Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.09.2000, Az.: 11 L 2068/00

Abschiebung; Abschiebungsschutz; ADC; Asyl; Asylantragsteller; Asylantragstellung; Asylbeantragung; Asylbewerber; China; Exilpolitik; exilpolitische Aktivität; exilpolitische Betätigung; Familienplanung; FDC; illegale Ausreise; Illegalität; Nachfluchtgrund; Nachfluchttatbestand; politische Verfolgung; Religionsausübung; Rückkehrgefährdung; Schutz; staatliche Familienplanung; VDGC; Verfolgung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.09.2000
Aktenzeichen
11 L 2068/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41989
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 26.01.2001 - AZ: BVerwG 1 B 35.01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Stellung eines Asylantrages und/oder die illegale Ausreise aus China und/oder einfache exilpolitische Tätigkeit führen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung bei Rückkehr nach China.

2. Zur Glaubensbetätigung in China.

3. Maßnahmen des chinesischen Staates bei Verstößen gegen die Familienplanungspolitik sind nicht als politische Verfolgung zu bewerten. Sie begründen auch kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4, 6 AuslG.

Tatbestand:

1

Die Klägerin, eine chinesische Staatsangehörige, begehrt ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

2

Sie wurde am 4. August 1976 geboren und lebte bis zu ihrer Ausreise in dem Dorf F., Kreis Q., Provinz Z. im Osten Chinas. Sie gehört zu den in China die weit überwiegende Mehrheit (ca. 90 %) stellenden sogenannten Han-Chinesen.

3

Dem Verwaltungsvorgang (Beiakte A 2. Teil Bl. 13) ist zu entnehmen, dass die Klägerin wohl schon einmal 1992 mit einem gültigen Visum in das Bundesgebiet reiste, aber "nach drei Tagen von den Polizei zum Rückflug nach China begleitet" wurde.

4

Erneut reiste sie am 15. Dezember 1995 aus China aus und über Hongkong/Frankfurt per Flugzeug am 18. Dezember 1995 in das Bundesgebiet ein. Am 11. Januar 1996 wurde festgestellt, dass sie in einem Chinarestaurant in H..-M. illegal arbeitete. Sie wurde in Abschiebehaft genommen, nach Stellung eines Asylantrages jedoch wieder entlassen.

5

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 15. Januar 1996 gab sie im wesentlichen an: Sie habe in China nur eine Woche die Schule besucht. Danach habe sie ihren Eltern geholfen. Diese hätten ein eigenes Haus mit einem Geschäft im Erdgeschoss besessen, in dem Essen und Bekleidung verkauft worden sei. Bis zu ihrer Ausreise habe sie dort gelebt. Mit der Ausreise habe sie keine Probleme gehabt. Von einem Schlepper habe sie einen gefälschten Pass erhalten. Zwei jüngere Schwestern und ein jüngerer Bruder lebten noch bei ihren Eltern im Heimatdorf. Ihr Großvater, Vater und sie seien Christen. In China hätten ihr Großvater und ihr Vater eine katholische Kirche gebaut. Ihr Großvater sei Priester gewesen. Sie hätten ständig neue Mitglieder geworben und zunächst 40 bis 50 neue Mitglieder gewonnen. Dann habe die Polizei sie vor weiteren derartigen Aktivitäten gewarnt und erklärt, sie dürften zwar selbst an etwas glauben, aber nicht andere werben. Sie hätten aber nicht auf die Polizei gehört, die Werbung fortgesetzt und so 60 bis 70 neue Mitglieder gezählt. Die gesamte Familie sei dann von der Polizei festgenommen und sechs Wochen inhaftiert worden. Alle hätten sich in einem Zimmer aufhalten müssen und nur zwei Essen pro Tag erhalten. Nach ihrer Freilassung hätten sie die Werbung von neuen Mitgliedern fortgesetzt und seien schließlich insgesamt 100 Mitglieder gewesen. Dann seien sie zum zweiten Mal festgenommen (ca. April 1994) und für fünf Wochen inhaftiert worden zu vergleichbaren Bedingungen. Bis November 1995 hätten sie schließlich über 200 neue Mitglieder geworben. An einem Sonntag im November habe man bemerkt, dass drei Polizisten vor der Kirche gestanden hätten. Die Gläubigen hätten daher die Kirche über einem Hinterausgang verlassen. Ihre Mutter habe gesagt, sie - die Klägerin - solle fliehen. Ihre Eltern, Freunde und ihr Großvater hätten die Polizisten aufgehalten und sie sei dann in einem Bus, der an einer vor der Kirche gelegenen Bushaltestelle gerade gehalten habe, eingestiegen. Sie habe sich zunächst bei Bekannten versteckt, bis sie einen Schleuser gefunden habe. Ihre Eltern und ihr Großvater seien festgenommen worden. Sie seien seitdem verschwunden. Die Klägerin führte weiter aus, sie sei in China jeden Sonntag in den Gottesdienst gegangen, habe Kleidung und Getreide für die Armen gespendet. Politisch habe sie sich nicht betätigt. Was aus ihren Geschwistern geworden sei, wisse sie nicht.

6

Mit Bescheid vom 20. März 1996 lehnte das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a GG ab und stellte fest, dass auch keine Abschiebungshindernisse nach §§ 51, 53 AuslG bestehen. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, es bestünden Zweifel an der behaupteten christlichen Prägung der Klägerin, denn auf Nachfragen habe sie keinerlei weitere Angaben zu dem von ihr behaupteten katholischen Glauben machen können. Zweifelhaft sei auch, ob sie die geschilderten Inhaftierungen tatsächlich erlebt habe, da auch diese Darstellungen nur äußerst vage geblieben seien. Ebenso stelle sich ihr angebliches Fluchtverhalten als wenig glaubhaft dar. Insbesondere sei nicht nachzuvollziehen, warum sie nicht mit den übrigen Gläubigen durch den Hinterausgang der Kirche entwichen sei, sondern durch den vorderen Ausgang, vor dem (angeblich) die drei Polizisten gewartet hätten. Auch sei unwahrscheinlich, dass gerade in diesem Moment ein Bus vor der Kirche gehalten habe.

7

Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führte sie u. a. aus, nachdem die Polizisten in die Kirche gekommen seien, seien diese von ihren Eltern und anderen festgehalten worden. Sie - die Klägerin - sei dann zu einer Glaubensschwester gelaufen und habe sich dort versteckt. Sie sei ca. 1  1/2 Stunden dorthin gelaufen. Mit Hilfe der Bekannten habe sie einen Schleuser beauftragt.

8

Mit Urteil vom 25. Juli 1996 - 6 A 61231/96 - wies das Verwaltungsgericht Braunschweig die Klage ab, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gegenüber ihren Aussagen vor dem Bundesamt widersprüchliche Darstellungen abgegeben habe, ohne diese Widersprüchlichkeiten aufklären zu können. Insgesamt hielt es das Verwaltungsgericht für unglaubhaft, dass die Klägerin intensiv dem katholischen Glauben nachgegangen sei, da sie auf Nachfragen keinerlei Kenntnisse von den Glaubensinhalten dieser Religion dargelegt habe. Es sei daher nicht wahrscheinlich, dass die Klägerin andere Mitglieder geworben habe und deswegen in den Blickpunkt der chinesischen Behörden geraten sei. Im übrigen gewähre Art. 16 a Abs. 1 GG lediglich den Kernbereich der Religionsfreiheit. Dazu gehöre jedoch nicht die Missionierung. Die Klägerin habe es mithin selbst in der Hand, sich bei der gebotenen Beschränkung auf die eigene Glaubensbetätigung einem Konflikt mit den staatlichen chinesischen Behörden zu entziehen. Allein die Ausreise aus China mit einem gefälschten Pass und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland führten nicht zu einer beachtlichen Verfolgungsgefahr.

9

Dieses Urteil ist im August 1996 rechtskräftig geworden.

10

Mit Eingang vom 18. September 1996 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag begrenzt auf die Feststellungen nach §§ 51, 53 AuslG und führte aus, seit September 1996 sei sie Mitglied der "Allianz für ein demokratisches China in Deutschland e. V." (ADC). Aufgrund dieser Mitgliedschaft in Verbindung mit der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung müsse sie bei einer Rückkehr nach China mit politischer Verfolgung rechnen. Sie legte eine auf den 8. September 1996 datierte, von "B. L." als Vorsitzendem unterschriebene Mitgliedsbestätigung vor.

11

Am 28. Oktober 1996 wurde sie erneut vom Bundesamt angehört und legte dabei eine Mitgliedskarte der ADC vor. Ergänzend führte sie aus, sie habe schon bei ihrer Einreise im Dezember 1995 in die Organisation eintreten wollen, deren Sitz jedoch nicht gekannt. Nunmehr habe sie den Ort des Sitzes erfahren und sei Mitglied geworden. Die ADC sei eine konterrevolutionäre Bewegung. Sie vertrete dieselbe Meinung und sei z. B. mit der Religionspolitik in China nicht einverstanden. Auch sei sie unzufrieden, weil in China Bauern und junge Frauen nicht richtig behandelt würden, so dürften junge Frauen z. B. erst mit 27 Jahren heiraten. Die ADC versuche, diese Zustände zu verbessern. Am 1. Oktober 1996 hätten sie vor der chinesischen Botschaft gegen die chinesische Politik demonstriert. An dieser Demonstration hätten ca. 400 bis 500 Personen teilgenommen.

12

Mit Bescheid vom 15. November 1996 lehnte es das Bundesamt ab, ein neues Asylverfahren durchzuführen: Selbst wenn die von der Antragstellerin behaupteten exilpolitischen Tätigkeiten zuträfen, was allerdings zweifelhaft sei, führe dieses nicht zur Anerkennung als Asylberechtigte; denn die bloße, nicht aktive Mitgliedschaft begründe nicht die Gefahr asylrechtlich relevanter Verfolgungsmaßnahmen.

13

Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben.

14

Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts Hannover (in dessen Zuständigkeitsbereich die Klägerin zwischenzeitlich verzogen war) teilte die ADC mit, der von der Klägerin vorgelegte Mitgliedsausweis sei echt, jedoch kenne man sie nicht, da sie seit ihrem Beitritt noch keinen Kontakt mit der Allianz aufgenommen habe. Demgegenüber führte die Klägerin aus, sie habe sowohl an der Demonstration am 1. Oktober 1996 vor der chinesischen Botschaft in B. als auch an weiteren Demonstrationen vom 11. Dezember 1996, 4. Juni 1997 sowie 1. Oktober 1997 jeweils in Bonn teilgenommen. Anlässlich der Demonstration vom 1. Oktober 1997 habe sie Herrn B. L. auch beim Aufstellen von Plakaten und dem Verteilen einer Publikation der ADC unterstützt. Auch habe sie zusammen mit Herrn B. L. Parolen gerufen wie "Schafft in China die kommunistische Partei ab ! Lasst die politischen Gefangenen frei !".

15

Mit Urteil vom 13. Oktober 1997 - 10 A 6735/96 - wies das Verwaltungsgericht Hannover das Bundesamt an, ein Folgeverfahren durchzuführen, soweit es um Abschiebungshindernisse nach §§ 51, 53 AuslG gehe.

16

Am 5. Mai 1998 kam es wiederum zu einer Anhörung vor dem Bundesamt. Zwischenzeitlich hatte die Klägerin ihr erstes Kind bekommen. Bei der Anhörung gab sie an, sie habe an insgesamt vier Demonstrationen teilgenommen, zuletzt am 4. Juni 1997. Auch habe sie Informationen der Organisation ADC, z. B. eine Zeitung der Auslandschinesen verteilt, und zwar in der Nähe des Bahnhofes. Im Februar 1998 habe sie an einer Sitzung des Vereins in K. teilgenommen und sei dort Vorstandsmitglied geworden. Eine Bescheinigung darüber habe sie allerdings nicht. Sie sei für "Geldmittel" zuständig, habe mit der Erfüllung ihrer Aufgabe aber noch nicht begonnen. Auf Nachfrage konnte sie keine weiteren Angaben über den Ablauf der Sitzung und die Aufgaben der Vorstandsmitglieder machen. Bei den von ihr besuchten Demonstrationen sei sie einfaches Mitglied gewesen. Ziel der ADC sei es, China zu einem demokratischen Land aufzubauen. Einen chinesischen Staatsangehörigen mit Namen Li Peng kenne sie nicht. Im übrigen könne sie sich auf hoch-chinesisch nicht so gut ausdrücken, sondern besser im Dialekt. Auf Aufforderung des Bundesamtes, im Dialekt zu erzählen, was sie zu Li Peng (ehemaliger Ministerpräsident von China) wisse, konnte die Klägerin gleichwohl keine Angaben machen. Auch die Frage, welcher bedeutende Regimekritiker in letzter Zeit die Bundesrepublik besucht habe (Wei Jingsheng, Besuch im April 1998) konnte die Klägerin bei der Anhörung nicht beantworten.

17

Mit Bescheid vom 15. Mai 1998 stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungshindernisse nach §§ 51, 53 AuslG nicht vorliegen, forderte die Klägerin zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung an. Zur Begründung führte es aus, die Anhörung habe ergeben, dass es sich bei der Klägerin um eine vollkommen unpolitische Person gehandelt habe, da ihr weder der ehemalige Ministerpräsident Li Peng, noch der Regimekritiker Wei Jingsheng bekannt sei. Auch habe sie weder ihre Funktion noch die der anderen Vorstandsmitglieder innerhalb des Vereins deutlich machen können. Zudem habe die Klägerin ihre früher behauptete Teilnahme an der Demonstration vom 1. Oktober 1997 in Verbindung mit der angeblichen damaligen Plakataufstellung und Verteilung von Publikationen mit dem Vorsitzenden B. L. bei der jetzigen Anhörung nicht mehr erwähnt, sondern die Demonstration vom 4. Juni 1997 als die letzte bezeichnet, an der sie teilgenommen habe. Die politischen Betätigungen der Klägerin könnten daher allenfalls als geringwertig angesehen werden, so dass ihr deswegen bei Rückkehr nach China auch keine politische Verfolgung drohe.

18

Daraufhin hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben - 10 A 4012/98 - und zunächst nur auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen.

19

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 28. September 1998 ergänzte die Klägerin, sie sei in der katholischen Kirche, auch ihr Kind sei getauft worden. Der Ort sei ihr allerdings nicht bekannt. Sie selbst sei auch bei der Taufe nicht dabei gewesen. Eine Bekannte, eine vietnamesische Staatsangehörige, habe das Kind zur Taufe mitgenommen. Sie würde gern weitere Kinder haben. Zuletzt habe sie im Dezember 1997 an einer Veranstaltung des ADC teilgenommen. Vorstandsmitglied sei sie seit der Veranstaltung in Kassel vom Februar 1998, seitdem habe keine weitere Vorstandssitzung stattgefunden. Ihren Zuständigkeitsbereich als Vorstandsmitglied könne sie im einzelnen nicht erklären.

20

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung trat das Gericht in weitere Sachverhaltsermittlungen ein. Unter anderem legte die Klägerin eine Bestätigung des "Vereins für Demokratie und Gerechtigkeit China" (VDGC) vom 22. Februar 1999 vor. Danach hat die Klägerin an der Gründung dieser Vereinigung mitgewirkt, regelmäßig Bekannten in China die Publikationen übersandt und auch die Vereinsversammlung im November 1998 in Neuwied geleitet; darüber hinaus sei sie verantwortlich für die Vereinsregionen B. und H.. Die Klägerin überreichte auch eine entsprechende Mitgliedsbescheinigung.

21

Das Gericht holte ein Gutachten des Journalisten Jürgen Kremb, Singapur, vom 6. November 1998 ein. Insoweit wird auf Bl. 63 ff. GA verwiesen.

22

Am 16. Juli 1999 wurde ein zweites Kind der Klägerin geboren. Die Klägerin wies nunmehr darauf hin, wegen der Geburt von zwei Kindern müsse sie bei Rückkehr nach China mit einer Zwangssterilisation rechnen. Auch würden nur einfach politisch tätige Chinesen bei Rückkehr in ihr Heimatland politisch verfolgt, wie sich u. a. aus dem Gutachten von Dr. Thomas Weyrauch vom 6. September 1999 (an VG Gelsenkirchen) ergebe.

23

Die Klägerin hat beantragt,

24

den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG festzustellen.

25

Die Beklagte hat beantragt,

26

die Klage abzuweisen.

27

Mit Urteil vom 13. Dezember 1999 wies das Verwaltungsgericht die Klage mit der Begründung ab, nach Auswertung der Erkenntnismittel sei davon auszugehen, dass die illegale Ausreise aus der Volksrepublik China auch in Verbindung mit der Stellung eines Asylantrages nicht zu politischer Verfolgung führe. Exilpolitisch tätige Chinesen würden nur dann einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt, wenn sie öffentliche Aktivitäten unternommen hätten, die als gegen die Regierung, die kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gerichtet von den chinesischen Behörden wahrgenommen würden. Eine derart hervorgehobene oppositionelle Betätigung sei bei der Klägerin nicht festzustellen. Eine feste Bindung der Klägerin an die katholische Kirche sei ebenfalls nicht festzustellen, so dass auch hieraus nicht die Gefahr politischer Verfolgung abzuleiten sei. Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG komme mithin nicht in Betracht. Ebensowenig greife § 53 AuslG ein; denn der Klägerin drohe auch nicht die Gefahr einer Zwangssterilisation bei Rückkehr. Dieses folge schon daraus, dass die Klägerin aus der Provinz Z. stamme, diese Provinz aber nach den Erkenntnismitteln nicht für eine besonders konsequente Durchführung der Geburtenregelungsbestimmungen bekannt sei. Zumindest könne die Gefahr einer Zwangssterilisierung nicht mit dem für eine ernsthafte Gefahr notwendigen Wahrscheinlichkeitsgrad bejaht werden. Der insoweit anderen Auffassung des OVG Münster (Urt. v. 24.4.1998 - 1 A 1399/97.A -) folge das Gericht nicht.

28

Hiergegen richtet sich die vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) zugelassene Berufung der Klägerin.

29

Die Klägerin trägt im wesentlichen vor: Seit der Geburt des zweiten Kindes sei ihr politisches Engagement zwar nahezu erloschen; gleichwohl reichten die von ihr in der Vergangenheit gezeigten exilpolitischen Tätigkeiten aus, um sie aus der Masse der im Bundesgebiet lebenden Chinesen herauszuheben. Es sei davon auszugehen, dass sie vom chinesischen Staat als gefährlich und als Konterrevolutionärin eingestuft werde. Im übrigen sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch ein bloßes "Mitlaufen" bei Demonstrationen nicht als unschädlich anzusehen; denn derartige Demonstrationen würden vom chinesischen Geheimdienst beobachtet und gefilmt. Aus dem chinesischen StGB (insbesondere § 105) ergebe sich, dass nicht nur aktive, sondern auch andere Beteiligte an staatsfeindlichen Aktionen strafrechtlich belangt werden könnten. Als "andere" Beteiligte seien aber bereits bloße Mitglieder einer exilpolitischen Gruppierung anzusehen. Die Gefahr politischer Verfolgung auch bei nur einfachen exilpolitischen Tätigkeiten lasse sich zudem aus den Gutachten von Kremb und Weyrauch ableiten. Darüber hinaus sei das illegale Verlassen Chinas und/oder die Asylantragstellung als eine politische Verfolgung begründende Gefahr anzusehen. So werde ausweislich einer Pressemitteilung in der chinesischen Tageszeitung Hai-Zag City News vom September 1999 (-- Hefter I --) die illegale Ausreise strafrechtlich verfolgt. Schließlich sei der Klägerin Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG zuzubilligen, da ihr bei Rückkehr nach China Zwangssterilisation drohe; denn sie habe bereits zwei Kinder, aber noch weiteren Kinderwunsch. Die Klägerin verweist insoweit auf das Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG bejahende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. April 1998 - 1 A 1399/97.A -.

30

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin klargestellt, dass sie unverheiratet ist und dem ADC nur als einfaches Mitglied, nicht als Vorstandsmitglied, angehört.

31

Die Klägerin beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

33

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren ausdrücklich keinen Antrag gestellt.

34

Der Bundesbeauftragte hat sich ebenfalls nicht geäußert.

35

Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ergeben sich aus der Anlage zu den gerichtlichen Schreiben vom 1. August und vom 8. September 2000 sowie aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 19. September 2000.

36

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll des Senats vom 19. September 2000 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

37

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

38

Im vorliegenden Verfahren geht es nur noch um die Gewährung von Abschiebungsschutz nach §§ 51, 53 AuslG, auf den die Klägerin ihren Folgeantrag beschränkt hat.

39

A) Auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.

40

Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsgutes und des politischen Charakters der Verfolgung besteht Deckungsgleichheit mit den Voraussetzungen, unter denen auf der Grundlage von Art. 16 a Abs. 1 GG die Anerkennung als Asylberechtigter erfolgt (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.11.1992 - 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 ff.; Urt. v. 18.1.1994 - 9 C 48.92 - Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 4). Politische Verfolgung liegt vor, wenn dem Schutzsuchenden durch den Staat oder durch Maßnahmen Dritter, die dem Staat zuzurechnen sind, in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder sonstiger Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsgutverletzungen zugefügt werden, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989, BVerfGE 80, 315, 333 ff.; BVerwG, Urt. v. 20.11.1990 - 9 C 74.90 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 137).

41

Die Klägerin hat die Volksrepublik China nicht wegen bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung verlassen (1.). Bei Rückkehr in ihren Heimatstaat droht ihr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung wegen exilpolitischer Tätigkeiten (2.), Asylantragstellung (3.), illegaler Ausreise (4.) oder aufgrund einer Gesamtschau ihres Verhaltens (5.). Ebensowenig begründen Verstöße gegen die Familienplanungspolitik Gefahr politischer Verfolgung (6.).

42

1.) Ob die Klägerin die Volksrepublik China vorverfolgt verlassen hat, ist für den im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG bei der Prognoseentscheidung anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab entscheidend. Ist eine Vorverfolgung zu bejahen, so ist der Asylsuchende abschiebungsschutzberechtigt, wenn er vor künftiger politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher ist (BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, InfAuslR 1995, 24, 26). Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat dagegen unverfolgt verlassen, ist Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nur zu gewähren, wenn ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (vgl. hierzu im einzelnen BVerwG, Urt. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162, 169). Von einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden oder was gleichbedeutend ist unmittelbarer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn die für die Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urt. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162, 169 ff.). Eine rein quantitative oder statistische Betrachtung ist dabei nicht angezeigt (BVerwG, Urt. v. 23.7.1991 - 9 C 154.90 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 146). Entscheidendes Kriterium ist vielmehr das der Zumutbarkeit. Die Möglichkeit einer Verfolgung muss derart real sein, dass ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr nicht auf sich nimmt, wobei auch die Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissem Umfang zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162, 169 ff.). Von der Wahrheit des (behaupteten) individuellen Schicksals, aus dem der Schutzsuchende seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet, muss das Gericht die volle Überzeugung erlangen (BVerwGE 71, 180 ff.). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag wird ihm daher nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden können, zu der ihm Gelegenheit zu geben ist (BVerwG, Beschl. v. 21.7.1989, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113). Unter diesen Voraussetzungen sind regelmäßig Zweifel an der Richtigkeit seines Vorbringens angezeigt, wenn der Asylbewerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine gegenüber einen Angaben vor den Verwaltungsbehörden völlig neue und nicht überzeugend begründete Schilderung seines fluchtauslösenden individuellen Schicksals gibt.

43

Gemessen daran kann sich die Klägerin im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht auf Vorfluchtgründe - hier Verfolgung unter religiösen Gesichtspunkten - berufen.

44

Grundsätzlich wird in China die Religionsfreiheit garantiert, andererseits darf die Religionsausübung die öffentliche Ordnung, die Gesundheit der Bürger und das staatliche Erziehungssystem nicht beeinträchtigen. Daraus folgend unterliegen sämtliche religiöse Aktivitäten (z. B. Gottesdienst, Bau von Kirchen) der staatlichen Kontrolle und Genehmigung. Sie dürfen weder der Regierungspolitik zuwiderlaufen (z. B. hinsichtlich der Familienplanung), noch die staatliche Einheit in Frage stellen (in Bezug z. B. auf Tibet), noch darf eine ausländische Einflussnahme ermöglicht werden (z. B. durch die religiöse Autorität des Papstes). In China sind fünf Glaubensrichtungen anerkannt (Taoismus, Buddhismus, Islam, Protestantismus und Katholizismus). Dazu gehören insgesamt 180 Mio Gläubige, wovon 10 Mio auf die Protestanten und 4 Mio auf die Katholiken entfallen. Nach Schätzungen sollen ca. 30 Mio Christen in sogenannten "Hauskirchen" organisiert sein, die sich staatlicher Aufsicht entziehen (AA, Lagebericht v. 11.7.2000), aber in der Regel nicht als unmittelbare Bedrohung des Staates empfunden werden (AA v. 4.5.1999 an VG Oldenburg). Mitglieder der o. a. Kirchen werden in der Regel nicht wegen ihrer bloßen Mitgliedschaft oder Glaubensüberzeugung verfolgt, sondern erst dann, wenn das Verhalten aus Sicht des Staates eine Störung der öffentlichen Ordnung beinhaltet, wobei es aufgrund der Größe des Landes sehr unterschiedliche Verhaltensmuster gegenüber Gläubigen gibt.

45

Eine besondere Position nimmt die katholische Kirche ein. Diese ist 1950 verboten worden. 1957 brach der Vatikan die diplomatischen Beziehungen zu China ab. Seit diesem Bruch ist die katholische Kirche in China gespalten. Es gibt eine katholische "Untergrundkirche", die sich weiterhin in der Gefolgschaft des Papstes sieht. Sie soll über ca. 8 Mio Anhänger verfügen. Mitglieder dieser Rom-treuen Kirche haben mit Repressalien zu rechnen (Hausarrest, Festnahmen und Behinderung katholischer Priester, vgl. SZ v. 15.2.2000; FR v. 11.1.1999). Eine Verfolgung ist nicht auszuschließen. Daneben gibt es eine von Rom unabhängige katholische (patriotische) Kirche, der ca. 4 Mio Gläubige angehören sollen. Diese brauchen wegen ihrer Religionsausübung in der Regel keine Schwierigkeiten zu befürchten. Grundsätzlich kann in China der christliche Glaube praktiziert werden, Missionierungen können dagegen geahndet werden (vgl. hierzu Lageberichte des Auswärtigen Amtes v. 11.7.2000 u. v. 23.11.1998; Auswärtiges Amt vom 4.5.1999 an VG Oldenburg u. vom 28.1.1998 an VG Gießen; Wenzel-Teuber vom 22.12.1997 und Rat der Europäischen Union vom 2.5.1995).

46

Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Klägerin nicht geeignet, politische Verfolgung unter religiösen Gesichtspunkten zu begründen.

47

Zum einen ist dem Akteninhalt nicht hinreichend zu entnehmen, welcher Unterorganisation der katholischen Kirche die Klägerin angehört (patriotische Kirche oder dem Papst verbundene Untergrundkirche). Unabhängig davon hat sie auch nicht in ausreichendem Maße dargetan, tatsächlich und erkennbar als katholische Christin gelebt zu haben. So konnte sie Glaubensinhalte der katholischen Kirche auf Nachfrage nicht benennen, sondern hat lediglich ausgeführt, ihr sei beigebracht worden, man müsse Arme unterstützen und ihnen Getreide geben. Zweifel an der von der Klägerin behaupteten religiösen Prägung ergeben sich auch aufgrund ihrer widersprüchlichen Aussagen hinsichtlich ihrer Flucht. So hat die Klägerin bei ihrer Anhörung am 15. Januar 1996 gegenüber dem Bundesamt ausgeführt, sie sei aus der Kirche geflüchtet und in einen an der unmittelbar bei der Kirche liegenden Haltestelle gerade haltenden Bus eingestiegen. Demgegenüber hat sie vor dem Verwaltungsgericht im Juli 1996 erklärt, sie sei nach dem Verlassen der Kirche zu einer ca. 1  1/2 Stunden entfernt lebenden Glaubensschwester gegangen und habe mit dieser zusammen einen Schleuser beauftragt. Diese unterschiedlichen Darstellungen hat die Klägerin auch auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts nicht miteinander in Einklang zu bringen vermocht. Dass die Klägerin dem katholischen Glauben nicht ernsthaft verhaftet war bzw. ist, wird auch daran deutlich, dass sie ihr erstes im Bundesgebiet geborenes Kind zwar hat taufen lassen, selbst jedoch nicht mit zu der Taufe gegangen ist, sondern ihr Kind zur Taufe einer Freundin, einer vietnamesischen Staatsangehörigen, mitgegeben hat. Schließlich richteten sich schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin die Eingriffe der chinesischen Polizei nur gegen die Missionierungsversuche, nicht jedoch gegen den Glauben der Klägerin bzw. ihrer Familie. Die Möglichkeit einer Missionierung gehört aber nicht zu dem von Art. 16 a GG/§ 51 AuslG geschützten Kernbereich der Religionsfreiheit.

48

Dem Vorbringen der Klägerin sind auch keine sonstigen Vorfluchtgründe zu entnehmen. Aus ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist vielmehr zu schließen, dass sie letztlich aus wirtschaftlichen Gründen in das Bundesgebiet gekommen sein dürfte.

49

2.) Es ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die von der Klägerin geltend gemachten exilpolitischen Tätigkeiten bei einer Rückkehr zu politischer Verfolgung in China führen.

50

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das exilpolitische Engagement der Klägerin schon nach ihren eigenen Angaben seit einem Jahr - Juli 1999, Geburt ihres zweiten Kindes - nahezu erloschen ist, so dass schon nicht ersichtlich ist, welches aktuelle Interesse der chinesische Staat an der Klägerin haben sollte. Zwar hat sie in der mündlichen Verhandlung pauschal erklärt, im Juli dieses Jahres Flugblätter verteilt zu haben, doch ist sie dafür jeglichen Nachweis schuldig geblieben.

51

Soweit die Klägerin geltend macht, ihre früheren politischen Tätigkeiten würden ein Interesse des chinesischen Staates an ihrer Person begründen, ist dieser Wertung nicht zu folgen. Die Klägerin verweist darauf, seit September 1996 Mitglied der ADC zu sein und in dieser Eigenschaft an mehreren Demonstrationen der ADC teilgenommen zu haben. Zudem sei sie später auch Mitglied des VDGC geworden, habe die entsprechende Vereinsversammlung im November 1998 in N. geleitet und sei für die Vereinsregion in B. und H. zuständig gewesen.

52

Zu der ADC ist nach den Erkenntnismitteln Folgendes festzuhalten:

53

Die FDC (Föderation für ein demokratisches China) wurde im September 1989 in Paris von chinesischen Dissidenten aufgrund des Pekinger Massakers vom Juni 1989 (Platz des himmlischen Friedens, Tiananmen Platz - vgl. NZZ v. 5.6.2000) gegründet. Nachfolgeorganisation wurde ab Januar 1993 die ADC (Allianz für ein demokratisches China). Im einzelnen gab es Abgrenzungsschwierigkeiten. Die deutsche FDC behielt zunächst ihre Benennung bei, gehörte aber dem Dachverband ADC in Washington an. Seit Januar 1995 ist die deutsche FDC in ADC umbenannt. Im März 1995 wurde der Verein mit dem Namen "Allianz für ein demokratisches China in der Bundesrepublik Deutschland e. V." im Vereinsregister beim Amtsgericht G. eingetragen. Zum Vorstandsvorsitzenden wurde B. L. gewählt. Der Verein gibt die Zeitschrift "Geist der Freiheit" heraus. Nach der Umbenennung der FDC in ADC spaltete sich eine Gruppe von Dissidenten ab, die die Bezeichnung "Föderation für ein demokratisches China" (FDC) beibehielt. Vorsitzender der FDC ist H. X., der in Nordrhein-Westfalen ein China-Restaurant betreiben und vor der Ausreise aus China als Lektor an einer KP-Parteischule tätig gewesen sein soll (Auskunft des Bundesministeriums des Innern v. 20.4.1995 an VG Leipzig, v. 20.12.1996 an VG Chemnitz; ai v. 23.8.1995 an VG Koblenz u. v. 13.5.1997 an VG Chemnitz).

54

Das Auswärtige Amt hat ursprünglich die Auffassung vertreten, die Gründung der FDC (später ADC) unmittelbar nach dem Massaker in Peking habe zunächst weltweite Aufmerksamkeit erregt, so dass die politischen Aktivitäten dieser Gruppierung von der chinesischen Regierung als gefährlich und schädlich angesehen worden seien. Die FDC sei als konterrevolutionäre Organisation bezeichnet worden, deren Mitglieder in China mit politischer Verfolgung hätten rechnen müssen (Auswärtiges Amt, St. v. 5.9.1995 an VG Chemnitz). Im Laufe der folgenden Zeit wurde die Bedeutung der FDC/ADC jedoch als weniger gewichtig angesehen. So führt das Auswärtige Amt 1997 aus, die FDC/ADC, in der sich nach dem Massaker von Peking vom Juni 1989 vor allem der chinesischen Regierung feindlich gegenüberstehende Studenten und Intellektuelle gesammelt hätten, habe zwischenzeitlich an Bedeutung verloren. Sie werde von der chinesischen Regierung zwar immer noch als feindlich und unbequem eingestuft, nicht aber als gefährlich angesehen. Es sei nicht wahrscheinlich, dass FDC/ADC-Mitgliedern wegen bloßer Mitgliedschaft substantielle Repressalien bei Rückkehr drohten. Derartige Repressalien seien zu befürchten, wenn sich der Betreffende öffentlich und an prominenter Stelle regierungsfeindlich geäußert habe, nicht jedoch, wenn er nur einfacher Demonstrant sei. Der chinesischen Regierung sei bewusst, dass viele chinesische Staatsangehörige dies täten, um in Asylverfahren Nachfluchtgründe geltend zu machen (AA, St. v. 27.3.1997 an VG Leipzig). Vergleichbar hatte sich das Auswärtige Amt auch bereits in seinem Lagebericht vom 20. November 1996 und in seiner Stellungnahme vom 9. Dezember 1996 an das VG Chemnitz geäußert. Diese Auffassung hat das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 23. November 1998 und in dem aktuellen Lagebericht vom 11. Juli 2000 beibehalten (vgl. ebenso AA, St. v. 17.5.2000 an VG Stuttgart u. v. 6.7.2000 an VG Chemnitz). In dem letzten Lagebericht heißt es, nach Einschätzung der chinesischen Führung gehe von oppositionellen Organisationen chinesischer Intellektueller im Ausland wie z. B. der FDC eine geringere Bedrohung aus als von solchen in China. Gefährdet seien führende Mitglieder der Studentenbewegung von 1989, die nach wie vor aktiv seien und bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich gegen die chinesische Regierung Stellung nehmen und dadurch eine ernstzunehmende Medienresonanz in Deutschland oder im westlichen Ausland hervorgerufen hätten. Aus Sicht der chinesischen Regierung komme es vor allem auf die Unbequemlichkeit der einzelnen Person für die Regierung an. Formale Aspekte seien dagegen nicht entscheidend. Als Drangsalierungen kämen Festnahmen, langjährige Freiheitsstrafen oder Administrativhaft (ohne Gerichtsurteil, bis zu 4 Jahren) in Betracht. Die bloße Teilnahme an Demonstrationen z. B. vor chinesischen Auslandsvertretungen oder das Verfassen von Petitionen führe nicht zu Repressalien. Derartige Personen müssten bei einer Rückkehr lediglich mit einer Befragung und einer Warnung vor regierungskritischen Aktivitäten in China selbst rechnen. Nach dem Bundesamt für Verfassungsschutz dürfte sich die Bedeutung dieser exilpolitischen Organisationen unabhängig von der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit zu dem Massaker in Peking zudem auch deswegen verringert haben, weil die Organisationen miteinander rivalisierten, wobei neue Organisationen zum Teil von regimetreuen "Spitzeln" aus China gegründet würden, die auf diese Weise versuchten, die Oppositionsbewegungen im Ausland zu zerschlagen (vgl. BfV, St. v. 30.9.1997 an VG Aachen).

55

Kolonko (St. v. 27.7.1995 an VG Düsseldorf) und die Universität Trier, Zentrum für Ostasien-Pazifik-Studien (St. v. 15.10.1997) sehen eine politische Verfolgungsgefahr nur bei Führungskräften.

56

Amnesty international (ai) vertritt in einer Stellungnahme vom 26. Juli 1995 an VG Kassel die Auffassung, Vertreter der FDC seien mehrfach als konterrevolutionäre Organisatoren bezeichnet worden; es sei daher wahrscheinlich, dass ein chinesischer Staatsangehöriger wegen seiner Kontakte zur FDC sowie aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration dieser Organisation bei Rückkehr nach China mit politischen Verfolgungsmaßnahmen überzogen werde. Dies gelte auch dann, wenn der Rückkehrer nur als Sympathisant an solchen Aktivitäten teilgenommen habe. Sei er den chinesischen Behörden aufgefallen, würden diese keinen Unterschied zwischen Mitgliedschaft und aktiver Unterstützung/Beteiligung an Aktionen machen. Die chinesische Botschaft beobachte systematisch Demonstrationen und Treffen der Exilorganisationen im Bundesgebiet. In einer Stellungnahme vom 23. August 1995 an VG Koblenz heißt es, schon die Mitgliedschaft in der FDC/ADC führe zu politischer Verfolgung. In den nachfolgenden Stellungnahmen (vgl. z. B. vom 13.5.1997 an VG Chemnitz und v. 9.12.1997 an VG Aachen) geht ai im wesentlichen auf Personen ein, die "aktiv" in der FDC/ADC mitarbeiten und weist zusätzlich darauf hin, dass sich das chinesische System durch ein hohes Maß an Willkür auszeichne und die Gefahr politischer Verfolgung maßgeblich auch von der Verfolgungssituation vor der Ausreise abhängig sei.

57

Bei einer zusammenfassenden Würdigung ist mithin davon auszugehen, dass zumindest seit den letzten Jahren nur aktive, also an herausgehobener Position in Exilorganisationen tätige Chinesen bei Rückkehr nach China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten haben, da die Bedeutung der Exilorganisation aufgrund der Differenzen untereinander (vgl. z. B. St. von Bo Lin v. 6.10.1996) zurückgegangen ist und konkrete Fälle einer Bestrafung von einfachen Mitgliedern der FDC/ADC nach Abschiebung in die Volksrepublik China den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen sind (vgl. im Ergebnis ebenso schon Beschl. d. Sen. v. 13. Jan. 1998 - 11 L 2427/97 -; VGH Bad.- Württ., Urt. v. 29. April 1998 - A 6 S 3271/96 -; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 13. Dez. 1995 - 11 A 13385/95.OVG -; Beschl. v. 26. Aug. 1997 - 11 A 12080/97.OVG -; OVG NW, Urt. v. 26. Juni 1997 - 1 A 1402/97.A -, Urt. v. 24. April 1998 - 1 A 1399/97.A -).

58

Die neueren Gutachten von Dr. Weyrauch vom 6. Oktober 1999 an VG Gelsenkirchen, von Kremb vom 2. November 1999 ebenfalls an VG Gelsenkirchen und von Kremb vom 6. November 1998 an das VG Hannover (im vorliegenden Verfahren) rechtfertigen keine andere Beurteilung. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ihnen nicht zu entnehmen, dass auch bereits nur einfache exilpolitische Betätigungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Rückkehrgefährdung i. S. v. § 51 Abs. 1 AuslG führt.

59

Allerdings bestimmt § 105 Chin. StGB (in der seit 1.1.1997 geltenden Fassung):

60

"Wer die Subversion der Staatsmacht oder den Umsturz des sozialistischen Systems organisiert, plant oder betreibt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens 10 Jahren bestraft, wenn er Rädelsführer ist oder wenn die strafbare Handlung gravierend ist; gegen aktiv Beteiligte wird zeitige Freiheitsstrafe von 3 Jahren bis 10 Jahren verhängt; gegen andere Beteiligte wird zeitige Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren, Gewahrsam, Überwachung oder Entzug politischer Rechte verhängt." (vgl. St. Dr. Weyrauch v. 6.10.1999 an VG Gelsenkirchen).

61

Auch geht Dr. Weyrauch davon aus, dass einfache Mitläufer von oppositionelle Exilorganisationen, die sich im Ausland gegen das chinesische Regime aussprechen, als "andere Beteiligte" im Sinne dieser Vorschrift gelten. Seinen Ausführungen kann jedoch nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnommen werden, dass diese Strafandrohung auch in der Regel zur Anwendung kommt; denn er weist zum einen darauf hin, dass es für den Bestand des kommunistischen Staates nur von untergeordneter Bedeutung sei, wenn fernab von der chinesischen Bevölkerung Handlungen gegen den Staat begangen würden; für die Frage, ob ein tatsächliches Verfolgungsinteresse des chinesischen Staates gegeben sei, komme es vielmehr maßgeblich auf eine Wiederholungsgefahr innerhalb Chinas an. Auch erwähnt er die Rechtsunsicherheit innerhalb des Landes und die große Machtfülle der Funktionäre, die es ermögliche, "vereinzelt solche Personen härter zu verfolgen, als es mehrheitlich üblich ist". Nur vereinzelte Übergriffe auf Rückkehrer, die sich lediglich untergeordnet exilpolitisch engagiert haben, rechtfertigen aber nicht die für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG erforderliche Bejahung einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Weiter führt Dr. Weyrauch aus, bei einer großen Zahl der der Weltöffentlichkeit unbekannten chinesischen Emigranten, die aus dem Ausland abgeschoben werden, bestehe kein großes Verfolgungsinteresse des chinesischen Staates. Soweit der Gutachter bezogen auf die Zahl der Rückkehrer von Kurzinhaftierungen von 10 bis zu 30 Tagen sowie von der Verhängung empfindlicher Geldstrafen spricht, kann daraus schon deswegen nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung bei Rückkehr abgeleitet werden, weil konkrete aussagekräftige Referenzfälle nicht genannt werden. Schließlich hat der Gutachter seine Einschätzung der Gefahr einer Bestrafung für eher passive Mitglieder oppositioneller Organisationen nur unter der Voraussetzung abgegeben, dass diese nach China abgeschoben würden. Insoweit ist es der Klägerin jedoch zuzumuten, die Gefahr einer Abschiebung durch eine freiwillige Rückkehr nach China abzuwenden.

62

Auch die Ausführungen von Kremb in seinen beiden oben angegebenen Gutachten geben keinen Anlass zu einer anderen Wertung. Allerdings bringt auch Kremb zum Ausdruck, dass seiner Einschätzung nach selbst einfache exilpolitische Tätigkeit bei Rückkehr nach China zu erheblichen Drangsalierungen (u. a. ständige Verfolgung, Arbeitslager, körperliche Übergriffe, keine berufliche Perspektive) führen kann. Die von ihm in beiden Gutachten erwähnten Beispielsfälle rechtfertigen diese Folgerung aber nicht, weil diesen Beispielsfällen zum überwiegenden Teil nicht nur eine einfache politische Betätigung in Exilorganisationen zugrunde lag, sie vielmehr Besonderheiten aufweisen. So betreffen die genannten Fälle einen Literaturkritiker, der sich in einem offenen Brief - soweit ersichtlich in China - für politische Reformen einsetzte (St. v. 6.11.1998), einen Gewerkschaftsaktivisten (St. v. 6.11.1998) sowie einen exiltibetanischen Musikwissenschaftler, von dem vermutet wurde, dass er Gruppierungen der Exilregierung des Dalai Lama nahestand (St. v. 6.11.1998/2.11.1999), einen Raketenexperten, der sich in den USA in der Exilopposition engagiert (St. v. 6.11.1998) bzw. lose Kontakte zur Exilopposition gehabt haben soll (so St. v. 2.11.1999) sowie einen Geschichtswissenschaftler, der Material über die Kulturrevolution zusammentragen wollte (St. v. 2.11.1999) und einen chinesischen Dichter, der im amerikanischen Exil an einem Literaturmagazin mitarbeitete, dass mit Dissidenten in China in Kontakt steht (St. v. 6.11.1998/2.11.1999). Der exilpolitischen Tätigkeit der in diesen Beispielsfällen genannten Personen kam mithin bereits schon allein aufgrund ihrer beruflichen Stellung ein besonderes Gewicht zu. Es kann dahinstehen, ob dieses auch bei den weiteren, in den Gutachten genannten Rückkehrfällen (Y. C. und Y. C.- zwei Brüder, die 1996 nach ihrer Rückkehr verurteilt wurden -, Z. L. und W. Q. - die jeweils nach ihrer Rückkehr 1998 verurteilt wurden) der Fall war. Selbst wenn man nämlich insoweit von einer lediglich einfachen exilpolitischen Tätigkeit ausgeht, rechtfertigten diese Fälle zwar die Schlussfolgerung, dass eine Verfolgungsgefahr bei Rückkehr nicht völlig auszuschließen ist. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung bei Rückkehr, die vorliegend für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zu fordern ist, kann dagegen mit diesen wenigen Fällen nicht begründet werden, zumal zu berücksichtigen ist, dass im Jahre 1998 107 Abschiebungen auf dem Luftweg nach China durchgeführt wurden (Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, St. v. 21.10.1999 an VG Gelsenkirchen) und nach allgemeiner Erfahrung davon auszugehen ist, dass ein Großteil der Abgeschobenen zumindest untergeordnete exilpolitische Tätigkeiten im Bundesgebiet wahrgenommen haben dürfte (vgl. ebenso OVG NW, Beschl. v. 26.1.2000 - 1 A 296/00.A -; Beschl. d. OVG Rh.-Pf. v. 25.1.2000 - 11 A 12211/99.OVG -; in dieser Richtung auch schon Beschl. d. Sen. v. 1.3.2000 - 11 L 116/00 -). Im übrigen geht auch Kremb davon ausgeht, dass die Gefährdung eines Rückkehrers mit davon abhänge, wohin er zurückkehre, welcher Familienhintergrund bestehe und welche Beziehungen er habe (St. v. 2.11.1999).

63

Allein dass - worauf nahezu alle Erkenntnismittel übereinstimmend hinweisen - in China gesetzmäßiges Handeln staatlicher Organe nicht immer gewährleistet ist, die Gesetze in der Praxis als Instrument zur Durchsetzung der jeweiligen politischen Ziele und Ausrichtungen, der sogenannten Kampagnen, eingesetzt oder auch ignoriert werden und persönlichen Beziehungen oft ein größeres Gewicht als dem geltenden Recht haben, wegen der außergewöhnlichen Größe des Landes zudem die Kontrollmöglichkeiten und Durchsetzungsfähigkeiten der Zentralregierung in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich groß sind (vgl. hierzu Lagebericht d. AA vom 11.7.2000), ist noch nicht ausreichend, um hier die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit annehmen zu können.

64

Ähnliche Überlegungen gelten für den VDGC, den "Verein für Demokratie und Gerechtigkeit Chinas". Dieser Verein wurde im Dezember 1998 in N. gegründet und befindet sich politisch in der Nähe zu der in China 1998 gegründeten, mittlerweile aber aufgelösten "Partei für Demokratie und Gerechtigkeit" (vgl. BMI v. 21.9.1999; Zeugenvernehmung vor dem VG Trier vom 20.7.1999); vgl. auch NZZ v. 18.9.1999; Das Parlament v. 27.8.1999). Vorsitzender des VDGC ist Y. B. F. aus M.. Dahinstehen kann, ob es sich bei dem VDGC tatsächlich um eine Organisation kritischer chinesischer Intellektueller oder nur um eine pro-forma-Organisation (in dieser Richtung wohl Heberer, Stellungnahme vom 28.6.1999) handelt; denn auch im Hinblick auf diese Exilorganisation gelten die obigen Ausführungen, wonach die formale Mitgliedschaft als solche nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, da aus Sicht der chinesischen Regierung von separatistischen Bestrebungen in China selbst die größere Gefahr ausgeht.

65

Im Hinblick auf diese Ausführungen kann die Klägerin eine Verfolgungsgefahr nicht auf ihre exilpolitischen Tätigkeiten - unabhängig, dass sie diese ohnehin seit einem Jahr nicht mehr ausübt (vgl. oben) - stützen. So ist weder ersichtlich noch vorgetragen und ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Fotos, dass die Klägerin bei der Teilnahme an den insgesamt vier Demonstrationen (zwei 1996, zwei 1997, vgl. hierzu die Stellungnahme des Polizeipräsidiums Bonn vom 29.12.1997 an VG Aachen und vom 9.5.1996 an VG Ansbach) in herausgehobener Position tätig war. Allein dass sie bei der letzten Demonstration am 1. Oktober 1997 dem Vorstandsvorsitzenden der ADC, B. L. bei dem Plakataufstellen und Verteilen von Zeitschriften geholfen sowie mit ihm Parolen gerufen haben will, reicht nicht zur Bejahung eines herausgehobenen Engagements aus. Dass die Klägerin diese Aktionen selbst nicht als wesentlich ansah, ergibt sich zudem daraus, dass sie selbst auf diese - angeblichen - Aktivitäten bei ihrer erneuten Anhörung vor dem Bundesamt im Mai 1998 nicht eingegangen ist. Aus dem Ablauf dieser Befragung ist vielmehr zu folgern, dass es sich bei der Klägerin schon damals um eine politisch nicht interessierte Person gehandelt hat, denn weder konnte sie auf Nachfrage den Namen des früheren chinesischen Ministerpräsidenten (Li Peng) benennen, noch wusste sie, dass sich der Regimekritiker Wei Jingshen, der im November 1997 aus der chinesischen Haft entlassen worden war (AA., Lagebericht vom 11.7.2000; Kremb, St. v. 6.11.1998 an VG Hannover) im April 1998, also unmittelbar vor ihrer Befragung durch das Bundesamt im Bundesgebiet aufgehalten hat. Vorstandsmitglied im ADC war und ist die Klägerin nicht, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat. Auch die von der Klägerin für einen späteren Zeitraum behaupteten Aktivitäten für den VDGC (Verein für Demokratie und Gerechtigkeit Chinas) begründen, da auch insoweit nur einfachen politische Tätigkeiten vorliegen, nicht die Gefahr politischer Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Ihre Aussagen, sie habe Ende 1998 an der Gründungsversammlung des Vereins in N. mitgewirkt und sei für die Vereinsregionen Bremen und H. zuständig gewesen, wertet der Senat als Schutzbehauptung; denn nähere Auskünfte zu diesem eher umfassenden Aufgabenbereich hat die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht machen können. Besondere Bedeutung dürfte ihrer Tätigkeit im Rahmen dieser Organisation darüber hinaus auch deswegen nicht zukommen, weil sie spätestens seit Juli 1999 - Geburt des zweiten Kindes - sich nach eigenen Angaben nicht mehr exilpolitisch betätigt hat.

66

Können die Handlungen der Klägerin mithin allenfalls - wenn überhaupt - als exilpolitische Tätigkeit minderen Gewichts gewertet werden, ist kein ernsthaftes Interesse des chinesischen Staates an ihrer Person bei Rückkehr nach China ersichtlich.

67

3. Die Stellung eines Asylantrages begründet ebenfalls nicht die Gefahr politischer Verfolgung. Allerdings geht Kremb davon aus, dass jeder Asylantrag als Angriff auf das Ansehen der Volksrepublik China und die kommunistische Partei Chinas gelte, so dass die Gewährung der körperlichen Unversehrtheit der Betreffenden bei Rückkehr nach China nicht sicher und Folter nicht ausgeschlossen sei (vgl. Kremb, Gutachten v. 6.11.1998 an VG Hannover u. v. 2.11.1999 an VG Gelsenkirchen).

68

Demgegenüber weist das Auswärtige Amt in seinen Lageberichten vom 20. November 1996, 19. Dezember 1997, 23. November 1998 und 11. Juli 2000 darauf hin, dass einem Asylantrag aus Sicht des chinesischen Staates keine wesentliche Bedeutung beigemessen werde und er demnach auch keine politische Verfolgung nach sich ziehe, denn aus Sicht der chinesischen Regierung komme es vor allem auf die Gefährlichkeit oder Unbequemlichkeit der einzelnen Person für die Regierung bzw. die Kommunistische Partei an. Formale Aspekte, wie z. B. die Stellung eines Asylantrages, seien dagegen nicht ausschlaggebend. Den chinesischen Behörden sei bekannt, dass viele chinesische Staatsangehörige diesen Asylantrag nicht aus echter Überzeugung heraus stellten, sondern dass sie meist aus wirtschaftlichen Aspekten ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet begehrten (AA, St. v. 5.7.1999 an VG Leipzig, v. 4.5.1999 an VG Oldenburg, v. 28.1.1998 an VG Gießen u. v. 27.3.1997 an VG Leipzig).

69

Schier hat bereits in einer Stellungnahme vom 5. Februar 1993 an VGH Bad.-Württ. insoweit die Gefahr politischer Verfolgung verneint. Heuser weist in seiner Stellungnahme vom 16. Juni 1998 an OVG Münster darauf hin, dass ein Asylantrag keine Strafverfolgung in China nach sich ziehe. Der Rat der Europäischen Union hat in seinen Ausführungen vom 2. Februar 1995 die Auffassung vertreten, dass ein Asylantrag als solcher von den chinesischen Behörden nicht "ernstgenommen" werde und der UNHCR hat in seiner Stellungnahme vom 1. August 1994 die Gefahr politischer Verfolgung insoweit ebenfalls verneint. Ai führt in seiner Stellungnahme vom 15. Januar 1996 an VG Köln aus, es gebe keine Hinweise, dass die Stellung eines Asylantrags zu einer Straferhöhung führe, anderes gelte, wenn der Betreffende schon vorher in China auffällig geworden sei. Die Stellungnahme vom 20. Juli 1999 an VG Leipzig, in der sich ai u. a. zur Befragung rückkehrender Asylsuchender äußert, enthält ebenfalls keine Referenzfälle.

70

Bei einer zusammenfassenden Bewertung dieser Erkenntnisse ist das Verfolgungsrisiko in Bezug auf die Asylantragstellung mithin nur als gering anzusehen. Wie sich den obigen Ausführungen zur politischen Verfolgung bei exilpolitischen Tätigkeiten entnehmen lässt, werden die Vorschriften des politischen Strafrechts in China in erster Linie gegen Oppositionelle angewandt, die sich öffentlich und für Außenstehende deutlich erkennbar gegen den chinesischen Staat wenden. Da aus der Sicht der chinesischen Regierung dabei die größte Gefahr von den oppositionellen Bestrebungen in China selbst ausgeht, erscheint es konsequent, dass eine nur formell gegen den chinesischen Staat gerichtete, materiell aber auf die Gewinnung eines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet zielende Asylantragstellung von der Volksrepublik China nicht mit einer festen nachhaltigen oppositionellen Haltung gegen das chinesische Regime gleichgesetzt wird. Hiermit in Übereinstimmung steht auch die Beobachtung des Auswärtigen Amtes, dass eine Vielzahl von anerkannten Flüchtlingen besuchsweise nach China zurückkehren konnten, ohne behelligt worden zu sein (vgl. AA, St. v. 29.9.1997 an VG Stuttgart, 30.9.1997 an VG Freiburg u. v. 28.1.1998 an VG Gießen).

71

4. Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass die illegale Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu der Gefahr politischer Verfolgung führt, sind den Erkenntnismitteln ebenfalls nicht zu entnehmen.

72

Allerdings kann nach § 322 Chinesisches StGB das heimliche Überschreiten der Grenze unter Verletzung der Gesetze bei Vorliegen ernster und schwerwiegender Tatumstände mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, Gewahrsam oder Überwachung und zusätzlich einer Geldstrafe bestraft werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 11. Juli 2000 und vom 23. November 1998). Auch ist die Frage, wann ernste/schwerwiegende Tatumstände im Sinne des § 322 StGB vorliegen, nicht weiter konkretisiert. Die Ausfüllung dieses Tatbestandsmerkmals bleibt mithin der Einschätzung des jeweilig zuständigen Richters/Beamten überlassen (Auswärtiges Amt vom 9.6.2000 an VG Köln) und ist abhängig von der aktuellen politischen Lage, den persönlichen Beziehungen und dem Status des Betroffenen (ai, St. v. 20.7.1999 an VG Leipzig; Scharping, St. v. 17.2.1993 an VGH Bad.-Württ.; Kolonko, St. v. Jan. 1993 an VGH Bad.-Württ.). Zureichende Anhaltspunkte, dass die zuständigen Behörden die Straftatbestände auch auf die einfach illegal ausgereisten chinesischen Staatsbürger erstrecken, liegen indes nicht vor. Einschlägige Referenzfälle politischer Verfolgung sind in diesem Zusammenhang nicht bekannt geworden. Schon Kolonko hat in dem Gutachten vom Januar 1993 an VGH Bad.-Württ. auf die Strafbarkeit, aber auch auf das eingeräumte weite Ermessen hingewiesen, ohne Referenzfälle zu benennen. In einer nachfolgenden Stellungnahme vom 23. Juli 1994 an VG Köln führt Kolonko aus, dass illegal Ausgereiste in der Regel einige Tage festgehalten würden, ein Schuldbekenntnis unterschreiben müssten und sich dann wieder frei bewegen könnten. Schier geht in seiner Stellungnahme vom 5. Februar 1993 an VGH Bad.-Württ. davon aus, illegal Ausgereiste hätten bei Rückkehr nach China keine Probleme. Der Rat der Europäischen Union spricht in seiner Stellungnahme vom 2. Februar 1995 allenfalls von der Verhängung einer nur geringen Strafe. Diese Auffassung hat das Auswärtige Amt auch in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 1999 an das VG Leipzig vertreten. Nach der Auffassung des AA soll die Strafvorschrift vor allem einer Strafverfolgung der auch in China verstärkt auftretenden Schleuserbanden und der Unterbindung des von ihnen betriebenen Menschenhandels dienen (Lagebericht v. 11.7.2000). Auch Scharping weist in seinem Gutachten vom 19. Mai 2000 an das VG Köln zwar auf die in §§ 318 bis 323 Chinesisches StGB insoweit enthaltenen Strafandrohungen hin, führt jedoch weiter aus, dass einfach illegal Ausgereiste in der Regel bei Rückkehr (nur) mit einer Geldstrafe oder einer Verwaltungsgebühr belegt würden, der Strafrahmen an sich nur im Zusammenhang mit der Strafverfolgung von Schleuserbanden ausgeschöpft werde und dass diese Strafbestimmungen insbesondere auf Druck des Auslandes verschärft worden seien, um die organisierte Emigration aus China einzudämmen. Ai sieht es in der Stellungnahme vom 15. Januar 1996 an VG Köln als zweifelhaft an, ob chinesische Behörden im Fall einer einfachen legalen Ausreise strafrechtliche Maßnahmen ergreifen, es gebe keinen Hinweis, dass eine illegale Ausreise als solche zu einer Straferhöhung führe, anderes gelte wiederum, wenn der Betreffende schon in China auffällig gewesen sei. In einer weiteren Stellungnahme vom 10. April 1997 an VG Bayreuth sieht es in der illegalen Ausreise ein erhöhendes Gefährdungsmoment, benennt aber keine Referenzfälle.

73

Bei dieser Erkenntnislage kann dahinstehen, ob die den illegalen Grenzübertritt erfassenden Strafbestimmungen, insbesondere § 322 Chinesisches StGB überhaupt von ihrem Inhalt her als politische Delikte (Bestrafung der Republikflucht) zu werten sind oder ob es sich bei ihnen nicht nur um eine bloße ordnungspolitische Strafvorschrift handelt (in diesem Sinne OVG Rh..-Pf., Urt. v. 13. Dezember 1995 - 11 A 13385/95.OVG -, UA S. 12 ff.). Denn den oben dargestellten Erkenntnismitteln ist schon nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, dass der chinesische Staat zum Nachteil der Klägerin wegen ihrer einfachen illegalen Ausreise von dieser Strafvorschrift Gebrauch machen wird. Dem steht im übrigen auch die Beobachtung des Auswärtigen Amtes entgegen, dass mehrere chinesische Staatsangehörige versucht haben, China mit gefälschten Papieren über einen Flughafen zu verlassen, dieses von den chinesischen Behörden auf Intervention des Auswärtigen Amtes aufgedeckt worden sei, die betreffenden chinesischen Staatsbürger gleichwohl ohne weitere Repressalien den Flughafen hätten verlassen können (AA, St. v. 4.5.1999 an VG Oldenburg). In den Lageberichten des Auswärtigen Amtes von 1996, 1997, 1998 und 2000 wird zudem auch von aus westlichen Staaten, etwa den USA, Abgeschobenen berichtet, die illegal eingereist waren, ohne dass diese in China etwaigen Drangsalierungen unterworfen worden seien. Dass der chinesische Staat generell nicht bestrebt ist, den illegalen Grenzübertritt zu ahnden, ergibt sich schließlich auch aus der vom Auswärtigen Amt (Lagebericht vom 11.7.2000) übereinstimmend mit dem Rat der Europäischen Gemeinschaft (St. v. 2.2.1995) berichteten Erfahrung westlicher Länder, dass chinesische Regierungsvertreter kein großes Interesse an der Rücknahme illegaler Auswanderer oder abgelehnter Asylbewerber zeigten. Ein Staat, der gegen seine illegal ausgereisten Staatsangehörigen aber Verfolgungsmaßnahmen beabsichtigt, wäre bestrebt, den Betreffenden zu ergreifen und würde an der Rückführung in das Heimatland aktiver mitwirken. Dem von der Klägerin in diesem Zusammenhang vorgelegten Zeitungsbericht kommt aufgrund der sich aus den übrigen Erkenntnismitteln ergebenden Einschätzung keine besondere Bedeutung zu.

74

5. Den Erkenntnismitteln ist schließlich auch nicht zu entnehmen, dass bei einer Gesamtwürdigung (Asylantragstellung/illegale Ausreise/exilpolitische Tätigkeit einfacher Art) die Situation anderes zu beurteilen und von der beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung auszugehen ist (zum gesamten Vorstehenden vgl. ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29. April 1998 - A 6 S 3271/96 -; OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 25. Jan. 2000 - 11 A 12211/99.OVG - u. Beschl. v. 26.Aug. 1997 - 11 A 12080/97.OVG -; OVG NW, Urt. v. 24. April 1998 - 1 A 1399/97.A -; OVG Saarlouis, Urt. v. 19. Mai 1999 - 9 R 22/98 -).

75

6. Die von der Klägerin befürchteten Auswirkungen der chinesischen Familienplanungspolitik auf ihre Lebenssituation nach einer Rückkehr in die Volksrepublik China, insbesondere die ihr nach ihrer Einschätzung drohende Zwangssterilisation, stellen keine politische Verfolgung im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG dar; denn sie knüpfen nicht an bestimmte, den Einzelnen von der Bevölkerung ausgrenzende Merkmale an, sondern gelten für alle Bürger von Volksrepublik China im wesentlichen unterschiedslos. Sie haben nach ihrem inhaltlichen Charakter und ihrer erkennbaren Gerichtetheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989, BVerfGE 80, 315, 335) das Ziel, das Überleben der chinesischen Bevölkerung durch Beschränkung ihres weiteren Wachstums zu sichern. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung der anderen Obergerichte (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.7.1998 - A 6 S 669/97 -; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 13.12.1995 - 11 A 13385/95.OVG -; OVG NW, Urt. v. 24.4.1998 - 1 A 1399/97.A -; OVG Saarlouis, Urt. v. 20.10.1999 - 9 R 24/98 -). Entsprechend hat das Verwaltungsgericht die nach Angaben der Klägerin ihr drohende Zwangssterilisation bei Rückkehr auch lediglich unter dem Gesichtspunkt des § 53 AuslG geprüft.

76

B) Auch Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG steht der Klägerin nicht zu.

77

Die der Klägerin bei Rückkehr nach China aus der chinesischen Familienpolitik drohenden Maßnahmen rechtfertigen nicht die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG (hier: § 53 Abs. 4 bzw. Abs. 6).

78

Den Erkenntnismitteln ist zu entnehmen, dass die chinesische Regierung seit 1979 nationale Richtlinien für eine landesweite Familienpolitik erlassen hat, um das chinesische Bevölkerungswachstum zu verlangsamen (1994 noch 16 Mio jährlich - vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.7.1998 - A 6 S 669/97 S. 13). Aufgrund der nationalen Richtlinien haben die chinesischen Provinzen, autonomen Gebiete und regierungsunmittelbaren Städte Familienplanungsbestimmungen erlassen. Diese sehen vor, dass eine verheiratete Frau in der Regel nur ein Kind nach vorheriger Genehmigung bekommen darf (vgl. Die Welt v. 21.8.2000). Als Sanktionen wurden empfindliche Strafgebühren verhängt, der Bezug von Getreide- und Nahrungsmitteln wurde verteuert, für die zusätzlichen Kinder wurden keine Bezugsscheine ausgegeben, die Eltern wurden bei der Wohnungssuche nicht bevorzugt berücksichtigt. Darüber hinaus erhielten sie keinerlei Zuschüsse, wie sie sonst anlässlich einer Geburt gezahlt wurden (Weggel, St. v. 27.7.1994 an VG Aachen). In der ersten Phase soll es verstärkt Zwangsabtreibungen/Zwangssterilisationen gegeben haben. Nach 1985 kam es aber zu merklichen Lockerungen; denn das Problem des Mordes an weiblichen Säuglingen (insbesondere im ländlichen Bereich wurden erstgeborene Töchter getötet, um so Gelegenheit für die Geburt eines Stammhalters zu schaffen) hatte Anfang der 80-er Jahre erhebliche Ausmaße angenommen (Weggel, St. v. 27.7.1994 an VG Aachen). Nunmehr wurde für den ländlichen Bereich die Geburt von zwei Kindern ermöglicht, insbesondere wenn das erste Kind ein Mädchen ist und die Familie deswegen in Schwierigkeiten gerät, ebenso bei der Behinderung eines Kindes, wenn bei Wiederheirat ein Ehepartner noch kein Kind hat, oder bei Arbeitsunfähigkeit eines Ehepartners aufgrund eines Arbeitsunfalles. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen gelten Sonderregelungen. So können Angehörige nationaler Minderheiten mehr Kinder bekommen. Zurückgekehrte Auslandschinesen, insbesondere wenn sie weitere Qualifikationen besitzen, werden in der Regel ebenfalls bevorzugt behandelt, d. h. sie können in der Regel zwei Kinder bekommen (AA, St. v. 5.7.1999 an VG Leipzig; Scharping, St. v. 28.10.1999 an VG Leipzig). Bei einem Verstoß gegen die Familienpolitik werden jedoch weiterhin empfindliche Geldbußen verhängt, zum Teil dem Kind der Schulbesuch verwehrt, unter Umständen ist auch mit dem vorübergehenden Verlust des Arbeitsplatzes zu rechnen (AA, Lagebericht v. 11.7.2000 u. v. 23.11.1998, Stellungnahme vom 13.10.1998 an VG Ansbach, vom 25.8.1998 an VG Leipzig; Kolonko, St. v. 23.7.1994 an VG Köln; ai, St. v. 15.1.1996 an VG Köln). Seit Mitte der 90er Jahre ist den Bürger eine größere Freiheit bei der Wahl der Verhütungsmittel eingeräumt (vgl. Die Welt v. 1.2.2000). So wird nach der Geburt eines Kindes in der Regel ein Intrauterinpessar empfohlen, sollte es gleichwohl zur Geburt eines zweiten Kindes kommen, wird eine Tubenligatur (Funktionsunterbindung der Eierstöcke) nahegelegt (heuser, St. v. 14.3.2000 an VG Augsburg). Eine Vasektomie (Entfernung eines Stückes der Samenleiter des Mannes) ist ebenfalls denkbar. Je nach dem Verhalten der Frau können aber auch Kondome oder Pillen als Verhütungsmittel angegeben und akzeptiert werden (Scharping, St. v. 25.3.1999 an VG Leipzig u. v. 28.10.1999 ebenfalls an VG Leipzig). Die meisten Geburtenplanungsbestimmungen sehen zwischenzeitlich zudem ausdrücklich eine Einspruchsmöglichkeit bei vorgesetzten Behörden gegen Anordnungen unterer Geburtenplanungsorgane vor, auch die Möglichkeit einer gerichtlichen Klage (Scharping, St. v. 25.3.1999 an VG Leipzig), der Gutachter weist allerdings darauf hin, dass genaue Informationen über Zahl, Art und Ausgang solcher Klagen nicht vorliegen.

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Mit der Einräumung der Wahlfreiheit sind die Sterilisationsvorschriften aus den Provinzbestimmungen entfallen (Scharping, St. v. 28.10. und 25.3.1999 an VG Leipzig). Gleichwohl können in den Vorschriften unterer Organe noch derartige Bestimmungen enthalten sein.

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Für das Verhalten der chinesischen Geburtenplanungsbehörden ist dabei die Frage wichtig, ob die betreffende Frau die von ihr vorgeschlagene Verhütung tatsächlich gewährleisten kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Sterilisierung staatlich bezahlt wird, während Verhütungsmaßnahmen wie Pille oder Implantate in der Regel selbst bezahlt werden müssen. Da die finanziellen Möglichkeiten, die Kenntnis von Verhütungsmethoden und die Bereitschaft zur Anwendung von Kontrazeptiva in den Städten höher ist als auf dem Land, werden als Konsequenz die Geburtenplanungsbestimmungen in den Städten liberaler gehandhabt. Paare, die eine Sterilisierung oder Pessareinsetzung verweigern, müssen eine höhere Garantiesumme hinterlegen. Auf dem Land werden im Gegensatz zur Stadt mehr Sterilisierungen durchgeführt, weil die Landbevölkerung zum Teil nicht über zureichendes Geld für den Kauf anderer Verhütungsmittel verfügt, Verhütungsmittel dort nicht immer zu bekommen sind und ihr auch entsprechende Rechtskenntnisse fehlen (Scharping, St. v. 28.10.1999 und 25.3.1999 an VG Leipzig). Eine strafrechtliche Verfolgung von ungenehmigten Geburten oder unterlassener Verhütung ist in der Regel nicht vorgesehen (Heuser, St. v. 16.6.1998 an OVG Münster; Scharping, St. v. 25.3.1999 an VG Leipzig).

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Die Frage, ob die eben skizzierte chinesische Familienpolitik zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG führen muss, ist zu verneinen.

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Soweit die Klägerin auf die Gefahr einer Zwangssterilisation bei Rückkehr verweist, ist diese Gefahr zum einen nicht mit der für § 53 erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu bejahen (1), zum anderen kann sie diese Gefahr durch zumutbares Verhalten verhindern (2).

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(1) Zureichende Anhaltspunkte für eine der Klägerin drohende Zwangssterilisation fehlen.

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Allerdings kann eine derartige Maßnahme nicht ausgeschlossen werden. Zwar wird die Anwendung physischen Zwangs zur Durchführung einer Sterilisation im Gegensatz zu früher (vgl. Weggel, St. v. 27.7.1994 an VG Aachen; Scharping, St. v. 25.3.1999 an VG Leipzig; Rat der EU v. 2.2.1995) nicht mehr als rechtmäßig angesehen (AA, St. v. 22.5.2000 an VG Augsburg; Scharping, St. v. 25.3.1999 an VG Leipzig). Jedoch weist selbst das sich in seinen Formulierungen eher zurückhaltende AA darauf hin, dass aufgrund der unterschiedlichen, zentral nicht kontrollierten Verwaltungspraxis Übergriffe vorkommen können und auch nicht geahndet werden, da sie den staatlichen Zielvorgaben (Rückführung des Bevölkerungswachstums) entsprechen (Lagebericht v. 23.11.1998 und v. 11.7.2000; St. v. 22.5.2000 an VG Augsburg; v. 5.7.1999 an VG Leipzig). Konkrete Referenzfälle werden allerdings vom AA nicht benannt. Es weist vielmehr, ebenso wie Scharping und Heuser, darauf hin, dass die Abgrenzung zwischen freiwilliger und erzwungener Sterilisation häufig fließend sei, da einer Sterilisation oft ein mehr oder weniger massiver Druck vorausgehe (AA v. 5.7.1999 an VG Leipzig; Scharping v. 28.10.1999 an VG Leipzig; Heuser, St. v. 14.3.2000 an VG Augsburg). Entscheidend sei darüber hinaus auch in diesem Bereich, welche Beziehungen das jeweilige Ehepaar habe (Morf, st. v. 22.7.1994). Die von Scharping in seinem Gutachten vom 25. März 1999 an VG Leipzig aufgestellten Statistiken über die Anwendung von Verhütungsmitteln ermöglichen - unabhängig davon, dass sie nicht zwischen freiwilliger und erzwungener Sterilisation unterscheiden - ebenfalls keine zureichende Aussage; denn der Gutachter weist selbst darauf hin, dass sich die wirklichen Verhältnisse anders als in den offiziellen Statistiken darstellen, da die Statistiken um möglichst hohe Konformität mit den Planziffern und politischen Zielen bemüht seien. Er geht davon aus, dass ca. 30 % der Geburten nicht gemeldet würden, entsprechend wären die Zahlen für die genannten Sterilisierungen zu hoch angesetzt.

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Den aktuellen Stellungnahmen von ai lassen sich ebenfalls keine konkrete Hinweise auf durchgeführte Zwangssterilisierungen entnehmen. Allerdings schätzt ai die Gefahr einer Zwangssterilisation im Falle einer Wiedereinreise nach einem Auslandsaufenthalt für eine HAN-Chinesin im gebärfähigen Alter, die bereits mehrere eigene Kinder hat, als durchaus gegeben ein, zumal die betreffende Frau durch ihre unerlaubte Ausreise politisch auffällig geworden sei und zu erkennen gegeben habe, dass sie sich durch ihre Flucht der chinesischen Geburtenkontrollpolitik habe entziehen wollen (St. v. 22.2.1999 an VG Leipzig). Diese Einschätzung von ai wird aber nicht durch nachprüfbare Beispielsfälle belegt. Soweit ai in jener Stellungnahme vom 22.2.1999 und ebenso wie in einer Stellungnahme vom 15.1.1996 an VG Köln auf einen Vorfall aus 1994/95 verweist, liegt dieser inzwischen fünf Jahre zurück. Zudem ereignete er sich in einem Dorf in der Provinz H., das zu 90 % von Katholiken bewohnt sein soll und daher nicht als typisches chinesisches Dorf bewertet werden kann. Der von ai in der Stellungnahme vom 15.1.1996 an VG Köln, v. 9.12.1997 an VG Aachen und vom 20.7.1999 an VG Leipzig erwähnte Vorfall liegt noch weiter zurück. Er bezieht sich auf das Jahr 1993 und betrifft die Bestrafung von Personen, die gefälschte Sterilisationsbescheinigungen ausgestellt haben, mithin nicht die betroffene Frau selbst.

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Auch ai weist letztlich darauf hin, dass es über kein Zahlenmaterial bezüglich Zwangssterilisierungen verfüge und maßgebend für die Reaktion des Staats vor allem die jeweilige generelle oder regionale "Stimmung" sei (St. v. 20.7.1999 an VG Leipzig u. v. 22.2.1999 an VG Leipzig).

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Aufgrund dieser eher vagen Aussagen in den aktuellen Erkenntnismitteln und der schon oben dargelegten Tatsache, dass in China die Rechtsanwendung von Region zu Region unterschiedlich ist und auch innerhalb der Region wieder von der Einstellung des betreffenden Funktionärs, aber auch von der Stellung des betroffenen Paares abhängt, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei Rückkehr nach China mit einer Zwangssterilisation konfrontiert werden kann, andererseits kann dies insoweit aber nicht mit dem für eine ernstzunehmende Gefahr notwendige Wahrscheinlichkeitsgrad aus den Erkenntnismitteln abgeleitet werden (ebenso OVG Saarlouis, Urt. v. 20. Oktober 1999 - 9 R 24/98 -; a. A.: OVG NW, Urt. v. 24. April 1998 - 1 A 1399/97.A -. Das OVG NW lässt offen, ob eine verbindlich für ganz China angeordnete Pflicht zur Zwangssterilisation zu § 53 AuslG führt, stellt vielmehr darauf ab, dass die Ungewissheit für den Einzelnen, ob ihm nun Sterilisation droht oder nicht, eine erniedrigende Situation darstellt.)

88

Unabhängig hiervon ist im vorliegenden Fall zusätzlich darauf hinzuweisen, dass die Klägerin aus der Provinz Z. stammt, für die anzuwendenden Verhütungsvorschriften jeweils der bisherige Wohnsitz in China, also nicht der Ort der Einreise, maßgeblich ist (Scharping, St. v. 25.3.1999 an VG Köln; ai, St. v. 22.2.1999 an VG Leipzig) und die Provinz Z. nach den Ausführungen von Scharping (vom 25.3.1999 an VG Leipzig) die Verhütungsvorschriften nicht weiter präzisiert hat, mithin eher liberaler handhabt.

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(2) Der Klägerin ist eine Rückkehr im übrigen auch deswegen zumutbar, weil sie selbst die Möglichkeit hat, eine (jetzt unterstellte) ernsthafte Gefahr einer Zwangssterilisierung bei Rückkehr dadurch abzuwenden, dass sie gegenüber den Behörden verbindlich und glaubhaft erklärt, andere Verhütungsmaßnahmen vorzunehmen und diese auch tatsächlich vornimmt (vgl. hierzu Scharping, St. v. 28.10.1999 und v. 2.5.1999 an VG Leipzig). Der im gerichtlichen Verfahren geäußerte Wunsch der Klägerin, neben ihren zwei Kindern noch weitere Kinder zu bekommen, führt insoweit nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Bereits oben wurde dargelegt, dass die Entscheidung des chinesischen Staates zur Familienplanungspolitik sich nicht gegen die Frauen oder eine besondere Gruppe der Frauen als solche richtet, sondern allein von dem Ziel getragen wird, im Interesse der chinesischen Bevölkerung als Ganzes (letztlich auch im Interesse der Weltbevölkerung) das Bevölkerungswachstum in China zu verlangsamen. Ohne die in der Vergangenheit durchgeführte strikte Familienplanung würden in China heute ca. 200 Mio Menschen mehr leben (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15. Juli 1998 - A 6 S 669/97 - S. 15). Die Rückführung des Bevölkerungswachstums ist danach ein zulässiger Ansatz der chinesischen Politik, um den sonst für China drohenden Gefahren (soziale, wirtschaftliche und medizinische Missstände) zu begegnen. Die Entscheidung chinesischer Paare, Kinder bekommen zu wollen, ist aufgrund dieser besonderen Konstellation in China keine Privatsache mehr, sondern der staatlichen Planung unterworfen. Dem privaten Wunsch der Klägerin, noch mehr Kinder zu bekommen, kann daher - so hart das auch im Einzelfall für den Betroffenen sein mag - im vorliegenden Verfahren kein wesentliches Gewicht beigemessen werden.

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Aus diesen Überlegungen folgt zugleich, dass - sollte die Klägerin nicht freiwillig ernsthafte Verhütungsmethoden bei Rückkehr nach China praktizieren - auch eine möglicherweise bei ihr dann bevorstehende Zwangssterilisation nicht Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 oder Abs. 6 begründen kann, denn auch diese Maßnahme wäre letztlich im übergeordneten Bevölkerungsinteresse Chinas notwendig und von dem Betroffenen hinzunehmen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.

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Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 VwGO genannten Gründe vorliegt.