Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.05.2000, Az.: 6 K 749/97

Zu berücksichtigender Gewerbeverlust als Besteuerungsgrundlage

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
09.05.2000
Aktenzeichen
6 K 749/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21878
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0509.6K749.97.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der bestandskräftige Bescheid über den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990 aufgehoben und der Gewerbesteuermessbescheid 1991 sowie die Bescheide über die vortragsfähigen Gewerbeverluste auf den 31.12.1991 und 1992 geändert werden durften.

2

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand die Herstellung und der Vertrieb von Plastikkarten, Magnetkarten und anderen Informationsträgern ist. Bis zum 30.06.1989 hatten sich die Gesellschafter der Klägerin an dieser atypisch still beteiligt. Aus den Mitunternehmerschaften resultierten in den Jahren 1987 und 1988 Gewerbeverluste in Höhe von 306.111,00 DM, die der Beklagte gemeinsam mit dem Gewerbeverlust des Jahres 1989 in Höhe von 134.454,00 DM (insgesamt 453.376,00 DM) bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrages für 1990 vom Gewerbeertrag der Klägerin abzog. Der Bescheid erging gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Bescheid vom 31.01.1993 stellte der Beklagte erstmals den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990 mit 290.217,00 DM gesondert fest. Der Bescheid enthielt keine Nebenbestimmung.

3

Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte die Auffassung, dass die Verluste aus der Mitunternehmerschaft mangels Unternehmergleichheit nicht bei der Klägerin zu berücksichtigen seien. Demgemäß änderte der Beklagte den einheitlichen Gewerbesteuermessbescheid für 1990 gemäß § 164 AO. Hierdurch entfiel ein vortragsfähiger Gewerbeverlust auf den 31.12.1990, so dass der Bescheid vom 31.03.1993 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgehoben wurde. Ferner änderte der Beklagte den Gewerbesteuermessbescheid für 1991 gemäß § 164 AO. Den Bescheid über den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1991 hob der Beklagte gemäß 175 Abs. 1 Nr. 1 AO auf. Den Bescheid über den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1992 änderte der Beklagte gemäß § 35 b Gewerbesteuergesetz dahingehend, dass lediglich der Gewerbeverlust des Jahres 1992 in Höhe von 420.232,00 DM erfasst wurde. Die Bescheide versandte der Beklagte am 12.11.1996 mit einfachem Brief.

4

Den Einspruch gegen den geänderten Gewerbesteuermessbetrag 1993, die gesonderten Feststellungen der vortragsfähigen Gewerbeverluste auf den 31.12.1990, 1991 und 1992 jeweils vom 12.11.1996 wies der Beklagte durch Einspruchsbescheid vom 16.10.1997 als unbegründet zurück.

5

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung der Änderungsbescheide. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, bei der Ermittlung während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens sei die Wirkung des § 177 Abs. 1 AO unberücksichtigt geblieben. Nach § 164 Abs. 2 AO sei der Gewerbesteuermessbescheid 1990 dahingehend geändert worden, dass als Verlustvortrag nur der Verlust aus 1989 anerkannt worden sei. Die Jahre 1987 und 1988 seien jedoch nicht Gegenstand der steuerlichen Außenprüfung gewesen und hätten daher nicht in die Änderung einbezogen werden dürfen. Über den geänderten Gewerbesteuermessbescheid 1990 als Grundlagenbescheid für den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990 habe eine Korrektur des bestandskräftigen Bescheides über die gesonderte Verlustfeststellung auf den 31.12.1990 vom 31.03.1993 stattfinden können. Hier greife jedoch die Änderungssperre des § 177 Abs. 1 AO. Der materielle Fehler des fehlerhaften Verlustvortrages aus den Jahren 1987 und 1988 könne nur insoweit berichtigt werden, soweit die Voraussetzungen für die Änderungen gemäß § 164 Abs. 2 AO reichten. Der Änderungsrahmen sei hier begrenzt durch den tatsächlich richtigen Verlustvortrag aus dem Jahre 1989 in Höhe von 134.454,00 DM und den bisher gewährten Verlustabzug im Jahr 1990 in Höhe von 163.159,00 DM. Die Finanzverwaltung könne gemäß §§ 175 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 177 Abs. 1 AO den vortragsfähigen Gewerbeverlust folglich nur in Höhe von 28.705,00 DM berichtigen.

6

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 1991 und die Bescheide über die gesonderten Feststellungen der vortragsfähigen Gewerbeverluste auf den 31.12.1990, 1991 und 1992 jeweils vom 12.11.1996 sowie die Einspruchsentscheidung vom 16.10.1997 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid. Der geänderte Gewerbesteuermessbescheid 1990 vom 12.11.1996 sei Grundlagenbescheid für die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990. Da sich mit dem geänderten Gewerbesteuermessbescheid kein vortragsfähiger Verlust ergeben habe, sei der Bescheid vom 31.03.1993 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzuheben gewesen. Die Änderungen für den Erhebungszeitraum 1991 seien aus den selben Gründen erfolgt. Der Bescheid über den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1992 habe nach § 35 b Abs. 2 S. 3 Gewerbesteuergesetz geändert werden müssen, weil sich durch die Berichtigungen der Vorjahre der in diesem Erhebungszeitraum vorgetragene Gewerbeverlust geändert habe und die Änderung des Gewerbesteuermessbescheides für 1992 allein mangels einer steuerlichen Auswirkung unterblieben sei.

9

Die Änderungssperre des § 177 Abs. 1 AO greife nicht ein. Die Aufhebung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990 sei nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO als Folgebescheid des nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Gewerbesteuermessbescheides 1990 erfolgt. Dies bedeute, dass Maßstab für die Aufhebung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990 der geänderte Gewerbesteuermessbescheid 1990, nicht aber der vorausgegangene Folgebescheid vom 31.03.1993 gewesen sei.

Gründe

10

I.

Die Klage ist unbegründet.

11

Der Beklagte hat die Bescheide über den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990, 1991 und 1992 sowie den Gewerbesteuermessbescheid 1991 zu Recht aufgehoben bzw. geändert.

12

1.

Der bestandskräftige Bescheid über den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990 war gemäß § 35 b Abs. 2 S. 2 GewStG aufzuheben. Nach dieser Vorschrift sind Verlustfeststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit sich die Besteuerungsgrundlagen ändern und deshalb der Gewerbesteuermessbescheid für denselben Erhebungszeitraum zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Voraussetzung für die Änderung des Verlustfeststellungsbescheides ist eine Änderung der Besteuerungsgrundlage des Gewerbesteuermessbescheides desselben Erhebungszeitraumes. Besteuerungsgrundlage des Gewerbesteuermessbescheides sind die zur Ermittlung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrages heranzuziehenden Umstände, die sich in rechtlich normierten Kategorien konkretisieren (vgl. Tipke/Kruse § 157 Rz. 7). So nennt § 6 GewStG in der im Streitfall geltenden Fassung als Besteuerungsgrundlagen ausdrücklich den Gewerbeertrag und das Gewerbekapital. Gewerbeertrag ist gemäß § 7 GewStG der nach den Vorschriften des EStG oder des KStG zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 bezeichneten Beträge.

13

Hieraus läßt sich nach Auffassung des Senats jedoch nicht entnehmen, dass der nach § 10 a GewStG zu berücksichtigende Gewerbeverlust nicht als Besteuerungsgrundlage im Sinne des § 35 b Abs. 2 S. 2 GewStG anzusehen ist. Denn die Ermittlung des maßgeblichen Gewerbeertrages, der der Besteuerung zugrunde zu legen ist, hat unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 10 a GewStG zu erfolgen. Der im Erhebungszeitraum angesetzte Verlustabzug reduziert den für die Bemessung des Steuermessbetrages nach dem Gewerbeertrag maßgeblichen Gewerbeertrag. Der Verlustabzug fließt zudem in die Berechnung des festzustellenden Betrages des Verlustfeststellungsbescheides ein. Für den Verlustfeststellungsbescheid des Erhebungszeitraumes 1990 ist der festzustellende Betrag aus der Summe der Gewerbeverluste der Erhebungszeiträume 1985-1990 abzüglich der Summe der Fehlbeträge aus den Erhebungszeiträumen 1985-1989, die in den Erhebungszeiträumen 1986-1990 gem. § 10 a GewStG gekürzt werden konnten, zu ermitteln (vgl. Blümich/Hofmeister § 35 b GewStG Rz. 42). § 35 b Abs. 2 S. 2 GewStG stellt folglich sicher, dass die Änderung der Grundlagen, die für die Besteuerung im Erhebungszeitraum maßgeblich sind, unabhängig von der Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheides desselben Zeitraums zu berücksichtigen sind. Dies trifft auch auf die im Erhebungszeitraum berücksichtigten Verluste zu.

14

2.

Im Streitfall war der Bescheid für 1990 über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag vom 31.03.1993 gemäß § 164 Abs. 2 AO zulässigerweise geändert worden. Hierdurch reduzierten sich die Gewerbeverluste aus 1985 bis 1989 von 453.376,00 DM auf 134.454,00 DM, weil der Beklagte für Verluste, die auf die atypisch stillen Mitunternehmer entfielen, die Abzugsfähigkeit bei der Klägern zu Recht mangels Unternehmeridentität verneint hatte. Der maßgebliche Gewerbeertrag vor Verlustabzug in Höhe von 163.159,00 DM verbrauchte die anrechenbaren Verluste aus 1985 bis 1989 damit vollständig, so dass zum 31.12.1990 kein festzustellender Verlustabzug verblieb. Diese Änderung der Besteuerungsgrundlagen führte gemäß § 35 b Abs. 2 S. 2 GewStG zur Aufhebung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990. Soweit der Beklagte § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO als Rechtsgrundlage für die Aufhebung angegeben hat, führt diese falsche Bezeichnung als unerheblicher Begründungsmangel ebenfalls nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (§ 127 AO).

15

3.

Aufgrund der Aufhebung des Bescheides für 1990 über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag vom 31.03.1993 waren die nachfolgenden Verlustfeststellungsbescheide auf den 31.12.1991 und 31.12.1992 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Der Verlustfeststellungsbescheid ist Grundlagenbescheid hinsichtlich des in den folgenden Erhebungszeiträumen vorgetragenen Gewerbeverlustes für den Verlustfeststellungsbescheid des nachfolgenden Erhebungszeitraumes. Die Aufhebung des Verlustfeststellungsbescheides zum 31.12.1990 hatte zur Folge, dass die nachfolgenden Verlustfeststellungsbescheide zum 31.12.1991 und 1992 entsprechend anzupassen waren. Da der Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.1990 hinsichtlich des abziehbaren Gewerbeverlustes zugleich Grundlagenbescheid für den Gewerbesteuermessbescheid des folgenden Erhebungszeitraum ist, war auch der Gewerbesteuermessbetragsbescheid 1991 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

16

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da eine höchstrichterliche Entscheidung dazu aussteht, ob die Verlustabzugsbeträge als Besteuerungsgrundlagen im Sinne des § 35 b Abs. 2 S. 2 GewStG anzusehen sind.