Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.09.2000, Az.: 11 M 2943/00

Aufenthaltserlaubnis; eheliche Lebensgemeinschaft; Erlaubnisfiktion; Täuschung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.09.2000
Aktenzeichen
11 M 2943/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41812
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 12.07.2000 - AZ: 11 B 2213/00

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ihren weiteren Verbleib im Bundesgebiet.

2

Die Antragstellerin wurde 1966 in der Provinz S./Türkei geboren.

3

Im Herbst 1980 reiste sie das erste Mal illegal in das Bundesgebiet ein und wurde im Dezember 1983 abgeschoben.

4

Die zweite Einreise erfolgte im Dezember 1991 als Asylsuchende mit zwei Kindern. Ihr Asylbegehren blieb jedoch ohne Erfolg. Am 1. April 1995 kehrte sie in die Türkei zurück.

5

Nachdem sie von ihrem türkischen Ehemann im Juni 1995 geschieden worden war, heiratete sie am 20. Juli 1996 einen deutschen Staatsangehörigen. Am 1. März 1997 reiste die Antragstellerin mit einem gültigen Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung in das Bundesgebiet ein. Auf ihren Antrag vom 4. März 1997 erteilte die Antragsgegnerin ihr eine bis zum 2. April 1998 befristete Aufenthaltserlaubnis. Am 27. März 1998 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung dieser Erlaubnis. Ihr wurden in der Folgezeit Bescheinigungen nach § 69 AuslG ausgestellt. Mit Bescheid vom 16. Juli 1998 verlängerte die Antragsgegnerin die Aufenthaltserlaubnis bis zum 15. Juli 1999. Nachdem umfangreiche Nachforschungen der Antragsgegnerin ergeben hatten, dass die Antragstellerin mit ihrem deutschen Ehemann nicht in ehelicher Gemeinschaft lebt, hob sie mit Bescheid vom 29. Juni 1999 den Bescheid vom 16. Juli 1998 rückwirkend auf, forderte die Antragstellerin unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf und ordnete die sofortige Vollziehung an. Dagegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Einen im August 1999 gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. November 1999 (11 B 3578/99) mangels Rechtsschutzinteresses zurück, da die am 16. Juli 1998 erteilte und mit Bescheid vom 29. Juni 1999 zurückgenommene Aufenthaltserlaubnis ohnehin nur bis zum 15. Juli 1999 befristet gewesen sei und ein Verlängerungsantrag bislang nicht gestellt worden sei. Die Antragstellerin beantragte daraufhin unter dem 15. Dezember 1999, ihr eine weitere befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Ihr derzeitiger Prozessbevollmächtigter wiederholte diesen Antrag sinngemäß mit Schreiben vom 4. Mai 2000. Gleichzeitig begehrte er (nochmals), den Bescheid vom 29. Juni 1999 aufzuheben.

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Ebenfalls im Mai 2000 begehrte die Antragstellerin erneut, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Antragsgegnerin zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Das Verwaltungsgericht lehnte dieses Begehren mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. Juli 2000 ab.

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Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Beschwerde.

II.

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Der Antrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen nicht (§ 146 Abs. 4 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat vielmehr das Begehren der Antragstellerin aller Voraussicht nach im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

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Den angestrebten dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet kann die Antragstellerin nur erreichen, wenn sie sich gegenüber der vollziehbaren Abschiebungsandrohung in dem Bescheid vom 29. Juni 1999 auf ein ihr zustehendes Recht auf weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet berufen kann. Hierfür sind indes keine zureichenden Anhaltspunkte ersichtlich.

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a) Die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach § 18 AuslG liegen nicht vor; denn dem Verwaltungsvorgang ist mit ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten nicht mehr besteht.

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b) Die Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 AuslG erfüllt die Antragstellerin ebenfalls nicht; denn die eheliche Lebensgemeinschaft hat nicht (mindestens) zwei Jahre im Bundesgebiet bestanden (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 in der ab 1. 6. 2000 geltenden Fassung des AuslG-BGBl. 2000, 742) und auch die weiteren in § 19 AuslG genannten Voraussetzungen liegen nicht vor.

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c) Ihr am 15. Dezember 1999 gestellter und am 4. Mai 2000 wiederholter Antrag auf Erteilung einer  weiteren befristeten Aufenthaltserlaubnis hat auch nicht die Fiktion des § 69 Abs. 3 AuslG herbeigeführt. § 69 Abs. 3 Nr. 1 AuslG greift nicht ein, weil sich diese Bestimmung nur auf die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach der Einreise mit einem Visum bezieht. § 69 Abs. 3 Nr. 2 ist schon deswegen nicht einschlägig, weil sich die Antragstellerin im Zeitpunkt der Antragstellung (Dezember 1999) nicht sechs Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat; denn (spätestens) ab dem 15. Juli 1999 verfügte die Antragstellerin nach dem Ausländergesetz nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

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d) Aber auch aus Art. 6 ARB 1/80 kann die Antragstellerin für sich kein Aufenthaltsrecht herleiten.

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Allerdings hat ein türkischer Staatsangehöriger nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts einen unmittelbaren Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sofern er die in Art. 6 Abs. 1 genannten Bedingungen erfüllt. Der betreffende Ausländer muss also - mindestens, vgl. Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 - ein Jahr bei demselben Arbeitgeber beschäftigt gewesen sein und es muss sich zudem um eine ordnungsgemäße Beschäftigung gehandelt haben. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechtes voraus (vgl. EuGH, Urt. v. 20. 9. 1990 - C - 192/89 - Sevince, DVBl. 1996, 529; v. 16. 12. 1992 - C 237/91 -, Kus, DVBl. 1993, 307; v. 6. 6. 1995 - C 434/93 -, Bozkurt, DVBl. 1995, 843). Der EuGH hat weiter entschieden, dass Beschäftigungszeiten nach Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, die dem türkischen Staatsangehörigen nur aufgrund einer Täuschung erteilt worden ist, nicht als ordnungsgemäß im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 angesehen werden können. Die Beschäftigungszeiten, die der türkische Staatsangehörige aufgrund einer unter solchen Umständen erlangten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt habe, beruhten nicht auf einer gesicherten Position, sondern seien als in einer vorläufigen Position zurückgelegt zu betrachten, da ihm während dieser Zeiten von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht zugestanden habe. Es sei mithin ausgeschlossen, dass die Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen einer Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund einer Täuschung erteilt worden sei, Rechte für den türkischen Arbeitnehmer entstehen lasse oder bei ihm ein berechtigtes Vertrauen begründen könne (vgl. EuGH, Urt. v. 5. 6. 1997 - C - 285/95 - Suat Kol, DVBl. 1997, 894; ebenso EuGH, Urt. v. 30. 9. 1997 - C 98/96 -, Ertanir, InfAuslR 1997, 434). Entsprechend wird auch in der nationalen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Beschäftigungszeiten, die ein türkischer Staatsangehöriger mit Aufenthaltsgenehmigungen zurückgelegt hat, die er durch eine vorsätzlich strafbare Täuschung über das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft erwirkt hat, keine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 darstellen (BVerwG, Urt. v. 17. 6. 1998 - 1 C 27.96 -, InfAuslR 1998, 424; OVG NW, Beschl. v. 29. 9. 1998, AuAS 1999, 2; Beschl. d. Sen. v. 6. 1. 1999 - 11 M 5549/98 -). Allein die Angreifbarkeit der infolge einer Täuschung von einer Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltsgenehmigung ist der entscheidende Grund, die aufenthaltsrechtliche Position eines türkischen Staatsangehörigen als nicht hinreichend gefestigt anzusehen. Entscheidend ist mithin nicht, ob - wie es der EuGH-Entscheidung vom 5.6.1997 a. a. O. zugrunde lag - eine strafrechtliche Verurteilung wegen dieser Täuschungshandlung bereits erfolgt ist (vgl. hierzu im einzelnen Hailbronner, AuslR, Aufenthaltsrecht und soziale Rechte türkischer Staatsangehöriger nach dem Assoziationsrecht EWG/Türkei, D 5.4 Anm. 29 d ff.).

16

Ausgehend von diesen Überlegungen steht der Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht über den ARB 1/80 zu.

17

Es kann offen bleiben, ob die Antragstellerin schon seit ihrer (dritten) Einreise im März 1997 über das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehegatten getäuscht hat. Nach den vorliegenden Verwaltungsvorgängen ist nämlich davon auszugehen, dass die Ehepartner zumindest seit Februar/März 1998 nicht mehr in ehelicher Gemeinschaft lebten. So hat der Ehemann der Klägerin im März 1999 erklärt, er habe immer nur unter seiner bisherigen Wohnanschrift (K.Weg 36, H.) gewohnt. Die Antragstellerin hatte aber in ihrem am 27. März 1998 gestellten Antrag auf Verlängerung der ihr nach ihrer Einreise bis zum 2. April 1998 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis als gemeinsame Wohnung die Anschrift P. 48, H., angegeben. Der Mietvertrag für diese Wohnung ist zudem, wie sich nachträglich herausstellte (vgl. die in den Verwaltungsvorgängen befindliche Kopie) bereits am 23. August 1997 abgeschlossen worden, das Mietverhältnis sollte am 1. September 1997 beginnen und Vertragspartner war lediglich die Antragstellerin, nicht jedoch ihr Ehemann. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin in der nachfolgenden Zeit wieder eine eheliche Beziehung zu ihrem Ehemann aufgenommen hat. Dem steht die Erklärung des Ehemannes vom März 1999 entgegen, er lebe von seiner Ehefrau seit dem 1. 2. 1998 dauernd getrennt. In dem Mietvertrag für die jetzige Wohnung der Antragstellerin, E. 6, H., ist ebenfalls nur die Antragstellerin als Vertragspartei bezeichnet. Das Mietverhältnis begann am 1. März 1999. Die Erklärungen der Antragstellerin und ihres Ehemannes vom 29. April 1999 vor der Ausländerbehörde, sie lebten nunmehr wieder gemeinsam im K. Weg 36, ist als Schutzbehauptung zu werten, zumal der Ehemann bereits im Mai 1999 von diesen Angaben wieder abgerückt ist und die Antragstellerin auf Nachfrage erklärt hat, für die Wohnung K. Weg 36 keine Schlüssel zu besitzen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Wohnung in der K. Straße lediglich ca. 44 qm groß ist, während die von der Antragstellerin für sich angemieteten Wohnungen über eine Größe von 64 qm (P.straße) bzw. 53 qm (E.straße) verfügen. Ist bei einer zusammenfassenden Bewertung des sich aus dem Verwaltungsvorgang ergebenden Sachverhalts mithin davon auszugehen, dass (spätestens) im Februar/März 1998 keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr bestand, ohne dass die Antragstellerin dieses der Antragsgegnerin mitteilte, könnte sie aus ihrer zuvor bereits aufgenommenen Arbeitstätigkeit nur dann über den ARB 1/80 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ableiten, wenn sie im Februar/März 1998 mindestens ein Jahr schon in einer ordnungsgemäßen Beschäftigung gestanden hätte. Das ist indes nicht der Fall. Die Klägerin hat ihre Arbeit als Reinigungskraft bei der Deutschen Bundesbahn zum 16. Juli 1997 aufgenommen. Im Februar/März 1998 war seit diesem Zeitpunkt noch kein Jahr vergangen. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin mithin keine Ansprüche aus Art 6 ARB 1/80 erwerben. Von diesem Zeitpunkt an konnte sie aber nach der oben niedergelegten Rechtsprechung des EuGH ebenfalls durch weitere Arbeitstätigkeit keinen aufenthaltsrechtlichen Anspruch mehr erwerben, da sie ihren (weiteren) Aufenthalt durch unwahre Angaben erreicht hat.

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Bei dieser rechtlichen Wertung ist nicht weiter auf die Entscheidung des EuGH vom 16. März 2000 (C - 329/97 -, Ergat, InfAuslR 2000, 217), einzugehen. Dieses Urteil, wonach ein Aufenthaltsrecht unmittelbar aufgrund des Beschlusses Nr. 1/80 zustehe, die Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis nur noch deklaratorische Bedeutung habe und ein nicht rechtzeitig gestellter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung nicht ohne weiteres die Ordnungsgemäßheit eines Aufenthalts in Frage stellen könne, greift vorliegend schon deswegen nicht ein, weil die Antragstellerin - wie oben dargelegt - zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Rechte aus dem ARB 1/80 erlangt hat.

19

2. Aus den obigen Ausführungen folgt zugleich, dass die Sache keine tatsächlichen und rechtlichen besonderen Schwierigkeiten (§ 146 Abs. 4 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) aufweist; denn die Auswirkungen unrichtiger Angaben auf mögliche Rechte aus dem ARB 1/80 sind durch die unter 1. dargestellte Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

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3. Aus den Ausführungen unter 1. ergibt sich zugleich, dass auch keine grundsätzlich klärungsbedürftigen Fragen im vorliegenden Fall anstehen (§ 146 Abs. 4 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).