Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.09.2000, Az.: 1 M 2888/00

Aufenthaltserlaubnis; Ausländer; Kontingentflüchtling; Widerruf

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.09.2000
Aktenzeichen
1 M 2888/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 42005
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.07.2000 - AZ: 11 B 2473/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine (unbefristete) Aufenthaltserlaubnis widerrufen kann, nachdem der Status als Kontingentflüchtling widerrufen worden war.


2. Zu den Gesichtspunkten, welche bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen sind.

Gründe

1

Der Antragsteller kam im Sommer 1990 mit anderen sog. "Botschaftsflüchtlingen" in die Bundesrepublik Deutschland und erhielt sowohl die Rechtsstellung nach § 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (vom 22.7.1980, BGBl. I S. 1057 -- HumHAG --) als auch -- vom Antragsgegner -- unter dem 5. Dezember 1990 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Wegen Veränderung der Verhältnisse in Albanien widerrief das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gestützt auf § 2 b HumHAG (eingefügt durch Gesetz vom 29.10.1997, BGBl. I S. 2584) durch bestandskräftigen Bescheid vom 14. April 1999 die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings. Nach Anhörung (der Antragsteller und seine Familie hatten sich nicht geäußert) widerrief der Antragsgegner die unbefristete Aufenthaltserlaubnis durch hier interessierenden Bescheid vom 23. Mai 2000. Er ordnete zugleich die sofortige Vollziehung an und führte in dem Bescheid u.a. aus: Im Rahmen der Ermessensabwägung sei eine Güterabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib in der Bundesrepublik und dem entgegenstehenden Interesse der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen. Diese falle zum Nachteil des Antragstellers aus, weil er sich trotz nunmehr neunjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland bis auf den Erwerb geringer deutscher Kenntnisse nicht ausreichend integriert habe. Ein (erst) mit dem 1. Mai 1999 beginnendes, auf ein Jahr befristetes Arbeitsverhältnis bei der ... eine erstmalige Arbeitsaufnahme dargestellt und sei aus Gründen, welche allein in seiner Person lägen, trotz der Aussicht abgebrochen worden, dieses in ein Dauerarbeitsverhältnis zu überführen; der Antragsteller habe während der Laufzeit des Arbeitsvertrages nahezu permanent "krankgefeiert" und darüber hinaus zu verhindern gewusst, dass die Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber überprüft werde. Es komme hinzu, dass er wegen mehrerer Eigentumsdelikte sowie wegen fahrlässigen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung viermal zu Geldstrafen von insgesamt 100 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden sei. Die sofortige Vollziehung des Widerrufs liege deshalb im öffentlichen Interesse, weil sich der Antragsteller nicht in ausreichendem Maßnahme in die Bundesrepublik integriert habe und für die Zukunft keine günstige Prognose abgegeben werden könne. Der Antragsteller beabsichtige offenbar, seinen Lebensunterhalt sowie den seiner Familienangehörigen wie bislang durch Bezug öffentlicher Mittel zu bestreiten.

2

Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht dem Eilantrag des Antragstellers stattgegeben und dazu u.a. ausgeführt: Es lasse sich nicht verlässlich absehen, ob der Antragsgegner die konkurrierenden Interessen sachgerecht abgewogen und dabei insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt habe. Die Strafen könnten nicht berücksichtigt werden, weil sie geringfügig seien. Im Hinblick auf die Sozialhilfebedürftigkeit sei zum einen zu berücksichtigen, dass der Antragsteller gesundheitlich erheblich beeinträchtigt sei. Zum anderen sei bei Aufnahme der Flüchtlingsgruppe, welcher der Antragsteller angehöre, durchaus abzusehen gewesen, dass diese angesichts ihres (Aus-)Bildungszustandes zum Teil sozialhilfebedürftig sein würden. Deshalb könne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel wohl kein Grund für das Erlöschen des Aufenthaltsrechts sein. Etwaigen Missbräuchen des Sozialhilferechts -- der Antragsteller hatte mehrfach Reisen in sein Heimatland unternommen -- müsse mit den Mitteln des Sozialrechts begegnet werden. Es sei im Übrigen fraglich, ob dem Vertrauensschutz des Antragstellers gerecht geworden sei; denn immerhin habe der Antragsteller auf unbestimmte Zeit die Rechtsstellung nach § 1 HumHAG erhalten.

3

Dagegen richtet sich der rechtzeitig gestellte, allein auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO gestützte Zulassungsantrag des Antragsgegners. Dieser hat keinen Erfolg.

4

Beschwerden gegen Entscheidungen des Eilrechtsschutzes können im Allgemeinen nur dann gestützt auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 (i.V.m. § 146 Abs. 4) VwGO zugelassen werden, wenn sich spezifisch eilverfahrensrechtlich grundsätzlich bedeutsame Fragen stellen (vgl. Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, Kommentar, § 146 Rdnr. 20). Die Beschwerdezulassung kann daher im Allgemeinen nicht mit der Behauptung erreicht werden, in dem Eilverfahren stellten sich materiell- oder formellrechtliche Fragen grundsätzlich bedeutsamer Art. Eine Ausnahme gilt nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 1.3.1999 -- 1 M 754/99 --) dann, wenn das Verwaltungsgericht seine Eilentscheidung auf grundsätzlich bedeutsame materiell-rechtliche Gesichtspunkte gestützt hat. Das ist nicht der Fall.

5

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Frage des materiellen oder formellen Rechts nur dann, wenn ihre Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Entwicklung des Rechts gerade durch eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu fördern. Nach § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO sind die Gründe, aus denen die Beschwerde aus der Sicht des Zulassungsantragstellers zuzulassen ist, darzulegen. Dazu gehört, eine entscheidungserhebliche, unmittelbar aus dem Gesetz nicht beantwortbare und bisher höchst- oder obergerichtlich nicht beantwortete konkrete Frage aufzuwerfen und zu erläutern, weshalb sie nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Fortentwicklung des Rechts geklärt werden müssen. Daher muss dargelegt werden, weshalb prinzipielle Bedenken gegen den vom Verwaltungsgericht oder von einem anderen, von ihm in Bezug genommenen Gericht eingenommenen Rechtsstandpunkt bestehen.

6

Danach kann die Beschwerde aus mehreren Gründen nicht zugelassen werden.

7

Es wird in der Zulassungsantragsschrift keine konkrete Frage formuliert, deren Beantwortung sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und dementsprechend einer Beantwortung durch den Senat bedarf. In der Zulassungsantragsschrift wendet sich der Antragsgegner vielmehr nach Art eines Beschwerdeführers gegen die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Subsumtion. Eine Frage des formellen oder des materiellen Rechts wird indes nicht formuliert. In einer (möglicherweise zu bejahenden) unzutreffenden Subsumtion unter bereits gefundene Grundsätze wäre auch kein Grund zu erblicken, die Beschwerde gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 146 Abs. 5 VwGO zuzulassen. Denn die fehlerhafte Anwendung eines Obersatzes ist nicht mit einer Abweichung i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO gleichzusetzen. Zu dieser gehört vielmehr, dass das Verwaltungsgericht einen Rechtssatz formuliert und seiner Entscheidung zugrundelegt, welcher von einem Rechtssatz abweicht, den entweder das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht entwickelt haben. Das ist nicht der Fall.

8

Es kommt selbständig tragend hinzu, dass die Zulassungsantragsschrift aus einem weiteren Grund die grundsätzliche Bedeutsamkeit der Sache nicht in einer § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO genügenden Weise darlegt. Dazu hätte gehört, sich mit der Rechtsprechung auseinander zu setzen, welche zu diesem Fragenkreis bereits entwickelt worden ist. Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Urt. v. 20.4.1999 -- 9 C 29.98 --, BayVBl 1999, 735 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 18) ist zu entnehmen, dass das Bundesamt abschließend auch über Fragen zu entscheiden hat, die sich im Zusammenhang mit § 53 AuslG stellen. Solche Gesichtspunkte können dementsprechend bei der Behandlung des § 43 Abs. 1 Satz 4 AuslG 1990 für die Ausländerbehörde keine Rolle mehr spielen.

9

Zu berücksichtigen sind des Weiteren die Ausführungen, welche der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. Oktober 1996 (-- 13 S 2408/95 --, EZAR 214 Nr. 5; vom Verwaltungsgericht auf Seite 4 oben des Beschlussabdruckes aus JURIS zitiert) gemacht hat. Danach erschließt sich der Zweck der Ermächtigung dieser Vorschrift, welcher die Ermessensausübung zu regieren hat, unmittelbar aus dem Widerrufsgrund selbst. Erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter oder als Kontingentflüchtling, ist danach eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts grundsätzlich nicht sachgerecht. Ist der für die Gewährung des Aufenthaltsrechts allein maßgebliche Aufenthaltszweck entfallen, besteht grundsätzlich ein vorrangiges öffentliches Interesse am Widerruf des betreffenden Aufenthaltstitels durch die Ausländerbehörde. Das gilt nach den Ausführungen des Bad.-Württ.VGH (a.a.O.) jedoch dann nicht, wenn dem Ausländer aus anderen Gründen Anspruch auf unbegrenzten oder zeitlich begrenzten Aufenthalt zusteht oder aufgrund sonstiger Umstände eine ihm günstige Ermessensentscheidung in Betracht kommt. Als solche sonstige Gründe kommen langjähriger Aufenthalt in der Bundesrepublik, Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse, Sozialhilfebezug und Ähnliches in Betracht.

10

Das Zulassungsantragsvorbringen zeigt keine Gesichtspunkte auf, welche die grundsätzliche Bedeutsamkeit einer weiteren Auffächerung der sich im Zusammenhang mit § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG stellenden Fragen begründete. Die darin angesprochenen Gesichtspunkte sind vielmehr jeweils im Wesentlichen mit denjenigen identisch, welche das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung -- wenngleich in einer dem Antragsgegner nachteiligen Weise -- behandelt hat.

11

Nach der vorstehenden Ausführung braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob der Zulassungsantrag eventuell aus einem weiteren Grund im Ergebnis ohne Erfolg hätte bleiben müssen. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 25.1.1996 -- 2 BvR 2718/95 --, AuAS 1996, 62) wird verschiedentlich (vgl. z.B. OVG Bremen, Beschl. v. 22.6.1998 -- 1 BB 129/98 --, JURIS m.w.N.) folgendes entnommen: Wird einem Ausländer eine bereits erteilte (befristete oder unbefristete) Aufenthaltsgenehmigung verkürzt, kann sich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, nicht allein schon aus der offensichtlichen Begründetheit des Bescheides ergeben. In einem solchen Fall beansprucht vielmehr der Grundsatz des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung haben, verstärkt Vorrang. Dementsprechend muss ein öffentliches Interesse gerade daran bestehen, dass der Ausländer sein Rechtsbehelfsverfahren nicht mehr vom Inland aus betreiben darf, sondern vom Ausland aus betreiben muss. Es spricht einiges dafür, dass weder in der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch in dem Bescheid des Antragsgegners vom 23. Mai 2000 diesem Gesichtspunkt hinreichend Rechnung getragen worden ist.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

13

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).