Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.09.2000, Az.: 1 K 3563/99

Abstand; Abstandfläche; Abstandsfläche; Abwägung; Abwägungsbeachtlichkeit; Baugenehmigung; Geschoßflächenzahl; GFZ; Kerngebiet; Maß der baulichen Nutzung; Nutzungsmaß; Reduzierung; Vergrößerung; Wohnnutzung; Überschreitung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.09.2000
Aktenzeichen
1 K 3563/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 42068
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 28.02.2001 - AZ: BVerwG 4 BN 11.01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Abwägungsbeachtlichkeit einer vereinzelten Wohnnutzung (in einem "niedrigen" Geschoss) im Kerngebiet einer Großstadt im Hinblick auf die Einhaltung der landesrechtlichen Abstandsvorschriften.

2. Eine Unterschreitung der Abstandsvorschriften der NBauO genügt den Anforderungen der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Kerngebiet noch, wenn in der Geschossebene der Wohnnutzung ein Abstand von 0,4 H eingehalten wird (vgl. auch § 5 Abs. 7 LBO BW).

3. Eine Überschreitung der nach § 17 Abs. 1 BauNVO zulässigen GFZ ist nach § 17 Abs. 2 BauNVO zulässig, wenn die vorhandene Geschossfläche noch vergrößert wird, allerdings durch eine Vergrößerung der Grundfläche eine Reduzierung der GFZ erreicht wird.

Tatbestand:

1

Die Antragsteller erstreben die Nichtig- oder Unwirksam-Erklärung der 2. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 522 der Antragsgegnerin. Sie machen geltend, ihre Rechte als Nachbarn des Vorhabens, das Gegenstand der angefochtenen Änderung ist, seien verletzt.

2

Der Planbereich in der Innenstadt der Antragsgegnerin wird durch drei Straßen begrenzt (Kstraße in fast nördlicher Richtung, Sstraße von Süden her mit der Gstraße zusammentreffend und so die Spitze eines gleichschenkligen Dreiecks bildend). Die Sstraße ist im angefochtenen Plan mit einer Breite von 14 m festgesetzt. Die Antragsteller sind Eigentümer von bebauten Grundstücken an diesen Straßen gegenüber dem Plangebiet. Sie werden gewerblich und für Büros oder Praxisräume genutzt. Allein der Antragsteller zu 1) hat dort auch seine Wohnung im ersten Obergeschoss (Sstraße). Das Doppelhaus Sstraße und hat eine Traufhöhe von 18 m. Die Antragsteller zu 1) und 2) betreiben in ihren Gebäuden Gaststätten, in der warmen Jahreszeit auch mit Außenbewirtschaftung (Holländische Kakao-Stube und Restaurant).

3

Vor dem Zweiten Weltkrieg war die nördliche Spitze (Kstraße/Gstraße) mit dem fünfgeschossigen Hotel C bebaut. Nach dem Krieg wurde die Kstraße verbreitet. Antragsgegnerin ab; dazu gehörte der Antragsteller zu 5) oder sein Rechtsvorgänger (Kstraße X), dem eine Entschädigung nach § 17 des Aufbaugesetzes gewährt wurde. Solche Verträge kamen auch mit den Rechtsvorgängern des Antragstellers zu 4) (Kstraße X) und des Antragstellers zu 3) (Kstraße X) zustande; der Die zweigeschossige Bebauung der Nachkriegszeit sollte abgebrochen, im Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau neu gestaltet und verdichtet werden. So entstand der seit 1971 verbindliche Bebauungsplan Nr. 522, der im Wesentlichen die heute noch vorhandene Bausubstanz, das sogenannte K-Center, bestimmt. Für den Komplex charakteristisch sind der zwölfgeschossige "Turm" im südlichen Teil, die Abflachung an den Seiten auf bis zu drei Geschossen, die vielfach durch Vor- und Rücksprünge gegliederte, nahezu verschnörkelte Fassadengestaltung und die durch eine Öffnung an der nördlichen Spitze bewirkte Integration in die "Minus-Eins-Ebene" (Zugang zur Passerelle, einer unterirdischen Fußgängerzone, und zur U-Bahnstation).

4

In den 90er-Jahren wurde der wuchtige und zugleich "zerklüftete" Komplex als nicht mehr zeitgerecht empfunden. Um 1992 erwog die Antragsgegnerin eine Neuplanung. Sie kam letztlich nicht zustande. Aus dieser Zeit stammt ein "Bericht des Dezernenten" datiert vom 3.3.1992, in dem es heißt, die ursprüngliche Planung eines Gemeinschaftswarenhauses mit mehrgeschossiger öffentlicher Halle habe sich nicht verwirklichen lassen. Die damals von Architekten vorgeschlagene erhebliche Vergrößerung komme nicht in Frage, weil die Gebäudehöhen des Sockelbereiches "Ergebnis einer langwierigen schwierigen Abstimmung mit den Nachbarn" gewesen seien.

5

Seit 1997 betrieb die Antragsgegnerin die Planung für die 2. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 522. Die Planung wurde beschleunigt, weil der Umbau möglichst bis zum Beginn der Weltausstellung fertiggestellt sein sollte. In der Begründung der Planänderung wird ausgeführt, in Übereinstimmung mit der Eigentümerin sei der Umbau als ein "Beitrag zur Stadtreparatur" beabsichtigt. Wesentliche Festsetzungen sind deshalb die Bereinigung der Fassade und die Planung einer 7,50 m hohen Kolonnade zur Georgstraße und zur Karmarschstraße hin, die an der Gebäudespitze eine Platzfläche von bis zu 23 m Tiefe entstehen lässt. Die städtebaulich gewollte Konzeption erfordere es, dass die nach der NBauO erforderlichen Grenz- und Gebäudeabstände nicht mehr eingehalten werden könnten. Die Ausweisungen von Baulinien und zwingenden Gebäudehöhen seien erforderlich und gerechtfertigt, um besondere baugestalterische und städtebauliche Absichten zu ermöglichen (§ 13 NBauO). Die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse würden eingehalten, da durch die relativ breiten Verkehrsflächen und die aufgeweiteten Freibereiche ausreichende Belichtung und Belüftung erfolgen könnten. Da die Geschosse höher sein sollten als 3,50 m und damit höher als die nach der BauNVO mittelbar maßgebende Höhe, würden die Höhen der Oberkanten des Gebäudes festgesetzt. Als zulässiges Maß der baulichen Nutzung werde lediglich die Grundflächenzahl (1,0) festgesetzt (Drucks. 513/98). In einer Ergänzung der Begründung führt die Antragsgegnerin aus, mit der Gebäudehöhe von ca. 22 m solle eine Fünfgeschossigkeit unter Beibehaltung des vorhandenen Turms erreicht werden. Die dadurch bedingte Geschossflächenzahl von 6,0 sei in Bezug auf § 17 Abs. 2 BauNVO zulässig.

6

Das Vorhaben der Äußerungsberechtigten genehmigte die Antragsgegnerin mit Bauvorbescheid und einer Teilbaugenehmigung vom 26. März 1998 (dem Tag des Ratsbeschlusses) und mit Baugenehmigung vom 25. September 1998. Unter anderen die Antragsteller legten dagegen Widerspruch ein. Die Anträge der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche anzuordnen, hatten beim Verwaltungsgericht Erfolg; der Senat hat sie mit Beschluss vom 30. März 1999 -- 1 M 897/99 -- abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren ergänzte die Antragsgegnerin die Baugenehmigung durch Abwägung der Beeinträchtigungen der Wohnung des Antragstellers zu 1). Das Widerspruchsverfahren ruht zur Zeit.

7

Der Normenkontrollantrag der Antragsteller hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

8

2. Die 2. Änderung des Bebauungsplanes ist auch materiell rechtmäßig.

9

Das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB ist im Ergebnis nicht verletzt. Nach dieser Vorschrift sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit) oder wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird; ferner, wenn der Ausgleich zwischen den berührten öffentlichen Belangen außer Verhältnis zu ihrer objektiven Gewichtigkeit steht (Abwägungsfehleinschätzung, vgl. BVerwG, Urt. vom 12.12.1969 -- 4 C 105.66 -- BVerwGE 34, 301 ff). Dabei sind Mängel im Abwägungsvorgang nach § 214 Abs. 3 BauGB unerheblich, wenn sie nicht offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis nicht von Einfluss gewesen sind.

10

Ein Abwägungsfehler liegt nicht schon darin, dass die Antragsgegnerin die Wohnung des Antragstellers zu 1) nicht bedacht hat. Das Abwägungsmaterial, also die Fülle der im Planungsprozess zu berücksichtigenden Belange, ist nämlich nicht unbeschränkt. Neben objektiv geringwertigen und nicht schutzwürdigen Interessen beschränkt sich die Abwägungsbeachtlichkeit auf solche Betroffenheiten, die für die planende Stelle bei der Entscheidung über den Plan abwägungsbeachtlich erkennbar sind (vgl. BVerwG, Beschl. vom 9.11.1979 -- 4 N 1.78 u.a. -- BVerwGE 59, 87/103f = DVBl. 1980, 233/7). Die Bürgerbeteiligung hat die Aufgabe, der planenden Gemeinde Interessen sichtbar zu machen. Hat es ein Betroffener unterlassen, seine Betroffenheit im Zuge der Bürgerbeteiligung vorzutragen, dann ist die Betroffenheit nur dann abwägungsbeachtlich, wenn sich der Gemeinde diese Betroffenheit aufdrängen musste.

11

Diese Voraussetzung liegt im Hinblick auf die Wohnung des Antragstellers zu 1) nicht vor. Im Zentrum von H beschränkt sich die Wohnnutzung jedenfalls in den Hauptgeschäftsstraßen, zu denen die das K-Center umschließenden Straßen zählen, auf einzelne Wohnungen in den obersten Geschossen, für die die Höhe der umgebenden Bebauung wegen ihrer eigenen Lage in den obersten Geschossen für die Belichtung und Belüftung ohne (negative) Bedeutung ist. Die Wohnung des Antragstellers zu 1) im ersten Obergeschoss des Hauses Sstraße X stellt einen absoluten Ausnahmefall in der Umgebung des K-Centers dar. Bis auf diese eine Wohnung werden die Häuser insbesondere in der Sstraße und Kstraße in den Obergeschossen durchgehend als Büros, Praxen oder ähnlich genutzt. Die vereinzelte Wohnnutzung ist auch nicht so offenkundig, dass die Antragsgegnerin sie hätte "sehen müssen". Gegenüber einer Büronutzung hebt sich die Wohnnutzung des Antragstellers zu 1) aus dem Blickwinkel des Straßenpassanten nicht sichtbar ab, weil Gardinen auch in Büros nicht unüblich sind. Eine Durchsicht aller Bauakten der Nachbargrundstücke eines Plangebietes ist einer Gemeinde nicht zuzumuten. Unter diesen Umständen war es Sache des Antragstellers zu 1), auf die Wohnnutzung im ersten Obergeschoss im Zuge der Bürgerbeteiligung hinzuweisen, zumal sich der Antragsteller zu 1) -- wie viele andere Nachbarn des K-Centers -- in der Bürgerbeteiligung ausführlich geäußert hat.

12

b) Das Abwägungsergebnis verletzt auch nicht die Abstandsvorschriften der §§ 7 ff NBauO. Die Begründung des Bebauungsplanes geht zwar auf die Voraussetzungen einer Unterschreitung der Grenzabstände nur sehr oberflächlich ein. Die Reduzierung des Profils der Sstraße von 14,5 m auf 14,0 m wird gesehen, aber die nicht unwesentliche Erhöhung des K-Centers kommt nicht ausdrücklich in den Blick. Etwaige Mängel des Abwägungsvorgangs sind aber nicht von Einfluss auf das Ergebnis gewesen (§ 214 Abs. 3 BauGB). Die Abstandsvorschriften der §§ 7 ff NBauO sind bei der Rechtsetzung durch Bebauungspläne zu beachten (vgl. BVerwG, Beschl. vom 22.9.1989 -- 4 NB 24/89 -- NVwZ 1990, 361). Der im Bebauungsplan festgesetzte Baukörper überschreitet den nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 NBauO erforderlichen Abstand von  1/2 H insbesondere gegenüber den Grundstücken der Antragsteller zu 1) und 2) in der Sstraße. Hier ist mit "OK 76,3 m bis 78,3 m ü.NN." für das K-Center eine Höhe von maximal 22,4 m über dem Straßenniveau festgesetzt. Die Breite der Sstraße, deren Fläche nach § 9 Abs. 1 Satz 1 NBauO bis zur Mittellinie zu berücksichtigen ist, ist mit 14 m festgesetzt. Bei einer Gebäudehöhe von ca. 22 m ist ein Abstand von 11 m erforderlich, der erheblich über die zur Verfügung stehende halbe Straßenbreite von 7 m hinaus reicht.

13

Die 2. Änderung des Bebauungsplanes überlässt auch nicht dem Landesrecht den Vortritt, in dem sie lediglich beispielsweise Baugrenzen festsetzt, die gemäß § 23 Abs. 3 BauNVO nicht überschritten werden dürfen. Die Festsetzung einer umlaufenden Baulinie erzwingt das Bauen "auf dieser Linie" (§ 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Zusammen mit der Festsetzung der Gebäudehöhe hat der Bebauungsplan danach zwangsläufig zur Folge, dass die landesrechtlichen Abstandsvorschriften nicht eingehalten werden können (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Kommentar zur NBauO, 6. Aufl., 1996, § 13 Rdnr. 24).

14

Die Abweichung von den landesrechtlichen Abstandsbestimmungen ist aber zulässig nach § 13 NBauO. Nach dieser Vorschrift können geringere als die in §§ 7 bis 12 a vorgeschriebenen Abstände ausnahmsweise zugelassen werden unter anderem zur Verwirklichung besonderer baugestalterischer oder städtebaulicher Absichten (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 NBauO); den Erfordernissen des Brandschutzes und den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse muss genügt werden (§ 13 Abs. 2 NBauO). Einer Ausnahme unter den Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 bedarf es auch dann, wenn Festsetzungen in einem Bebauungsplan zu geringeren als den vorgeschriebenen Abständen führen (§ 13 Abs. 3 NBauO). Für den Bebauungsplan genügt es, wenn hiernach die Voraussetzungen einer Ausnahme vorliegen; die Entscheidung über die Ausnahme bleibt dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten.

15

Die vom Gesetz verlangten Voraussetzungen von Ausnahmen liegen vor. Die Durchbrechung der Abstandsvorschriften dient der Verwirklichung "besonderer baugestalterischer oder städtebaulicher Absichten". Die Merkmale der "baugestalterischen und städtebaulichen Absichten" lassen sich nicht streng trennen; sie gehen ineinander über (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 13 Rdn. 4). Hier gehen der Wunsch einer verbesserten Baugestaltung des wuchtigen Komplexes und das Bestreben nach einer Betonung der stadtzentralen Funktion des Vorhabens Hand in Hand. Darauf, ob diese "Absichten" von dem Investor ausgehen und von der Antragsgegnerin nur rezipiert worden sind, kommt es nicht an (vgl. dazu den Beschluss des erkennenden Senats vom 30.3.1999 -- 1 M 897/99 -- BA S. 21f). Diese Absichten sind auch "besondere" im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. NBauO. Hierfür ist nicht eine besonders hervorragende Qualität der Planung erforderlich (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O); das Gesetz verlangt mit dem Merkmal der Besonderheit vielmehr eine die allgemeine Beziehung auf die gute städtebauliche Ordnung, die jedes Vorhaben aufweisen muss, überschießende Motivation. Für den entsprechenden Begriff des Bundesrechts (§ 1 Abs. 5 und 9 BauNVO) gilt, dass nicht etwa Gründe von zusätzlichem Gewicht gemeint sind, sondern spezielle Gründe, die sich aus der konkreten Planungssituation ergeben (vgl. BVerwG, Urt. vom 22.5.1987 -- 4 C 77.84 -- BVerwGE 77, 317/320f).

16

Die 2. Änderung des Bebauungsplanes entspricht diesen Anforderungen. "Besondere" Absichten der Antragsgegnerin ergeben sich daraus, dass der Bebauungsplan die Spannungen zwischen der umliegenden, weitgehend homogenen Bebauung und dem wuchtigen "Betonklotz" des K-Centers mildert. Besondere baugestalterische und städtebauliche Absichten verfolgt die Antragsgegnerin auch mit dem Konzept, die Neugestaltung mit der Schließung der offenen Passerellen-Verlängerung zu verbinden. Ergänzend wird insoweit auf den oben genannten Beschluss des Senats vom 30. März 1999 verwiesen.

17

Auch die Anforderungen des § 13 Abs. 2 NBauO sind erfüllt. Den Erfordernissen des Brandschutzes wird genügt. Die Straßenmindestbreiten gemäß § 2 DVNBauO sind mit 14 m an der schmalsten Stelle (Sstraße) gewahrt. Der Komplex ist mit Feuerwehrfahrzeugen aus den verschiedensten Richtungen zu erreichen. Die umgebenden Straßen bieten für das Aufstellen von Drehleitern ausreichend Platz.

18

Den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse wird gleichfalls genügt. Damit verlangt das Gesetz nicht, dass die tatsächlichen Belichtungsverhältnisse im Vergleich zur Einhaltung der Regelabstände unberührt bleiben müssen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht für alle Gebietstypen gleich zu beurteilen sind. Das erforderliche Minimum und der Standard der Belichtung, Belüftung und Wohnruhe ist im reinen und allgemeinen Wohngebiet selbstverständlich anders zu bestimmen als im Kerngebiet oder Industriegebiet. Das kommt bereits in den Vorschriften der NBauO zum Ausdruck, denn § 7 Abs. 4 NBauO erlaubt die Reduzierung der Abstände in Kerngebieten, Gewerbe- und Industriegebieten sowie in anderen Gebieten, in denen nach dem Bebauungsplan Wohnungen nicht allgemein zulässig sind, auf  1/2 H gegenüber dem regelmäßigen Grenzabstand von 1 H in Wohngebieten. Zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, dass jede Unterschreitung der Grenzabstände der §§ 7 ff NBauO in jedem Fall mit den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse kollidiert. Würde man die gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse an die strikte Einhaltung der Abstandsvorschriften koppeln, bliebe für § 13 NBauO kein Anwendungsbereich übrig. Darüber hinaus zeigt ein Blick auf andere Landesbauordnungen, dass andere Landesgesetzgeber geringere Grenzabstände für die Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse als ausreichend ansehen. Die LBO Baden-Württemberg vom 8. August 1995 (GBl S. 617) schreibt in § 5 Abs.7 die Tiefe der Abstandsflächen mit

19

1.  allgemein 0,6 der Wandhöhe,

20

2.  in Kerngebieten, Dorfgebieten und besonderen Wohngebieten 0,4 der Wandhöhe,

21

3.  in Gewerbe und Industriegebieten sowie in Sondergebieten, die nicht der Erholung dienen, 0,25 der Wandhöhe,

22

vor. In der Begründung des Gesetzentwurfs, der die Tiefe der Abstandsflächen allgemein auf 0,4 der Wandhöhe senkte, heißt es

23

"Die mit den Abstandsregeln verfolgen Ziele, nämlich die Wahrung der Beleuchtung mit Tageslicht, der Belüftung und des Brandschutzes werden auch bei Absenkung des Anrechnungsfaktors auf 0,4 in ausreichend Maß verwirklicht."

24

(vgl. Schenk, Landesbauordnung für Bad.-Württ., 1996, S. 38). Auch § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB legt mit dem Gebot, die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu wahren, nahe, dass es einen von den Abstandsvorschriften des jeweiligen Landesbaurechts unabhängigen Mindeststandard gibt (vgl. auch BVerwG, Beschl. vom 11.1.1999 -- 4 B 128.98 -- DVBl 1999, 786).

25

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt: Abgesehen von der Tatsache, dass die Antragsgegnerin die vereinzelte Wohnung des Antragstellers zu 1) nicht "sehen" musste (vgl. unter a)) genießt die Wohnung des Antragstellers zu 1) nur eine verminderte Schutzwürdigkeit, weil sie -- nach den Angaben des Antragstellers zu 1) in der mündlichen Verhandlung -- nur als Wohnung des Betriebsinhabers genehmigt worden ist und nach der Eigenart der näheren Umgebung auch nur als solche oder überhaupt nur ausnahmsweise zulässig ist (vgl. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 6 bzw. Abs.3 Nr. 2 BauNVO). Durch das Vorziehen der Gebäudekante des Kröpcke-Centers in der Ständehausstraße um 0,5 m und die zugelassene Erhöhung auf 22,4 m verändert sich der Lichteinfallswinkel zu Lasten des Antragstellers zu 1). Legt man die beispielhaft erwähnten Abstandsmaße der LBO BW zugrunde, überschreitet die für das K-Center zugelassene Höhe von 22 m den mit der halben Straßenbreite zur Verfügung stehenden Abstand von 7 m nur noch um 1,8 m. In der Höhe der Wohnung des Antragstellers zu 1) (Fußbodenhöhe des 1. OG: 5,05 m) wird sogar der Lichteinfallswinkel eingehalten, der sich aus den Abstandsmaßen des § 5 Abs. 7 LBO BW ergibt:

26

(22,4 m - 5 m) x 0,4 = 6,96 m.

27

Wenn man nicht davon ausgehen will, dass die Abstandsvorschriften der LBO BW mit gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnissen unvereinbar sind, spricht daher alles dafür, dass diese auch für die Wohnung des Antragstellers noch gewahrt sind.

28

Schließlich ist im Rahmen der Abwägung auch zu berücksichtigen, dass die derzeitige relativ dunkle Fassade des Kröpcke-Centers aus Waschbetonplatten für die Belichtung der gegenüberliegenden Häuser ausgesprochen nachteilig ist. Auch wenn der Bebauungsplan die Fassadengestaltung nicht festsetzt, kann die Baugenehmigung unter Berücksichtigung des § 13 Abs. 2 NBauO eine beträchtliche Verbesserung durch eine Fassadengestaltung mit einem höheren Lichtreflexionsgrad festschreiben.

29

Die Arbeitsverhältnisse in den gewerblich genutzten Räumen in den Häusern gegenüber dem K-Center werden durch die zugelassene Erhöhung nicht wesentlich berührt. In den Erdgeschossen und teilweise in den Obergeschossen befinden sich im Wesentlichen Läden und einige gastronomische Betriebe, die bereits heute nicht mehr auf Tageslicht angewiesen sind, sondern künstlich beleuchtet werden. Entsprechendes gilt für die Büros und Praxen sowie sonstigen gewerblichen Nutzungen der Obergeschosse. Insbesondere die Ortsbesichtigung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die an einem sonnigen hellen Tag statt fand, hat ergeben, dass trotzdem nahezu alle Geschosse künstlich beleuchtet wurden. In den Ladenlokalen ist Kunstlicht allgemein üblich, in Büroräumen mit Bildschirmarbeit wird wegen Blendwirkungen immer häufiger auf Tageslicht verzichtet. Auch Wartezimmer von Ärzten sind nicht auf Tageslicht angewiesen; für sie gilt im übrigen das zur Wohnung des Antragstellers zu 1. Gesagte entsprechend. Die etwas veränderte Situation beim Ortstermin im Normenkontrollverfahren führt der Senat auf die Aufmerksamkeit zurück, die er seinerzeit der künstlichen Beleuchtung geschenkt hat. Im übrigen nimmt der Senat auf seine Ausführungen im Beschluss vom 30. März 1999 Bezug.

30

c) Der Bebauungsplan berücksichtigt die Vorgaben der Baunutzungsverordnung zum Maß der baulichen Nutzung hinreichend. Die Begründung des Bebauungsplanes geht auf die Überschreitung der GFZ von 3,0 nur in der Ergänzung zur Drucks. 513/98 vom 26. März 1998 ein. Unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 2 BauNVO wird das städtebauliche Ziel betont, den Stadtmittelpunkt baulich zu betonen und den Baublock des K-Centers am Schnittpunkt des öffentlichen Nahverkehrs städtebaulich zu integrieren. Dieser Intention dienen die Arkaden zu den zwei den Baublock einrahmenden Straßen (K- und Gstraße); zur Sstraße hin wird dies gerade mit Rücksicht auf den Antragsteller zu 1. nur angedeutet.

31

Ob und inwieweit diese Begründung dem Abwägungsgebot und § 17 Abs. 2 BauNVO genügt, kann offen bleiben, weil etwaige Abwägungsfehler jedenfalls nicht auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 3 BauGB)

32

Mit der in der Begründung genannten Ausnutzungsziffer von 6,0 überschreitet die GFZ den nach § 17 Abs. 1 BauNVO für Kerngebiete zugelassenen Wert von 3,0 deutlich. Allerdings ist eine Überschreitung dieser Obergrenzen nach § 17 Abs. 2 BauNVO zulässig, wenn

33

1.) besondere städtebauliche Gründe dies erfordern,

34

2.) die Überschreitungen durch Umstände ausgeglichen sind oder durch Maßnahmen ausgeglichen werden, durch die sichergestellt ist, dass die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht beeinträchtigt, nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden und die Bedürfnisse des Verkehrs befriedigt werden, und

35

3.) sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen.

36

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die besonderen städtebaulichen Gründe, die die Überschreitung des regelmäßig zulässigen Maßes der baulichen Nutzung erfordern, ergeben sich aus der städtebaulichen Konzeption der Antragsgegnerin, die der städtebaulichen Ausnahmesituation des K-Centers im Stadtzentrum der Antragsgegnerin Rechnung trägt (vgl. dazu BVerwG, Urt. vom 25.11.1999 -- 4 CN 17.98 -- ZfBR 2000, 191). Die Antragsgegnerin verfolgt mit dem Bebauungsplan das Ziel, den Stadtmittelpunkt unter Rückbesinnung auf den historischen Stadtgrundriss zu betonen. Die bauliche Verdichtung kann sich nicht nur auf die Nähe zum Hauptbahnhof sondern auch auf den Schnittpunkt des öffentlichen Nahverkehrs berufen. Das Leitmotiv der Ursprungsfassung des Bebauungsplanes 522, den durch den U-Bau-Bahn erforderlichen Abbruch der zweigeschossigen Bebauung zu einem städtebaulichen Akzent in der Stadtmitte und der Konzentrierung von Geschäftsräumen verschiedenster Art im Mittelpunkt der Geschäftsstadt zu nutzen, wirkt auch heute noch nach. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO decken sich weitgehend mit den Anforderungen des § 13 Abs. 2 BauNVO, so dass insoweit auf die Ausführungen unter b) verwiesen werden kann. Nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt sind angesichts der vorhandenen Bebauung nicht zu erwarten. Die Bedürfnisse des Verkehrs werden in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof und am Schnittpunkt von U-Bahn-Linien besonders gut befriedigt.

37

Der von den Antragstellern wiederholt hervorgehobene Umstand, das K-Center werde in seiner neuen Gestalt nicht deckungsgleich sein mit dem früheren Hotel C, ist demgegenüber von nur nachrangigem Interesse: Die Antragsgegnerin erstrebt nicht (lediglich) die Rekonstruktion dieses einst vorhandenen Gebäudes. Sie will sich an die seinerzeit vorhandene Bebauung lediglich anlehnen. Deshalb ist es ebenfalls ohne durchgreifendes Interesse, ob damit früher uneingeschränkt vorhandene Sichtachsen gekappt werden. Es ist einer planenden Gemeinde nicht verwehrt, gerade in ihrem Zentrum neue Akzente zu setzen.

38

Unabhängig davon ist die Überschreitung der nach § 17 Abs. 1 BauNVO zulässigen Geschossflächenzahl aber auch nach § 17 Abs. 2 deshalb gerechtfertigt, weil der Bebauungsplan die vorhandene GFZ reduziert und damit gegenüber dem vorhandenen Bestand den Vorgaben des § 17 BauNVO näher kommt. Allerdings heißt es noch in der Ergänzung der Begründung des Bebauungsplanes vom 26. März 1998, die Gebäudehöhe von ca. 22 m unter Beibehaltung des vorhandenen Turms werde zu einer GFZ von 6,0 führen. Bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gegen die der Äußerungsberechtigten erteilte Baugenehmigung hat die Antragsgegnerin aber dargelegt, dass sich die Geschossfläche des K-Centers zwar von derzeit ca. 24.700 m2 auf ca. 29.000 m2 erhöht, aber die GFZ durch die Vergrößerung der Grundfläche des Gebäudekomplexes, die mit der vorgesehenen Überbauung der Passerellenöffnung und der zum K vorgezogene Spitze des Gebäudekomplexes verbunden ist, von derzeit 6,93 auf künftig 6,75 reduziert. Diese mäßige Reduzierung ergibt sich, ohne dass es einer detaillierten Nachrechnung bedarf, unmittelbar aus der auch von den Antragstellern nicht bestrittenen Vergrößerung der Grundfläche, die maximal 5 Geschosse aufweist.

39

d) Ein Abwägungsfehler ergibt sich auch nicht aus einem Vertrauenstatbestand, insbesondere nicht aus einem Widerspruch zur Absprache zwischen der Antragsgegnerin und den Antragstellern oder ihren Rechtsvorgängern. Eine bei den Planungsvorgängen befindliche Liste des Liegenschaftsamtes der Antragsgegnerin von "Bauten in der Karmarschstraße", die wahrscheinlich auf die frühen 50er Jahre zurückgeht, verzeichnet mehrere Abtretungsverträge, bei denen eine Abtretung gegen Entschädigung nach § 17 des damaligen Aufbaugesetzes vermerkt ist; in einigen Fällen wird auch eine "unentgeltliche" Abtretung vermerkt (z.B. Karmarschstraße 16 und 28). Es ging in diesen Verträgen um den Verzicht auf Einstellplätze und um das Recht der Anlieger, unter den abgetretenen Flächen Keller zu unterhalten. Ein Wille der Antragsgegnerin, sich städtebaulich zu binden, ist nicht erkennbar. Weder die Begründung des Bebauungsplanes Nr. 522 (Anlage zur Drucks. 1140/70) noch die erwähnte Drucksache selbst enthalten Anhaltspunkte für die von den Antragstellern behauptete Annahme, die Antragsgegnerin habe sich durch die Abtretungen in ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit beschränken oder auch nur ein darauf gerichtetes Vertrauen bestärken wollen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem "Bericht des Dezernenten" vom 3.3.1992. Zwar wird dort festgestellt, die Gebäudehöhen seien das Ergebnis langwieriger und schwieriger Abstimmungen mit den Nachbarn gewesen. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die Antragsgegnerin sich an diese Abstimmung hätte binden wollen, zumal eine Bauplanungsverpflichtung unwirksam wäre (vgl. BVerwG, Urt. vom 1.2.1980 -- 4 C 40.77 -- DVBl 1980, 686 ff., 687). Auch der Belang der Belüftung, insbesondere die von den Antragstellern gerügte "Zugluft", ist in seinem Gewicht nicht verkannt worden. Es handelt sich hier um bloße Unannehmlichkeiten. Sichtverbindungen und "Sichtachsen" gehören schließlich nicht zum Schutzgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes; vielmehr haben die Betriebe die Straßenverhältnisse so hinzunehmen, wie sie sich tatsächlich entwickeln; eine Ausnahme kommt nur für das hier ersichtlich nicht gegebenen Fall in Betracht, wenn die Existenz eines Betriebes gefährdet wird (vgl. BGH, Urt. vom 7.7.1980 -- III ZR 32/79 -- DÖV 1981, 177). Hier kommt hinzu, dass die Außenbewirtschaftung eine genehmigungsbedürftige Sondernutzung darstellt und dass die Sondernutzungserlaubnis im Ermessen der Antragsgegnerin steht (vgl. § 18 NdsStrG).

40

_