Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.05.2000, Az.: 12 K 503/95
Karenzzeit zur Verzinsung von Steuererstattungsansprüchen grds. 15 Monate; bei überwiegend land- und forstwirtschaftlichen Einkünften 21 Monate
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 10.05.2000
- Aktenzeichen
- 12 K 503/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 35708
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0510.12K503.95.0A
Rechtsgrundlagen
- AO § 233a Abs. 2
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Zinslauf für Steuererstattungsansprüche beginnt grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, § 233 a Abs. 2 AO .
- 2.
Überwiegen die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung die anderen Einkünfte, beträgt die Karenzzeit 21 Monate.
- 3.
Liegen insgesamt positive Einkünfte vor, überwiegen die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft die anderen Einkünfte, wenn sie mehr als 50 v. H. ausmachen.
- 4.
Sind die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft negativ, so überwiegen die anderen Einkünfte, sofern sie entweder positiv oder aber in einem geringeren Maße negativ sind.
- 5.
Das "wirtschaftliche Gewicht" einer Einkunftsart wird nicht durch absolute Zahlen geprägt, da hohe Gewinne oder Verluste häufig von Zufälligkeiten oder Gestaltungsüberlegungen bestimmt sind.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Beginn der Verzinsung eines Einkommensteuererstattungsbetrages für das Jahr 1991.
Der Kläger (Kl.) gab seine Einkommensteuererklärung 1991 am 27.01.1993 beim Beklagten (Finanzamt FA -) ab.
Der Kl. erklärte hierin folgende Einkünfte:
Land- und Forstwirtschaft (LuF) | ./. 150.728,00 DM |
---|---|
Gewerbebetrieb | ./. 3.119.539,00 DM |
nichtselbständige Arbeit | 56.674,00 DM |
Kapitalvermögen | 1.814.713,00 DM |
Vermietung und Verpachtung | ./. 97.106,00 DM |
Das FA erließ unter dem 08.06.1994 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1991. Aufgrund von Steueranrechnungs- und Steuerabzugsbeträgen ergab sich ein Guthaben in Höhe von 933. 441 DM für den Kl. Daneben setzte das FA Erstattungszinsen gem. § 233 a Abgabenordnung (AO) in Höhe von 37. 336 DM fest. Den Zinsbetrag errechnete es aus dem abgerundeten Guthaben von 933. 400 DM für den Zeitraum vom 01.10.1993 bis zum 11.06.1994 (acht volle Monate zu 0,5 v.H. = 4,0 v.H.). Das FA hatte demnach bei der Zinsfestsetzung eine Karenzzeit ( § 233 a Abs. 2 AO) von 21 Monaten zugrunde gelegt, da es die Auffassung vertrat, dass im vorliegenden Fall die Einkünfte des Kl. aus Land- und Forstwirtschaft (LuF) die anderen Einkünfte überwiegen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kl. nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Mit seiner Klage vertritt er die Auffassung, dass die Zinsberechnung fehlerhaft sei. Zu Unrecht habe das FA im vorliegenden Fall eine Karenzzeit gem. § 233 a Abs. 2 AO von 21 Monaten angenommen. Diese verlängerte Karenzzeit komme nur dann in Betracht, wenn die LuF-Einkünfte die anderen Einkünfte überwiegen. Sei dies nicht der Fall, komme eine Karenzzeit von lediglich 15 Monaten in Betracht. Im vorliegenden Fall sei nicht davon auszugehen, dass die LuF-Einkünfte die anderen Einkünfte des Kl. überstiegen hätten. Die Ansicht des FA, wonach bei negativen Einkünften die LuF-Einkünfte die anderen Einkünfte dann überwiegen, wenn die LuF-Einkünfte in geringerem Maße negativ seien, sei nicht zutreffend.
Bei den zu vergleichenden Beträgen sei vielmehr auf absolute Werte d.h. Zahlen, die nicht von einem Vorzeichen abhängig seien abzustellen. Sodann seien die reinen Werte, unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ seien, zu vergleichen.
Unter Zugrundelegung dieser Vergleichsmethode ergäben sich folgende Zahlen:
LuF | übrige |
---|---|
150.728,00 DM | 3.119.539,00 DM |
56.674,00 DM | |
1.814.713,00 DM | |
97.106,00 DM | |
Summe: | 5.088.032,00 DM |
Diese Vergleichsmethode berücksichtige Sinn und Zweck der verlängerten Karenzfrist von 21 Monaten. Die Verlängerung der Karenzzeit sei nämlich aufgrund eines Gesetzentwurfes des Bundesrates zum Abbau steuerlicher Härten für die Landwirtschaft am 06.08.1987 dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden und habe im Steuerreformgesetz 1990 seine Berücksichtigung gefunden (BT-Drucksache 11/676). Die Verlängerung der Karenzzeit auf 21 Monate solle den regelmäßig abweichenden Wirtschaftsjahren bei LuF-Betrieben gem. § 4 a Einkommensteuergesetz (EStG) Rechnung tragen.
Soweit das FA auch für den vorliegenden Fall die verlängerte Karenzzeit anwende, sei dies nicht zutreffend, weil die verlängerte Karenzfrist gerade der Förderung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe dienen solle. Das Bestreben des Gesetzgebers sei so zu verstehen, dass nicht jeder Steuerpflichtige, der in geringerem Umfang Einkünfte aus LuF erziele, die verlängerte Karenzzeit von 21 Monaten bei der Berechnung der Zinsen zur Einkommensteuer berücksichtigen könne.
Der Kl. beantragt,
1. unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28.06.1995 und Änderung des Bescheides für 1991 über Zinsen zur Einkommensteuer vom 08.06.1994 den Zinsanspruch des Kl. für 1991 auf 65. 338 DM festzusetzen;
2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens: die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
1. die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens: die Revision zuzulassen.
Das FA ist der Auffassung, dass im Streitfall von einer verlängerten Karenzzeit von 21 Monaten auszugehen sei, da die Einkünfte aus LuF die anderen Einkünfte überwiegen. Seien die Einkünfte aus LuF negativ, so überwiegen die anderen Einkünfte nur dann, wenn diese positiv oder in geringerem Maße negativ seien. Zum Vergleich seien deshalb zunächst die anderen Einkünfte zu saldieren; anschließend sei zu prüfen, ob die Einkünfte aus LuF in geringerem Maße negativ seien. Danach seien im vorliegenden Fall folgende Beträge zu vergleichen:
Luf | übrige |
---|---|
./. 150.728,00 DM | ./. 3.119.539,00 DM |
+ 56.674,00 DM | |
+ 1.814.713,00 DM | |
./. 97.106,00 DM | |
Summe: | ./. 1.345.258,00 DM |
Aus dieser Aufstellung ergebe sich, dass die Summe der übrigen Einkünfte einen höheren Negativbetrag ergebe. Es liege deshalb ein Überwiegen der Einkünfte aus LuF vor.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Zutreffend ist das beklagte FA im Streitfall von einer verlängerten Karenzzeit von 21 Monaten gem. § 233 a AO ausgegangen.
Nach § 233 a Abs.1 AO sind Steuererstattungsansprüche zu verzinsen. Nach § 233 a Abs. 2 AO beginnt der Zinslauf grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Er beginnt jedoch für die Einkommensteuer 21 Monate nach diesem Zeitpunkt, wenn die Einkünfte aus LuF bei der erstmaligen Steuerfestsetzung die anderen Einkünfte überwiegen. Der Zinslauf endet mit der Fälligkeit der Steuererstattung, spätestens jedoch vier Jahre nach seinem Beginn.
Der Senat ist im Streitfall zu der Überzeugung gelangt, dass die Einkünfte aus LuF die anderen Einkünfte überwiegen. Demgemäß war die verlängerte Karenzzeit von 21 Monaten anzuwenden.
Bei Land- und Forstwirten mit abweichendem Wirtschaftsjahr wird zeitanteilig auch der Gewinn oder Verlust des Wirtschaftsjahres zur Steuer herangezogen, das erst im folgenden Kalenderjahr endet ( § 4 a Abs. 2 Nr. 1 EStG). Die Land- und Forstwirte unterscheiden sich insoweit von Gewerbetreibenden mit abweichendem Wirtschaftsjahr, bei denen der Gewinn als in dem Kalenderjahr bezogen gilt, in dem das Wirtschaftsjahr endet. Die allgemeine Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung endet für Land- und Forstwirte folgerichtig nicht vor Ablauf des dritten Monats, der auf den Schluss des in dem Kalenderjahr begonnenen Wirtschaftsjahres folgt ( § 149 Abs. 2 Satz 2 AO). Nach den jährlich herausgegebenen gleichlautenden Ländererlassen zur Abgabe von Steuererklärungen werden für Land- und Forstwirte, die steuerlich beraten sind, die Erklärungsfristen allgemein mindestens bis zum 31.12. des Folgejahres, ggf. auch noch bis zum 31. Mai des übernächsten Jahres verlängert. Im ungünstigsten Fall, nämlich demjenigen der Forstwirte, deren Wirtschaftsjahr zum 31.09. endet, würde die Verzinsung ohne besondere Karenzzeit von 21 Monaten bereits sechs Monate nach Ablauf des Ermittlungszeitraumes und drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist einsetzen.
Die Sonderkarenzzeit von 21 Monaten gilt jedoch nur für solche Land- und Forstwirte, deren land- und forstwirtschaftliche Einkünfte die übrigen Einkünfte überwiegen. Hierdurch soll vermieden werden, dass andere Einkünfte als solche aus LuF bei diesen Steuerpflichtigen begünstigt werden, insbesondere in denjenigen Fällen, in denen nur geringfügige Einkünfte aus LuF, aber erhebliche andere Einkünfte erzielt werden. Es wäre im Vergleich zu anderen Steuerpflichtigen ohne land- und forstwirtschaftliche Einkünfte in diesen Fällen nicht vertretbar, bei Land- und Forstwirten auch diese anderen Einkünfte zu begünstigen. Für den Fall, dass insgesamt positive Einkünfte vorliegen, überwiegen die Einkünfte aus LuF die anderen Einkünfte, wenn sie mehr als 50 v.H. ausmachen. Sind andererseits aber - wie im Streitfall - die Einkünfte aus LuF negativ, so überwiegen die anderen Einkünfte dann, wenn diese entweder positiv oder aber in einem geringeren Maße negativ sind (so auch Krabbe, NWB Fach 2 S. 5121 ; BMF-Anwendungserlass zur Abgabenordnung vom 03.08.1994, Tz. 9).
Der Senat folgt damit nicht der im Schrifttum vertretenen Rechtsauffassung, wonach negative Einkünfte aus LuF die anderen Einkünfte nur dann überwiegen, wenn der absolute Betrag der Verluste den Gesamtbetrag der negativen und positiven Einkünfte der anderen Einkunftsarten übersteigt (z.B. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, § 233 a AO , Tz. 6; Felix, StKongRep. 1989, 413). Nach dieser Meinung soll das wirtschaftliche Gewicht einer Einkunftsart ohne Berücksichtigung der Vorzeichen besser zum Ausdruck kommen. Die Auffassung widerspricht jedoch zum einen bereits dem Wortlaut des § 233 a Abs. 2 AO . Die Vorschrift stellt auf den Begriff der Einkünfte ab, der sich aus § 2 EStG ergibt. Einkünfte sind danach der Gewinn oder der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten, die der Steuerpflichtige im Rahmen der sieben Einkunftsarten ( § 2 Abs. 2 EStG) erzielt. Sind die Aufwendungen höher als die Erträge/Einnahmen, so spricht man von Verlusten, d.h. von negativen Einkünften. Würde man demgegenüber der Rechtsauffassung des Kl. folgen, so bliebe der Einkünftebegriff völlig unberücksichtigt.
Im Übrigen ist der Senat aber auch der Auffassung, dass das wirtschaftliche Gewicht einer Einkunftsart nicht durch absolute Zahlen geprägt wird. Hohe Gewinne oder Verluste sind häufig von Zufälligkeiten oder Gestaltungsüberlegungen des Steuerpflichtigen bestimmt und können keinesfalls durch absolute Zahlen belegt werden. Gerade der Streitfall zeigt dies deutlich. Die negativen Einkünfte des Kl. aus LuF beruhen auf einer Beteiligung an einem Forstbetrieb. Es handelt sich wie die Prozessbevollmächtigte des Kl. in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat um ein großes Waldstück. Gerade bei derartigen Ländereien können insbesondere durch Unwetter oder andere unvorhergesehene Umstände (z.B. Sturm bzw. Orkan) erhebliche Schäden eintreten, die zu weitaus höheren Verlusten aus derartigen Betrieben führen. Die absoluten Zahlen sagen mithin nichts über das wirtschaftliche Gewicht einer Einkunftsart aus.
Der Senat hält sich demgemäß an den Wortlaut des § 233 a Abs. 2 AO . Er sieht auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift keine Möglichkeit, von diesem Wortlaut abzuweichen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO .
Der Senat hat gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Über den Begriff des Überwiegens i.S.d. § 233 a Abs. 2 Satz 2 AO ist bisher von der Rechtsprechung nicht entschieden worden. Wie die obigen Ausführungen zeigen, gibt es hierzu unterschiedliche Auffassungen im Schrifttum, so dass insgesamt die Zulassung der Revision gerechtfertigt ist.