Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.06.2011, Az.: 11 ME 164/11

Vollständiges Verbot einer Versammlung ist bei möglicher Verringerung der Gefahren durch Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung unverhältnismäßig; Verhältnismäßigkeit eines vollständigen Verbots einer Versammlung bei möglicher Verringerung der Gefahren durch Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung; Abwägung der Rechte der Besucher und Aussteller eines traditionellen internationalen Kulturfestes

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.06.2011
Aktenzeichen
11 ME 164/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 18606
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0601.11ME164.11.0A

Fundstellen

  • DVBl 2011, 3-4
  • NordÖR 2011, 367-370
  • Polizei 2011, 243 (Pressemitteilung)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das vollständige Verbot einer Versammlung ist mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig, wenn die Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung erheblich verringert werden können.

  2. 2.

    Zur Abwägung mit den Rechten der Besucher/Aussteller eines traditionellen internationalen Kulturfestes.

Beschluss

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Untersagung eines von ihm angezeigten Demonstrationsaufzuges.

2

Mit am 16. Juli 2010 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Schreiben vom 12. Juli 2010 zeigte der Antragsteller der Antragsgegnerin an, dass er beabsichtige, am 4. Juni 2011 - einem Sonnabend - in der Zeit von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr einen Demonstrationsaufzug unter dem Motto "Tag der deutschen Zukunft - Ein Signal gegen Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft" durchzuführen. Der Aufzug solle mit einer Auftaktkundgebung von ca. 45 Minuten auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofes in Braunschweig beginnen und anschließend folgenden Verlauf nehmen: Kurt-Schumacher-Straße, John-F.-Kennedyplatz, Auguststraße, Stobenstraße, Ritterbrunnen/Bohlweg mit Zwischenkundgebung mit Live-Musik (ca. 90 Minuten) auf dem Schlossplatz, Wilhelmstraße, Hagenbrücke, Küchenstraße, Lange Straße, Radeklint mit 2. Zwischenkundgebung (ca. 45 Minuten), Güldenstraße, Kalenwall, Bruchtorwall, Lessingplatz, Augusttorwall, John-F.-Kennedyplatz, Kurt-Schumacher-Straße, Vorplatz des Hauptbahnhofes mit Abschlusskundgebung (ca. 45 Minuten) und Verabschiedung der Teilnehmer. Der Antragsteller ging dabei von ca. 700 Teilnehmern aus und benannte als Versammlungsleiterin seine Ehefrau A. B..

3

Am 5. August 2010 zeigte Herr C. für die Fraktion der Partei DIE LINKE im Rat der Stadt Braunschweig die Durchführung einer versammlungsrechtlichen Veranstaltung mit Aufzug und Kundgebungen für den 4. Juni 2011 ab 8 Uhr unter dem Motto "Kein Fußbreit den Nazis!" an. Er gab an, dass die Veranstaltung auf dem Berliner Platz (Bahnhofsvorplatz) beginnen und über den Heinrich-Büssing-Ring, Wolfenbütteler Straße, John-F.-Kennedy-Platz, Lessingplatz, Bruchtorwall, Kalenwall, Giselerstraße, Güldenstraße, Lange Straße, Küchenstraße, Hagenmarkt, Bohlweg, Stobenstraße, Auguststraße, John-F.-Kennedyplatz, Kurt-Schumacher-Straße zurück zum Berliner Platz verlaufen solle. Zugleich zeigte er Kundgebungen auf dem Schlossplatz sowie an der Gedenkstätte Schillstraße an, die um 8 Uhr beginnen sollen. Versammlungsleiter sei er selbst, er rechne mit 2.000 Teilnehmern. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 erweiterte er die Anzeige um zwei stationäre Kundgebungen, jeweils von 8 bis 21 Uhr an der Ackerstraße/Ecke Parkplatz Hauptbahnhof sowie an der Kreuzung Hans-Sommer-Straße/Berliner Straße/ Vossenkamp.

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Am 17. Februar 2011 zeigte Herr D. für den Deutschen Gewerkschaftsbund - DGB -, Region SON, für den 4. Juni 2011 die Durchführung einer Demonstration mit Kundgebung und Aufzug zum Thema "Demokratie und Zivilcourage" an. Diese solle in der Zeit von 10 bis 19 Uhr stattfinden mit einer Auftakt- und Abschlusskundgebung jeweils am Berliner Platz. Der Aufzug solle von dort über die Kurt-Schumacher-Straße, den John-F.-Kennedyplatz und zurück verlaufen. Es seien ein Bühnenaufbau und ein Kulturprogramm geplant, und es werde mit circa 5.000 Teilnehmern gerechnet.

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Mit an die Antragsgegnerin gerichtetem Schreiben vom 28. März 2011 nahm die Polizeidirektion Braunschweig eine Gefährdungseinschätzung zu den am 4. Juni 2011 geplanten Veranstaltungen vor. Neben den drei angezeigten Demonstrationsaufzügen berücksichtigte sie hierin, dass am 4. Juni 2011 auf dem Kohlmarkt in Braunschweig und der weiteren Umgebung des Platzes ganztägig (von 11.00 bis 19.00 Uhr) das Kulturfest "Braunschweig International" als größtes multikulturelles Fest in Braunschweig stattfindet. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Durchführung der Aufzüge und die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen die Veranstaltung Braunschweig International faktisch einschließen und für potenzielle Teilnehmer nahezu unerreichbar machten. Daneben seien erhebliche Auswirkungen auf den innerstädtischen Bereich der Stadt Braunschweig zu erwarten. Aus polizeilicher Sicht sei davon auszugehen, dass sich vergleichbare - im Einzelnen beschriebene - Protest- und Blockadeaktionen wie beim Aufzug der NPD in Braunschweig im Jahr 2005 zutragen werden, wobei für das Jahr 2011 mit höherem Protestpotenzial gerechnet werde und deswegen der polizeiliche Kräfteeinsatz gegenüber dem Jahr 2005 nochmals deutlich erhöht werden müsse.

6

Am 18. April 2011 fand ein Kooperationsgespräch zu der vom Antragsteller angezeigten Demonstration statt. Dabei gab der Antragsteller an, er rechne mit ca. 750 Teilnehmern und wolle die Versammlung wie angezeigt durchführen. Die Antragsgegnerin wies auf ihre Bedenken hin, die sich insbesondere aus Beeinträchtigungen für das Fest Braunschweig International ergäben. Der Antragsteller erklärte, von dieser Veranstaltung nichts gewusst zu haben und bis zum 27. April 2011 eine alternative Aufzugsroute anzubieten.

7

Mit E-Mail vom 29. April 2011 bzw. Faxschreiben vom 2. Mai 2011 teilte der Antragsteller folgende Alternativroute mit: Auftaktkundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz (ca. 45 Minuten), Kurt-Schumacher-Straße, Auguststraße, Bohlweg/Schlossplatz mit Zwischenkundgebung (nach am 4. Mai 2011 mitgeteilter Änderung ca. 240 Minuten), Steinweg, Magnitorwall, Leonhardstraße, Leonhardplatz, Bahnhofsvorplatz mit Abschlusskundgebung und Verabschiedung der Teilnehmer (ca. 60 Minuten).

8

Mit Schreiben vom 4. Mai 2011 nahm die Polizeidirektion Braunschweig gegenüber der Antragsgegnerin zur alternativen Streckenführung Stellung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass auch die alternative Streckenführung aus polizeilicher Sicht nicht in Betracht käme, insbesondere weil Start- und Zielpunkt weiterhin der Hauptbahnhof seien, die Streckenführung über den Bohlweg und Schlossplatz ebenfalls den Kernbereich der Innenstadt tangiere und die Sicherungsmaßnahmen mit den Auswirkungen auf die Braunschweiger Innenstadt wegen des zu erwartenden Protestpotenzials im Wesentlichen unverändert blieben.

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Mit Bescheid vom 6. Mai 2011 untersagte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Aufzug des Antragstellers sowie jede Form der Ersatzveranstaltung insbesondere auf der am 29. April 2011 angezeigten Alternativroute. Der Antragsteller hat dagegen am 17. Mai 2011 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben (5 A 96/11), über die noch nicht entschieden worden ist. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren, wie er mit Schriftsatz vom 27. Mai 2011 klargestellt hat, beschränkt auf die Alternativroute weiter.

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Die Beschwerde des Antragstellers hat teilweise Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.

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Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht rügt, ist allerdings nicht erkennbar, inwieweit der behauptete Gehörsverstoß für die Begründetheit seines Eilantrages von Bedeutung sein kann. Zudem hatte er im Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit, alle aus seiner Sicht maßgeblichen Aspekte des Falles vorzutragen.

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Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2011 hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, weil sich nach der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage das vollständige Verbot der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung am 4. Juni 2011 in Braunschweig voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.

13

Rechtsgrundlage für die angefochtene Verbotsverfügung ist § 8 Abs. 2 Satz 1 Nds. Versammlungsgesetz (NVersG). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten oder auflösen, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren durch eine möglichst umfangreiche Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen versammlungsrechtlichen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen; im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 363). Das der zuständigen Behörde eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die behördliche Eingriffsbefugnis setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in der vom Antragsteller beantragten Form voraus. Dabei muss eine konkrete Sachlage vorliegen, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Außerdem müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht (BVerfG, Beschl. v. 29.3.2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983).

14

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das von der Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Bescheid verfügte vollständige Verbot der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist, weil den zu erwartenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung und weitere Auflagen Rechnung getragen werden kann.

15

Ein vollständiges Versammlungsverbot kann insbesondere nicht darauf gestützt werden, dass mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit aus der vom Antragsteller angezeigten Versammlung heraus Gewalt gegen Menschen und Sachen zu erwarten ist, welche in Form von Körperverletzungen und Sachbeschädigungen Verstöße gegen die geltenden Strafgesetze und im Übrigen Verletzungen mindestens gleichwertiger Rechtsgüter Dritter darstellen werden. Denn es liegen keine gesicherten polizeilichen Erkenntnisse darüber vor, dass der Antragsteller oder sein Anhang anlässlich der Versammlung Gewalttätigkeiten beabsichtigen oder billigen werden, so dass eine Inanspruchnahme des Antragstellers als Störer nicht in Betracht kommt.

16

Auch sonst sind keine erkennbaren Hinweise darauf ersichtlich, dass der Antragsteller als Veranstalter gegen bestimmte Straftaten wie z.B. die der Volksverhetzung und Gruppendiffamierung (§ 130 StGB) nicht einschreiten oder diese billigen wird. Aus dem Veranstaltungsmotto "Tag der deutschen Zukunft - Ein Signal gegen Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft" lässt sich ein Verstoß gegen Strafbestimmungen und damit gegen die öffentliche Sicherheit jedenfalls nicht begründen. Zwar hat dieses Motto eine ausländerfeindliche Grundrichtung und widerspricht daher der für die freiheitliche demokratische Ordnung grundlegenden Erwartung der Toleranz der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern. Das Strafgesetzbuch stellt aber nicht schon ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe (BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001 - 1 BvQ 17/01, 1 BvQ 18/01 -, NJW 2001, 2072; siehe auch: BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 - 1 BvR 369/04 u.a. -, NJW 2010, 2193).

17

Insofern ist festzuhalten, dass von der angezeigten Versammlung des Antragstellers selbst keine Störung der öffentlichen Sicherheit ausgeht, die ein vollständiges Verbot rechtfertigen könnte.

18

Soweit durch die Versammlung des Antragstellers eine Störung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter zu befürchten ist, kann dem durch eine räumliche und zeitliche Beschränkung der Versammlung hinreichend Rechnung getragen werden.

19

Dabei ist davon auszugehen, dass bei der Durchführung des vom Antragsteller angezeigten Demonstrationsaufzuges sowohl hinsichtlich des ursprünglich beantragten Verlaufs als auch hinsichtlich der vom Antragsteller angebotenen - und im Beschwerdeverfahren allein streitigen - Alternativroute mit hoher Wahrscheinlichkeit die Beeinträchtigung von Rechtspositionen Dritter zu erwarten ist, die gleichwertig zu der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 8 GG stehen. Die danach gebotene Abwägung der miteinander kollidierenden Rechtsgüter führt aber dazu, dass ein Totalverbot der Versammlung unverhältnismäßig wäre. Denn die Beeinträchtigungen können ohne gravierende Einschränkung der Versammlungsfreiheit verringert werden.

20

Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen, denen sich der Senat anschließt, dargelegt, dass die Teilnahme am Kulturfest Braunschweig International als Besucher oder Aussteller vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst ist und die ursprüngliche Route der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung, mit der das Veranstaltungsgelände um den Kohlmarkt umkreist werden sollte, aufgrund der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Polizei faktisch zu einer Verhinderung des Kulturfestes führen würde, so dass die Rechte der Besucher und Aussteller aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG verletzt werden würden.

21

Die Polizeidirektion Braunschweig hat dazu in ihren Stellungnahmen vom 28. März 2011 und 19. Mai 2011 nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Erfahrungen aus dem polizeilichen Einsatz anlässlich eines NPD-Aufzuges am 18. Juni 2005 und den sich aus aktuellen Internet-Aufrufen ergebenden Erkenntnissen anlässlich der vom Antragsteller angezeigten Versammlung mit erheblichen Blockade- und Störaktionen auf der gesamten Aufzugsstrecke zu rechnen sei, die es erforderten, die Strecke frühzeitig vollständig abzusperren. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass im Innenstadtbereich mögliche Blockierer schwer zu erkennen sind und durch Kaufhäuser, Passagen und Hinterhöfe zahlreiche Möglichkeiten bestehen, zur Aufzugstrecke vorzudringen und diese zu blockieren. Diese Gefahreneinschätzung wird auch durch aktuelle Erkenntnisse bestätigt. Nach einem Bericht der HAZ vom heutigen Tage hat das "Bündnis gegen Rechts", ein Zusammenschluss antifaschistischer Gruppierungen, angekündigt, den geplanten Demonstrationszug des Antragstellers zu blockieren. Dass die insofern erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Polizei bei der ursprünglich vorgesehenen Route zu einer weitgehenden Abriegelung der Innenstadt sowie einer ganz erheblichen Beschränkung bzw. Einstellung des öffentlichen Personennahverkehrs führen würden, zeigt sich bereits aufgrund der Erfahrungen aus dem vergleichbaren Einsatz im Juni 2005. Dies hätte faktisch zur Folge, dass viele Aussteller und potenzielle Besucher das Kulturfest nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erreichen könnten und somit in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt wären.

22

Dass die Antragsgegnerin bei der erforderlichen Abwägung zwischen der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit des Antragstellers und den gleichwertigen Rechten der Besucher und Aussteller des internationalen Kulturfestes der Durchführung dieses Festes Vorrang vor dem Demonstrationszug des Antragstellers eingeräumt hat, ist angesichts der langjährigen Tradition dieses Kulturfestes, das immer am ersten Sonnabend im Juni stattfindet und in diesem Jahr sein 30jähriges Jubiläum feiert, nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde bezweifelt hat, dass der Termin für das diesjährige Kulturfest bereits vor der Anzeige seiner Versammlung vom 12. Juli 2010 festgestanden hat, kann dem nicht gefolgt werden. Die Antragsgegnerin hat vielmehr nachvollziehbar dargelegt und mit Schriftsatz vom 30. Mai 2011 im Beschwerdeverfahren auch belegt, dass das Kulturfest immer am ersten Sonnabend im Juni stattgefunden hat und nur im Jahre 2005 wegen Baumaßnahmen auf dem Kohlmarkt auf den 2. Juli 2005 verschoben worden ist. Im Übrigen wäre der Versammlung des Antragstellers ohnehin nicht allein aufgrund einer formalen Anknüpfung an den Zeitpunkt seiner Anzeige Vorrang vor der Durchführung des Kulturfestes einzuräumen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 6.5.2005 - 1 BvR 961/05 -, NVwZ 2005, 1055) widerspräche die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Denn diese würde es ausschließen, gegenläufige Erwägungen wie z.B. die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks zu berücksichtigen. Zudem könnte die Ausrichtung allein am Prioritätsgrundsatz dazu verleiten, Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten frühzeitig - ggf. auf Jahre hinaus auf Vorrat - anzumelden und damit anderen potenziellen Veranstaltern die Durchführung von Versammlungen unmöglich zu machen. Da, wie bereits dargelegt worden ist, das Kulturfest Braunschweig International traditionell immer am ersten Sonnabend im Juni stattfindet, kommt dem Veranstaltungstermin zum 30jährigen Jubiläum des Kulturfestes am 4. Juni 2011 eine besondere Bedeutung zu, die es rechtfertigt, diesem Fest Vorrang vor der Kundgebung des Antragstellers einzuräumen. Dass der Antragsteller, der nach seinen Angaben von dem Kulturfest keine Kenntnis gehabt haben will, vergleichbare gewichtige Gründe haben könnte, den von ihm angezeigten Aufzug gerade am 4. Juni 2011 in Braunschweig durchzuführen, ist nicht ersichtlich. Zudem wären von einer Beeinträchtigung oder Verhinderung des Kulturfestes aufgrund der wie in den Vorjahren erwarteten hohen Besucher- und Ausstellerzahl erheblich mehr Grundrechtsträger betroffen als bei dem Aufzug des Antragstellers.

23

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch bei der von ihm vorgeschlagenen und im Beschwerdeverfahren allein streitigen Alternativroute von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen.

24

Zwar trifft es zu, dass diese Route nicht mehr die Innenstadt und damit das Festgelände um den Kohlmarkt einschließen würde und der unmittelbare Zugang zum Festgelände lediglich von einer Seite beeinträchtigt wäre. Maßgebend ist jedoch, dass die bei der 3,8 km langen, ebenfalls am Hauptbahnhof beginnenden und durch den Innenstadtbereich führenden Alternativstrecke erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Polizei zu einer ganz erheblichen Beeinträchtigung des Sicherheit und Leichtigkeit des Individualverkehrs und zu einem Ausfall des öffentlichen Personennahverkehrs im gesamten Innenstadtbereich von Braunschweig nahezu über den ganzen Tag führen würden. Die Polizeidirektion Braunschweig hat in ihrer Stellungnahme vom 31. Mai 2011 dazu ausgeführt, dass nach den Planungen der Braunschweiger Verkehrs AG der Straßenbahnbetrieb und der Buslinienverkehr am 4. Juni 2011 ab 6.00 Uhr bis voraussichtlich 20.00 Uhr für den gesamten innerstädtischen Bereich eingestellt werden müsste. Der zeitgleich eingerichtete Bus-Ersatzverkehr könne lediglich eingeschränkt Haltestellen auf dem Wilhelminischen Ring (Altewiekring/Hagenring) bedienen und den Ausfall der Linien somit nicht kompensieren. Dies hätte zur Folge, dass Fahrgäste die Innenstadt den ganzen Tag über nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. Auch der Individualverkehr würde aufgrund der polizeilichen Absperrmaßnahmen ab 6.00 Uhr beeinträchtigt werden und nach polizeilicher Einschätzung in der Zeit von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr voraussichtlich ganz zum Erliegen kommen. Dass angesichts dieser massiven Störungen im Rahmen der erforderlichen Güterabwägung dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßen- und insbesondere des öffentlichen Personennahverkehrs Vorrang vor der Durchführung der Versammlung des Antragstellers auf der Alternativroute eingeräumt wird, ist jedenfalls im Hinblick auf die den Besuchern und Ausstellern des Kulturfestes Braunschweig International zustehenden Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Denn diese könnten aufgrund der dargestellten Verkehrsbeeinträchtigungen das Kulturfest nur unter erschwerten Bedingungen oder aber gar nicht erreichen, was unter Berücksichtigung der bereits dargelegten langjährigen Tradition dieses Festes und der erwarteten hohen Besucher- und Ausstellerzahl erheblich schwerer wiegt als die Nichtdurchführung der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung auf der Alternativroute.

25

Hinzu kommt, dass nach der Einschätzung der Polizeidirektion Braunschweig in ihrer Stellungnahme vom 19. Mai 2011 die durch den Innenstadtbereich führende Alternativroute u.a. wegen des Aufzugs- und Kundgebungsorts am Bohlweg/Schlossplatz ungeeignet ist. So liegt der Schlossplatz unmittelbar vor dem zentralen Einkaufszentrum "ECE-Center", dessen Haupteingänge über den geplanten Kundgebungsort zu erreichen sind und in dessen Gebäude sich auch ein überwiegend von auswärtigen Besuchern genutztes Parkhaus befindet. In unmittelbarer örtlicher Nähe sollen weitere Veranstaltungen, darunter das Kulturfest Braunschweig International auf dem Kohlmarkt, stattfinden, die aus polizeilicher Sicht wegen der bezüglich der Versammlung des Antragstellers zu erwartenden Stör- und Blockadeaktionen eine Trennung erforderlich machen. Die Polizeidirektion hat nachvollziehbar dargelegt, dass durch die Vielzahl der Veranstaltungen rund um diese Örtlichkeit sich die Räume derart verengen, dass eine Trennung von Demonstrationsteilnehmern, Gegendemonstranten, Besuchern der Veranstaltungen "Bunt und kreativ" und "Braunschweig International", Besuchern des ECE und den Anwohnern ohne eine frühzeitige, lang anhaltende Sperrung des Bohlweges und des Schlossplatzes für jeglichen Individualverkehr nicht möglich sei. Der durch die Sperrung hervorgerufene Interessenkonflikt könne sich gerade an dieser Örtlichkeit entladen, wobei gewalttätige Übergriffe auf den Aufzug und die Kundgebung auf Grund der räumlichen Enge nur schwer zu verhindern wären. Durch die Verengung der Räume könne auch eine Paniksituation eintreten, deren Folgen nicht vorhersehbar seien. Nach dieser polizeilichen Einschätzung ist jedenfalls an dem auf der Alternativroute vorgesehenen Aufzugs- und Kundgebungsort am Bohlweg/ Schlossplatz mit Gefahren durch gewalttätige Übergriffe von Gegendemonstranten auf Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers oder unbeteiligte Passanten zu rechnen, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten von der Polizei an diesem Tag möglicherweise nicht verhindert werden können.

26

Der Senat ist der Auffassung, dass die aufgezeigten Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung sowie durch andere Auflagen erheblich verringert werden können, so dass das von der Antragsgegnerin verhängte und vom Verwaltungsgericht bestätigte vollständige Versammlungsverbot mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG unverhältnismäßig sein dürfte.

27

Die Bestimmung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich Aufgabe der Versammlungsbehörde, die aufgrund ihrer Sach- und Ortsnähe am ehesten beurteilen kann, welche Auflagen geeignet, erforderlich und angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001, a.a.O.). Sind solche Auflagen aber nicht erlassen worden und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Auflagen zu verbinden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.4.2001, a.a.O.). Ein solcher Fall liegt hier vor.

28

Auf diese Möglichkeit hat der Senat die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 26. Mai 2011 hingewiesen und vorsorglich um die Benennung einer alternativen Aufzugsstrecke oder eines geeigneten Platzes für eine stationäre Kundgebung in Braunschweig (beispielsweise vor oder hinter dem Bahnhof) gebeten. Die Antragsgegnerin hat dazu mit Schreiben vom 30. Mai 2011 erklärt, dass aus ihrer Sicht keine Alternativstrecken in Frage kämen. Es seien keine geeigneten alternativen Strecken oder Plätze im Stadtgebiet von Braunschweig vorhanden, auf denen die hier relevanten Gefahren für die öffentliche Sicherheit nicht bestünden. Dies gelte insbesondere auch für stationäre Kundgebungen rund um den Hauptbahnhof. Für sie stehe fest, dass der Zugang zum Fest Braunschweig International bei jeder Art der Versammlungsdurchführung abgeschnitten wäre. Diese Bewertung gelte für jede öffentliche Fläche in der Stadt Braunschweig.

29

Dem vermag der Senat angesichts der anders lautenden polizeilichen Einschätzung der Gefahrenlage nicht zu folgen. Nach der vom Senat eingeholten Stellungnahme der Polizeidirektion Braunschweig vom 30. Mai 2011 ist aus polizeilicher Sicht eine stationäre Kundgebung der Versammlung des Antragstellers am Hauptbahnhof Braunschweig auf dem Parkplatz zwischen dem südwestlichen Ende des Bahnhofshauptgebäudes und dem Zentralen Omnibusbahnhof an der Salzdahlumer Straße durchführbar. Die Polizeidirektion hat dazu ausgeführt, dass durch die Wahl dieses Versammlungsortes eine hinreichend sichere Trennung der Versammlung des Antragstellers und möglichen Gegendemonstranten bereits bei der Anreise mit der Bahn gewährleistet werden könne, da eine Trennung schon auf den Bahnsteigen vorgesehen und erst recht im Kundgebungsbereich möglich sei. Diese Einschätzung ist aus Sicht des Senats schlüssig und nachvollziehbar, zumal der Antragsteller selbst darauf hingewiesen hat, dass die Teilnehmer seiner Versammlung fast ausschließlich mit der Bahn anreisen werden. Die Polizeidirektion hat in ihrer Stellungnahme außerdem darauf hingewiesen, dass die stationäre Kundgebung auf die Zeit von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr beschränkt werden sollte, da dann die Auswirkungen für den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr bedeutend, aber überschaubar seien. Für diese Zeit könne ein entsprechender Umleitungs- oder Ersatzverkehr eingerichtet werden. Die Auswirkungen auf das Kulturfest Braunschweig International seien unter diesen Voraussetzungen voraussichtlich gering. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 31. Mai 2011 hat die Polizeidirektion dazu weiter erläutert, dass nach Einschätzung der Braunschweiger Verkehrs AG der Straßenbahnverkehr sowohl über die Nord-Süd-Achse als auch aus westlicher Richtung in die Innenstadt gewährleistet werden könne. Lediglich in geringen Teilbereichen sei ein Schienenersatzverkehr erforderlich. Auch der städtische Linienbusverkehr könne größtenteils aufrecht erhalten bleiben. Soweit die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30. Mai 2011 die polizeiliche Bewertung der Gefahrenlage in Zweifel zieht, überzeugt dies nicht. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Polizeidirektion, wie die Antragsgegnerin meint, nur eine verkürzte Begutachtung der Gesamtzusammenhänge vorgenommen hat oder dass ihr bei der Gefahrenanalyse Fehler unterlaufen sind. Dass in die polizeiliche Einschätzung eine mögliche abschreckende Wirkung der Versammlung des Antragstellers und des damit verbundenen Polizeiaufgebots auf potenzielle Besucher des Festes "Braunschweig International" nicht eingeflossen ist, ist nicht zu beanstanden.

30

Der Senat hält es für sachgerecht, der Einschätzung der Polizeidirektion Braunschweig zur Auswahl des Kundgebungsortes und zur zeitlichen Beschränkung der Kundgebung zu folgen, um die mit der Eilentscheidung möglicherweise verbundenen Gefahren, die aber im Interesse des effektiven Rechtsschutzes in Kauf zu nehmen sind, gering zu halten. Damit hat der Senat dem Interesse des Antragstellers an der Ausübung der Versammlungsfreiheit ebenso Rechnung getragen wie dem Schutz kollidierender Rechtsgüter. Der Platz vor dem Bahnhof erfüllt auch die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5.9.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90) zur Geeignetheit eines Kundgebungsortes aufgestellten Kriterien. Er ist für die Versammlungsteilnehmer gut erreichbar und schließt durch seine Lage nicht aus, öffentliche Aufmerksamkeit für das Anliegen des Antragstellers zu erreichen.

31

Dass mit der Wahl des Platzes am Hauptbahnhof als Kundgebungsort Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs und des öffentlichen Personenverkehrs verbunden sein werden, ist im Interesse des hohen Stellenwerts der Versammlungsfreiheit grundsätzlich hinzunehmen. Anders als bei den vom Antragsteller angezeigten Aufzugsstrecken sind in Folge einer stationären Kundgebung am Bahnhof auch keine derart massiven Verkehrsbeeinträchtigungen zu erwarten, dass Besucher des Kulturfestes Braunschweig International, die etwa mit der Bahn anreisen, das Kulturfest am Kohlmarkt nicht erreichen könnten. So wird bei einer stationären Kundgebung am Bahnhof nach der polizeilichen Stellungnahme vom 31. Mai 2011, die auf der Einschätzung der Braunschweiger Verkehrs AG beruht, der Straßenbahnverkehr sowohl über die Nord-Süd-Achse als auch aus westlicher Richtung in die Innenstadt gewährleistet sein und auch der städtische Linienbusverkehr größtenteils aufrecht erhalten bleiben.

32

Es bedeutet auch keinen schweren Nachteil für den Antragsteller, dass der Senat dem Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die verhängten Auflagen Vorrang vor seinem Interesse, die Versammlung auf der Alternativroute durchzuführen, eingeräumt hat.

33

Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass Änderungen der angemeldeten Versammlungsroute desto eher zulässig sind, je schwerwiegender die berechtigten Interessen Dritter sind. In einem solchen Fall ist das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort und Zeitdauer der Veranstaltung eingeschränkt (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2.12.2005 - 1 BvQ 35/05 -, [...]; Beschl. v. 26.1.2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, 1409). Führt die Ausübung des Versammlungsrechts nämlich zur Kollision mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit, steht dem Veranstalter kein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 254, 264 [BFH 27.03.2001 - I R 78/99]). Diese haben nach Wegen zu suchen, um die Beeinträchtigung für alle Betroffenen möglichst gering zu halten. Ein geeignetes Mittel kann - wie hier - die Verlegung von Versammlungen in örtlicher Hinsicht und deren zeitliche Beschränkung sein.

34

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Polizeidirektion Braunschweig in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2011 darauf hingewiesen hat, dass für eine Sicherung der Versammlung des Antragstellers als Aufzug auf der Alternativstrecke 7.000 Polizeikräfte notwendig seien, derzeit aber ca. 1.300 Kräfte fehlten. Die verfügbaren Einsatzkräfte seien dagegen ausreichend, um eine stationäre Kundgebung zu sichern. Dafür, dass die Berechnung des erforderlichen Kräfteeinsatzes, die gerade auf den Erfahrungen der Polizei bei dem NPD-Aufzug mit Gegenveranstaltungen am 18. Juni 2005 in der Braunschweiger Innenstadt beruht, fehlerhaft sein könnte, ist nichts ersichtlich.

35

Der Senat hat bewusst davon abgesehen, dem Antragsteller Vorgaben für die Ausgestaltung der dreistündigen Kundgebung auf dem vorgesehenen Platz am Hauptbahnhof in Braunschweig zu machen, da dies seinem Selbstbestimmungsrecht als Veranstalter unterliegt. Allerdings ist er gehalten, (weitere) von der Antragsgegnerin für erforderlich gehaltene Auflagen bei der Durchführung der Kundgebung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003, a.a.O.). Dem hat der Senat durch eine entsprechende Maßgabe im Beschlusstenor Rechnung getragen.

36

Aus den vorstehenden Gründen erübrigt es sich auch, auf den Hilfsantrag des Antragstellers einzugehen.