Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.02.2001, Az.: 4 M 3889/00

Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; aufenthaltsbeendende Maßnahmen; Ausländer; Ausreise; Ausreisehindernis; Ausweis; entgegenstehende Gründe; freiwillige Ausreise; Freiwilligkeit; Hindernis; Kürzung; Leistungskürzung; Passlosigkeit; Reisedokument; Sozialhilfe; Vertretenmüssen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.02.2001
Aktenzeichen
4 M 3889/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40374
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 12.10.2000 - AZ: 7 B 4330/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kann ein Ausländer nicht ausreisen und nicht abgeschoben werden, weil ihm Pass- oder Passersatzpapiere fehlen, rechtfertigt ein solcher tatsächlicher Grund allein nicht die Vergünstigung des § 2 Abs. 1 AsylbLG durch Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes. Ein der Ausreise und Abschiebung entgegenstehender persönlicher und humanitärer Grund, der die Vergünstigung auslöst, kann aber dann gegeben sein, wenn der Betroffene diese Situation auch durch eigene Bemühungen, wie die Benennung seines Herkunftslandes und des Namens, unter dem er dort registriert ist, nicht beenden kann.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts ist gemäß § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Der Senat sieht davon ab, darauf hinzuwirken, dass die Familienangehörigen des Antragstellers (seine Ehefrau und ihre drei minderjährigen Kinder) als weitere Antragsteller in das Verfahren einbezogen werden, da anzunehmen ist, dass der Antragsgegner sie entsprechend dem Ausgang dieses Verfahrens behandeln wird. Der Senat nimmt ferner auf Grund der Einschränkung in der Antragsschrift ("wegen Leistungen gemäß § 2 AsylbLG") an, dass der Antrag auf den entsprechenden Teil des Beschlusses beschränkt ist und sich nicht auch auf die Ablehnung der Bewilligung von Beihilfen für Sommerbekleidung bezieht, zumal Bekleidungsbeihilfen von den Leistungen in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes umfasst sind. In diesem Umfang ist der Antrag auch begründet, weil die genügend dargelegten ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus den folgenden Gründen bestehen; diese Gründe tragen auch die Begründetheit der zugelassenen Beschwerde.

2

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund und -anspruch glaubhaft gemacht.

3

Nach § 2 Abs. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes -- AsylbLG -- in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022) ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen.

4

Dass der Antragsteller für den in § 2 Abs. 1 AsylbLG genannten Zeitraum Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Nach den Angaben des Antragsgegners hat er die Leistungen gemäß § 1a AsylbLG erst zum 1. August 2000, mithin nach Ablauf der Frist von 36 Monaten seit dem 1. Juni 1997, gekürzt, so dass die Frage, ob Zeiten der Leistungseinschränkung auf den 3-Jahreszeitraum anzurechnen sind, nicht entschieden zu werden braucht. Da der Antragsteller sogar Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG hat, kommt es ferner darauf, ob der Antragsgegner die Leistungen zu Recht eingeschränkt hat, in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht an. Insofern ist nur anzumerken, dass der Senat Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der Voraussetzungen von § 1a AsylbLG nicht sieht. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus vom Antragsteller zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können. Dem steht bereits die eigene Wertung des Antragsgegners in dem Schreiben an die Stadt E. vom 23. Mai 2000 entgegen, wonach der Antragsteller bei den im Ergebnis gescheiterten Bemühungen, Pass- oder Passersatzpapier zu beschaffen, mitgewirkt habe. Die eigenständigen Bemühungen des Antragstellers, einen Staatsangehörigennachweis zu erlangen, ergeben sich des Weiteren bereits aus dem Schreiben an den Antragsgegner vom 5. November 1997. Der Antragsteller erklärte sich in diesem Schreiben ausdrücklich damit einverstanden, zur Klärung seiner Staatsangehörigkeit bei der irakischen und libanesischen Botschaft vorgeführt zu werden. Alle entsprechenden Bemühungen des Antragstellers blieben aber ohne Erfolg, da nach seinem Bekunden im Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 28. Juni 2000 inzwischen sowohl die irakische als auch die libanesische und die syrische Botschaft behaupten, dass er die jeweilige Staatsangehörigkeit nicht besitze. Die Annahme des Antragsgegners, der Antragsteller täusche über seine Identität, um zu verhindern, als Angehöriger eines der genannten Staaten anerkannt zu werden, entbehrt vor diesem Hintergrund jeder Grundlage jedenfalls so lange, bis der Antragsgegner den Antragsteller bei seinen Bemühungen ernsthaft unterstützt. Derartige Anstrengungen sind bislang aus den Akten nicht ersichtlich. Es liegt insofern etwa nahe, den Angaben der Ehefrau des Antragstellers, wonach sie in Beirut im Libanon geboren sei und dort, seit 1990 zusammen mit dem Antragsteller, bis zur Ausreise nach Deutschland im Jahr 1992 gelebt habe, nachzugehen. Auch eines der Kinder ist nach den Angaben des Antragstellers in Beirut geboren. Eine Kürzung der Leistungen nach § 1a AsylbLG ist vor dem Hintergrund der bisher unstreitig angestellten, wenn auch gescheiterten Bemühungen des Antragstellers, bei der Aufklärung seiner Staatsangehörigkeit nicht nur mitzuwirken, sondern auch eigenständig bei den genannten Ländern eine Anerkennung seiner Staatsangehörigkeit zu erreichen, rechtlich nicht zulässig.

5

Vielmehr ergibt sich aus diesen Umständen, dass hier auch die weiteren Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG vorliegen. Denn die freiwillige Ausreise des Antragstellers kann nicht erfolgen und aufenthaltsbeendende Maßnahmen können nicht vollzogen werden, weil jedenfalls persönliche und humanitäre Gründe entgegenstehen.

6

Der Senat nimmt hierbei entsprechend dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 AuslG an, dass die Besserstellung nur erreicht werden kann, wenn aus den dort genannten Gründen sowohl eine freiwillige Ausreise nicht erfolgen kann als auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 16. November 2000 -- 4 M 3921/00 -- sowie den Beschluss vom 17. Januar 2001 -- 4 M 4422/00 --). Die entgegenstehende Ansicht von Goldmann (Zur Leistungsprivilegierung des Asylbewerberleistungsgesetzes, ZfF 2000, S. 121, 126) lässt sich mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbaren, auch Anhaltspunkte für ein entsprechendes "Redaktionsversehen" (so aber Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker, Kommentar zum BSHG, Stand 1. September 2000, § 120 Anhang Rdnr. 11) sind nicht ersichtlich. Der Senat folgt außerdem der Auffassung des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung, der Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums zur "Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG); Leistungen in den Fällen gem. § 2 AsylbLG" vom 28. April 2000 setze insoweit das Gesetz nicht entsprechend seinem Regelungsgehalt um. Denn die in dem Erlass vorgenommene Erweiterung der Voraussetzungen, wonach der Leistungsberechtigte entweder eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG besitzen müsse oder aber eine Duldung auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 AuslG erhalten haben müsse und zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis erfüllt sein müssten, ist von § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht mehr gedeckt.

7

Der Senat nimmt mit dem Verwaltungsgericht auch an, dass ausländerrechtlich das Fehlen von Pass- oder Passersatzpapieren ein tatsächlicher Grund im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG ist, aus dem die Abschiebung unmöglich ist. Daraus, dass gem. § 55 Abs. 2 AuslG Duldungen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zu erteilen sind, während nach § 55 Abs. 3 AuslG -- unter den Einschränkungen von § 55 Abs. 4 AuslG -- Duldungen u.a. aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen erteilt werden können, kann jedoch nicht gefolgert werden, dass tatsächliche Gründe in ausländerrechtlicher Hinsicht nicht (auch) humanitäre oder persönliche Gründe im Hinblick auf § 2 AsylbLG sein können. Anhaltspunkte hierfür lassen sich den Regelungen des AsylbLG nicht entnehmen. Danach schließen Gründe, die einer Rückkehr nur in tatsächlicher Hinsicht entgegenstehen, zwar eine leistungsrechtliche Besserstellung aus, weil sie von § 2 AsylbLG nicht mitumfasst werden. Dies bedeutet aber nicht, dass tatsächliche Gründe nicht zugleich die Annahme eines humanitären, persönlichen oder rechtlichen Grundes rechtfertigen können (vgl. Hohm, Voraussetzungen einer leistungsrechtlichen Besserstellung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, NVwZ 2000, S. 772, 773 [OLG Düsseldorf 28.10.1999 - 2 U 77/99]). Unabhängig von der ausländerrechtlichen Einordnung von Gründen, die einer Abschiebung entgegenstehen, bleibt somit im Hinblick auf § 2 AsylbLG eigenständig zu prüfen, ob entweder diese Gründe auch humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe sind, aus denen die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, oder aber neben den ausländerrechtlich für eine Duldung bereits genügenden Gründen weitere Gründe für eine Zuerkennung von Leistungen entsprechend dem BSHG gem. 2 Abs. 1 AsylbLG vorliegen (Senat, Beschl. v. 17.1.2001 -- 4 M 4422/00 --).

8

Nach Classen (Eckpunkte zu § 2 Asylbewerberleistungsgesetz, Asylmagazin 2000, Heft 7-8, S. 31, 34) liegt ein rechtlicher Grund im Sinne von § 2 AsylbLG vor, wenn eine Abschiebung und eine freiwillige Ausreise scheitern, weil Reisedokumente fehlen, der Ausländer aber das Fehlen nicht zu vertreten hat. Classen meint, dass der Begriff der dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen oder einer freiwilligen Ausreise entgegenstehenden rechtlichen Gründe im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG weiter zu fassen sei als der Begriff der rechtlichen Duldungsgründe im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Wortlaut des § 2 AsylbLG in der seit dem 1. Juni 1997 geltenden Fassung im Unterschied zu der vorher gültig gewesenen Fassung nicht mehr auf das Vorhandensein einer Duldung im Sinne des Ausländergesetzes und auch nicht mehr auf die maßgeblichen Gründe für eine Duldungserteilung abstellt, da nicht ausdrücklich auf bestimmte Regelungen des Ausländergesetzes verwiesen werde. Die in § 2 Abs. 1 AsylbLG verwendeten Begriffe seien zwar denen in § 55 Abs. 2 und 3 AuslG ähnlich, aber nicht mit ihnen identisch. So setze nach § 55 Abs. 3 AuslG eine Duldung "dringende" humanitäre oder persönliche Gründe oder "erhebliche" öffentliche Interessen voraus, diese Steigerungsattribute seien in § 2 AsylbLG aber nicht genannt. Die weitere Auslegung sei auch erforderlich, um den Verfassungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Sozialstaatlichkeit sowie dem Gleichbehandlungsgrundsatz gerecht zu werden. Damit könne nicht vereinbart werden, Ausländer zeitlich unbefristet mit gesenkten Leistungen dafür zu sanktionieren, dass sie nicht freiwillig zurückkehren könnten, z. B. weil ihr Herkunftsland zur Ausstellung von Reisedokumenten bzw. einer Aufnahme nicht bereit sei oder weil dorthin kein Reiseweg existiere, ohne dass die betroffenen Ausländer es in der Hand hätten, hieran irgendetwas zu ändern.

9

Der Senat nimmt aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen, aber auch auf Grund von Sinn und Zweck der Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG in den von Classen erwähnten Fallkonstellationen an. In der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 24. Oktober 1995 führten die damaligen Fraktionen von CDU/CSU und FDP aus, dass mit der Sozialhilfe dem Hilfeempfänger ein dauerhaft existentiell gesichertes und sozial integriertes Leben "auf eigenen Füßen" gewährleistet werden solle, während der Kerngedanke des Asylbewerberleistungsrechts darin liege, dass diese Leistungen auf die Bedürfnisse eines hier in aller Regel nur kurzen oder vorübergehenden Aufenthalts abzustellen seien (vgl. BT-Drucksache 13/2746, S. 11). Die Einschränkungen der Leistungen nach dem BSHG durch das Asylbewerberleistungsgesetz sind demzufolge verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) auch nur gerechtfertigt, weil die in § 1 Abs. 1 AsylbLG aufgeführten Personen über ein verfestigtes Aufenthaltsrecht nicht verfügen und bei ihnen ein sozialer Integrationsbedarf fehlt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.9.1998 -- 5 B 82.97 --, NVwZ 1999, S. 669 = FEVS 49, 97; OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.6.1997 -- 12 L 5709/96 --, NVwZ-Beil. 1997, S. 95 = Nds.Rpfl. 1997, S. 269 sowie Beschl. v. 21.6.2000 -- 12 L 3349/99 -- NVwZ-Beil. 2001, 11). Der Gesetzgeber nahm mit der Neuregelung von § 2 AsylbLG an, dass diese Voraussetzungen bei Asylbewerbern in den ersten 36 Monaten ihres Aufenthalts gegeben sind. In diesem Zeitraum können in der Regel unbegründete Asylanträge abschließend abgewiesen werden und die Ausreise bzw. Abschiebung erfolgen, so dass der Aufenthalt bis dahin als nur kurz oder vorübergehend im Sinne der erwähnten Begründung zum Gesetzesentwurf erachtet werden kann. Verlängert sich dieser Zeitraum und damit auch eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG, etwa weil die gebotene Aufklärung schwieriger Sachverhalte eine Entscheidung über das Asylverfahren beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder den Verwaltungsgerichten verzögert, regelt § 2 Abs. 1 AsylbLG für Asylbewerber, dass nunmehr ein sozialer Integrationsbedarf besteht, der einer weiteren Leistungskürzung entgegen steht. Denn die weiterhin gültige Aufenthaltsgestattung steht in diesen Fällen als rechtlicher Grund sowohl einer Abschiebung als auch einer freiwilligen Ausreise entgegen. Nichts anderes kann aber für Ausländer gelten, deren Asylbegehren zwar erfolglos abgeschlossen wurde, die aber dennoch nicht abgeschoben werden können und nicht freiwillig ausreisen können, weil Gründe, die -- ähnlich wie die Dauer von Asylverfahren -- von ihnen nicht beeinflusst werden können, einer Ausreise und Abschiebung entgegenstehen. Der Senat erkennt vor dem dargelegten Hintergrund der gesetzgeberischen Intention im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Einschränkungen von Leistungen nach dem BSHG durch das Asylbewerberleistungsgesetz auch derartige Gründe als Gründe im Sinne von § 2 AsylbLG an. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass nach der früheren Fassung von § 2 Abs. 1 AsylbLG das BSHG auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden war, wenn sie eine Duldung erhalten haben, weil ihrer freiwilliger Ausreise Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten haben, während es nach der Neuregelung ausreicht, dass humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe (oder das öffentliche Interesse) einer freiwilligen Ausreise und dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegenstehen, ohne dass hierzu gesondert hinzukommen muss, dass die Betroffenen diese Gründe nicht zu vertreten haben. Eine den Regelungsgehalt des jetzt geltenden Gesetzes einschränkende Interpretation aufgrund des Umstandes, dass das Kriterium des "Vertretenmüssens" nun nicht mehr im Wortlaut enthalten ist, berücksichtigt nicht, dass auch der sonstige Text von § 2 Abs. 1 AsylbLG geändert, insbesondere die Anbindung an die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung durch eigenständige materielle Voraussetzungen ersetzt wurde. Dass im Rahmen dieser Voraussetzungen nunmehr auch wie der subjektive Kriterien wie der Umstand, ob der einer Abschiebung und Ausreise entgegen stehende Grund von dem Betroffenen beeinflusst werden kann oder nicht, von Relevanz werden können, kann weder dem Wortlaut noch Sinn und Zweck der Neufassung des Gesetzes im Unterschied zu der vorherigen Fassung entnommen werden.

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Ist -- wie hier -- eine Abschiebung oder Ausreise wegen fehlender Pass- bzw. Passersatzpapiere nicht möglich, liegen Gründe im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG folglich nur dann vor, wenn festgestellt werden kann, dass der Betroffene diese Situation nicht durch eigene Bemühungen, etwa durch die Benennung seines Herkunftslandes und des Namens, unter dem er dort registriert ist, beenden kann. Auf Grund der eingangs, im Zusammenhang mit den Voraussetzungen von § 1a AsylbLG dargelegten konkreten Umstände nimmt der Senat für den Antragsteller eine derartige Situation an. Diese Umstände lassen, jedenfalls zur Zeit, nicht erkennen, dass der Antragsteller Angaben zu seiner Identität und Herkunft vorenthält oder verfälscht und aus diesem Grund die Ausstellung von Pass- oder Passersatzpapieren vereitelt. Vielmehr ist zumindest plausibel, dass er als irakischer Kurde nach einer Flucht in den Libanon nunmehr weder vom Irak noch vom Libanon und auch nicht von dem zwischen beiden Ländern liegenden Syrien als jeweiliger Staatsangehöriger anerkannt wird.

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Auf Grund der dargelegten Umstände liegt jedenfalls ein persönlicher und humanitärer Grund vor, der dem Vollzug einer Abschiebung oder einer freiwilligen Ausreise des Antragstellers im Hinblick auf § 2 Abs. 1 AsylbLG -- unabhängig davon, dass gleichzeitig ein tatsächlicher Grund für die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung vorliegt -- entgegen steht. Denn ähnlich einer lebensbedrohlichen Krankheit, die im Heimatland nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand behandelt werden kann, sieht sich der Antragsteller durch die Weigerung der benannten Länder, ihn als Staatsangehörigen anzuerkennen, einer von ihm nicht beeinflussbaren Lage ausgesetzt, die im Falle einer Abschiebung oder freiwilligen Ausreise eine ihm unzumutbare humanitäre Zwangslage entstehen ließe, weil es ihm unmöglich ist, in den Irak, den Libanon oder nach Syrien (legal) einzureisen und dort zu bleiben. Auch anderenorts würde ihm die Einreise und der Aufenthalt verwehrt, weil er über die erforderlichen Papiere nicht verfügt.

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Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Senat nimmt in ständiger Rechtsprechung das Bestehen eines Anordnungsgrundes an, sofern im Wege der einstweiligen Anordnung um die Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt gestritten wird, weil es um die Beseitigung einer existentiellen Notlage geht. In der Regel wird bei laufenden Leistungen -- wie hier -- dieser Anordnungsgrund ab dem Ersten des Monats der Entscheidung bejaht. Hier besteht begründeter Anlass nicht, von dieser Regel eine Ausnahme zu machen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

14

Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.