Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.05.1991, Az.: 1 L 137/89

Anforderungen an die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Betriebsinhaberwohnung in einem als Industriegebiet ausgewiesenen Bereich nach Maßgabe des § 21 Abs. 8c BauNVO; Notwendigkeit einer Wohnung aus betrieblichen Gründen als Zubehör zum Betrieb

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.05.1991
Aktenzeichen
1 L 137/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 21435
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1991:0527.1L137.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 22.03.1989 - AZ: 2 VG A 55/88

Verfahrensgegenstand

Genehmigung einer Betriebsleiterwohnung

Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 1991
durch
den Richter am Oberverwaltungsgericht Figge als Vorsitzenden,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bock und
den Richter am Verwaltungsgericht Armborst sowie
die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 22. März 1989 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 1987 - soweit er die Genehmigung für den Umbau und die Umnutzung von Lagerräumen sowie ein Nutzungsverbot erläßt - und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 26. Januar 1988 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger auf seinen Bauantrag vom 13. Februar 1989 erneut zu bescheiden. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der in xxx wohnhafte Kläger ist Eigentümer des ca. 18.000 m2 großen Grundstücks xxx, xxx 4. Dort betreibt er eine Kraftfahrzeugverwertung und einen Abschleppdienst. Auf dem Gelände lagern im Freien ca. 2.500 Fahrzeuge sowie teilweise in verschließbaren Hallen Vorräte an Ersatzteilen und Zubehör. Das von einem hohen Zaun umschlossene Grundstück liegt im Bereich des als Bebauungsplan übergeleiteten Baunutzungsplans der Beklagten in Verbindung mit den ebenfalls übergeleiteten Bestimmungen der Bauverordnung der Stadt xxx vom 29. Mai 1957/30. Oktober 1963, die für diesen Bereich als Art der baulichen Nutzung handwerkliche, gewerbliche und industrielle Betriebe ohne Einschränkung zulassen (Baugebiet I 1).

2

Nachdem die Beklagte 1985 davon Kenntnis erlangt hatte, daß der Kläger die Lagerräume über einer auf dem Grundstück befindlichen Werkhalle in eine Wohnung mit einer Grundfläche von ca. 155 m2 umgebaut hatte, forderte sie ihn zur Vorlage eines Bauantrages auf, der erst im März 1987 eingereicht wurde. Diesen Bauantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 1987 ab und untersagte die Nutzung der bereits hergestellten Räume als Betriebsleiterwohnung. Die Ablehnung wurde damit begründet, daß die Wohnnutzung im Industriegebiet grundsätzlich verboten sei und betriebliche Bedürfnisse, die ausnahmsweise eine Rechtfertigung bilden könnten, nicht vorlägen. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung xxx Bescheid vom 26. Januar 1988 - zugestellt am 11. Februar 1988 - zurück.

3

Der Kläger hat am 9. März 1988 Klage erhoben und vorgetragen: Die Betriebsleiterwohnung, die in dem Bereich unter erleichterten Bedingungen zulässig sei, sei aus betriebsbedingten Gründen dringend notwendig, um wiederkehrenden Diebstählen und Sachbeschädigungen entgegenzuwirken. Denn die ständige Anwesenheit eines für den Betrieb Verantwortlichen sei eine bessere Sicherung als in unregelmäßigen Abständen erfolgende Kontrollgänge. Es sei auch nicht zu erwarten, daß von der gewerblichen Nutzung der umliegenden Grundstücke nachteilige Wirkungen auf sein Grundstück ausgingen, die einer Wohnnutzung zuwiderliefen. Davon abgesehen könnte die Errichtung einer Betriebsleiterwohnung keine öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzansprüche begründen. Die von der Beklagten angenommenen Voraussetzungen für die Genehmigung - unabweisbares betriebliches Bedürfnis - fänden in der Bauverordnung keine Grundlage. Ein Ermessen stehe der Beklagten nicht zu.

4

Der Kläger hat beantragt,

die in der Baugenehmigung vom 14. Mai 1987 enthaltene Ablehnung der Genehmigung einer Betriebsleiterwohnung und die Nutzungsuntersagung sowie den Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Baugenehmigung zum Umbau der Lagerräume in eine Betriebsleiterwohnung zu erteilen.

5

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Sie hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die Klage nach Ortsbesichtigung durch Urteil vom 22. März 1989 abgewiesen. In den Gründen heißt es: Die Voraussetzungen für die Genehmigung - Notwendigkeit aus betrieblichen Gründen als Zubehör zum Betrieb - lägen für eine Betriebsleiterwohnung nur vor, wenn die Art des Betriebes die ständige Präsens einer Person erfordere. Der Umstand, daß die Anwesenheit des Klägers außerhalb der Geschäftsstunden förderlich und zweckmäßig sein möge, reiche nicht aus. Auch die Tätigkeit im Rahmen des Abschleppdienstes erfordere keine Wohnung auf dem Betriebsgrundstück. Der Kläger könne auch von seiner in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnung mit dem betreffenden Abschleppfahrzeug tätig werden oder zu seinem Betriebsgrundstück fahren, und von dort aus zum Einsatz fahren.

8

Gegen dieses dem Kläger am 23. Mai 1989 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung vom 23. Juni 1989, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wie folgt vertieft: Da das Betriebsgelände überwiegend mit Autowracks vollgestellt sei, könne nicht davon ausgegangen werden, daß dort unter Ausnutzung der Ausnahmevorschrift ohne zwingende Notwendigkeit gewohnt werden solle. Die Bebauung werde faktisch geprägt von Gewerbebetrieben, wie sie in Gewerbegebieten oder sogar in Mischgebieten zulässig seien. Nach dem derzeitigen Flächennutzungsplan seien auch die angrenzenden Gebiete als gewerbliche Bauflächen vorgesehen. Ein wirksamer Schutz gegen Diebstahl und Sachbeschädigungen könne nur durch ständige Anwesenheit des Betriebsleiters gewährleistet werden. Denn gerade der Umstand, daß wertvolle Fahrzeuge im Freien gelagert werden müßten, biete für Interessenten, die sich möglicherweise schon während der Geschäftsstunden nach geeigneten Objekten umsähen, einen besonderen Anreiz zum Diebstahl. Der Zaun um das Grundstück sei dabei kein ernsthaftes Hindernis. Im übrigen ergäbe sich die Notwendigkeit seiner ständigen Anwesenheit aber auch aus der Teilnahme am Abschleppdienst, der mit anderen Unternehmen im öffentlichen Interesse durchgeführt werde und in dessen Rahmen mehrere Wochen im Jahr Bereitschaftsdienst nachts und an Wochenenden anfalle. Die Einsätze könnten nicht von seiner Wohnung in Lamme gefahren werden, weil dort im reinen Wohngebiet keine Abschleppfahrzeuge abgestellt werden dürften. Die jeweilige Anfahrt von seiner Privatwohnung zum Betriebsgrundstück, um dort das Abschleppfahrzeug zu holen, sei viel zu zeitaufwendig, da er dort erst nach zwanzig Minuten Fahrzeit sein könne. Das Betriebsgrundstück läge dagegen unmittelbar an der Autobahn.

9

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und nach seinem im ersten Rechtszug gestellten Antrag zu erkennen.

10

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Sie schließt sich den Gründen des angefochtenen Urteils an und trägt ergänzend vor: Der Abschleppdienst rechtfertige die Betriebsleiterwohnung gleichfalls nicht. Die damit verbundenen Tätigkeiten erforderten ohnehin den Einsatz mehrerer Personen, die nicht am Arbeitsplatz wohnen müßten. Denn nach Auskunft des ADAC müßten mehrere Abschleppfahrzeuge verfügbar und stets unverzüglich im 24-Stundendienst an sieben Tagen pro Woche abrufbereit sein.

12

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Senat vorgelegen.

13

Es ist Beweis erhoben worden durch Einnahme des Augenscheins an Ort und Stelle. Wegen des Ergebnisses dieser Augenscheinseinnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls verwiesen.

14

II.

Die Berufung hat überwiegend Erfolg.

15

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hält der Senat wegen der besonderen Art des Betriebes des Klägers die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Betriebsinhaberwohnung bzw. einer Wohnung für eine Aufsichtsperson auf dem Grundstück des Klägers für vertretbar. Die Verpflichtung zur Erteilung der Baugenehmigung kann allerdings noch nicht ausgesprochen werden, weil eine bauordnungsrechtliche Überprüfung des bereits erstellten Objekts aussteht. Nach dem gemäß § 173 Abs. 3 BBauG als Bebauungsplan übergeleiteten Baunutzungsplan der Stadt xxx in Verbindung mit der Bauverordnung der Stadt xxx vom 29. Mai 1957/30, Oktober 1963 (Braunschweiger Amtsblatt 1964 S. 12) liegt das Grundstück des Klägers in einem als Industriegebiet (Baugebiet I 1) im Sinn der Planung ausgewiesenen Bereich (§ 20 Abs. 2 BauVO). Dort sind nach § 21 Abs. 8 b handwerkliche, gewerbliche und industrielle Betriebe ohne Einschränkung zulässig. Dem entsprechen auch die bei der Ortsbesichtigung festgestellten tatsächlichen Nutzungen der Umgebung. Für die Zulässigkeit von Wohnungen verweist Abs. 8c Satz 2 auf die Bestimmungen für Handwerksgebiete. Dort wird in Absatz 7c gesagt, daß selbständige Wohngebäude und Wohnungen in Betriebsgebäuden unzulässig seien, die nicht aus betrieblichen Gründen als Zubehör zum Betriebe notwendig sind. Die Bestimmung hat also Ausnahmecharakter. Ihre Regelung ist ähnlich wie die des § 8 Abs. 3 BauNVO, die in Gewerbegebieten Wohnungen für Betriebsinhaber und Aufsichtspersonen nur ausnahmsweise zuläßt. Zu dieser Bestimmung hat die Rechtsprechung (OVG Münster, BRS Bd. 33 Nr. 28) einen sehr strengen Maßstab angelegt, weil eine Wohnbebauung möglicherweise die gewerbliche Nutzung der Nachbarn einschränken kann, selbst wenn den Bewohnern solcher Wohnungen ein wesentlich höheres Maß an Störungen zugemutet werden wird. Regelmäßig wird eine Wohnung nur dann zuzulassen sein, wenn die Produktionsabläufe selbst die ständige Anwesenheit von Personen erforderlich machen. Im Streitfall ist der Senat jedoch aufgrund der Ortsbesichtigung und dem ergänzenden Vortrag des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, daß die Wohnung aufgrund der besonderen betrieblichen Verhältnisse als Zubehör zum Betrieb notwendig ist. Zwar kann die Tatsache, daß bei unbewohnten Gewerbegrundstücken die Gefahr von Einbrüchen und Sachbeschädigungen verstärkt gegeben sein wird, allein noch keine betriebliche Notwendigkeit begründen, weil dies, für nahezu alle Gewerbegrundstücke zutreffen wird und hier regelmäßig andere Sicherungsmaßnahmen ausreichend sein werden, aber die Sondersituation ergibt sich beim Kläger aus der Art der Lagerung seiner Verkaufsobjekte. Die Vielzahl der Fahrzeuge, unter denen sich nach seinem unwidersprochenen Angaben auch wertvolle Wagen finden, kann zwangsläufig nicht in verschließbaren Hallen aufgestellt werden und ist deshalb draußen leichter dem Zugriff von Rechtsbrechern ausgesetzt, die nur den Zaun überwinden müssen, was mit entsprechendem Gerät keine Schwierigkeiten machen dürfte. Unter diesen Umständen hat die ständige Anwesenheit von Personen eine größere Abschreckungswirkung als unregelmäßige Kontrollen, Verstärkung des Zaunes oder das bloße Halten von Hunden. Daher muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Beklagte verpflichtet werden, unter Berücksichtigung der vorstehend genannten Gesichtspunkte erneut über den Bauantrag zu entscheiden. Offenbleiben konnte, ob die Teilnahme am Abschleppdienst ebenfalls die Errichtung einer Betriebsleiterwohnung gerechtfertigt hätte.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

18

Rechtsmittelbelehrung

19

Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim

20

Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht,

21

durch Beschwerde angefochten werden.

22

...

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.000,-- DM (i.W.: achttausend Deutsche Mark) festgesetzt.

Figge
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bock ist infolge Urlaubs an der Unterschriftsleistung verhindert. - Figge
Richter am Verwaltungsgericht Armborst gehört dem Oberverwaltungsgericht nicht mehr an und kann daher nicht mehr unterschreiben. - Figge