Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.09.2000, Az.: 2 L 2708/99
geschiedene Ehe; Unterhaltsanspruch; Unterhaltsvereinbarung; Versorgung; Versorgungsbezüge
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.09.2000
- Aktenzeichen
- 2 L 2708/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41837
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - AZ: 2 A 5295/98
Rechtsgrundlagen
- § 57 BeamtVG
- § 5 Abs 1 VAHRG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei dem Anspruch auf Unterhalt nach § 5 Abs. 1 VAHRG muss es sich um einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1569 ff BGB handeln. Dieser Unterhaltsanspruch kann von den geschiedenen Eheleuten nur hinsichtlich der Erfüllungsmodalitäten (statt monatlicher Zahlung z. B. Gewährung einer Abfindung oder von Naturalleistungen) verändert werden. Löst sich hingegen eine nacheheliche Vereinbarung vollständig von den gesetzlichen Regelungen nach §§ 1569 ff. BGB, so steht dem durch diese Vereinbarung Begünstigten kein Anspruch i.S.d. § 5 Abs. 1 VAHRG mehr zu.
2. Verzichtet ein geschiedener Ehegatte auf nachehelichen Unterhalt, so steht ihm auch dann kein Anspruch auf Unterhalt i.S. v. § 5 Abs. 1 VAHRG mehr zu, wenn er zwar gleichzeitig von dem geschiedenen Ehepartner von Unterhaltsansprüchen gegenüber gemeinsamen Kindern freigestellt wird, aber nicht erkennbar ist, dass sich diese Begünstigung hinsichtlich der Höhe und der Dauer an dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch (der Ehegatten) nach §§ 1569 ff. BGB orientiert.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.
Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg (ständige Rechtspr. d. Sen., vgl. zuletzt Beschluss v. 15.9.2000 - 2 L 59/99 - m.w.N.). Derartige Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich jedoch nicht.
Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass die Versorgungsbezüge der Klägerin grundsätzlich nach § 57 BeamtVG zu kürzen sind; von dieser Kürzung kann nur abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen des § 5 VAHRG gegeben sind. Dies hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung aber zutreffend verneint.
§ 5 Abs. 1 VAHRG lautet: "Solange der Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erlangen kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat ..., wird die Versorgung des Verpflichteten nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt."
Vorliegend kann der geschiedene Ehemann der Klägerin als Berechtigter im Sinne des § 5 Abs. 1 VAHRG nach dem Vorbringen der Klägerin, das insoweit von der Beklagten nicht bestritten worden ist, zwar noch keine Rente aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erwerben. Er (der geschiedene Ehemann der Klägerin) hat gegen die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Unterhalt im Sinne des § 5 Abs. 1 VAHRG mehr.
Grundlage des Anspruchs auf Unterhalt im Sinne von § 5 Abs. 1 VAHRG ist nicht eine ins Belieben der geschiedenen Ehegatten gestellte vertragliche Vereinbarung, sondern allein die als Folge der Ehescheidung eingetretene gesetzliche Regelung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs gemäß §§ 1569 ff BGB. Zum Schutz der Solidargemeinschaft der Versicherten und auch im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Regelung bei besonderen Härten muss nämlich eine mögliche Manipulation der geschiedenen Ehegatten zu Lasten der Versichertengemeinschaft - etwa durch Zahlung eines vertraglich vereinbarten geringen Unterhalts, um in den Genuss der ungekürzten Rente bzw. Versorgung zu gelangen - verhindert werden. Zur Vermeidung eines derartigen Zusammenwirkens der Ehegatten muss zur Bestimmung der Unterhaltspflicht deshalb an einen objektiven Maßstab, nämlich an die gesetzliche Regelung, angeknüpft werden (vgl. Urt. d. Bundessozialgerichts v. 23.6.1994 - 4 RA 4/93 -, NJW-RR 1995, 840 f, hier zitiert nach JURIS). Der gesetzliche Unterhaltsanspruch wird grundsätzlich gemäß § 1585 Abs. 1 BGB durch Zahlung einer monatlichen Geldrente erfüllt. Abweichend hiervon können die Ehegatten jedoch gemäß § 1585 c BGB eine andere Form der Unterhaltsgewährung bestimmen. Insbesondere können sie über den gesetzlich geregelten Fall in § 1585 Abs. 2 BGB hinaus regeln, dass der Unterhaltsanspruch des Berechtigten durch eine Kapitalabfindung abgegolten wird oder der Berechtigte anstelle Barunterhalt bestimmte Naturalunterhaltsleistungen erhält. Da der Gesetzgeber in § 5 VAHRG keine bestimmte Form der Unterhaltsgewährung vorgesehen hat, kommt es auch insoweit nicht darauf an, ob die - gesetzliche - Unterhaltspflicht fortlaufend durch Zahlung einer Geldrente, einmalig durch Zahlung einer Abfindung oder durch bestimmte Naturalleistungen erfüllt wird (vgl. Urt. d. BVerwG v. 22.7.1999 - 2 C 5.98 -, IÖD 2000, 45 f; Urt. d. BGH v. 8.6.1994 - 4 ZR 200/93 -, BGHZ 126, 202, 204 ff, sowie Urt. d. Bundessozialgerichts v. 12.4.1995 - 5 RJ 42/94 -, NJW-RR 1996, 897 f, hier zitiert nach JURIS). Nach den vorherigen Ausführungen muss es sich aber jeweils noch um eine Erfüllung des gesetzlichen Unterhaltsanspruches, wenn auch in einer von den Parteien gegebenenfalls modifizierten Form, handeln; eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über Unterhaltsansprüche reicht insoweit nicht aus.
Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht mehr erkennbar, dass die Klägerin ihre gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann erfüllen wollte, indem sie ihn im Innenverhältnis von anteiligen Unterhaltsansprüchen der gemeinsamen Tochter freistellte. Hiergegen spricht schon, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin in dem gerichtlich protokollierten Vergleich vorbehaltlos auf Unterhalt für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auch für den Fall der Not, verzichtet hat. Wenn die Klägerin und ihr geschiedener Ehemann trotz dieser Erklärung dennoch weiterhin von einem gesetzlichen Unterhaltsanspruch ihres geschiedenen Ehemannes ausgegangen wären und diesen -wenn auch in anderer Form - erfüllen wollten, so hätte es nahe gelegen, dies in den Vergleich aufzunehmen sowie Höhe und Dauer der Freistellung von dem fortdauernden gesetzlichen Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehemannes abhängig zu machen; also zum Beispiel die Freistellung dann zu beenden, wenn der Ehemann aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit mindestens gleich hohe oder gar höhere laufende Einkünfte als die Klägerin erzielt. Eine solche Verknüpfung ist aber auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht erfolgt. Die geschiedenen Eheleute haben daher nicht lediglich eine besondere Form der Erfüllung für einen fortbestehenden gesetzlichen Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehemanns vereinbart. Der geschiedene Ehemann hat vielmehr auf seinen Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 1 VAHRG verzichtet. Statt dessen haben die Klägerin und ihr Ehemann - nach ihrem Vortrag - losgelöst von der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung nach dem BGB eine Freistellung des geschiedenen Ehemanns im Innenverhältnis von Unterhaltsansprüchen gegenüber der gemeinsamen Tochter vereinbart. Eine solche rechtsgeschäftliche Vereinbarung begründet jedoch nach den vorherigen Ausführungen keinen Anspruch des Berechtigten im Sinne des § 5 Abs. 1 VAHRG. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden.
Bei dieser Sachlage kann dahin stehen, ob dem geschiedenen Ehemann der Klägerin - wie von ihr vorgetragen wird - überhaupt ein Anspruch auf sogenannten Aufstockungsunterhalt nach §§ 1573 Abs. 2, 1578 BGB zustand bzw. noch zusteht.
2. Die Klägerin macht weiterhin geltend, dem Verwaltungsgericht sei ein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem die Entscheidung beruhen könne. Die Berufung sei deshalb nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Das Verwaltungsgericht habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Es habe nämlich den Vortrag der Klägerin unzureichend berücksichtigt. Dies trifft jedoch nicht zu. Wie sich sowohl aus dem Tatbestand als auch aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt, hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt, dass nach dem Vortrag der Klägerin ihr geschiedener Ehemann nur deshalb auf Unterhalt verzichtet hat, weil er stattdessen von Unterhaltsansprüchen gegenüber der gemeinsamen Tochter freigestellt worden ist. Das Verwaltungsgericht hat diesen Vortrag also berücksichtigt, aber zutreffend für unerheblich gehalten. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist damit gewahrt worden.
3. Ebenso wenig liegt der ergänzend geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO - insbesondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache - vor.
Besondere Schwierigkeiten im tatsächlichen Bereich können bei außergewöhnlichen wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Fragestellungen und Zusammenhängen bestehen, im rechtlichen Bereich bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt Beschluss v. 15.9.2000 - 2 L 1163/98 - m.w.N.). Die konkrete Rechtssache muss sich hinsichtlich der aufgeworfenen Frage deutlich vom Spektrum der verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterscheiden (vgl. Beschl. d. OVG Lüneburg v. 27.3.1997 - 12 M 1731/97 -, NVwZ 1997, 1225, 1226 f. sowie Senatsbeschluss v. 18.9.2000 - 2 M 2765/00). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Zwar sind die Vorschriften des VAHRG in verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten eher selten anzuwenden. Wie sich aus den bereits zuvor zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen nicht nur des Bundessozialgerichts und des Bundesgerichtshofes, sondern auch des Bundesverwaltungsgerichts ergibt, handelt es sich bei der Anwendung und Auslegung des VAHRG, insbesondere auch des § 5, aber auch nicht um eine völlig neuartige oder ausgefallene Rechtsfrage. Durch die genannte Rechtsprechung sind vielmehr die Grundlinien der Auslegung des § 5 VAHRG vorgezeichnet. Insbesondere ist dadurch herausgearbeitet worden, dass dem Berechtigten im Sinne des § 5 Abs. 1 VAHRG ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch zustehen muss, der gegebenenfalls hinsichtlich der Erfüllungsmodalitäten modifiziert sein kann. Ein rechtsgeschäftlich begründeter Unterhaltsanspruch oder eine sonstige Begünstigung des Berechtigten reichen hingegen nicht aus. Vorliegend war demnach nur noch zu entscheiden, ob es sich bei der von der Klägerin vorgetragenen Gestaltung der Scheidungsvereinbarung um eine Modifikation des gesetzlichen Unterhaltsanspruches ihres geschiedenen Ehemanns oder um eine davon gelöste, rechtlich selbständige Begünstigung handelt. Diese Frage ist - wie oben dargelegt - im letztgenannten Sinne zu beantworten und weist keine so große Komplexität auf, dass es gerechtfertigt wäre, von einem deutlich höheren Schwierigkeitsgrad dieser Rechtssache im Vergleich zu den üblichen Verwaltungsstreitverfahren auszugehen.
4. Aus den vorliegenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Es wird keine rechtliche Grundsatzfrage aufgeworfen, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss.
Insbesondere stellt sich nicht die von der Klägerin im Berufungszulassungsantrag bezeichnete Frage, "ob die Freistellung von eigenen Unterhaltsverpflichtungen einem Kind gegenüber als Gewährung einer angemessenen Abfindung anzusehen ist, so dass § 5 VAHRG anwendbar bleibt." Unter einer Abfindung ist nämlich die Zahlung einer einmaligen Geldsumme an den Berechtigten zu sehen; eine solche Zahlung hat der geschiedene Ehemann der Klägerin jedoch nicht erhalten. Im Übrigen konnte das Gericht nach den vorherigen Ausführungen gerade nicht feststellen, dass die Freistellung des geschiedenen Ehemanns der Klägerin gegenüber Unterhaltsansprüchen seitens der gemeinsamen Tochter gerade wegen seines gesetzlichen Unterhaltsanspruches gegenüber der Klägerin erfolgte, sich insbesondere an Höhe und Dauer dieses etwaigen Anspruches orientierte, und deshalb § 5 VAHRG anwendbar blieb. Die aufgeworfene Frage dürfte im Übrigen einer grundsätzlichen Klärung ohnehin nicht zugänglich sein, da jeweils im Einzelfall durch Auslegung der Vereinbarung zwischen den geschiedenen Eheleuten zu ermitteln ist, ob lediglich eine besondere Form der Erfüllung des fortbestehenden, aber insoweit modifizierten gesetzlichen Unterhaltsanspruchs des Berechtigten oder davon losgelöst eine eigenständige rechtsgeschäftliche Regelung gewollt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. In beamtenrechtlichen Streitigkeiten wegen eines sog. Teilstatus - hierzu gehört die Kürzung von Versorgungsbezügen - bemisst sich der Streitwert nach dem zweifachen Jahresbetrag des Teilstatus (vgl. Beschluss des BVerwG vom 13.9.1999 - 2 B 53/99 - NVwZ-RR 2000, 188, 189 m.w.N.). Der maßgebende Kürzungsbetrag beträgt gemäß Bescheid vom 10.8.1998 monatlich 1.522,92 DM. Da die jährliche Sonderzuwendung ungekürzt ausgezahlt wird, ist dieser Monatsbetrag für die Berechnung des zweifachen Jahresbetrags mit 24 (und nicht 26) zu multiplizieren. Daraus ergeben sich die festgesetzten 36.550, 08 DM (24 x 1.522,92 DM).