Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.06.2019, Az.: 2 LA 1668/17

Aufhebung; Erziehungsberechtigte; Organisationsentscheidung; Prognose; Prognose; Rat; Schulausschuss; Schule; Schulorganisation; Schulorganisationsmaßnahme; Schulorganisationsmaßnahme: Abwägung; Schulschließung; Schülerzahl; Schülerzahlen; Schülerzahlenprognose; Zeitpunkt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.06.2019
Aktenzeichen
2 LA 1668/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69709
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 12.09.2017 - AZ: 4 A 160/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Verfahrensfehler bei der Beteiligung des Schulausschusses (§ 110 NSchG) und des Stadtelternrates (§ 99 NSchG) im Vorfeld einer schulorganisatorischen Maßnahme gemäß § 106 Abs. 1 NSchG wirken sich auf die Rechtmäßigkeit der späteren Entscheidung nicht aus.

2. Eine zur Vorbereitung einer schulorganisatorischen Maßnahme gemäß § 106 Abs. 1 NSchG erstellte Prognose über die zukünftige Entwicklung der Schülerzahlen, die auf aktuellem und zutreffendem Zahlenmaterial beruht, kann durch die spätere Entwicklung nicht in Frage gestellt werden kann (vgl. Senatsurt. v. 22.4.2013 - 2 KN 57/11 -,NBVBl. 2013, 243, juris Rn. 39).

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 12. September 2017 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Schließung einer Grundschule.

Die Kläger sind Eltern einer Schülerin, die im Schuljahr 2015/2016 die ehemalige Grundschule im Ortsteil F. der Beklagten besuchen sollte. Diese und eine weitere Grundschule hob die Beklagte nach intensiver Diskussion auf örtlicher Ebene mit Allgemeinverfügung vom 23. März 2015 auf und legte als einzigen Grundschulstandort die Grundschule …. in der Kernstadt A-Stadt fest. Bereits zum Schuljahr 2015/2016 erfolgten in F. keine Einschulungen mehr. Der Allgemeinverfügung liegt ein Ratsbeschluss vom 27. November 2014 zugrunde.

Gegen diese Allgemeinverfügung richtet sich die vorliegende Klage, die das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 12. September 2017 abgewiesen hat. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass sich etwaige Verfahrensfehler im Vorfeld der Entscheidung auf das Ergebnis nicht ausgewirkt hätten. In der Sache sei die Abwägungsentscheidung nicht zu beanstanden. Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), auf den sich die Kläger sinngemäß beziehen, ist weder in der gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt, noch liegt er der Sache nach vor. Von ernstlichen Zweifeln in diesem Sinne ist auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 21.9.2018 - 2 LA 1750/17 -, juris Rn. 7 m.w.N.). Das ist den Klägern nicht gelungen.

Soweit sich die Kläger auf Verfahrensfehler im Vorfeld des Ratsbeschlusses vom 27. November 2014 berufen, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargestellt, dass es sich sowohl bei dem Schulausschuss (§ 110 NSchG i.V. mit §§ 73, 71 NKomVG) als auch bei dem Stadtelternrat (§ 99 NSchG) um lediglich beratende Gremien handelt, die nicht über eigene Entscheidungskompetenzen verfügen. Demzufolge entspricht es in Niedersachsen der - soweit ersichtlich - einhelligen Auffassung, dass etwaige Fehler bei der Beteiligung dieser Gremien keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der folgenden Ratsentscheidung haben (vgl. nur Littmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG, § 99 Nr. 2 <Stand der Bearbeitung: Juni 2016> und Schippmann, ebd., § 110 Nr. 3 <Stand der Bearbeitung: April 2018>; Thiele, NKomVG, 2. Aufl. 2017, § 71 Rn. 4; Menzel, in: Blum u.a., Kommunalverfassungsrecht Niedersachen, § 71 Rn. 21 <Stand der Bearbeitung: Juni 2012>).

Das Vorbringen der Kläger zeigt nicht auf, warum dieser nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschriften überzeugend begründeten Auffassung nicht zu folgen sein könnte. Soweit sie anführen, die Beklagte habe einen Schulausschuss überhaupt nicht gebildet, wird schon nicht deutlich, wieso die - von der Beklagten in Abrede gestellte - Nichtbildung eines Ausschusses andere Konsequenzen für die konkrete Entscheidung nach sich ziehen sollte als die unterlassene Beteiligung eines vorhandenen Ausschusses. Gleiches gilt für eine möglicherweise nicht korrekte Bildung des Stadtelternrates; auch diese ist mit Blick auf die obigen Ausführungen für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung ohne Bedeutung.

Auch in der Sache ist weder ausreichend dargetan noch ersichtlich, dass die Entscheidung der Beklagten an materiellen Rechtsfehlern leiden könnte. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die schulorganisationsrechtliche Entscheidung nach ständiger Senatsrechtsprechung nur eingegrenzt auf unzumutbare Beeinträchtigungen und grobe Planungsfehler daraufhin zu überprüfen ist, ob alles an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge hätte eingestellt werden müssen, ob das Gewicht der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt worden oder aber der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zur objektiven Bedeutung der Belange außer Verhältnis stehen, sowie ob naheliegende Planungsalternativen erwogen worden sind (vgl. nur Senatsbeschl. v. 18.12.2015 - 2 ME 136/15 -, juris Rn. 8; v. 4.8.2016 - 2 ME 141/16 -, juris Rn. 45). Diesen Anforderungen hat die Beklagte entsprochen.

Ohne Erfolg bleiben zunächst die auf § 106 Abs. 1 NSchG bezogenen Einwände gegen die von der Beklagten zugrunde gelegte Prognose der Entwicklung der Schülerzahlen. Nach § 106 Abs. 1 NSchG sind die Schulträger verpflichtet, Schulen zu errichten, zu erweitern, einzuschränken, zusammenzulegen, zu teilen oder aufzuheben, wenn die Entwicklung der Schülerzahlen dies erfordert. Für die Ermittlung der erforderlichen Schülerzahlen ist gemäß § 106 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 NSchG die insoweit auf § 106 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 NSchG gestützte Verordnung für die Schulorganisation (SchOrgVO) maßgeblich. § 6 Abs. 1 SchOrgVO verlangt eine Prognose der Schülerzahlen für mindestens zehn Jahre als Grundlage einer Organisationsentscheidung nach § 106 Abs. 1 NSchG.

Eine solche Prognose hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen. Wie bereits das Verwaltungsgericht eingehend erläutert hat, hat die Beklagte auf der Grundlage der bereits erfolgten Geburten die zu erwartenden Einschulungen bis einschließlich 2019 ermittelt. Diese Zahlen hat sie basierend auf den bisherigen Einschulungsdaten sowie unter Berücksichtigung der zu erwartenden demografischen Entwicklung und der zu erwartenden Geburtenzahlen bis 2029 fortgeschrieben und eine weiter sinkende Anzahl an Erstklässlern prognostiziert. Das ist entgegen der Auffassung der Kläger - ungeachtet der Frage, in welchem Umfang eine derartige Prognose überhaupt der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. Senatsbeschl. v. 18.12.2015 - 2 ME 136/15 -, juris Rn. 10 ff.) - nicht zu beanstanden.

Soweit die Kläger meinen, die Beklagte habe unzulässigerweise eine rein mathematische Fortschreibung vorgenommen, trifft das nach den obigen Ausführungen in der Sache nicht zu. Falsch ist auch der - in gewissem Widerspruch zu dem ersten Kritikpunkt - stehende Einwand, die Beklagte habe lediglich die demografische Entwicklung in den Blick genommen und die zu erwartenden Geburtenzahlen außer acht gelassen. Die Erläuterungen unter II.6 ff. des Verwaltungsvorgangs belegen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt hat - das Gegenteil. Zu Unrecht meinen die Kläger auch, die Beklagte habe schon damals den Zuzug von Flüchtlingskindern berücksichtigen müssen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, war die Entwicklung in den Jahren 2015/2016 am 27. November 2014 noch nicht absehbar. Sogar die Bundesregierung, die über weitaus bessere Informationsmöglichkeiten als eine Kommune verfügt, war auf die erhebliche Steigerung der Flüchtlingszahlen nicht vorbereitet. Dass die Beklagte über weitergehende Erkenntnisse hätte verfügen müssen, ist deshalb fernliegend. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die tatsächliche Entwicklung in den Jahren 2015/2016 die Prognose keineswegs widerlegt hat. Damit setzen sich die Kläger ebenso wenig auseinander wie mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Berücksichtigung von Wiederholern, Inklusionskindern sowie Zuzügen.

Soweit die Kläger schließlich ausführen, die Prognose habe sich im Nachhinein als falsch erwiesen, weil die Geburtenzahlen stark angestiegen und Flüchtlingskinder hinzugekommen seien, genügt das nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Erstens wird schon nicht deutlich, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt spätere Entwicklungen einer zum maßgeblichen Prognosezeitpunkt „richtigen“, also auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruhenden und methodisch einwandfreien Prognose entgegengehalten werden können. Insoweit hat der Senat bereits entschieden, dass eine auf aktuellem und zutreffendem Zahlenmaterial beruhende Prognose durch die spätere Entwicklung nicht in Frage gestellt werden kann (vgl. Senatsurt. v. 22.4.2013 - 2 KN 57/11 -, juris Rn. 39). Zweitens hätte es mindestens der Nennung konkreter Zahlen bedurft, inwieweit sich Prognose und spätere Realität unterscheiden. Auch das fehlt.

Mit ihrem Einwand, dem Rat der Beklagten hätten vor bzw. bei seiner Entscheidung nicht alle maßgeblichen Informationen vorgelegen, dringen die Kläger ebenfalls nicht durch. Die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen sind insbesondere dem Bericht des von der Beklagten gebildeten Schulgremiums zu entnehmen, der im Rat - dies ergibt sich unter anderem aus dem Protokoll der Ratssitzung vom 27. November 2014 - und seinen Ausschüssen wiederholt und im Einzelnen diskutiert worden ist. In dem Bericht enthalten sind insbesondere auch die Schülerprognose und ihre tatsächlichen Grundlagen sowie die für und gegen den Standort F. sprechenden Argumente, sodass es an tatsächlichen Anhaltspunkten für die klägerische Behauptung, der Rat habe in mangelnder Sachkenntnis entschieden, fehlt. Ohne Relevanz wäre es demgegenüber, wenn dem Rat nicht bekannt gewesen sein sollte, dass sich der Stadtelternrat und weitere Elterngremien in den Schulen gegen die Schließung der Grundschule F. ausgesprochen haben. Die Beklagte war nicht verpflichtet, ihrem Rat jede einzelne Information im Detail vorzulegen. Ebenso irrelevant wäre es, wenn in der Machbarkeitsstudie zum möglichen Umbau der einzelnen Schulen einzelne Positionen nicht enthalten gewesen wären. Es liegt auf der Hand, dass eine Machbarkeitsstudie nicht mit einer Ausführungsplanung gleichzusetzen ist, zumal die Studie selbst auf Unsicherheiten hinweist. Dass die Ratsmitglieder insgesamt ohne hinreichende Sachkenntnis entschieden hätten, ist angesichts des im Verwaltungsvorgang dokumentierten Prozesses der Entscheidungsfindung unter Einbeziehung der relevanten Gruppen offensichtlich ausgeschlossen.

Ohne Erfolg bleibt schließlich der weithin pauschal gehaltene Einwand, die Beklagte habe das vom Schulträger zu ermittelnde Interesse der Erziehungsberechtigten nicht ausreichend berücksichtigt (vgl. § 106 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 NSchG). Das Verwaltungsgericht hat den nahezu zwei Jahre andauernden Prozess der Informationsgewinnung, Abwägung und Entscheidung im Einzelnen dargestellt. Das zeigt, dass die Beklagte in jeder Hinsicht ausreichende Anstrengungen unternommen hat, um die verschiedenen Interessen auszuloten. Insbesondere der Bericht des Schulgremiums, in dem alle betroffenen Schulen mit Leitung, Lehrern und Eltern vertreten waren und das alle Schulstandorte besucht und die Planungen vor Ort zu Diskussion gestellt hat, aber auch die zahlreichen Debatten in den kommunalen Gremien belegen zudem, dass die relevanten Interessen auch tatsächlich berücksichtigt wurden. Zu Einzelbefragungen der Eltern, die die Kläger vermissen, war die Beklagte nicht verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).