Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2001, Az.: 1 L 707/99
Außenbereich; Baulücke; Bebauungszusammenhang; Dorferneuerungsplan; Flächennutzungsplan; Freifläche; gemeindlicher Planungswille; Innenbereich
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.02.2001
- Aktenzeichen
- 1 L 707/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40176
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 15.12.1998 - AZ: 2 A 90/96
Rechtsgrundlagen
- § 34 BBauG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine Freifläche mit einer Frontlänge von 80 m ist dem Innenbereich zuzuordnen, weil die einrahmende Bebauung von erheblichem Gewicht ist.
2. Der Planungswille einer Gemeinde, wie er im Flächennutzungsplan und im Dorferneuerungsplan zum Ausdruck kommt, ist für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich ohne Bedeutung.
Tatbestand:
Der Kläger, der Eigentümer des ca. 5.500 m² großen Grundstückes Flurstück 45/4 der Flur 2, Gemarkung Q. ist, begehrt einen Bauvorbescheid für die Errichtung von drei Wohnhäusern auf der westlichen Hälfte dieses Grundstückes.
Das Grundstück des Klägers liegt mit einer Frontlänge von 78,50 m auf der Ostseite der D. zwischen der Bebauung des alten Ortskerns im Süden und der Bebauung "A. d. S." im Norden. Das Grundstück liegt ebenso wie das südlich anschließende Grundstück D. 52 und 54 geringfügig tiefer als die südlich und nördlich anschließende Umgebung. Im Süden grenzt an das Grundstück des Klägers ein ehemaliges Scheunengebäude, das zu einem Wohngebäude umgebaut worden ist (D. 52 und 54). Auf der Westseite der D. endet die Bebauung des alten Ortskerns mit dem landwirtschaftlichen Anwesen D. 33, das an der Straße mit einer Scheune und etwas abgesetzt von der Straße mit einem alten Wohnhaus mit Stallteil bebaut ist. Das Gelände gegenüber dem Grundstück des Klägers auf der Westseite der D. fällt nach Westen hin ab. Das Grundstück des Klägers und das westlich gegenüberliegende Grundstück werden von Osten nach Westen von einem Bächlein, dem L., durchflossen. Nördlich vom Grundstück des Klägers liegt im Zwickel zwischen dem Grundstück des Klägers und der nach Osten abzweigenden Straße A. d. S. ein Wohnhaus mit umfangreichen Nebengebäuden, an das nach Osten ein großer Bauernhof anschließt. Die Nordseite der Straße A. d. S. ist durchgehend mit Wohnhäusern bebaut. Auf der Westseite der D. steht etwa in Höhe der Einmündung der Straße A. d. S. ein Wohnhaus (D. 41), an das nach Norden weitere Wohnhäuser anschließen.
Das Grundstück des Klägers liegt ebenso wie das westlich der D. anschließende Gelände im Geltungsbereich der Landschaftsschutzverordnung G. W. und weitere Umgebung aus dem Jahr 1967 und ist im Flächennutzungsplan als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt. Der Dorferneuerungsplan vom 10. Juli 1995 sieht das L. als Biotopvernetzung vor.
Mit der am 25. Juli 1995 bei der Samtgemeinde eingegangenen Voranfrage suchte der Kläger um Erteilung eines Bauvorbescheides für drei Wohnhäuser mit Garage nach. Gleichzeitig beantragte er die Genehmigung zur Teilung des Grundstückes in drei Baugrundstücke mit einer Frontlänge von 20 m, 25 m beziehungsweise 33 m. Am 30. Oktober 1995 nahm der Kläger den Antrag auf Teilungsgenehmigung zurück und stellte ihn noch einmal neu. Mit Bescheid vom 23. Januar 1996 versagte der Beklagte die Teilungsgenehmigung, weil das Grundstück im Außenbereich liege und die künftige Bebauung den Darstellungen des Flächennutzungsplanes widerspreche. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 1996 zurück. Mit Bescheid vom 5. Februar 1997 hat der Beklagte die Bauvoranfrage des Klägers abgelehnt. Den Widerspruch des Klägers hat die Bezirksregierung L. mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1997 zurückgewiesen.
Die am 25. September 1996 erhobene Klage auf Erteilung der Teilungsgenehmigung hat der Kläger mit Rücksicht auf die Änderungen des BauROG umgestellt und beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 5. Februar 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 2. Dezember 1997 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die beigeladene Gemeinde hat sich dem Vorbringen des Beklagten angeschlossen, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. März 1998 die Klage abgewiesen, weil das Grundstück des Klägers im Außenbereich liege und seine Bebauung den Darstellungen des Flächennutzungsplanes und der Landschaftsschutzverordnung widerspreche.
Mit der vom Senat mit Beschluss vom 16. Februar 1999 zugelassenen Berufung hat der Kläger vorgetragen, sein Grundstück liege in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil. Der geringe Niveauunterschied zwischen seinem Grundstück und der bebauten Umgebung begründe keine trennende Wirkung. Topografische Gegebenheiten, wie etwa ein steiler Abhang, könnten zwar einen Bebauungszusammenhang begrenzen, ein leichtes Gefälle habe aber keine derartige Wirkung. Auch dem kleinen Wasserlauf, der sein Grundstück durchziehe, komme keine trennende Wirkung zu. Das Grundstück gehe auch nicht nahtlos in die freie Landschaft über, vielmehr stelle der mit hohen Linden bestandene Weg von der D. zum Hof H. nach Osten eine natürliche Begrenzung dar. Schließlich spreche auch die Tatsache, dass die Gemeinde den Bereich zwischen dem alten Ortskern und dem Bebauungsplangebiet A. d. S. "bewusst ausgespart" habe, nicht für eine Außenbereichslage.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem Klageantrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er macht sich die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu eigen.
Die beigeladene Gemeinde schließt sich dem Vorbringen des Beklagten an und weist darauf hin, dass das L. seit 1967 durch die Landschaftsschutzverordnung G. W. und weitere Umgebung unter Schutz gestellt und damit vor einer Bebauung geschützt sei. Nach dem Dorferneuerungsplan stelle das W. eine wichtige innerörtliche Grün- und Freifläche sowie eine Biotopvernetzung zwischen dem Ober- und Unterlauf des L. dar.
Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 29. Januar 2001 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung eines Bauvorbescheides für drei Wohnhäuser, weil sein Grundstück nicht im Außenbereich, sondern im unbeplanten Innenbereich liegt.
Das Grundstück des Klägers, das mit einer Frontlänge von 78,50 m an der D. liegt, wird nicht nur im Süden und Norden von Bebauung eingerahmt, sondern nimmt an dem Bebauungszusammenhang teil, der von Süden und Norden bis an das Grundstück heranreicht. Die Frage, wann Freiflächen einen Bebauungszusammenhang unterbrechen, lässt sich nicht unter Anwendung geografisch-mathematischer Maßstäbe bestimmen, sondern beurteilt sich aufgrund einer echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts (BVerwG, Urt. v. 12.12.1990 - 4 C 40.87 -, DVBl. 1991, 810). Mit wachsender Entfernung und schwindendem Gewicht der einrahmenden Bebauung wird die Eigenschaft als Baulücke immer unwahrscheinlicher. Eine Fläche, die so groß ist, dass sie in den Möglichkeiten ihrer Bebauung von der Bebauung der näheren Umgebung nicht mehr geprägt wird, sondern einer von der Umgebung unabhängigen städtebaulichen Entwicklung und Planung zugänglich ist, sprengt den Bebauungszusammenhang (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.12.1972 - 4 C 6.71 -, BVerwGE 41, 227).
Nach diesem Maßstab unterbricht das Grundstück des Klägers den Bebauungszusammenhang nicht. Die Bebauung schiebt sich mit dem Mehrfamilienwohnhaus D. 52/54 auf der Ostseite der D. unmittelbar an das Grundstück des Klägers heran. Auch die Westseite der D. ist in diesem Bereich mit dem Bauernhof Nr. 33 bebaut. Das Grundstück des Klägers hat mit einer Frontlänge von 78,50 m an der D. eine beachtliche Ausdehnung, es wird aber auch im Norden von Bebauung eingerahmt. Auf der Westseite der D. beginnt die Bebauung mit dem Wohnhaus Nr. 41 und setzt sich nach Norden fort. Auf der Ostseite der D. zweigt die Straße A. d. S. nach Osten ab, die beidseitig bebaut ist. Diese einrahmende Bebauung auf beiden Seiten des Grundstückes des Klägers hat solches Gewicht, dass es noch als Baulücke erscheint. Dass die Ausdehnung des Grundstückes des Klägers mit ca. 80 m in Nordsüdrichtung die Annahme eines Bebauungszusammenhanges nicht von vornherein ausschließt, belegen auch Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 21.2.1972 - 4 C 49.69 -, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 29), das bei einer unbebauten Fläche von 130 m Frontlänge die Zuordnung zum unbeplanten Innenbereich nicht beanstandet hat, und des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg (Urt. v. 8.7.1986 - 8 S 2815/85 -, BRS 46 Nr. 81), der bei einem Gebäudeabstand von 90 m eine Baulücke angenommen hat.
Der Niveauunterschied zwischen dem Grundstück des Klägers und der Umgebung, den das Verwaltungsgericht für eine trennende Wirkung anführt, ist nach dem Ergebnis der Ortsbesichtigung so gering, dass ihm keine Bedeutung zukommt. Es ist zwar anerkannt, dass topografische Gegebenheiten, wie Böschungen, Flüsse etc. eine natürliche Begrenzung des Bebauungszusammenhanges darstellen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1990, a.a.O.), der Niveauunterschied ist hier aber so gering, dass er keine Auswirkungen in dieser Richtung hat. Das Grundstück des Klägers liegt auf der gleichen Höhe wie das südlich benachbarte bebaute Grundstück D. 52/54 und erst weiter südlich steigt das Gelände ganz allmählich um etwa 1 m an. Auch nach Norden steigt das Gelände so geringfügig an, dass die topografischen Gegebenheiten die Bebauungszusammenhänge nördlich und südlich vom Grundstück des Klägers nicht begrenzen. Entsprechendes gilt für das Bächlein, das zu schmal ist, um eine trennende Wirkung zu entfalten.
Die weitere Begründung des angefochtenen Urteils, dass die Bebauung und die Planung der Gemeinde die Niederung des L. bewusst ausspare, hält einer Prüfung nicht stand. Es mag ein anerkennenswertes Planungsziel sein, das L. von Bebauung freizuhalten und damit einen Grüngürtel durch den Ort zu legen. Für die Abgrenzung des Außen- und Innenbereiches stellen der Planungswille der Gemeinde und/oder Darstellungen des Flächennutzungsplanes jedoch kein Kriterium dar. Für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich kommt es nur auf die tatsächlichen Gegebenheiten an und nicht auf planerische Absichten der Gemeinde.
Einer Ortsbesichtigung durch den voll besetzten Senat zur Beurteilung der Zuordnung des Grundstückes des Klägers zum Innen- oder Außenbereich bedurfte es nicht. Nach § 96 Abs. 1 VwGO erhebt das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung, also grundsätzlich durch den Spruchkörper in seiner vollen Besetzung. Nach § 92 Abs. 2 VwGO kann das Gericht aber in geeigneten Fällen schon vor der mündlichen Verhandlung durch eines seiner Mitglieder als beauftragten Richter Beweis erheben lassen. Entscheidend ist, ob das Gericht sich seine aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung auch ohne einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von der konkreten Örtlichkeit verschaffen kann (BVerwG, Beschl. v. 21.4.1994 - 1 B 14.94 -, DVBl. 1994, 1242). Das ist hier der Fall, weil der Vorsitzende als beauftragter Richter dem Senat, der langjährige Erfahrungen im Baurecht besitzt, den erforderlichen Eindruck vermitteln kann.
Ist das Grundstück des Klägers nach alledem dem unbeplanten Innenbereich zuzuordnen, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens des Klägers nach § 34 BauGB. Die Errichtung von drei Wohnhäusern fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein, weil im Süden und Norden Wohnhäuser angrenzen. Der landwirtschaftliche Betrieb H. nordöstlich vom Grundstück des Klägers muss bereits auf die in der nächsten Nachbarschaft gelegenen Wohnhäuser Rücksicht nehmen, so dass die Bebauung des Grundstückes des Klägers die Situation im Hinblick auf Umwelteinwirkungen nicht verschärfen wird. Im Übrigen hat der Betrieb nach den Angaben des Klägers seine Tierhaltung aufgegeben. Das bedarf keiner weiteren Ausführungen, weil auch der Beklagte anlässlich der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht hat, dass die Entscheidung mit der Zuordnung zum Innen- oder Außenbereich fällt.
Sonstiger Langtext
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 60.000,-- DM festgesetzt.