüfung das Betriebskonzept des Gewerbetreibenden zu sein hat und ein Verwaltungsgericht diese Überprüfung nicht an einer Alternativplanung orientieren darf, mit der es den Gewerbebetrieb nach seinen Überlegungen einrichtet, ohne dabei dessen wirtschaftliches Risiko tragen zu müssen. Das ändert aber nichts daran, dass sich an die Vorstellungen des Betriebskonzeptes die Prüfung anschließen muss, ob dies nach den genannten Kriterien „objektiv“ einer Ausnahme rechtfertigt. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, dass Wohnungen nur ausnahmsweise zugelassen werden können, andererseits aber so gut wie jedes Gewerbe auf die Idee verfallen kann, eine Wohnung auf dem Betriebsgelände oder in seiner Nähe sei ihm von Nutzen. Durchschnittserwägungen, wie sie bei jedwedem Betriebskonzept vorkommen können, können eine Anwendung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO daher nicht eröffnen. Das würde dem Umstand nicht gerecht, dass Wohnnutzung nach der vom Verordnungsgeber vorgenommene Typisierung nun einmal nicht regelmäßig, sondern nur als Ausnahme zulässig ist. Dementsprechend muss der Gewerbetreibende ein Konzept präsentieren, welches – sozusagen als richtig unterstellt und nicht durch eine gerichtliche oder behördliche Alternativplanung ersetzt – gemessen an den oben wiedergegebenen Kriterien eine Ausnahmesituation zu begründen vermag.

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Dabei mag es hier sein, dass die Klägerseite angesichts der Besonderheiten des Falles gesteigerte Chancen hat, eine Ausnahme zu erhalten. Denn der Regelausschluss von Wohnungen rechtfertigt sich durch die Überlegung, dass deren Existenz Schutzansprüche und Konflikte entstehen lassen kann, welche es den anderen Planunterworfenen erschwert oder erschweren kann, die Festsetzung als Gewerbegebiet in der Gestalt zum Teil stärker emittierender Aktivitäten vollständig auszunutzen. Dieser Gesichtspunkt greift hier abgeschwächt noch immer ein, obwohl Betriebe nach der textlichen Festsetzungen Nr. 2 zum Bebauungsplan der Beklagten Nr. 88 a ohnehin auf benachbarte Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen haben und nur mit einem flächenbezogenen Schallleistungspegel von 60/45 dB(A) arbeiten dürfen. Das mindert die Anforderungen an die Triftigkeit des Betriebskonzepts jedoch nicht vollständig herab. Denn der flächenbezogene Schallleistungspegel soll nur sicherstellen, dass im Ergebnis auf den benachbarten Wohnquartieren keine Lärmmenge ankommt, welche die Schwelle der Zumutbarkeit überschreitet. Diese Einschränkung der zulässigen Lärmentwicklung ändert aber an dem für § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO maßgeblichen Gesichtspunkt nicht Wesentliches, dass sich eine betrieblich nicht ausreichend rechtfertigende Wohnnutzung nicht gleichsam als „Laus in den gewerblichen Pelz“ setzen und den anderen Gewerbetreibenden die Möglichkeit zur Ausnutzung der planerischen Festsetzung gemäß § 8 BauNVO erschweren soll. Dieser Gesichtspunkt hat hier deshalb Gewicht, weil die Gewerbetreibenden ohnehin die Verheißungen des § 8 Abs. 2 BauNVO aufgrund der textlichen Festsetzungen Nr. 2 zum Bebauungsplan Nr. 88 a „Tonkuhle“ nur eingeschränkt genießen können. Aus diesem Grunde haben die übrigen Gewerbetreibenden erst recht einen Anspruch darauf, dass sich Betriebsleiterwohnungen nur ausnahmsweise dort ansiedeln, und ist die textliche Festsetzung Nr. 2 zum Bebauungsplan Nr. 88 a daher kein ausreichender Grund anzunehmen, hier komme unter ganz erleichterten Voraussetzungen die Erteilung einer Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in Betracht.

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Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klage keine Aussicht auf Erfolg. Das gilt namentlich auch dann, wenn man die Ausführung vom 3. August 2000 ins Kalkül zieht. Von der Beklagten unter dem 13. Juli 2000 zur Konkretisierung des Nutzungszwecks für die hier streitige Wohnung aufgefordert, hat die Klägerin im Wesentlichen nur folgendes auszuführen vermocht: Es sei nunmehr geplant, auf dem Grundstück einen einzigen Betrieb zu installieren und in diesem 10 bis 15 Droschken sowie 5 Mietwagen einzusetzen. Über die Abstell- und Ruhezeiten hinausgehend würden diese Kraftfahrzeuge das Grundstück nur zu den besonderen Anlässen wie namentlich Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie       – auf längere Sicht – zum Betanken anfahren. In diesem Rahmen sei geplant, die Wohnung von einer Familie mit Hauptwohnsitz bewohnen zu lassen. Damit solle sichergestellt werden, dass unabhängig vom Betriebsablauf immer jemand auf dem Grundstück sei. Dies werde schon deshalb für erforderlich angesehen, weil mit den abgestellten Kraftfahrzeugen und den gelagerten Materialien sowie mit der in Aussicht genommenen Eigentankstelle wertvolle Gegenstände auf dem Grundstück seien; diese benötigten im Rahmen der ansonsten weitgehend unbewohnten gewerblichen Nutzung des Gebiets der Aufsicht.

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Dies reicht nicht aus. Insbesondere verweist die Klägerseite zu Unrecht auf das Senatsurteil vom 27. Mai 1991 (- 1 L 137/89 -, BRS 52 Nr. 59). Hiermit werden gleichsam „Allerweltsgründe“ geltend gemacht und keine Ausnahmesituation geschildert. So ziemlich jeder Gewerbebetrieb wird über einen Fuhrpark mit zum Teil erheblichem Wert verfügen. Allein dies sowie die abstrakt gegebene Gefahr deliktischer Übergriffe begründen eine Ausnahmesituation nicht. Dementsprechend hat der Senat in seinem zitierten Urteil vom 27. Mai 1991 die Existenz von Kraftfahrzeugen allein nicht ausreichen lassen. Maßgeblich für die seinerzeit getroffene Entscheidung war vielmehr der Umstand, dass – dem speziellen Betriebszweck entsprechend – im Freien etwa 2.500 Fahrzeuge abgestellt waren, von denen einige nach den unwidersprochenen Angaben des Klägers wertvoll waren und nicht in verschließbaren Hallen untergebracht werden konnten. Erst diese Besonderheit war es, welche dem Senat Anlass gab, eine Ausnahmesituation nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO anzunehmen. Ausdrücklich abgelehnt hat er dagegen in der zitierten Entscheidung, eine solche Ausnahmesituation nur deshalb anzunehmen, weil die Gefahr von Einbrüchen und von Sachbeschädigungen bestand. Der damalige Kläger hatte auch keine Chance, die 2500 Fahrzeuge anderen Orts abzustellen. Das ist bei den Mietwagen und Taxen grundsätzlich anders. Es kommt hinzu, dass Kraftfahrzeuge, welche in Betrieb sind, ganz andere Sicherungen gegen Diebstahl haben, als dies bei abgestellten Fahrzeugen im Jahr 1991 der Fall gewesen sein mag. Fahrzeuge neuzeitlicher Bauweise weisen schon aus versicherungsrechtlichen Gründen ganz allgemein Wegfahrsperren auf, welche die Diebstahlsrate erheblich gesenkt haben. Besonderen Umfangs dürfte dies      – das kommt hier ergänzend hinzu – für Droschken und Mietwagen gelten. Es ist zumindest im Vordringen begriffen, wenn nicht sogar mittlerweile allgemein üblich, solche Fahrzeuge mit GPS auszurüsten. Das gestattet es, diese Fahrzeuge leichter aufzufinden, falls sie entwendet werden sollen, und dämpft dementsprechend die Neigung potenzieller Diebe, sich ausgerechnet dieser Fahrzeuge zu bemächtigen.

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Im Schreiben vom 3. August 2000 sind betriebliche Besonderheiten, welche eine ständige Anwesenheit auf dem Betriebsgrundstück erforderten, nicht benannt worden. Das ist auch im Zulassungsverfahren nicht geschehen. Auf Seite 6 der Zulassungsantragsschrift beschränkt sich die Klägerin im Wesentlichen auf den Hinweis, im Rahmen eines 24 Stunden lang tätigen Taxen- und Mietwagenbetriebes könne sich auch zur Nachtzeit das Erfordernis ergeben, unternehmerische Entscheidungen zu treffen, welche nicht einem Telefonist übertragen werden können. Das mag sein, ist indes kein ausreichender Grund, eine Ausnahmesituation im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO anzunehmen. Denn solche Entscheidungen können mühelos mit Hilfe moderner Telekommunikationsmittel, d. h. mit dem Handy, Telefon oder in sonstiger Weise übermittelt werden, ohne dass der Unternehmer gerade auf dem Betriebsgrundstück wohnen muss. Eine spezifische Beziehung zum Betriebszweck und –grundstück besteht daher nicht.

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Dasselbe Ergebnis ergibt sich, wenn man die Ausführungen auf Seite 3 des ergänzenden Schriftsatzes vom 16. April 2002 in Blick nimmt. Dort wird schlicht behauptet, nicht jedoch in einer die objektive Nachprüfung ermöglichenden Weise ins einzelne gehend dargelegt, der Betrieb habe nun einmal eine zu respektierende Konzeption, welche die ständige Anwesenheit von Personen erfordere, die in leitender Funktion Verantwortung für den Betrieb trügen. Die Klägerseite verkennt mit diesen Ausführungen, dass zwar einerseits Gerichte und Behörden die planerische Konzeption hinzunehmen und nicht durch eigene Konzepte zu ersetzen haben, andererseits diese aber daraufhin objektiv überprüfen können und im Interesse der anderen Planunterworfenen auch zu überprüfen haben, ob dies die Erreichbarkeit von Entscheidungsträgern über die Möglichkeit der Telekommunikation hinaus dergestalt erfordert, dass diese Personen auf dem Betriebsgrundstück wohnen. Dafür gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte.

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Diesem Mangel der Konkretisierung des Betriebskonzepts kann die Klägerseite  auch  nicht mit der Begründung begegnen, hier handele es sich nur um eine  Bauvoranfrage, welche ein im Baugenehmigungsverfahren weiter zu präzisierendes Konzept nur vorbereiten solle. Wenn die Klägerseite sich auf die Bindungswirkung des § 74 NBauO berufen will, dann muss sie auch dementsprechend prüfungsfähige Konzepte vorlegen.

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Nach den vorstehenden Ausführungen kommt eine Zulassung der Berufung nach den beiden anderen genannten Zulassungsgründen aus § 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO nicht in Betracht. Denn die Angriffe der Rechtsmittelführerin werfen keine schwierigen Fragen auf, welche sich im Zulassungsverfahren nicht ohne weiteres beantworten lassen und dementsprechend eine der Klägerin günstige Anwendung des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigten (vgl. Senatsbeschluss vom 31.8.1998 – 1 L 3914/98 -, NdsRpfl. 1999, 44). Eine grundsätzlich bedeutsame und klärungsbedürftige Frage hat die Klägerin in der Zulassungsantragsschrift nicht aufzuwerfen vermocht. Aus der oben zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 1999 (4 B 46.99 -, NVwZ 1999, 1336) ergibt sich vielmehr, dass es über die zitierten Grundsätze hinaus stets auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ankommt. Dementsprechend ist eine weitergehende grundsätzliche Klärung der Fragen, welche § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO aufwirft, kaum möglich und wird auf Seite 7/8 der Zulassungsantragsschrift eine solche Frage auch nicht formuliert. Hier versucht die Klägerseite vielmehr lediglich, im Gewande vermeintlich grundsätzlicher Bedeutsamkeit den Einzelfall zur Berufungsentscheidung zu stellen.

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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.