Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.10.2019, Az.: 4 LA 71/19

Barrierefreiheit; Baumschutz; Baumschutzsatzung; Befreiung; Behinderung; Naturschutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.10.2019
Aktenzeichen
4 LA 71/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69824
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 10.01.2019 - AZ: 4 A 9264/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Befreiung von den Verboten einer städtischen Baumschutzsatzung aufgrund einer Regelung, die dem allgemeinen Befreiungstatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG entspricht, setzt eine atypische Ausnahmesituation voraus, die gegeben sein kann, wenn ein geschützter Baum im Einfahrtsbereich eines Grundstücks steht.

2. Die Beurteilung, ob von einem atypisch platzierten, geschützten Baum eine unzumutbare Belastung ausgeht, hat grundsätzlich nur anhand grundstückbezogener Besonderheiten zu erfolgen. Personenbezogene Besonderheiten können jedoch ausnahmsweise dann Berücksichtigung finden, wenn sie unabänderlich sind, die Rechtsordnung sie auch in anderen Zusammenhängen besonders berücksichtigt und sie sich typischerweise auf die Nutzung des umgebenden Raumes und die gestaltete Umwelt auswirken.

3. Eine Behinderung des Grundstückseigentümers stellt angesichts der bauordnungsrechtlichen und behindertenrechtlichen Regelungen zu Barrierefreiheit, wie sie etwa in §§ 2 Abs. 16, 49, 51 Satz 3 Nr. 9 NBauO sowie den Behindertengleichstellungsgesetzen des Bundes (BGG) und der Länder (in Niedersachsen: NBGG) zu finden sind, eine berücksichtigungsfähige personenbezogene Besonderheit dar. Der Rechtsgedanke der Barrierefreiheit kann im Naturschutzrecht jedenfalls dann herangezogen werden, wenn es um den Schutz von Natur in Gärten und Freiflächen im innerstädtischen Bereich geht, weil es sich hierbei um einen gestalteten Lebensbereich im Sinne des § 4 Satz 1 BGG und § 2 Abs. 3 Satz 1 NBGG handelt.

4. Die Unzumutbarkeit der Belastung ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn allein die Entferung des Baumes einen barrierefreien Zugang zum Grundstück sicherstellen würde. Gehen von dem Baum Unannehmlichkeiten aus, die weder eine bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstückes durch den behinderten Eigentümer unmöglich machen noch diesen im Vergleich zu einem nichtbehinderten Grundstückseigentümer besonders betreffen, so besteht kein Anspruch auf die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Befreiung.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 10. Januar 2019 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens wird auf 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg, weil er unbegründet ist. Die von der Klägerin geltend gemachten Berufungszulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor.

Die im Jahr 19.. geborene Klägerin ist schwerbehindert mit einem GdB von 80 sowie den Merkzeichen „G“ und „aG“; sie ist zur Mitnahme einer Begleitperson berechtigt und nutzt einen Rollstuhl zur Fortbewegung. Ihr Sohn leistet regelmäßig Fahrdienste für sie. Dafür holt er sie mit seinem privaten PKW von zu Hause ab. Vor dem über eine Treppe mit fünf Stufen erreichbaren Haupteingang des Hauses der Klägerin steht eine Eiche mit einem Stammumfang von etwa 135 cm, deren Entfernung durch § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 lit. a der Satzung zum Schutz von Bäumen, Sträuchern und Hecken im Gebiet der Landeshauptstadt Hannover als Geschützte Landschaftsbestandteile (Baumschutzsatzung) vom 28. Januar 2016 (Gem. Abl. 2016, S. 62) – im Folgenden: BSS – grundsätzlich verboten ist. Neben dem Haus befindet sich eine schmale Einfahrt mit einer Breite von ca. 2,40 m zu einer weiter hinten liegenden Garage mit einem ebenerdigen Seiteneingang. Der Bereich vor der Garage ist gegenüber der Einfahrt auf beinahe 4 m verbreitert.

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 24. Februar 2017 eine Genehmigung zur Beseitigung der Eiche, um ihr den ungehinderten Ein- und Ausstieg über die Beifahrertür in den im vorderen Einfahrtsbereich abgestellten PKW ihres Sohnes unter Inanspruchnahme seiner Unterstützung zu ermöglichen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Mai 2017 ab. Der dagegen erhobene Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Ihre Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung zum Fällen der Eiche wies das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, während derer die örtlichen Verhältnisse in Augenschein genommen wurden, mit Urteil vom 10. Januar 2019 ab.

Die von der Klägerin vorgetragenen Einwände gegen das erstinstanzliche Urteil führen nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an seiner Richtigkeit gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn das erstinstanzliche Urteil erweist sich im Ergebnis als richtig.

Die Klägerin begehrt eine Fällgenehmigung nach der Baumschutzsatzung der Beklagten im Wege der Erteilung einer Ausnahme von dem Verbot des § 3 Abs. 1 BSS nach § 5 Abs. 1 lit. b BSS oder einer Befreiung nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a BSS. Eine solche Genehmigung kann sie indessen nicht beanspruchen.

Die Baumschutzsatzung der Beklagten steht mit höherrangigem Recht in Einklang.

Die Beklagte war zu ihrem Erlass nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 NAGBNatSchG i. V. m. § 22 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG zuständig. Formelle Fehler sind in Bezug auf die Baumschutzsatzung der Beklagten weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Materiell-rechtlich ist die Baumschutzsatzung ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach § 20 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG können Teile von Natur und Landschaft als geschützter Landschaftsbestandteil geschützt werden. § 29 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG definiert geschützte Landschaftsbestandteile und normiert damit zugleich die Voraussetzungen, die vorliegen müssen, um Landschaftsbestandteile unter Schutz zu stellen. Außerdem bestimmt § 29 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG, dass sich der Schutz für den Bereich eines Landes oder für Teile des Landes auch auf den gesamten Bestand an Alleen, einseitigen Baumreihen, Bäumen, Hecken und anderen Landschaftsbestandteilen erstrecken kann.

Diesen Anforderungen entspricht die Baumschutzsatzung der Beklagten. Die in § 1 BSS genannten Schutzzwecke – also die Belebung, Gliederung und Pflege des Orts- und Landschaftsbildes; die Erhaltung, Entwicklung und Wiederherstellung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes; die Verbesserung der Lebensqualität, des Kleinklimas, der gesamtklimatischen Bedingungen; die Bedeutung als Lebensraum für Tiere sowie die Bedeutung für die Erholung und das Naturerleben des Menschen – stehen mit den in § 29 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG genannten Schutzzwecken im Einklang. Die Unterschutzstellung der in § 2 BSS näher bestimmten Bäume, Sträucher und freiwachsenden Hecken ist zur Erfüllung dieser Schutzzwecke auch erforderlich, weil die dort genannten Gehölze nicht nur schutzwürdig, sondern auch schutzbedürftig sind. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn eine abstrakte Gefährdung der Schutzgüter in der Weise vorliegt, dass ohne die Unterschutzstellung ein Schadenseintritt nicht bloß als entfernte Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist; einer konkreten Gefährdung oder Schädigung bedarf es nicht (Senatsurt. v. 17.12.2014 - 4 KN 28/13 -, NuR 2015, 199; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.2.2011 - OVG 11 A 1.08 -, juris; vgl. für Landschaftsschutzgebiete auch Senatsurt. v. 19.7.2017 - 4 KN 29/15 - m.w.N.). Ausreichend ist, dass die Maßnahme vernünftigerweise geboten ist (Senatsurt. v. 17.12.2014 - 4 KN 28/13 -, NuR 2015, 199; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 14.1.2000 - 5 S 1855/97 -, juris). Das ist hier der Fall, weil ohne die Unterschutzstellung insbesondere im städtischen Bereich die Möglichkeit naheliegt, dass Grundstückseigentümer gerade größere Gehölze wie die in § 2 BSS näher bezeichneten Bäume, Sträucher und freiwachsende Hecken entfernen, beschädigen oder beeinträchtigen, um ihre Grundstücke ungehindert nutzen zu können.

Wenn – wie hier – die Voraussetzungen einer Unterschutzstellung für Teile von Natur und Landschaft vorliegen, steht dem Normgeber grundsätzlich ein Handlungsspielraum in Bezug auf das Ob und Wie der Unterschutzstellung zu, der in erster Linie durch eine dem u.a. in § 2 Abs. 3 BNatSchG zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtete Würdigung der gegenüberstehenden Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes auf der einen und der Nutzungsinteressen der Grundeigentümer auf der anderen Seite geprägt ist (Senatsurt. v. 19.7.2017 - 4 KN 29/15; v. 29.11.2016 - 4 KN 93/14 -; v. 20.1.2016 - 4 KN 15/14 - u. v. 1.4.2008 - 4 KN 57/07 -; Nds. OVG, Urt. v. 24.8.2001 - 8 KN 209/01 - u. Urt. v. 6.11.2002 - 8 KN 231/01 -, ferner BVerwG, Beschl. v. 29.1.2007 - 7 B 68.06 - u. Beschl. v. 16.6.1988 - 4 B 102.88 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.2.2011 - OVG 11 A 1.08 -, juris). Die Beklagte hat eine solche Würdigung der sich gegenüberstehenden Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes einerseits und der Grundeigentümer und sonstigen Nutzungsberechtigten an der Nutzung ihrer Grundstücke andererseits vorgenommen. Die lässt sich bereits daraus ablesen, dass die Satzung in § 4 BSS Freistellungen und in § 5 BSS Ausnahme- und Befreiungsmöglichkeiten von den Verboten in § 3 BSS bereit hält. Die Verbote der Baumschutzsatzung greifen auch nicht unverhältnismäßig oder willkürlich in die Rechte der betroffenen Eigentümer ein. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Naturschutzrechtliche Regelungen, die die Nutzung von Grundstücken aus Gründen des Naturschutzes beschränken, sind keine Enteignungen im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern Bestimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums, die als Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Eigentums grundsätzlich hinzunehmen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2001 - 6 CN 2.00 -, NuR 2001, 351 [OVG Schleswig-Holstein 06.12.1999 - 2 M 52/99]; Beschl. v. 18. 7.1997 - 4 BN 5.97 -, Buchholz 406 401 § 13 BNatSchG Nr. 3 = NuR 1998, 37; Senatsbeschl. v. 2.7.2019 - 4 KN 298/15 -). Durch die Freistellungs-, Ausnahme- und Befreiungsregelungen in der Verordnung wird sichergestellt, dass das Eigentumsrecht nicht übermäßig belastet wird. Dabei wird durch die Ausnahmeregelung nach § 5 Abs. 1 lit. b BSS, wonach eine Ausnahme von den Verboten des § 3 BSS zu erteilen ist, wenn eine nach baurechtlichen Vorschriften zulässige Nutzung sonst nicht oder nur unter wesentlichen Beschränkungen verwirklicht werden kann, berechtigten Nutzungsinteressen und durch die Befreiungsregelung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a BSS, wonach von den Verboten des § 3 BSS im Einzelfall Befreiung gewährt werden kann, wenn die Durchführung der Vorschrift im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu vereinbaren ist, atypischen Sonderfällen ausdrücklich Rechnung getragen.

Eine Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 1 lit. b BSS für die Fällung der im Eingangsbereich wachsenden Eiche, die wegen ihres Stammumfangs nach § 2 Abs. 1 lit. a BSS zu den geschützten Gehölzen gehört und deren Entfernung nach § 3 Abs. 1 BSS verboten ist, war der Klägerin allerdings nicht zu erteilen. Davon dürfte das Verwaltungsgericht der Sache nach ebenfalls ausgegangen sein, obwohl es diesen Ausnahmetatbestand in seinem Urteil nicht in Erwägung gezogen hat. Aufgrund der in den Verwaltungsvorgängen und der Gerichtsakte enthaltenen Fotografien und zeichnerischen Darstellungen der Verhältnisse auf dem Grundstück der Klägerin ist nämlich ohne Zweifel davon auszugehen, dass der rückwärtige Einfahrts- und Garagenbereich auf dem Grundstück der Klägerin trotz der Eiche mit einem durchschnittlichen PKW, der mit Außenspiegeln eine Breite von 2,10 m üblicherweise nicht überschreitet, erreichbar und damit auch den baurechtlichen Bestimmungen entsprechend nutzbar ist.

Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil verneint, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a vorgelegen haben.

Diese Befreiungsregelung, die dem allgemeinen Befreiungstatbestand in § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG entspricht, setzt zunächst voraus, dass eine atypische Ausnahmesituation gegeben ist, die sich deutlich von dem vom Normgeber zugrunde gelegten Regelfall unterscheidet, mit der also bei einem innerörtlichen Baumbestand nicht zu rechnen ist (vgl. BayVGH, Beschl. v. 8.12.2014 - 14 ZB 12.1943 -, juris; Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 67 Rn. 4). Eine derartige Atypik ist vorliegend gegeben. Denn mit einem hohen Baum von mehr als einem Meter Stammumfang, wie dem Baum auf dem Grundstück der Klägerin, ist inmitten eines eher beengten Eingangs- und Einfahrtsbereichs mit einer gepflasterten Grundfläche von knapp 20 qm, wie er vor dem Haupteingang des Hauses der Klägerin vorhanden ist, nicht zu rechnen. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deswegen angezeigt, weil die Klägerin bzw. ihr damals noch kleiner Sohn den Baum vor ca. 40 Jahren selbst an dieser Stelle gepflanzt haben.

Weitere Voraussetzung für die Gewährung einer Befreiung nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a BSS ist, dass das Verbot, von dem Befreiung begehrt wird, im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde.

Umstände, aus denen sich eine Belastung der Klägerin ergeben könnte und die für die von ihr begehrte Befreiung rechtlich auch berücksichtigungsfähig sind, liegen vor. Grundsätzlich muss die Belastung auf grundstückbezogene Besonderheiten zurückzuführen sein (vgl. BayVGH, Urt. v. 25.4.2012 - 14 B 10.1750 -, juris; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmwR, Stand Juni 2019. § 67 BNatSchG Rn. 15). Personenbezogene Umstände des jeweiligen Eigentümers können jedoch ausnahmsweise dann Berücksichtigung finden, wenn sie unabänderlich sind, die Rechtsordnung sie auch in anderen Zusammenhängen besonders berücksichtigt und sie sich typischerweise auf die Nutzung des umgebenden Raumes und die gestaltete Umwelt auswirken. Solche berücksichtigungsfähigen personenbezogenen Umstände sind bei der Klägerin aufgrund ihrer ausgeprägten Gehbehinderung gegeben. Diese betrifft die Klägerin unabänderlich. Die Rechtsordnung berücksichtigt Behinderungen zudem in besonderer Weise und zwar nicht nur in sozial-, arbeits- oder schulrechtlicher Hinsicht, sondern auch in Rechtsbereichen wie etwa dem Baurecht, bei dem es – insoweit vergleichbar mit dem Naturschutzrecht – ebenfalls um die nähere rechtliche Ausgestaltung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG geht. Diese Berücksichtigung erfolgt insbesondere durch Bestimmungen zur Barrierefreiheit, die sich etwa im Bauordnungsrecht, in Niedersachsen in §§ 2 Abs. 16, 49, 51 Satz 3 Nr. 9 NBauO, aber auch den Behindertengleichstellungsgesetzen des Bundes und der Länder finden. § 4 Satz 1 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und § 2 Abs. 3 Satz 1 Niedersächsisches Behindertengleichstellungsgesetz (NBGG) führen zur Barrierefreiheit folgendes aus:

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“

Dieser im Zuge der Fortentwicklung des Behindertenrechts auf nationaler wie internationaler Ebene in die Rechtsordnung eingeführte Rechtsbegriff (vgl. Welti, Barrierefreiheit als Rechtsbegriff, DÖV 2013, 795) trägt den Wirkungen, die Behinderungen im Zusammenspiel mit der gestalteten Umwelt entfalten, Rechnung und trägt die Forderung in sich, die Gestaltung der Umwelt vermehrt an den spezifischen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung auszurichten, um ein höheres Maß an Inklusion zu erreichen. Diese rechtliche Konzeption zugrunde gelegt, kann eine Behinderung als personenbezogener Umstand auch bei der Auslegung und Anwendung vorwiegend grundstücksbezogener Vorschriften wie der naturschutzrechtlichen Befreiungsregelung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a BSS berücksichtigt werden, jedenfalls dann, wenn es – wie hier – um den Schutz von Natur in Gärten und Freiflächen im innerstädtischen Bereich geht, bei denen es sich ohne Zweifel in erster Linie um einen gestalteten Lebensbereich handelt.

Jedoch führt die Eiche im Eingangsbereich des Grundstücks der Klägerin auch bei Berücksichtigung ihrer Gehbehinderung nicht zu einer unzumutbaren Belastung. Unzumutbarkeit setzt voraus, dass der Eintritt der Verbotsfolge in Ansehung der Gegebenheiten des Einzelfalles und der ihn prägenden Umstände als nicht gerechtfertigt, unbillig oder unangemessen erscheint (Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmwR, Stand Juni 2019, § 67 Rn. 14 m.w.N.). Daran gemessen ist eine unzumutbare Belastung jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der hintere Einfahrtsbereich und die Garage der Klägerin ausreichend Platz für einen behinderungsangepassten Ein- und Ausstieg in einen PKW bieten. Anhand der Fotografien und zeichnerischen Darstellungen in den Akten ist dies nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht ausgeschlossen. Weitere Feststellungen zu der Örtlichkeit sind indessen für die abschließende rechtliche Beurteilung nicht notwendig, weil auch für den Fall, dass aufgrund der Behinderung der Klägerin ein Ein- und Ausstieg in einen PKW auf ihrem Grundstück nur im vorderen Bereich der Einfahrt in Betracht kommt, die Klägerin durch die Existenz des Baumes nicht in unzumutbarer Weise belastet ist. Dabei kann dahinstehen, ob eine derartige Grundstücksnutzung für die Sicherstellung eines barrierefreien Zugangs zu ihrem Haus überhaupt notwendig wäre. Denn das Verwaltungsgericht hat überzeugend herausgearbeitet, dass der Klägerin ein Ein- und Ausstieg in einen PKW im vorderen Bereich des Grundstücks bei Beibehaltung des Baumes möglich ist, weil sich auch in diesem Bereich ein PKW so abstellen lässt, dass er wenigstens von einer Seite über die beiden Seitentüren erreichbar ist. Damit kann die Klägerin auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Fahrer des PKW ihr beim Ein- und Ausstieg Hilfestellungen leisten und ihren Rollstuhl noch im PKW unterbringen muss, das Innere eines PKW erreichen und dort auf einem der für Personen vorgesehenen Sitze auf der Rückbank Platz nehmen. Eine unzumutbare Beeinträchtigung folgt dabei nicht daraus, dass es der Klägerin unmöglich ist, den PKW-Innenraum über jede Seitentür zu erreichen. Denn zum einen ist dies keine behinderungsbedingte Erschwernis, sondern betrifft angesichts der räumlichen Begrenzungen im Einfahrtsbereich des Grundstücks der Klägerin jeden PKW-Nutzer in gleicher Weise. Zum anderen ist eine freie Erreichbarkeit jedes PKW-Sitzes keine Voraussetzung dafür, dass die Klägerin auch unter Berücksichtigung ihrer Gehbehinderung überhaupt ein Kraftfahrzeug von ihrem Grundstück aus bestimmungsgemäß benutzen kann.

Anders läge der Fall möglicherweise dann, wenn die Klägerin auf ein Spezialfahrzeug mit besonderen Maßen und Vorrichtungen angewiesen wäre, in das die Klägerin im hinteren Einfahrtsbereich gar nicht und im vorderen Einfahrtsbereich nur bei Beseitigung des Baumes einsteigen könnte. Dafür fehlen vorliegend aber Anhaltspunkte. Auch der Vortrag der Klägerin im Berufungszulassungsverfahren ist nicht geeignet, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach sie auch auf der Rückbank Platz nehmen könne, zu entkräften. Die Klägerin hat eingewandt, dass ihr ein Platznehmen auf der Rückbank im Wagen ihres Sohnes nicht möglich sei, weil dieser dann den dort befindlichen Kindersitz im Kofferraum verstauen müsste, wo aber bereits ihr Rollstuhl sowie weitere beruflich benötigte Utensilien untergebracht werden müssten, so dass für den Kindersitz dort kein ausreichender Platz mehr sei. Es liegt auf der Hand, dass dieser Einwand nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen kann. Denn hierbei geht es ersichtlich nicht um Umstände, die im Rahmen des § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a BSS berücksichtigungsfähig sind, sondern ausschließlich um persönliche Präferenzen des Sohnes der Klägerin.

Auf die weiteren Einwände, die aus Sicht der Klägerin ernstliche Richtigkeitszweifel an dem erstinstanzlichen Urteil begründen sollen, kommt es daher bereits nicht an. Davon abgesehen folgen solche Zweifel auch nicht aus ihnen. Der Hinweis der Klägerin darauf, dass für sie ohne den Baum eine leichtere Situation vorliegen würde, rechtfertigt offensichtlich keine andere rechtliche Beurteilung, da daraus nicht folgt, dass die gegenwärtige Situation eine unzumutbare Belastung ist. Auf die im verwaltungsgerichtlichen Urteil bejahte Frage, ob die Klägerin im vorderen Grundstücksbereich in zumutbarer Weise Teile ihres Vorgartens in einen Stellplatz umwandeln könne, kommt es ebenfalls nicht an, so dass ihre diesbezüglichen Einwände ebenfalls nicht zu einer anderen rechtlichen Betrachtung führen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob es rechtlich erlaubt wäre, einen PKW kurzzeitig im Straßenraum oder teilweise auf dem Gehweg vor dem Grundstück der Klägerin abzustellen, und ob ihr ein Ein- und Ausstieg dort möglich und zumutbar wäre.

Schließlich vermag auch der Einwand, dass das Verwaltungsgericht ihre Klage deshalb zu Unrecht abgewiesen habe, weil es übersehen habe, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten unter Ermessensfehlern leide, keine ernstlichen Zweifel an dem erstinstanzlichen Urteil zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage vielmehr deshalb abgewiesen, weil bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a Baumschutzsatzung nicht vorgelegen haben, so dass sich die Frage, ob die Beklagte ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, gar nicht stellt.

Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel führen ebenfalls nicht zu einer Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.

Die Klägerin hat zunächst sinngemäß gerügt, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, sondern seine Entscheidung auf spekulativer Grundlage getroffen habe. Damit hat sie einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend gemacht. Ihre Aufklärungsrüge greift indessen nicht durch, weil nicht die Rede davon sein kann, dass die Annahmen, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat, „vollkommen aus der Luft gegriffen“ sind. Vielmehr beruhen sie auf den Erkenntnissen, die das Verwaltungsgericht bei der Inaugenscheinnahme des Grundstücks der Klägerin und der näheren Umgebung im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnen hat. Auch das Beweisangebot der Klägerin in Form eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Geeignetheit und Kosten der vom Verwaltungsgericht vorgeschlagenen Errichtung eines Stellplatzes im Vorgarten verhilft ihrer Aufklärungsrüge nicht zum Erfolg. Denn selbst wenn – was vorliegend nicht der Fall ist – das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen, könnten die von der Klägerin für aufklärungsbedürftig gehaltenen Tatsachen nach den obigen Ausführungen nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung des Falles führen, so dass ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, nicht vorliegt, was aber nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO Voraussetzung für die Zulassung der Berufung wäre.

Weiterhin hat die Klägerin sinngemäß eine Gehörsrüge erhoben, indem sie bemängelt hat, dass die Auffassung des Gerichts, wonach eine unzumutbare Belastung auch deshalb nicht anzunehmen sei, weil die Klägerin auf der Rückbank befördert werden oder am Straßenrand aussteigen und ein Parken des Fahrzeugs durch ihren Sohn abwarten könne, während der mündlichen Verhandlung nicht mit ihr erörtert worden sei. Damit hat die Klägerin der Sache nach geltend gemacht, dass das Gericht eine mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbare Überraschungsentscheidung getroffen habe. Eine solche liegt vor, wenn eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf Gesichtspunkte gestützt wird, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste (BVerfG, Beschl. v. 15.2.2017 - 2 BvR 395/16 -, juris m.w.N.). Dies gilt für rechtliche wie auch tatsächliche Gesichtspunkte (BayVGH, Beschl. v. 23.1.2019 - 22 ZB 18.1944 -, juris). Von einer Überraschungsentscheidung, die ohnehin nur in Bezug auf die fehlende Erörterung der Rückbankbeförderung in Betracht käme, weil nur dieser Gesichtspunkt rechtlich von Bedeutung sein kann, kann vorliegend indessen keine Rede sein, weil es dem Verwaltungsgericht nicht verwehrt gewesen ist, in seinem Urteil bei der Prüfung der Frage, ob im Einzelfall eine unzumutbare Belastung der Klägerin im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 lit. a Baumschutzsatzung gegeben ist, naheliegende tatsächliche Erwägungen anzustellen, auch ohne diese vorher im Einzelnen in der mündlichen Verhandlung mit der Klägerin erörtert zu haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).