Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.03.2003, Az.: 2 LA 114/02

Beamter; Besoldung; Dienstrechtsreform; Fahrlässigkeit; Gehaltsmitteilung; Informationsblatt; Kenntnis; Rückforderung; verschärfte Haftung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.03.2003
Aktenzeichen
2 LA 114/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48468
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 24.04.2002 - AZ: 6 A 681/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bestreitet ein Bediensteter qualifziert ein Informationsblatt über besoldungsrechtliche Auswirkungen einer Dienstrechtreform erhalten zu haben, kann dies der Annahme einer verschärften Haftung des Bediensteten nach § 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG i.V.m. den §§ 819 Abs.1, 818 Abs. 4 BGB entgegenstehen.

Gründe

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Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. April 2002 zuzulassen, in dem das Verwaltungsgericht die Ansicht vertreten hat, von dem Kläger könne eine überzahlte Überleitungszulage in einer Gesamthöhe von

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1.295,55 DM (entspricht 662,40 €) nicht nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG  i. V. m.  den

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§§ 812ff. BGB zurückgefordert werden, weil der Kläger entreichert sei und entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nach § 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG  i. V. m.  den §§ 819

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Abs. 1 und § 818 Abs. 4 BGB verschärft hafte, bleibt ohne Erfolg; denn der für eine Berufungszulassung nur geltend gemachte Grund des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht durch.

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1. Die Zulassung der Berufung erfordert, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO bezeichneten Zulassungsgründe eindeutig geltend gemacht und innerhalb der Antragsfrist aus sich heraus verständlich näher dargelegt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) wird, dass und aus welchen Gründen dieser Zulassungsgrund vorliegen soll. An die Darlegung sind nicht geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 16.9.1997 - 12 L 3580/97 -, NdsVBl. 1997, 282 ; Bader, DÖV 1997, 442; ders., in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 1999, RdNrn. 27ff. zu § 124 a; Seibert, DVBl. 1997, 932; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr. 34 zu § 124 a). Die dem Revisionsrecht nachgebildete Darlegungspflicht bestimmt als selbständiges Zulässigkeitserfordernis den Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts. Sie verlangt qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen. Das bloße Benennen oder Geltendmachen eines Zulassungsgrundes genügt dem Darlegungserfordernis ebenso wenig wie eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens oder gar eine - ergänzende - Bezugnahme hierauf (Schenke, aaO; vgl. auch Bader, NJW 1998, 409(410) ). Insgesamt ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 21.1.2000 – 2 BvR 2125/97 - , DVBl. 2000, 407)

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1.1 Wird - wie hier allein benannt - der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht, so ist für dessen Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden.

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Hiernach ist für die Darlegung hinreichend, dass sich ein Antrag nicht darauf beschränkt, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung allgemein oder unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens anzuzweifeln, sondern hinreichend fallbezogen und substantiiert (insoweit hängen die Darlegungsanforderungen auch von Art und Umfang der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab) auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den für die Entscheidung maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen eingeht, deren Unrichtigkeit mit zumindest vertretbaren, jedenfalls nicht unvertretbaren Erwägungen dartut und sich dazu verhält, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen - aus der Sicht des Rechtsmittelführers fehlerhaften - Erwägungen beruht. Ernstliche Zweifel  i. S.  des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.1.1999 - 12 L 5431/98 -, NdsVBl. 1999, 93; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2002, RdNrn. 395g, h zu § 80; Schenke, aaO, RdNr. 7 zu § 124). Hierbei reicht es aus, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458(1459) = NdsVBl. 2000, 244(245) = NVwZ 2000, 1163).

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1.2 Nach diesem Maßstab ist die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. April 2002 nicht zuzulassen, weil sich das Urteil zumindest im Ergebnis als zutreffend erweist. Hierbei kann der Senat letztlich offen lassen, ob die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe auch bei unterstelltem Zugang des Informationsblatts über die Auswirkungen der Dienstrechtsreform im Besoldungsrecht („Informationen zur Dienstrechtsreform für den Geschäftsbereich des BMVg“) vom Juni 1997 die von ihm nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten zu fordernden Sorgfaltspflichten nicht in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen, ernstlichen Zweifel an ihrer Richtigkeit ausgesetzt sind; denn aus dem soeben Ausgeführten (s. Tz. 1.1) ergibt sich, dass die Berufung auch dann nicht zuzulassen ist, wenn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis zutrifft. Dies ist hier aber zumindest der Fall.

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1.2.1 Allerdings bestehen nicht geringe Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil, der Kläger hafte – bei unterstelltem Zugang des Informationsblatts vom Juni 1997 – nicht verschärft  i. S.  des § 819 Abs. 1 BGB, weil er auch dann die im Verkehr erforderliche Sorgfalt  nicht in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen habe. Wie das Verwaltungsgericht nämlich selbst unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (s. z. B. Urt. v. 14.3.1995 – 5 L 1656/94 -, UA Bl. 10) und des Bundesverwaltungsgerichts (s. hierzu jetzt etwa Urt. v. 28.6.1990 – BVerwG 6 C 41.88 -, Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 12 u. Urt. v. 25.1.2001 – BVerwG 2 A 7.99 -, Buchholz, aaO, Nr. 27) hervorgehoben hat, war der Kläger nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten im Hinblick auf seine Treuepflicht gehalten, ihm zugegangene Gehaltsmitteilungen zu überprüfen und sich bei Unklarheiten oder Zweifeln hinsichtlich der Berechnung der Bezüge durch Nachfrage bei der Besoldungsstelle Gewissheit darüber zu verschaffen, ob an ihn geleistete Zahlungen zu Recht erfolgt waren oder ob dies nicht der Fall war (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.2.1985 – BVerwG 2 C 16.84 -, BVerwGE 71, 77(79) u. BVerwG C 31.82 -, ZBR 1985, 196 = Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 7; Urt. v. 25.11.1982 – BVerwG 2 C 14.81 -, Buchholz, aaO,

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Nr. 3; Nds. OVG, Urt. v. 13.1.1992 – 5 L 29/90 -; s. auch Schinkel/Seifert, in: Fürst, GKÖD, Stand: November 1999, RdNr. 24 zu § 12 BBesG). Hier enthielt das genannte Informationsblatt vom Juni 1997 an dessen Ende, und zwar auf Seite 2, letzter Absatz einen deutlichen Hinweis darauf, dass eine (gezahlte) Überleitungszulage u. a. durch eine Beförderung in vollem Umfang entfiel (aufgezehrt wurde) und nicht etwa wie im Regelfall zukünftig mit Besoldungserhöhungen lediglich anteilig verrechnet werden sollte. Da aber die dem Kläger unstreitig zugegangenen 12 Gehaltsbescheinigungen für die Zeitspanne 1. Januar 1998 (Wirksamwerden der Beförderung) bis Ende Juli 1999 eine Überleitungszulage jeweils zumindest anteilig – dies gilt auch für die Mitteilung vom 23. Juni 1998, in der die zum 1. Januar 1998 erfolgte Beförderung des Klägers zum Stabsbootsmann (BesGr. A 9) rückwirkend auf den 1. Januar 1998 durch Verrechnungen rechnerisch berücksichtigt wurde - enthielten, hätte dem Kläger bei Kenntnis des Informationsblatts vom Juni 1997 dieser Widerspruch (anteilige Weiterzahlung der Überleitungszulage trotz Beförderung) auffallen und ihn zumindest zu einer Nachfrage bei der Besoldungsstelle veranlassen müssen.

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1.2.2 Der Senat kann aber für dieses Zulassungsverfahren letztlich offen lassen, ob angesichts der in dem angefochtenen Urteil angeführten sonstigen Umstände davon gesprochen werden kann, der Kläger habe auch bei Kenntnis des Informationsblatts vom Juni 1997 die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen. Denn nach dem Kenntnisstand dieses Zulassungsverfahrens kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger neben der Gehaltsbescheinigung vom 18. Juni 1997 auch das Informationsblatt vom Juni 1997 (mit dem entsprechenden Hinweis auf den völligen Fortfall der Überleitungszulage im Falle einer Beförderung) erhalten hat. Allerdings hat der Kläger die Gehaltsmitteilung vom 18. Juni 1997 über die ihm nach der Dienstrechtsreform ab 1. Juli 1997 zustehenden Bezüge nach eigenen Angaben erhalten, auch hat die Beklagte geltend gemacht, es seien in den Rechenzentren der Bundeswehr organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen worden, dass alle Bundeswehrangehörigen im Juni 1997 mit Hilfe des in Rede stehenden Informationsblatts vor dem 1. Juli 1997 über die durch die Dienstrechtsreform im Besoldungsbereich eintretenden Veränderungen informiert werden sollten, der Kläger habe daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Informationsblatt vom Juni 1997 zusammen mit der Gehaltsbescheinigung vom 18. Juni 1997 erhalten müssen. Der Kläger hat aber bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (s. seine Schriftsätze v. 12.9., 19.12.2000 u. v. 14.9.2001) schlüssig und unter Vorlage der ihm zugesandten Originale seiner Gehaltsbescheinigungen für die Zeitspanne 1. Mai 1997 bis 1. August 1999 bestritten, das Mitteilungsblatt vom Juni 1997 zusammen mit der Gehaltsbescheinigung vom 18. Juni 1997 oder zu einem späteren Zeitpunkt erhalten zu haben oder auf andere Weise über den Fortfall der Überleitungszulage im Falle einer Beförderung informiert worden zu sein. Zwar reicht bloßes Bestreiten des Zugangs einer behördlichen Mitteilung (vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, RdNr. 68 zu § 41) insbesondere dann nicht aus, wenn wie hier die von der Behörde an den Bürger versandten Schriftstücke aus mehreren Teilen bestehen und der Bürger einräumt, einen Teil der Schriftstücke erhalten zu haben, der Kläger hat aber qualifiziert bestritten, neben der Gehaltsmitteilung vom 18. Juni 1997 auch das in Rede stehende zweiseitige Informationsblatt erhalten zu haben. Er hat nämlich zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade bei der massenhaften Versendung von behördlichen Mitteilungen an Bedienstete, wie dies hier anlässlich der besoldungsrechtlichen Auswirkungen der Dienstrechtsreform im Sommer 1997 geschehen ist, bei der nach Angaben der Beklagten an alle Bundeswehrangehörigen, auch wenn sie keine Bezügebescheinigungen erhalten sollten, Hinweisblätter versandt worden sind, Fehler beim maschinellen Versand in der Weise auftreten können, dass in Einzelfällen der Bedienstete das Informationsblatt nicht oder nur eine Gehaltsmitteilung, nicht aber auch das Informationsblatt erhält. Dies erscheint dem Senat auch deshalb plausibel, weil schon aus Kostengründen eine Überprüfung der Vollständigkeit der zu versendenden Schriftstücke bei von Rechenzentren erstellten Gehaltsbescheinigungen nicht erfolgt, so dass es möglich ist, dass aufgrund eines technischen Fehlers an den Kläger zwar die Gehaltsmitteilung vom 18. Juni 1997 versandt, dieser Mitteilung aber nicht das Informationsblatt über die Auswirkungen der Dienstrechtsreform beigegeben wurde. Hätte die Beklagte einen derartigen technischen Fehler beim (mechanisierten) Versand, dessen Vorteile sie nutzt und dessen Mängel sie sich aber im Falle des (qualifizierten) Bestreitens des Zugangs auch zurechnen lassen muss (vgl. BFH, Urt. v. 12.8.1981 – I R 140/78 -, BStBl. II 1982, 102 = BFHE 134, 213(216)), ausschließen wollen, so hätte sie – wie dies Besoldungsstellen anderer Dienstherrn praktizieren – durch einen deutlichen Aufdruck auf den jeweiligen Gehaltsbescheinigungen im Juni 1997 auf das Informationsblatt und dessen Beachtung hinweisen müssen; denn dann wären auch die Bediensteten, die aus welchen Gründen auch immer nur eine Gehaltsmitteilung, nicht aber das Informationsblatt erhalten hätten, verpflichtet gewesen, sich bei ihrer Besoldungsstelle um dieses Informationsblatt zu bemühen und mit seinem Inhalt vertraut zu machen. Da auch dies nicht geschehen ist - die vom Kläger vorgelegten Originale der Gehaltsbescheinigungen enthalten keinerlei entsprechende Hinweise -, muss es nach den Beweislastregeln – die Beklagte beruft sich auf eine ihr günstige Rechtsfolge, und zwar die durch den Erhalt des Informationsblatts zu unterstellende Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Klägers von den besoldungsrechtlichen Auswirkungen einer Beförderung auf eine Überleitungszulage – zu Lasten der Beklagten gehen, dass nicht erwiesen ist, dass der Kläger das in Rede stehende Informationsblatt erhalten hat (vgl. auch Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl. 2000, RdNr. 24 zu § 41). Kann es aber nicht als erwiesen angesehen werden, dass der Kläger das Informationsblatt vom Juni 1997 erhalten hat, so kann dem Kläger als Stabsbootsmann, der nicht mit Besoldungsfragen dienstlich befasst war, nicht vorgehalten werden, seine Sorgfaltspflichten in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen zu haben, auch wenn er gehalten war, nach der erfolgten Beförderung seine Besoldungsunterlagen besonders genau zu überprüfen (Schinkel/Seifert, aaO unter Hinweis auf das Urt. des BayVGH v. 9.11.1992 – 3 B 92.1508 -). Mithin erweist sich das angefochtene Urteil zumindest im Ergebnis als richtig, so dass es nicht ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit ausgesetzt ist.