Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.05.2000, Az.: 14 K 333/98 Ki

Kindergeldanspruch türkischer Staatsangehöriger mit bloßer Aufenthaltsbefugnis; Abgrenzung Aufenthaltsbeilligung/Aufenthaltsbefugnis

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
09.05.2000
Aktenzeichen
14 K 333/98 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21875
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0509.14K333.98KI.0A

Fundstelle

  • DStRE 2000, 1191-1192 (Volltext mit amtl. LS)

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung von Kindergeld für die Kinder ... und ... für den Zeitraum ... .

2

Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Mit Bescheid vom ... hob das beklagte Arbeitsamt die Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder ... und ... mit Ablauf des Monats ... auf. Zur Begründung führte es aus, die Kinder könnten ab ... nicht mehr berücksichtigt werden, weil die Klägerin weder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis noch einer Aufenthaltsberechtigung sei (§ 62 Abs. 2 EStG), sondern lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfüge. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

3

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, es sei entsprechend der jüngsten Entscheidung des europäischen Gerichtshofes zu den Anspruchsvoraussetzungen von Ausländern auf Erziehungsgeld rechtswidrig, den Anspruch von Ausländern auf Kindergeld von der zusätzlichen Voraussetzung einer Aufenthaltsgenehmigung in Form einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung abhängig zu machen.

4

Im Verlauf des Klageverfahrens, am ... , ist der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Daraufhin hat das Arbeitsamt ab ... die Kindergeldzahlung wieder aufgenommen. Die Klägerin hat den Rechtsstreit insoweit, als Kindergeld ab ... geltend gemacht wurde, für erledigt erklärt.

5

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom ... i.d.F. des Einspruchsbescheides ... vom ... aufzuheben und der Klägerin für die Zeit von ... Kindergeld in gesetzlicher Höhe für die Kinder ... und ... zu gewähren.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Auch er hat den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt, als Kindergeld für die Zeit ab ... beantragt worden ist.

8

Die Klägerin könne sich nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) vom 04.05.1999 C 262/96 berufen, wonach sich türkische Staatsangehörige, die sich im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung befinden, auf Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 (ARB 3/80) stützen können, um Kindergeld zu erhalten. Denn im vorliegenden Fall sei der Klägerin zunächst eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz und anschließend eine Aufenthaltsbefugnis erteilt worden. Personen, die als Asylbewerber nach Deutschland eingereist seien, zunächst eine Aufenthaltsgestattung und anschließend eine Aufenthaltsbefugnis erhalten haben, seien durch das Assoziationsabkommen EWG/Türkei und die auf seiner Grundlage ergangenen Beschlüsse nicht begünstigt. Ziel bzw. Gegenstand des Assoziationsabkommens EWG/Türkei sei die Errichtung einer Assoziation zur Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen und einer schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Vertragsparteien. Das Abkommen und die entsprechenden Beschlüsse sollen danach Personen begünstigen, die zur Arbeitssuche bzw. Arbeitsaufnahme nach Deutschland kommen, nicht hingegen Personen, die aus anderen, insbesondere politischen Gründen ihr Herkunftsland verlassen und als Asylbewerber nach Deutschland eingereist seien. Der Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 15.10.1998 B 14 EG 7/97 R.

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Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit der Entscheidung durch den/die Berichterstatter/in einverstanden erklärt (§ 79a Abs. 3, 4 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Gründe

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Die Klage ist unbegründet.

11

1.

Gemäß § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) hat ein Ausländer Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist.

12

Im Streitfall war die Klägerin während des Zeitraumes ... unstreitig nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Aufenthaltserlaubnis, sondern besaß lediglich eine Aufenthaltsbefugnis. Diese Aufenthaltsbefugnis steht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 62 Abs. 2 EStG der weitergehenden Aufenthaltsberechtigung bzw. Aufenthaltserlaubnis nicht gleich (vgl. BFH-Beschluss vom 01.12.1997 VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696; vom 14.08.1997 VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169). Eine erweiternde über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG dahingehend, dass Kindergeld auch Ausländern mit Aufenthaltsbefugnis gewährt werden müsse, kommt nach Auffassung des Gerichtes nicht in Betracht. Denn dies würde dem Willen des Gesetzgebers widersprechen. Es sollte nur denjenigen Ausländern ein Anspruch auf Gewährung von Kindergeld zustehen, die erwartungsgemäß auf Dauer in Deutschland bleiben. Diese Voraussetzung hat der Gesetzgeber typisierend auf die Fälle der Aufenthaltsberechtigung und Aufenthaltserlaubnis beschränkt (vgl. Bundestagsdrucksache 12/5502 zu Art. 5 Bundeskindergeldgesetz Nr. 1 S. 44 linke Spalte).

13

2.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes C 262/96 vom 4. Mai 1999 berufen. Denn dieser Entscheidung liegt ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass es sich im oben genannten Urteilsfall um türkische Staatsangehörige handelte, die eine zu einem bestimmten Zweck erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung besaßen. Im Streitfall hatte die Klägerin keine solche Aufenthaltsbewilligung, sondern lediglich eine Aufenthaltsbefugnis. Das erkennende Gericht schließt sich der Auffassung des Beklagten an, dass unter Berücksichtigung des Ziels des Assoziationsabkommens EWG/Türkei und der auf dieser Grundlage durch den Assoziationsrat erlassenen Beschlüsse sich die Klägerin nicht auf Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 vom 19.09.1980 berufen kann. Gegenstand des Assoziationsabkommens EWG/Türkei ist die Errichtung einer Assoziation, die die Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Parteien fördern soll, und zwar auch auf dem Gebiet der Arbeitskräfte durch schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu verbessern und später den Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern. Vorgesehen ist, dass der Assoziationsrat Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedsstaat in einen andern zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnenden Familien erläßt. Auf dieser Grundlage ist der Beschluss ARB 3/80 erlassen worden, der bezweckt, die Gewährung der Leistungen der sozialen Sicherheit für die türkischen Wanderarbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen (vgl. Urteil des EUGH vom 04.05.1999 C 262/96 Rdz. 70, 71).

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Personen, wie die Klägerin, die nicht als Arbeitnehmer, sondern als Asylbewerber nach Deutschland einreisen, zunächst eine Aufenthaltsgestattung anschließend eine Aufenthaltsbefugnis erhalten haben, werden vom Regelungsgehalt des Art. 3 ARB 3/30 damit nicht erfaßt (vgl. auch Urteil FG Rheinland-Pfalz vom 08.09.1998 2 K 2268/97, EFG 1998, 1598; Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 27.11.1997 2 K 4895/97, EFG 1998, 750).

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3.

Das Vorbringen der Klägerin, es sei im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Gewährung von Erziehungsgeld rechtswidrig, der Klägerin die Gewährung von Kindergeld zu versagen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Insoweit hat die Klägerin keine substantiierten Ausführungen gemacht.

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4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO. Der Klägerin waren auch insoweit, als der Klage durch Gewährung des Kindergeldes ab stattgegeben wurde, die Kosten aufzuerlegen, da der Klageerfolg auf einem erst während des Klageverfahrens eingetretenen Ereignis (Erteilung der Aufenthaltserlaubnis) beruht. Ohne Eintritt dieses Ereignisses wäre die Klage in vollem Umfang erfolglos geblieben (vgl. BFH-Beschluss vom 09.06.1988 VII R 129/87, BFH/NV 1990, 122).