Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.05.2000, Az.: 6 K 486/97 Ki
Voraussetzungen der Haushaltszugehörigkeit; Aufnahme in den Haushalt der Großmutter bei Widerspruch des Personensorgeberechtigten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.05.2000
- Aktenzeichen
- 6 K 486/97 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21877
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0509.6K486.97KI.0A
Fundstellen
- DStRE 2000, 801-802 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB DokSt 2000, 1047
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kindergeldfestsetzung für das leibliche Kind der Klägerin für die Zeit ab Juni 1997 gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben werden durfte.
Die Klägerin bezog für ihren Sohn C..., geboren am 08.04.1980, Kindergeld. Durch einen Anruf der Gemeinde ... vom 22.05.1997 erfuhr der Beklagte, dass das Kind seit dem 07.05.1997 im Haushalt der Großmutter lebe. Die Großmutter habe bei der Gemeinde ... einen Antrag auf Kindergeld gestellt.
Der Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 27. Mai 1997 die Festsetzung des Kindergeldes ab Juni 1997 in Höhe von 220,00 DM monatlich auf. Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend, dass der 17-jährige Sohn ohne Zustimmung ausgezogen sei. Da sie das alleinige Sorgerecht und insofern auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht besitze, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Sohn in den Haushalt der Großmutter aufgenommen worden sei.
Mit Bescheid vom 07.07.1997 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Fortgewährung von Kindergeld.
Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, der 17-jährige Sohn sei ohne ihre Zustimmung aus der Familienwohnung ausgezogen. Da sie das alleinige Sorgerecht besitze, könne C... nicht mit ihrer Zustimmung in den Haushalt der Großmutter aufgenommen worden sein. Insofern könne von einem vorrangigen Kindergeldanspruch der Großmutter nicht ausgegangen werden. Die Aufnahme in den Haushalt setze begriffsnotwendig die Zustimmung des Sorgeberechtigten voraus. Anderenfalls würde hierdurch dem Schutzgedanken des Artikel 6 Grundgesetz widersprochen. Durch die Gewährung von Kindergeld an die Großmutter, setze sich das Arbeitsamt massiv über die Sorgerechtsentscheidung der Kindesmutter hinweg. Die Klägerin habe von der Rückforderung ihres Sohnes in den eigenen Haushalt mittels Zwangsmaßnahmen lediglich abgesehen, um die ohnehin angespannte familiäre Lage nicht eskalieren zu lassen. Das eingeschaltete Jugendamt des Landkreises ... habe den Sohn jedoch nicht zur Rückkehr bewegen können.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 27.05.1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.07.1997 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr ab Juni 1997 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, dass als Kinder gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten und vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel berücksichtigt würden. Nach § 64 Abs. 1 EStG werde für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gewährt. Bei mehreren Berechtigten werde es gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG demjenigen gezahlt, der es in seinen Haushalt aufgenommen habe.
C ... sei im Laufe des Mai 1997 in den Haushalt der Großmutter gewechselt, wo er seitdem gelebt habe. Diese sei danach ab Juni 1997 vorrangig kindergeldberechtigt gewesen.
Die gesetzliche Vorschrift stelle ausschließlich auf den tatsächlichen Zustand ab. Auf Fragen des Sorgerechtes oder darauf, ob das Kind sich mit oder ohne Billigung des ursprünglich Berechtigten in einem Haushalt aufhalte, komme es nicht an. Ferner sehe § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG zur Begründung des vorrangigen Kindergeldanspruchs keinerlei Berechtigtenbestimmung vor.
Da sich die Verhältnisse entsprechend geändert hätten, sei die Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben gewesen.
Der Sohn der Klägerin wurde als Zeuge vernommen. Wegen des Inhalts der Aussage wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 39 ff. FGA) Bezug genommen.
Gründe
I.
Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung für den Sohn zu Recht nach § 70 Abs. 2 EStG ab Juni 1997 aufgehoben. Die Klägerin war nach dem Auszug des Sohnes lediglich nachrangig anspruchsberechtigt.
1.
Anspruchsberechtigt ist insbesondere, wer im Inland einen Wohnsitz hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) für ein nach § 63 EStG zu berücksichtigendes Kind. Als Kinder werden neben leiblichen Kindern (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG) u. a. auch von dem Berechtigen in seinen Haushalt aufgenommene Enkel (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 EStG) berücksichtigt.
2.
Neben der Klägerin, die als leibliche Mutter anspruchsberechtigt ist, hatte im Streitfall auch die Großmutter Anspruch auf Kindergeld, weil sie ihren Enkel im April 1997 in ihren Haushalt in Friedland aufgenommen hat. In den Haushalt aufgenommen ist ein Kind, wenn es zum Haushalt des Berechtigten gehört. Das ist der Fall, wenn es dort wohnt, versorgt und betreut wird (BFH- Urteil vom 13.12.1985 VI R 203/84, BFHE 145, 551, BStBl. II 1986, 344). Der Sohn der Klägerin hatte nach Meinungsverschiedenheiten mit seinen Eltern unter Mitnahme seiner Kleidung die elterliche Wohnung verlassen, um bei seiner Großmutter zu wohnen. Diese gewährte ihm nach dem glaubhaften Bekunden des Zeugen sowohl Unterkunft als auch Verpflegung und wusch zudem seine Wäsche. Hierdurch nahm sie ihren Enkel in ihren Haushalt auf.
3.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es für die Haushaltsaufnahme nicht auf die Zustimmung oder Billigung des Sorgeberechtigten an. Zwar umfasst die elterliche Sorge auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind, welches der Mutter nach dem Auszug des Sohnes weiterhin zustand (§§ 1626 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 1631 Abs. 1 BGB). Die Gewährung des Kindergeldes knüpft jedoch nicht an die zivilrechtliche Erziehungsberechtigung, sondern an die tatsächliche Versorgungssituation an. Das Kindergeld wird im Rahmen eines dualen Systems des Familienleistungsausgleichs gewährt. Neben der Zahlung von Kindergeld besteht alternativ ein Anspruch auf Gewährung eines Kinderfreibetrages, soweit dieser eine größere steuerliche Freistellung als das Kindergeld bewirkt. Hierdurch gewährleistet der Gesetzgeber die steuerliche Freistellung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen, der tatsächlich seiner Unterhaltspflicht durch Gewährung von Bar- oder Naturalunterhalt nachkommt (vgl. § 32 Abs. 6 EStG). Soweit eine steuerliche Freistellung - etwa mangels steuerpflichtigen Einkommens - nicht oder nicht in vollem Umfang erforderlich ist, wird das Kindergeld weiterhin als Sozialleistung gewährt (vgl. Blümich/Heuermann, EStG, § 62 Rz. 20).
Das Kindergeld dient nach der gesetzlichen Regelung der Berücksichtigung der tatsächlich eintretenden Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch die Gewährung von Unterhalt (vgl. Bundestags-Drucksache 13/1558, 155 zu Nr. 21 b). Es knüpft dadurch erkennbar an die tatsächliche Unterhaltsgewährung an, die der Gesetzgeber typisierend im Fall der Haushaltszugehörigkeit unterstellt. Die familienrechtliche Berechtigung, den Ort des Aufenthaltes des Kindes zu bestimmen, ist für die wirtschaftliche Belastung und die damit einhergehende Minderung der "wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit" nicht erforderlich.
Andererseits beeinträchtigt die steuerrechtliche Regelung die Klägerin nicht in ihrem Personensorgerecht. Denn es blieb ihr unbenommen, den Aufenthalt des Sohnes zum Wohle des Kindes abweichend zu bestimmen und diese Aufenthaltsbestimmung auch gerichtlich durchzusetzen. In diesem Fall wäre der Kindergeldanspruch der Großmutter mit der Rückführung des Kindes entfallen, so dass die Klägerin als alleinige Anspruchsberechtigte verblieben wäre. Dementsprechend sieht der Senat in der gesetzlichen Regelung keinen Verstoss gegen Art. 6 GG. Der besondere Schutz der Familie erfordert es nicht, dass eine steuerliche Entlastung der Familie auch dann eintritt, wenn die Belastung, zu deren Ausgleich die Entlastung führen soll, entfällt (vgl. zuletzt BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998 2BvL 42/93, BStBl. II 1999, 174; BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998 2BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BStBl. II 1999, 182).
4.
Mit der Aufnahme des Enkels in den Haushalt der Großmutter wurde diese neben ihrer Tochter Berechtigte iSd. § 63 EStG. Hierdurch verlor die Klägerin zugleich ihren Kindergeldanspruch, da die Großmutter vorrangig berechtigt war. Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Die Regelung bedeutet zum einen, daß das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird; zum anderen ergibt sich aus der Vorschrift, daß eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, nicht stattfindet. Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Entsprechend dieser Regelung ist der Beklagte verfahren, in dem er die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin aufhob und der Großmutter auf ihren Antrag Kindergeld gewährte. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.