Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.05.2000, Az.: 5 K 145/94

Voraussetzung der Unternehmereigenschaft bei der Geltendmachung des Vorsteuerabzuges; Landwirtschaftliches Unternehmen; Planungsphase

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
04.05.2000
Aktenzeichen
5 K 145/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21865
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0504.5K145.94.0A

Fundstelle

  • UStB 2000, 265

Tenor:

Unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1984 vom 18. Dezember 1989 und des Einspruchsbescheides vom 6. April 1994 wird die Umsatzsteuer 1984 auf ./. 1.239,19 DM herabgesetzt.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Diplom-Agraringenieurin. Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 29. Oktober 1984 erwarb die Klägerin einen landwirtschaftlichen Betrieb zu einem Kaufpreis von 2.700.000,00 DM. Gemäß § 3 Abs. 3 des Kaufvertrages war die Besitzübergabe zum 1. Januar 1986 vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf den in Kopie zu den Steuerakten gelangten Vertragstext Bezug genommen.

2

Über die Beurkundung des Kaufvertrages stellte die Rechtsanwalts- und Notariatskanzlei ... und Partner der Klägerin unter dem 31. Oktober 1984 eine Rechnung über 8.428,50 DM zuzüglich 1.179,99 DM Umsatzsteuer aus. Außerdem stellte der landwirtschaftliche Sachverständige ... der Klägerin unter dem 23. November 1.984.423,00 DM zuzüglich 59,20 DM Umsatzsteuer in Rechnung. Am 27. Dezember 1984 stellte die Klägerin beim Beklagten den Antrag zur Regelbesteuerung gemäß § 24 Abs. 4 Umsatzsteuergesetz (UStG).

3

Mit privatschriftlicher Vereinbarung vom 20. Dezember 1985 verlegten die Kaufvertragsparteien den zunächst für den 1. Januar 1986 vorgesehenen Übergabetermin auf den 1. Mai 1986. Am 30. April 1986 schloss die Klägerin mit ihrem Ehemann einen Gesellschaftsvertrag, in dem sie noch vor Besitzübergabe den landwirtschaftlichen Betrieb in die ... Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einbrachte. Im Mai 1986 erfolgte eine Milchlieferung unter dem Namen der Klägerin an die ... . Die Lieferung wurde umsatzsteuerlich bei der GbR erfasst.

4

Mit ihrer am 8. Mai 1985 beim Beklagten eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 1984 machte die Klägerin u.a. die Vorsteuern aus den Rechnungen der Notariatskanzlei ... und Partner sowie des Sachverständigen ... geltend. Der Beklagte folgte dem mit Bescheid vom 13. Januar 1986 zunächst, änderte jedoch im Anschluss an eine bei der GbR durchgeführte steuerliche Außenprüfung den Umsatzsteuerbescheid 1984 und setzte die Umsatzsteuer auf 0,00 DM fest.

5

Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr stehe der geltend gemachte Vorsteuerabzug zu, weil sie Unternehmerin gewesen sei. Das dokumentiere sich in der tatsächlich von ihr durchgeführten Frühjahrsbestellung der Felder sowie der seit Anfang 1986 von ihr übernommenen Aufzucht des Viehs. Bereits ab diesem Zeitpunkt habe sie Landwirtschaft betrieben. Zwar führe in der Land- und Forstwirtschaft erst der Verkauf der Produkte zu Ausgangsumsätzen. Gleichwohl beginne die klassische landwirtschaftliche Tätigkeit bereits mit der Erzeugung der Produkte, so dass auch die Feldbestellungsarbeiten sowie die Dünge- und Pflanzenschutzmaßnahmen als unternehmerische Tätigkeit anzusehen seien.

6

Aber selbst wenn sie keine Unternehmerin geworden sei, stehe ihr als sogenannter erfolgloser Unternehmerin der Vorsteuerabzug zu, weil sie die vorsteuerbelasteten Leistungen für das von ihr geplante landwirtschaftliche Unternehmen bezogen habe.

7

Schließlich habe sie über die Einbringung des landwirtschaftlichen Betriebes in die GbR hinaus tatsächlich Ausgangsumsätze ausgeführt. So sei die im Mai an die ... ... ausgeführte Milchlieferung ihr, der Klägerin, zuzurechnen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuer 1984 auf ./. 1.239,19 DM herabzusetzen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Der Beklagte vertritt die Auffassung, auch im Licht der Rechtsprechung des EuGH zum erfolglosen Unternehmer stehe der Klägerin der begehrte Vorsteuerabzug nicht zu. Erforderlich sei dafür, dass im Zeitpunkt des Leistungsbezuges die ernsthafte Absicht zur Gründung eines Unternehmens bestanden haben müsse. Das sei vorliegend nicht gewährleistet, weil im Zeitpunkt der Übergabe des landwirtschaftlichen Betriebes am 1. Mai 1986 bereits festgestanden habe, dass nicht die Klägerin, sondern die GbR das landwirtschaftliche Unternehmen betreiben werde.

11

Außerdem habe das von der Klägerin erworbene Unternehmen grundsätzlich der Durchschnittssatzbesteuerung unterlegen, in deren Rahmen ein gesonderter Vorsteuerabzug nicht vorgesehen sei. Auf die Anwendung der Durchschnittssätze habe die Klägerin nicht fiktiv verzichten können, weil die Regelung des § 24 Abs. 4 UStG tatsächlich ausgeführte Umsätze voraussetze.

12

Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Steuerakten zu Steuer- Nr. ... sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

13

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Gründe

14

Die Klage ist begründet.

15

Der Klägerin steht der von ihr geltend gemachte Vorsteuerabzug zu. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG sind erfüllt. Insbesondere ist die Klägerin Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG gewesen. Allerdings hat die Klägerin keine Umsätze ausgeführt. Die Milchlieferung im Mai 1986 ist zwar unter ihrem Namen erfolgt, aber der inzwischen als Unternehmerin handelnden GbR zuzurechnen gewesen. Abgesehen von der Einbringung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes in die GbR hat die Klägerin keine Leistungen erbracht. Das Fehlen von Ausgangsumsätzen steht der Annahme der Unternehmereigenschaft aber nicht entgegen. Die Unternehmereigenschaft beginnt bereits mit den ersten Investitionen, die für die Zwecke eines Unternehmens oder für dessen Verwirklichung getätigt werden. Die sich daraus ergebende Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt auch dann nicht, wenn das Unternehmen noch in der Planungsphase beendet wird und die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit nicht zu steuerbaren Umsätzen führt (Urteil des EuGH vom 29. Februar 1996, C 110/94, BStBl II 1996, 655, 657 [BFH 29.05.1996 - III R 49/93]). Ob sich eine andere Beurteilung ergibt, wenn bereits bei der erstmaligen Steuerfestsetzung bekannt ist, dass die geplante wirtschaftliche Tätigkeit nicht aufgenommen werden wird (Vorlagebeschluss des BFH vom 27. August 1998 V R 18/97, UR 1999, 26 sowie den Schlussantrag des Generalanwalts zu diesem Beschluss in der Rs C-400/98, IStR 2000, 82), brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Im Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzung am 16. Januar 1986 bestanden noch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin den landwirtschaftlichen Betrieb nicht als Einzelunternehmen führen würde.

16

Der Einwand des Beklagten, im Zeitpunkt des Leistungsbezuges habe die Klägerin bereits nicht mehr die Absicht zum Betrieb eines eigenen Unternehmens gehabt, geht fehl. Bei den im Streit befindlichen Leistungsbezügen handelt es sich um die im Jahr 1984 ausgeführten Beratungsleistungen des Sachverständigen ... und der Notariatskanzlei ... . Der Zeitpunkt des Besitzüberganges des erworbenen landwirtschaftlichen Betriebes, auf den der Beklagte abstellt, ist insoweit ohne Belang.

17

Der Berechtigung zum Vorsteuerabzug steht auch nicht entgegen, dass es sich bei dem von der Klägerin erworbenen Betrieb um ein landwirtschaftliches Unternehmen gehandelt hat. Zwar werden landwirtschaftliche Unternehmen gemäß § 24 Abs. 1 UStG grundsätzlich nach Durchschnittssätzen besteuert, wobei die Möglichkeit eines gesonderten Vorsteuerabzuges ausscheidet. Die Klägerin hat aber am 27. Dezember 1984 gemäß § 24 Abs. 4 UStG zur Regelbesteuerung optiert, so dass für sie die allgemeinen umsatzsteuerlichen Grundsätze zur Anwendung kommen.

18

Dem steht nicht entgegen, dass die Umsätze, für die die Klägerin die Option erklärt hat, tatsächlich nicht zur Ausführung gelangt sind. Im Rahmen des § 24 Abs. 4 UStG ist auch eine in diesem Sinne fiktive Option möglich. Der Wortlaut des § 24 Abs. 4 UStG eröffnet die Möglichkeit der Option sowohl für bereits ausgeführte als auch für zukünftige Umsätze. Weder die Entstehungsgeschichte noch der Zweck der in § 24 Abs. 4 UStG getroffenen Regelung gebieten eine Auslegung dahingehend, dass nur für bereits erbrachte Umsätze zur Steuerpflicht optiert werden kann.

19

Das Erfordernis von Fiktionen ergibt sich aus der Anerkennung des erfolglosen Unternehmers und kommt überall dort in Betracht, wo das UStG in den Tatbestand umsatzsteuerrechtlicher Regelungen die Ausführung von Umsätzen aufgenommen hat. So wird zum Beispiel angesichts der Regelung des § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG im Rahmen der Beurteilung der Vorsteuerabzugsberechtigung des erfolglosen Unternehmers eine Prognose darüber angestellt werden müssen, ob die geplanten Umsätze steuerfrei gewesen wären. Der Beklagte verweist hierbei zu Unrecht auf den zu § 9 UStG ergangenen Beschluss des BFH vom 20. Dezember 1988 (V B 100/88, BFH/NV 1990, 66). Der BFH hat darin die Frage entschieden, ob fiktiv auf die Steuerbefreiung tatsächlich unentgeltlich ausgeführter Leistungen verzichtet werden kann. In diesem Fall sind entgeltlich ausgeführte Leistungen nicht einmal geplant gewesen, so dass sich eine fiktive Option zwangsläufig verbietet.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

21

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Möglichkeit eines umsatzlosen Unternehmers zur Ausübung einer fiktiven Option im Rahmen des § 24 Abs. 4 UStG ist höchstrichterlich noch nicht beurteilt worden.

22

Die Revision wird zugelassen.